Eine Annotation von Bernd Heimberger

Keret, Etgar:
Der Busfahrer, der Gott sein wollte
Aus dem Hebräischen von Barbara Linner.
Luchterhand Literaturverlag, München 2001, 219 S.

Mensch, das hätte der Max Frisch sicher noch gern erlebt, daß er auf einem Bahnhof erschossen wird. Postum geschieht ihm der Rache-Neid-Ehre-Akt auf Seite 168 von Etgar Kerets Buch Der Busfahrer, der Gott sein wollte. Gott, o Gott, wer möchte nicht alles mal Gott auf Erden spielen! Der Erzähler nicht ausgenommen, der aus purem „Schriftstellerneid“ den eingangs erwähnten Schweizer gen Himmel schickt. Wie das so Menschen Art ist. Des Menschen Art ist, diesen oder jenen, dann und wann, zu meucheln. Aus guten wie schlechten Gründen. Zumindest in Gedanken.

Keret ist keiner, der aus seinem Herzen eine Mördergrube macht, indem er irgendeinen Gedanken zurückhält. Die Grenzenlosigkeit der Gedanken hat die Geschichten des Nicht-Ungarn, des 1967 in Tel Aviv geborenen Etgar Keret, schnell um den Globus kurven lassen. Auch die zweite Sammlung der Erzählungen hinterläßt den Eindruck, der Junge kann die Zunge nicht im Zaume halten. Um dann anerkennend festzustellen, daß er seine Zeilen recht wohl zu ordnen weiß, damit sich Geschichte um Geschichte solide aufbaut und nie vorzeitig die Pointe vergeudet. Die Schnauze aufzumachen bedeutet für Keret nicht, Schmutz zu verspritzen. Aber so richtig motzen, motzen, motzen, wo und wie immer er nur kann, das macht ihm sichtlich Spaß. Es ist nicht die große weite Welt, die er in die Mangel nimmt. Es ist, weil er sie besser kennt und am besten attackieren kann, die Familien-Landser-Pennäler-Pubertäts-Wirklichkeit israelischer Prägung, die er zusammenkehrt. Er tut’s, wann immer das angebracht ist, mit einer schnoddrigen Sprache, die keine beliebige, selbstverliebte Schnoddrigkeit ist. Sie ist Teil der Selbstironie des Autors, dem kein Selbstzweifel fremd ist. Sie ist Teil des Humors der Erzählungen, die Staub auch in den dunkelsten Ecken des schwarzen Humors aufwirbeln. Sie ist Teil der verzwickten Wirklichkeit mit ihren skurrilen Szenen, durch die Keret seine Figuren watscheln läßt. Es ist die Wirklichkeit einer Straße, deren eine Seite der realen und deren andere Seite der surrealen Welt gehört. Manchmal springt Etgar Keret, schneller, als die Leser ihm folgen können, von einer Seite auf die andere. Pech für alle, die nicht die Phantasie-Sprungkraft des Schriftstellers haben. Aber irgendwann findet jeder in der Prosa des Etgar Keret die Brosamen, die ihn ernähren. Nur kein Neid. Und Pfoten weg vom Revolver, damit „dieser Hurensohn“ weiter schreibt, wie er zu schreiben versteht.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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