Dr. Otto Ostrowski

* 28. 01. 1883 Spremberg (Niederlausitz)
+ 19. 06. 1963 Knokke (Belgien)

Oberbürgermeister vom
05. 12. 1946 bis 17. 04. 1947

Bildnis Otto Ostrowski Gleichsam nur einen Moment in einem langen, ereignisreichen Leben umfaßte die Amtszeit Otto Ostrowskis als Stadtoberhaupt einer Trümmerwüste namens Groß-Berlin. Als der fast 63jährige am 5. Dezember 1946 gewählt wurde, rechneten weder das neue Stadtoberhaupt noch die mit breiter Mehrheit für ihn votierenden Abgeordneten mit einer Amtszeit von nur knappen fünf Monaten.

Nahezu 50 Jahre war er ein Umfeld-Berliner: 1900 Einjährigen-Examen am Realgymnasium Luckenwalde; 1903 Abitur im damals noch nicht zu Berlin gehörenden Charlottenburg; anschließend ein neuphilologisches Studium in der Hauptstadt. Mehrere Studienaufenthalte führten ihn nach Frankreich und England, ehe er 1909 in Greifswald promovierte - über ein frühmittelalterliches Manuskript aus der Bibliothek von Chantilly (Frankreich). Dem kaiserlichen Heer und dem Weltkrieg entging er aufgrund von Wehruntauglichkeit. In diesem Zeitraum lehrte er - wieder vor den Toren der Stadt - in Lankwitz. Die patriotische Welle streifte auch Ostrowski; er wurde Vorstandsmitglied der Lankwitzer Ortsgruppe der Vaterlandspartei, ein Schritt, der im Umfeld seines Gymnasiums sehr beifällig aufgenommen wurde. Um so heftiger dann die Empörung, als ihn die Revolutionswirren 1918/19 in die Reihen der SPD führten; Schreiben von Eltern einiger Schüler der Lankwitzer Unterrichtsstätte forderten 1921 vom preußischen
Kultusminister deshalb sogar seine Abberufung.

Politisch sah sich Ostrowski selbst im rechten Spektrum der SPD. Mit den sogenannten Unabhängigen an der Spitze des Landesverbandes, Franz Künstler und Karl Litke, "konnte" er nach eigenen Aussagen nicht und fühlte sich von ihnen "nach Finsterwalde abgedrängt." Dort wirkte er von 1922 bis 1926 als Bürgermeister. Dann folgte er der Berufung nach Berlin: Auf eine Ausschreibung reagierend, hatte er sich um die Funktion des Bürgermeisters vom Prenzlauer Berg beworben, wurde von der SPD-Bezirksverordneten-Fraktion akzeptiert und am 6. Januar 1926 für eine 12jährige Amtszeit gewählt. Bereits sieben Jahre später kam das Aus. Im März 1933 "beurlaubte" ihn Oberbürgermeister Sahm aus politischen Gründen; dann schlug die SA zu: Er wurde in ein reguläres Verfahren wegen "politischer Unzuverlässigkeit" verstrickt, wobei ihm protektionistisches Verhalten vor allem gegenüber jüdischen Bewerbern bei der Stellenvergabe vorgeworfen wurde. Jeder Weg zurück in den öffentlichen Dienst war damit versperrt.

1943 zerstörten Bomben Ostrowskis Berliner Wohnung - wiederum mußte er in das Umland ausweichen. Doch mit dem Kriegsende zog es ihn wieder nach Berlin. Das ihm 1933 entrissene Amt war im Mai 1945 schon an den Kommunisten Gustav Degner vergeben. So erfüllte er vorerst einen ihm am 1. Juni 1945 durch Max Fechner gegebenen Auftrag, in Calau, Luckau, Luckenwalde, Jüterbog und Teltow frühere Sozialdemokraten erneut für die Parteiarbeit zu gewinnen. Seine damit verbundene Bestallung als kommunalpolitischer Referent im Zentralausschuß der SPD schuf enge Kontakte zu den Verantwortlichen seiner Partei, so daß er bald zum kommunalpolitischen Sprecher berufen wurde.

In der Vereinigungsfrage war er zurückhaltend. Zwar stimmte er am 6. Oktober 1945 einer Vereinbarung über die Bildung der Arbeitsgemeinschaft KPD/SPD für Groß-Berlin zu, lehnte aber einen knappen Monat später "ein zu starkes demonstratives Bekenntnis zur Einheit in der Öffentlichkeit" ab, das "mehr schade als nutze". Auch sein Bericht auf dem Bezirksparteitag der SPD am 25. November 1945 zur Kommunalpolitik mit den Kernaussagen "freie Wahlen" und "Gleichberechtigung in der Ämterbesetzung" war nicht dazu angetan, ihm Freunde beim Grotewohl-Flügel und der KPD-Spitze zu gewinnen. Am 18. Februar 1946 erklärte er sich im gemeinsamen Arbeitsausschuß für die Einheitspartei, rückte dann aber Anfang April wieder davon ab, löste sich vom Zentralausschuß und bekannte sich zur Weiterexistenz der SPD, immer eher Gedrängter als selbst Aktiver. Die Partei, nach Gründung der SED an Spitzenpolitikern ausgedünnt, ignorierte vorerst das Zögerliche. Im Mai 1946 wurde er als Bürgermeister in Wilmersdorf eingesetzt, am 17./18. August war er Delegierter des 3. Landesparteitages und am 20. Oktober fungierte er als Spitzenkandidat der SPD zu den Kommunalwahlen im Prenzlauer Berg. Der überragende Wahlsieg der SPD in Groß-Berlin (48,7 Prozent), die Mehrheit im Stadtparlament sowie in 19 von 20 Bezirksverordnetenversammlungen (nur Zehlendorf hatte eine CDU-Dominanz) verlieh dem Politiker und Praktiker in Sachen Kommunalpolitik plötzlich Gesamtberliner Statur: Am 5. Dezember 1946 wählte die Mehrheit der Stadtverordneten Dr. Otto Ostrowski zum Oberbürgermeister Groß-Berlins. In dieser Funktion fühlte er sich in erster Linie der Stadt und ihren Bewohnern verpflichtet, während die Parteizentrale - ganz auf Abgrenzung gegenüber der SED fixiert - ihn als ihren weisungsgebundenen Beauftragten betrachtete. Ostrowski sah auch sehr realistisch, daß - bei formaler Gleichheit der alliierten Vier in der Kommandantur - es vor allem von der umlandbeherrschenden UdSSR abhing, wie Berlin mit Lebensnotwendigstem versorgt wurde. So war er um ein moderates Verhältnis zu ihren Vertretern bemüht, was ihm seine Fraktion bald auch als Belastung ankreiden sollte.

Der "OB" wollte rasch eine leistungsfähige Verwaltung. Die Stadträte als gewählte Vertreter einzusetzen war unproblematisch, doch Veränderungen in den Magistratsabteilungen waren konfliktarm nur zu erreichen, wenn die SED Selbstbescheidung zu üben bereit war und die Kommandantur Neubesetzungen zustimmte. Dazu mußte vor allem mit den Repräsentanten der Einheitspartei gesprochen werden. Der Oberbürgermeister tat das am 22. Februar 1947. Ohne Kenntnis der SPD-Zentrale trafen er und der stellvertretende Polizeipräsident Dr. Stumm sich mit Karl Litke, Karl Maron und Hermann Matern. Die als "unverbindlich" deklarierte Begegnung endete mit einer Übereinkunft: die SED war bereit, vier Posten abzugeben, sollte zwischen der "SPD und SED ein gemeinsames Arbeitsprogramm während der nächsten 3 Monate zur Durchführung" kommen "und alle Polemiken während dieser Zeit in Presse und öffentlichen Versammlungen abgestellt" werden. Als der SPD-Landesvorsitzende davon erfuhr, geriet er außer sich; der Mann mußte weg. Franz Neumann deklarierte die Februar-Begegnung zu einem privaten Treffen ohne Verbindlichkeit. Zeitgleich tauchten Kritiker auf - insbesondere der dem Posten zuneigende amtierende Stadtrat Ernst Reuter - und erhoben Vorwürfe gegen den Magistrat wegen mangelnder Führungsqualität. Doch an diesem Punkt erhoben auch bürgerliche Politiker wie der LDP-Vorsitzende Wilhelm Külz und der Stellvertreter Ostrowskis, Ferdinand Friedensburg (CDU), öffentlich Einspruch.

Eine schriftliche Anfrage Ostrowskis an die Kommandantur gab der CDU Anlaß, eine Rüge für Magistrat und speziell das Stadtoberhaupt zu beantragen. Begründung: dieser Schritt - ohne Befragen des Parlaments - schränke die Selbstverwaltung ein. In der Debatte aber kamen die schärfsten Angriffe gegen den Oberbürgermeister aus dessen eigener Fraktion. Am 10. April antwortete Ostrowski, wies den Vorwurf zurück, versicherte seine Bereitschaft zu enger Zusammenarbeit seines Magistrats mit den Abgeordneten und bat um Vertrauen der Parlamentarier für die schwierige Arbeit der Stadtregierung. Es war der letzte Teil dieser Ausführungen, den der SPD-Fraktionsvorsitzende zum Vorwand eines angeblich ersuchten Vertrauensvotums nahm, das auf einer am Folgetag einberufenen außerordentlichen Stadtverordneten-Tagung erfolgen sollte. Im Verlauf einer dramatischen Sitzung stellte schließlich ausgerechnet Franz Neumann dreimal einen - immer wieder von ihm modifizierten - Schlußantrag: "Der Oberbürgermeister Dr. Ostrowski hat nicht mehr das Vertrauen der Stadtverordnetenversammlung." Bei 85 Ja- und 2O Nein-Stimmen wurde die Zweidrittel-Mehrheit verfehlt, da 105 Abgeordnete der Sitzung fernblieben. So war es ausgerechnet die SED-Fraktion, deren Votum Ostrowski rettete. Er wollte sich nicht beugen und sprach im Plenum seine Fraktion von Vorwürfen frei; das sei lediglich "das Werk weniger Intriganten". Bis zur nächsten Tagung wurde Ostrowski permanent parteiintern "bearbeitet" und in mehreren Zeitungen attackiert. Neumann spielte mit ihm alle Möglichkeiten durch: vom Parteiausschluß und dem Entzug aller Ämter bis hin zu Berufung in andere öffentliche Ämter.

Am Abend vor der entscheidenden Tagung - sie fand am 17. April statt - war der Oberbürgermeister noch willens, standzuhalten und hatte eine siebenseitige Erklärung vorbereitet. Am folgenden Vormittag gab er auf und trat zurück. Seine auf 11 Zeilen geschrumpfte Botschaft enthielt immerhin noch die bemerkenswerten Aussagen: "Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, daß ich unentwegt festhalte an dem Gedanken, daß Berlins Schicksal nur in den Händen einer gesunden und starken Arbeiterbewegung wohlgeborgen ist. Ich wollte als Anwalt ihrer Nöte bestehen können, und deshalb war ich, was ich immer gewesen bin, ein sozialistischer demokratischer Mensch, mit der selbstverständlichen Hingabe an die Gesamtheit."

Den so erreichten Rücktritt "belohnte" die Partei nach der im folgenden Jahr vollzogenen Spaltung Berlins mit der Einrichtung eines Hauptprüfungsamtes, dessen Präsident Dr. Otto Ostrowski wurde. 1951 schickte man ihn dann in den Ruhestand. Die Vorgänge jenes Aprils 1947 hat der Pensionär bis zu seinem Tode nicht verwunden; diverse Briefe in seinem Nachlaß legen davon Zeugnis ab. Versuche öffentlicher Artikulation wurden weitgehend unterbunden. Groß-Berlins erster frei und demokratisch gewählter Oberbürgermeister nach dem zweiten Weltkrieg geriet seiner eigenen Partei zur Unperson; kein Denkmal oder Straßenname erinnert in der Stadt bis heute an ihn.

 

© Edition Luisenstadt, 1998
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