Eine Annotation von Wolfgang Buth

Koppel, Gabriele:
Heimisch werden
Lebenswege deutscher Juden in Palästina.
Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2000, 230 S.

Gabriele Koppel, 1947 in Hamburg als Kind jüdischer Eltern geboren, begibt sich mit einem Kassettenrecorder im Gepäck nach Israel auf Spurensuche. Von den deutschen Einwanderern jener Jahre ab 1933 leben noch diejenigen, die damals als Kinder, Jugendliche oder sehr junge Erwachsene, meist mit ihren Eltern, ins Land kamen. Sie findet Menschen, die zum Zeitpunkt der Einwanderung alt genug waren, um von der Tradition ihrer Familien geprägt zu sein, und jung genug, um sich den neuen Lebensbedingungen im damaligen Palästina anzupassen.

Das Ergebnis der Befragungen dieser Zeitzeugen sind ergreifende Lebensgeschichten, die sonst unwiederbringlich verlorengehen würden und die gleichzeitig ein Stück Zeitgeschichte spiegeln, weil sie einen Einblick in das Israel der ersten Stunde geben und eine Brücke schlagen nach Deutschland, wie es damals war – vor sechzig, siebzig Jahren. In jedem Porträt spiegelt sich ein Thema, das charakteristisch für die deutsche Einwanderung in Israel ist. Dazu zählen u. a. der Kampf mit dem ungewohnten Klima, das zwiespältige Verhältnis zu den Engländern (Palästina und Transjordanien waren Mandatsgebiete Großbritanniens), zu den Arabern und zum Militär, das Gefühl der Verpflichtung gegenüber dem Land, das den Flüchtlingen eine neue Heimstatt gab, und gleichzeitig der Kulturschock, der die Ankömmlinge bei ihrer ersten Begegnung mit den primitiven Lebensbedingungen ereilte.

Für viele jugendliche Einwanderer in Israel war der Kibbuz die erste Station in der neuen Heimat. Die, die sich mit Überzeugung auf das Leben im Kollektiv eingestellt und eingelassen hatten, mußten die schmerzliche Erfahrung machen, daß dieses Experiment zum Scheitern verurteilt war.

Alle Einwanderer, heute zwischen siebzig und neunzig, sind froh und dankbar, dem Holocaust entronnen zu sein. Der 1919 geborene Awraham Lazar formuliert es so: „Die meisten sagten sich [nach 1933]: Es wird schon nicht so schlimm kommen. Ja, so sind die Optimisten geblieben und ums Leben gekommen, und die Pessimisten fanden Länder, die sie aufnahmen, und überlebten.“ Voller Liebe und Dankbarkeit erinnern sie sich ihrer Eltern, wie Uri Avnery, 1923 als Helmut Ostermann in Beckum/Westfalen geboren, ausgewandert 1933: „Je älter ich werde, um so mehr denke ich an meine Eltern. Was mußten sie auf sich nehmen! Von einem Klima in ein anderes, von einer Sprache in eine andere, von einer Kultur in eine andere, von einer Gesellschaftsschicht in eine ganz andere, von einer Lebensform mit Tausenden von Einzelheiten in eine andere mit tausend anderen Einzelheiten ...“ Als ehemaliger Journalist, Politiker und Friedenskämpfer kommt er wie andere zu aufschlußreichen Erkenntnissen, die er auch bereits gegenüber seinem Freund Itzhak Rabin geäußert hatte: „Tatsache ist, daß heute in diesem Lande ein Staat Israel und eine hebräische Nation existieren, und Tatsache ist auch, daß es hier ein palästinensisches Volk gibt. Ich vertrete seit fünfzig Jahren die Ansicht, daß ein Staat Israel und ein Staat Palästina im Lande miteinander, zusammen und nebeneinander leben müssen und daß die Semitische Region, die man in deutsch Naher Osten nennt, etwas Ähnliches werden soll wie die Europäische Union.“

Bei den Namen der Porträtierten fällt auf, daß sie heute zumeist anders heißen als zu ihrer Geburt. Das beschreibt Aviva Alef, die 1922 als Lotte Peršak in Prosnitz/Mähren geboren wurde, 1939 auswanderte und in Israel als Putzfrau, Wäscherin, Kinderbetreuerin, Altenpflegerin und Kibbuznikit (Kibbuzbewohnerin) arbeitete: „Nach ungefähr zehn Tagen stellten sie uns in zwei Reihen hin: Mädchen und Jungen. Unser Betreuer vom Kibbuz kam mit einer Liste und las vor: Miriam, Lea, Aviva ... Ging die Reihen entlang und gab uns diese hebräischen Namen. Wenn ich woanders gestanden hätte, hieße ich nicht Aviva, sondern irgendwie anders. Bei den Jungen war es dasselbe, er verteilte die Namen nach der Liste. Zuerst lachten wir darüber, es machte uns nichts aus, denn wir kannten uns ja mit den [deutschen und] tschechischen Namen und glaubten nicht, daß wir für den Rest unseres Lebens anders heißen würden.“

Für die deutschen Juden, die nach Palästina/Israel auswanderten, ist es nicht selbstverständlich, sich einem deutschen Publikum zu öffnen. Gabriele Koppel hat es verstanden, daß diese Zeitzeugen sich zu Wort melden. Sie, die „Jekkes“, erzählen in Heimisch werden. Lebenswege deutscher Juden in Palästina mit Witz und Wärme, mit Wehmut und Begeisterung und großer Offenheit nachdenklich und zum Nachdenken anregend ihre außergewöhnlichen Biographien.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
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