Bücher zum Berlinischen als der historisch gewachsenen Sprache dieser Stadt gibt es schon eine ganze Reihe. Hervorragend gemacht zum Beispiel - auch hinsichtlich des geschichtlichen Hintergrundes und des Einflusses anderer Sprachen - das 1986 im Ostberliner Akademieverlag erschienene Berlinisch. Die jetzt als Kleines Lexikon herausgekommenen Berliner Begriffe wirken dagegen fast bescheiden. Dafür aber sind sie wesentlich bunter (ca. 60 Farbabbildungen), volkstümlicher und aktueller. Letzteres vor allem, weil es hier eben nicht nur um berlinspezifische Wörter und Redewendungen, sondern auch um neuentstandene lokale Begriffe aus Ost und West der seit zehn Jahren vereinten, aber auch sprachlich noch nicht ganz zusammengewachsenen Stadt geht. Schon das locker-freundliche Vorwort der Autorin lockt zum Lesen an. Es definiert das Berlinische übrigens als eine Mundart, eine Heimat- wie auch großlandschaftliche Umgangssprache ... aus dem niederdeutschen Kern des märkischen Platt, garniert mit Redewendungen aus dem Polnischen, Lateinischen, Russischen, Französischen, Jiddischen und mehr.
Aus dem ersten Eintrag erfährt man dann, daß uff'n Aamt nicht auf einem Amt meint, sondern einfach abends bedeutet, was ja auch aus dem Berliner Sprichwort Je scheener der Aamt, desto später die Jäste hervorgeht. Ganz am Schluß steht das Wort Zosse, was vom jiddischen Sus kommt und von Berlinern etwas abwertend für Pferd gebraucht wird. Als gestandener Ossi freut man sich natürlich, daß einem Adlershof als Heimat von Pittiplatsch und der Schriftstellerin Anna Seghers erklärt wird, findet später auch volkseigene Mehrzweckhalle für den Palast der Republik nicht schlecht. Auch nicht, daß unter P daran erinnert wird, wer Pieck war und daß die nach ihm benannte Straße der Wendewut zum Opfer fiel. Natürlich weiß man inzwischen auch andernorts, daß der Berliner Schrippe für sein Brötchen sagt. Aber daß Schislaweng vom französischen C'est le vent (das macht der Wind) kommt und vom echten Berliner gebraucht wird, wenn er etwas mit Leichtigkeit macht, dürfte vielleicht nicht allbekannt sein. Offen gesagt war mir auch der Ausdruck Seelenbarometer für den Berliner Dom neu. Aus zweigeteilter jüngster Vergangenheit werden Begriffe wie Geisterbahnhof, Grenzgänger und Mauer erklärt. Für den aktuellen Charakter des Lexikons spricht, daß Imax, die Love Parade und die Linie 100 Aufnahme gefunden haben. Natürlich kann man unter den historischen Persönlichkeiten Adolf Glaßbrenner (hier allerdings - Auswirkung der Rechtschreibreform? - nur mit s geschrieben) ebenso finden wie den Säulenerfinder Litfaß. Unter den gegenwärtigen die Knef sogar mit einem wunderschönen Foto.
Es ist jedenfalls eine ganze Menge, was da auf 152 Seiten geboten wird, sogar ein ausführliches Literaturverzeichnis. Freilich wird der eine oder andere auch das eine oder andere vermissen. Das ist nun mal bei Lexika so und bei einem Kleinen erst recht. Vielleicht findet mancher auch den Ton zu locker, zu wenig wissenschaftlich. Mir hat er gefallen, und mir waren die Berliner Begriffe von Gisela Buddée, einer seit 1993 in Berlin lebenden Verlagslektorin und Autorin zahlreicher Reisebücher, ein Lesevergnügen. Mögen sie auch für die Neu-Berliner, die jetzt in die Bundeshauptstadt gekommen sind oder noch kommen werden, ein nützlicher Wegweiser und hilfreicher Erklärer zunächst unverständlicher Wörter sein. Bei einer Neuauflage sollte man allerdings ein paar Schreibfehler korrigieren. Außer dem schon erwähnten Glaßbrenner betrifft das u. a. den an der Mauer erschossenen Chris Gueffroy (nicht Godfroy, S. 91) und die Berliner russischsprachige Zeitung Russkij Berlin (nicht Russij, S. 118).