Die Entwicklung zur Mietskasernenstadt nach 1861

Die Stadtpläne Berlins seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts - etwa : W. Bembé (1865), W. Liebenow (1867), Sineck (1889), J. Straube (1896 und 1914) - sind nicht nur wesentlich genauer gezeichnet und mehrfarbig gedruckt. Seit 1815 hatte die Kartographische Abteilung des Preußischen Großen Generalstabs die Herstellung und Herausgabe topographischer Karten und Stadtpläne übernommen. Vor allem dokumentieren sie eine weitere enorme Stadterweiterung.

Besondere stadtpolitische Bedeutung erlangte in dieser Zeit der sog. Hobrechtplan. Damit werden die zusammengefaßten Bebauungspläne bezeichnet (insbesondere der 1862 genehmigte »Bebauungsplan der Umgebungen Berlins«), die von einer Kommission unter Vorsitz des Regierungsbaumeisters James Hobrecht von 1858 bis 1862 im Polizeipräsidium von Berlin erstellt worden waren. Der Hobrechtplan wurde zum maßgebenden neuen Ordnungsfaktor des bisherigen ungeregelten Wachstums der Stadt. Zwar hatte es seit 1809 Bemühungen zur Aufstellung eines Bebauungsplanes gegeben, aber die Voraussetzung dafür, eine Bauordnung, lag erst 1821 als Entwurf vor, deren Verabschiedung und Inkraftsetzung zog sich gar bis 1853 hin. Hobrecht machte sie nun zur Grundlage weiterer Stadtplanungen. Er ging von der Instruktion des preußischen Innenministers aus, alle voraussichtlich für den Verkehr notwendigen Straßen festzulegen und entsprach dem Wunsche des Königs, das Stadtgebiet nach dem Vorbild von Paris durch eine Ringstraße einzufassen, die die Städte Berlin und Charlottenburg umschließen sollte. Der zwischen Stadtzentrum und Ring liegende Raum sollte durch Diagonalstraßen und nach allen Richtungen führende Ausfallstraßen in rechtwinklige Baublöcke aufgeteilt werden.

Der Hobrechtplan begünstigte eine rasche und dichte Besiedlung außerhalb der ehemaligen Stadtmauer, wobei sich die 1853 erlassene Baupolizeiordnung als entscheidendes Instrument erwies. Sie genehmigte den Bau von vier- bis sechsgeschossigen Mietshäusern und erlegte den Bauherren außer der Straßen-Fluchtlinie und der Mindestgröße der Innenhöfe (5,34 mal 5,34 m) kaum Beschränkungen auf. So entstanden in dieser Zeit in großem Umfang Mietskasernen mit 6 Vollgeschossen bei intensivster Bebauung mit den berüchtigten, zum Teil mehrfach hintereinander gelegenen Innenhöfen. Schließlich enthält der Hobrechtplan gleichzeitig einen Plan der Entwässerung Berlins. Hobrechts Kanalisationsprojekt sah vor, die Abwässer nicht mehr in die fließenden Gewässer einzuleiten, sondern auf weit außerhalb der Stadt gelegene Rieselfelder durch Druckleitungen zu transportieren. Damit wurde ein entscheidender Schritt in Richtung einer modernen Verbindung ökologischer, technischer und hygienischer Aspekte eingeleitet.

Bedeutenden Einfluß auf die Stadterweiterung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlangte die rasche Entwicklung des Berliner Verkehrswesens. Nachdem schon bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts fünf bedeutende Kopfbahnhöfe innerhalb des Stadtgebiets in Betrieb genommen waren ( Potsdamer Bahnhof 1838, Anhalter Bahnhof 1841, Frankfurter Bahnhof 1842, Stettiner Bahnhof 1842, Hamburger Bahnhof 1846 ), erhielt die Reichshauptstadt 1872 die Ringbahn und sechs Jahre später die Stadtbahn als erste durchgehende Trasse von Stralau (heute Ostkreuz) nach Charlottenburg.

Berlin um 1900
Stürmisches Wachstum Berlins und des Umlandes um 1900
 
Arbeit(1987/88) von Jo Doese im U-Bahnhof »Märkisches Museum«

Foto: D. Christel

Am 1. Januar 1861 waren der Wedding, Gesundbrunnen, Moabit und die nördlichen Teile von Tempelhof und Schöneberg sowie ein Stück vom Tiergarten eingemeindet worden. Dadurch vegrößert sich das Berliner Stadtgebiet um 70 Prozent und wuchs auf 59,23 km² an. Später kamen noch das Gelände des Zentralviehhofs (1878), der Tiergarten (1881) und das Gelände um den Plötzensee (1915) hinzu. Vor allem in den zur Stadt gehörenden Bereichen außerhalb der ehemaligen Zollmauer nahm die Bevölkerung deutlich rascher zu als im Bereich innerhalb der ehemaligen fiskalischen Stadtgrenze: Wohnten im Jahre 1875 nur 40 % »außerhalb«, so waren es 1895 rund 63 %. Am 3.12.1861, dem Stichtag einer Volkszählung, bewohnten 523.678 Berliner die nach der Eingemeindung vom 1.1.1861 auf 59,23 km² erweiterte Stadtfläche. Die große Stadtgemeinde wurde in 16 Bezirke gegliedert, je acht auf jeder Spreeseite. Damals gab es 546 benannte und 93 numerierte Straßen mit fast 34.000 Gebäuden.


 

© Edition Luisenstadt, 1998
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