Eine Annotation von Waltraud Lewin

cover Birnbaum, Elisabeth:
Walter Berry. Die Biografie.
Henschel Verlag, Berlin 2001, 299 S.

Biographien und Memoiren, Monographien, Lebensbilder, Zeitzeugnisse ohne Ende. Warum ist das Lese-Volk so begierig auf dergleichen? Ist es der Anspruch des Wahrhaftigen, was dieser Gattung die Faszination verleiht? Wollen unsere Zeitgenossen nur noch das wissen, was wirklich wahr ist, und nehmen eine Biographie für ein Sachbuch? Ich versichere den hochverehrten Lesern: In kaum einem Genre wird soviel und mit so großem Geschick gelogen wie in der Lebensbeschreibung, und dann kann man sich immer noch auf die subjektive Sicht der Ereignisse herausreden.

Nun, zu dieser Art von Elaboraten steht die Walter-Berry-Biographie in keiner Beziehung, dies sei zunächst einmal versichert. Sie ist in keiner Weise schillernd oder beunruhigend, wirft keine erstaunlichen neuen Lichter – weder auf den Porträtierten noch auf seine Zeit. Sie ist brav und bieder und geht sicher auch redlich mit der Zeit und den Menschen darin um. Und so soll sie denn auch benannt werden: eine ordentliche Arbeit.

Elisabeth Birnbaum, Wienerin wie Berry selbst, Musikerin und zeitweise Schülerin des von ihr Porträtierten, hat den alten Kammersänger ein Jahr lang besucht, mit ihm gemeinsam die Fakten zusammengetragen und sich von ihm seine Lebensansichten, die Facetten seiner Karriere und diesen und jenen Schmäh erzählen lassen – Berry war zeit seines Lebens als witziger, gedankenreicher Kopf, als Querdenker und Schwieriger in der Opernszene bekannt. Kurz vor Erscheinen des Buchs ist Berry gestorben, und so haben wir eine noch von ihm selbst redigierte, bis zum Schlußpunkt authentische Biographie vor uns.

Natürlich ist das verdienstvoll. Der Bariton Berry war in den sechziger Jahren ein herausragender, ja der herausragendste Vertreter seines Faches in Mozartrollen, er sang einen aufregenden Falstaff, Bergs Wozzeck genauso wie die großen Strauss-Partien, vor allem den Ochs von Lerchenau oder den Barak in der „Frau ohne Schatten“. Er war ein gewiefter und intelligenter Darsteller und hatte mit beinahe allen Großen am Pult oder auf der Bühne zusammengearbeitet. Seine legendäre Ehe mit der Sopranistin Christa Ludwig war für die Wiener Opernfans so etwas wie ein kleines Heiligtum – als sie scheiterte, brach für die Operisten eine Welt zusammen.

Und natürlich sollen die Freunde des Musiktheaters auch eine Berry-Biographie haben – warum denn nicht? Warum sollte dem Sänger und Menschen nicht ein ehrendes Andenken bewahrt werden, zumal, wenn es mit so amüsanten und kenntnisreichen Details der Aufführungsgeschichte so vieler Werke einhergeht, mit so vielen Hintergründen und so sicheren Urteilen verbunden ist.

Aber es ist eben so: Ein Bariton sammelt nie die Aufmerksamkeit in dem Maße auf sich und seine Leistung wie ein strahlender Heldentenor oder eine exzentrische Primadonna. Er ist die Mittelstimme. Und so wird sich auch das Interesse an dieser grundsoliden und teilweise witzig zu lesenden Arbeit gewiß auf einen weitaus kleineren Kreis von Opernfreunden beschränken als –sagen wir einmal – etwa über Pavarotti oder Domingo. Möge das Buch trotzdem Berrys alte Fangemeinde beglücken. Er hat es gewiß verdient.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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