Dr. Walther Schreiber

* 10. 06.1884 in Pustleben
+ 30. 06.1958 in Berlin

Regierender Bürgermeister (West-Berlin)
vom 22. 10. 1953 bis 11. 01. 1955

Bildnis Walther Schreiber Nach der Kapitulation Hitler-Deutschlands bereitete Walther Schreiber gemeinsam mit dem früheren Reichsminister Andreas Hermes die Gründung der Christlich-Demokratischen Union vor. Hermes wurde vom Gründungsausschuß zum Ersten Vorsitzenden, Schreiber zu dessen Stellvertreter gewählt. Am 22. Juli 1945 hielt Schreiber die Eröffnungsrede auf der Gründungskundgebung im Theater am Schiffbauerdamm. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten unter anderen Ferdinand Friedensburg, Theo Steltzer, Otto Nuschke und Ernst Lemmer.

Schreiber und Hermes lehnten ihre Zustimmung zur Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone ab. Daraufhin wurde ihnen am 19. Dezember 1945 der Befehl des Chefs der SMAD, Marschall Shukow, übermittelt, daß sie von ihren Funktionen zurückzutreten hätten. Noch am gleichen Tag wurden Jakob Kaiser und Ernst Lemmer zu ihren Nachfolgern gewählt.

Am 20. Oktober 1946 wurde Schreiber in die Berliner Stadtverordnetenversammlung gewählt und übernahm dort die Funktion des stellvertretenden Stadtverordnetenvorstehers; Stadtverordnetenvorsteher war sein späterer Nachfolger im Amt des Regierenden Bürgermeisters, Otto Suhr. Im Frühjahr 1947 wurde er Vorsitzender des Landesverbandes der Berliner CDU und einige Zeit danach auch der Fraktionsvorsitzende der CDU im Stadtparlament. Als am 20. Dezember 1947 Kaiser und Lemmer durch die SMAD ihrer Ämter enthoben wurden, stellte sich der Berliner Landesvorstand der CDU unter Leitung von Schreiber mit einer Entschließung am 30. Dezember hinter die Abgesetzten.

In der Stadtverordnetenversammlung waren es vor allem Fragen der Wirtschaftsordnung, die Schreiber, der von Beruf Jurist war und bereits in der preußischen Regierung von Otto Braun 1925 als jüngster Minister bis 1933 das Ressort Handel und Gewerbe ausübte, vehement gegen die Interessen der SED, aber auch gegen die der SPD vertrat - so zum Beispiel in der Frage der von der SPD nicht gewünschten Wiederzulassung von Arbeitgeberorganisationen oder auch in der Frage der Geschäftsaufnahme privater Banken.
Bei den Wahlen am 3. Dezember 1950 zum Westberliner Abgeordnetenhaus hatte die von Schreiber geführte CDU einen großen Erfolg. Am 12. Januar 1950 gab es ein "Patt" bei der Wahl des Regierenden Bürgermeisters, und die Berliner nannten beide Kandidaten, Ernst Reuter und Walther Schreiber, scherzhaft "Doppeltes Lottchen". Sie erhielten jeweils 62 Stimmen. Sechs Tage später trat Schreiber von seiner Kandidatur zurück und übernahm, wie er später sagte - sehr gegen seinen Willen - das Amt des stellvertretenden Regierungschefs.

Nach dem plötzlichen Ableben von Ernst Reuter am 29. September 1953 wurde Walther Schreiber auf einer außerordentlichen Sitzung des Abgeordnetenhauses am 22. Oktober wiederum mit 62 Stimmen zum Regierenden Bürgermeister gewählt. Sein Gegenkandidat von der SPD, Otto Suhr, erhielt nur 57 Stimmen. Schreiber wurde in seiner Eigenschaft als Regierender Bürgermeister von West-Berlin auch Mitglied des Bundesrates. Walther Schreiber hat später die gute und kameradschaftliche Zusammenarbeit mit Ernst Reuter hervorgehoben. Als Zeugnis ist ein Brief Ernst Reuters vom 29. August 1953 zu nennen, als sich Schreiber einige Tag im Krankenhaus aufhalten mußte, in dem Reuter unter anderem schreibt: "Ich habe so wenig wie Sie wohl auch die Neigung, andere überflüssig zu belästigen, aber es ist immer gut, wenn man weiß, daß andere auch da sind."

Im Zusammenhang mit der Eingliederung Berlins in das finanzielle und ökonomische Gefüge der Bundesrepublik waren die Ausweitung der Bundeshilfe und die Rechtsangleichung - auch hinsichtlich der Stellung der Berliner Bundestagsabgeordneten in Verbindung mit einer Revision des Berliner Besatzungsstatus - für den Regierenden Bürgermeister vordringliche Aufgaben. Besonderen Raum sowohl in seiner Regierungserklärung als auch in den Debatten der Abgeordneten nahm trotz der diesmal in den Vordergrund gerückten personal- und kommunalpolitischen Schwerpunkte auch weiterhin die Deutschlandpoltik ein. Die Wiedervereinigung und Rückgewinnung der Hauptstadtfunktion blieben vorherrschende Themen, zumal sich nach Stalins Tod, 1953, eine Änderung der sowjetischen Haltung zu diesen Fragen abzuzeichnen schien.

Als besonders schwierig zeigten sich die Verhandlungen des Senats mit der Bundesregierung bei der Bereitstellung der notwendigen Finanzmittel für Berlin. Bereits in einer Pressekonferenz Anfang April 1953 hatte Schreiber herbe Kritik an der Bundesregierung, insbesondere am Bundesfinanzminister, geübt und dabei erklärt, daß man sich nicht wundern solle, wenn die Berliner erheblich enttäuscht seien. In seinem Grundsatzreferat "Berlin steht für Deutschland" auf dem CDU-Landesparteitag 1954 mußte Schreiber auf die besondere Situation der Koalition in Berlin hinweisen, die Mut zu unpopulären Entscheidungen haben müsse. Immer um Ausgleich bemüht, ließ Schreiber anklingen, daß die besondere Situation Berlins stets ein Zusammenwirken über die Parteigrenzen hinaus erfordere.

Die Wahlen vom 5. Dezember 1954 brachten der SPD 44,6 Prozent der Stimmen und 64 Mandate, der CDU 30,4 Prozent der Stimmen und 44 Sitze. Bei den Koalitionsverhandlungen zwischen den künftigen Regierungsparteien SPD und CDU waren für die SPD sieben Senatoren und für die CDU sechs vereinbart worden. Für Walther Schreiber war kein Regierungsamt vorgesehen, und auch in anderen Positionen wurde ein Generationswechsel vorgenommen.

Mit der Wahl Otto Suhrs zum Regierenden Bürgermeister am 11. Januar 1955 ging die Amtszeit des ersten von der CDU gestellten Regierenden Bürgermeisters von West-Berlin zu Ende. Walther Schreiber hatte den Schwerpunkt seiner Tätigkeit in der kommunalen Strukturverbesserung der Stadt gesehen.

Für Walther Schreiber mochte es eine Genugtuung gewesen sein, daß er - bei einigen Stimmenthaltungen - auf dem Landesparteitag im April 1955 zum Ehrenvorsitzenden der Berliner CDU ernannt wurde. Der Vorschlag dazu war vom Ortsverband Wilmersdorf, seinem Wohnort, ausgegangen. Ein Versuch, Walther Schreiber zum Ehrenbürger West-Berlins zu machen, scheiterte am Widerstand des SPD-Vorsitzenden Franz Neumann.

Aus seiner ersten Ehe hatte Walther Schreiber einen Sohn und eine Tochter. Sein Sohn, ein junger Architekt, ist als Oberleutnant der Garmischer Gebirgsjäger in der Sowjetunion gefallen. Seit 1947 war Schreiber mit einer Enkelin des im Jahre 1912 verstorbenen, seinerzeit sehr bekannten, fortschrittlichen Politikers und Dichters Albert Traeger, verheiratet. Am 30. Juni 1958 starb Walther Schreiber im Alter von 74 Jahren in Berlin. Seit 1958 trägt der bis dahin in Berlin-Steglitz unbenannte Platz an der Einmündung der Bundesallee in die Friedenauer Rheinstraße den Namen "Walter-Schreiber-Platz".

 

© Edition Luisenstadt, 1998
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