Eine Annotation von Horst Wagner

Lütkehaus, Ludger (Hrsg.):
„Stehlen ist oft seliger als nehmen“
Nietzsche zum Vergnügen
Philipp Reclam jun. Verlag, Stuttgart 2000, 165 S.

Das Nietzsche-Jahr ist vorüber. Viel war da von der Geistesgröße des in geistiger Umnachtung geendeten Philosophen die Rede. Von seiner literarischen Meisterschaft, seiner Massenwirksamkeit auf nicht nur eine Generation, aber auch vom Mißbrauch, der mit seinen Werken getrieben wurde. Und es ward wieder einmal gestritten, ob Nietzsche Antisemit war und ob Zarathustras Predigt vom Übermenschen geradewegs zur Herrenmenschenideologie der Nazis führte. Nach all dem Ernsten und Gewichtigen bleibt ein kleines Heftchen nachzutragen, das Vergnügliches verspricht. Nietzsche zum Vergnügen? Natürlich fällt einem da seine „Fröhliche Wissenschaft“ ein, die er - nach seiner eigenen Vorrede - „in der Sprache des Tauwindes“ geschrieben hat und deren fünf Büchern ein „Scherz, List und Rache“ überschriebenes „Vorspiel in deutschen Reimen“ vorangestellt ist. Von diesen Schmunzelversen hat Lütkehaus die ersten 59 übernommen, hat auch aus den anschließenden fröhlichen Wissenschaftsbüchern die eine oder andere Prosastelle herausgepickt und die meisten der von Nietzsche als Anhang gedachten „Lieder des Prinzen Vogelfrei“ dazugestellt. Überraschender schon, wie viel auch im „Zarathustra“ von Lachen und Tanzen, von Vergnügen und Fröhlichsein die Rede ist. Auch aus „Menschliches Allzumenschliches“, dem 1878 erschienenen „Buch für freie Geister“, konnte der Herausgeber ein ganzes Kapitel Vergnügliches - und zu Bedenkendes - zusammenstellen. Neben dem für die Titelzeile herhaltenden Aphorismus vom Stehlen und Nehmen steht da auch eine Sentenz wie: „Die Menschen durchleben jetzt alle zu viel und durchdenken zu wenig.“ Überhaupt könnte das Büchlein ebensogut „Nietzsche über Gott und die Menschen“ oder „Über Juden, Deutsche und Europäer“ heißen. Es ist schon erstaunlich, was sich da alles an aktuell Gebliebenem oder wieder aktuell Anmutendem findet. So zum Beispiel, was Nietzsche in „Jenseits von Gut und Böse“ über „Völker und Vaterländer“ schreibt. Wie kritisch er dabei mit deutscher Borniertheit ins Gericht geht, sich mit dem „Nationalitätenwahnsinn“ auseinandersetzt und dafür eintritt, „daß Europa eins werden soll“. Oder - aus der „Fröhlichen Wissenschaft“ und aufs allgemein-menschliche bezogen - das Credo: „Der Mensch muß von Zeit zu Zeit glauben, zu wissen, warum er existiert. Seine Gattung kann nicht gedeihen, ohne ein periodisches Zutrauen zu dem Leben! Ohne Glauben an die Vernunft im Leben!“ „Nietzsche zum Vergnügen“ ist also mehr als eine Zusammenstellung von Heiterem aus der Feder des großen Meisters. Es ist vor allem ein Lesevergnügen, eine leicht aufbereitete Einführung, die neugierig macht, sich einen Philosophen weiter zu erschließen, der ansonsten immer noch als schwer verständlich und schwer verdaulich gilt. Oder, wie es in der 54. Strophe des „Vorspiels in deutschen Reimen“ heißt und hier auf dem Rücktitel zu finden ist: „Und hast du erst mein Buch vertragen, verträgst du dich gewiß mit mir.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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