* 20. 06. 1959 in Buttstädt (Thüringen)
Amtierender Oberbürgermeister (Ost-Berlin)
vom 11. 01. 1991 bis 24. 01. 1991
Knapp zwei Wochen stand Thomas Krüger Mitte Januar 1991 kommissarisch an der Spitze der Ostberliner Verwaltung. Das Amt für diesen Zeitraum überhaupt noch einmal neu zu besetzen, war notwendig geworden, nachdem der gewählte Oberbürgermeister Tino-Antoni Schwierzina nach seiner Wahl zum Vizepräsidenten des Berliner Abgeordnetenhauses aus seiner Funktion ausgeschieden, der neue, nunmehr für ganz Berlin zuständige Senat unter dem designierten Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen aber noch nicht im Amt war.
Für Thomas Krüger war dies der vorläufige Höhepunkt eines rasanten politischen Aufstieges, wie er nicht untypisch war für die Zeit der Wende in der DDR 1989/90. Unzählige freigewordene oder neugeschaffene Funktionen auf allen Ebenen galt es mit politisch unbelasteten Personen zu besetzen. Bürger, die sich nicht mit der offiziellen Staatspolitik der DDR identifiziert hatten, ergriffen die Möglichkeit, aus der absoluten Unbekanntheit aufzutauchen und sich in den neuen politischen Prozeß mit ihrer Person einzubringen. Zu ihnen gehörte auch der aus dem Bereich der evangelischen Kirche kommende Thomas Krüger. Jung, dynamisch, unkonventionell, engagiert, streitbar und mit manch einer seiner Entscheidungen auch umstritten, rigoros mit alten Seilschaften aufräumend, avancierte er schon bald zu einer bekannten politischen Persönlichkeit Berlins.
Dabei beginnt seine Biographie absolut unaufregend, ähnelt eher der nicht weniger junger Leute, die sich dem aktiven politischen Dienst am DDR-Sozialismus entziehen und sich statt dessen einem christlichen Engagement im Dienst der Kirche zuwenden. Er legt 1979 das Abitur ab und schließt eine Ausbildung als Plast- und Elastfacharbeiter ab. 1981 nimmt er ein Studium der Theologie am Sprachenkonvikt in Berlin auf, das er 1987 mit dem Examen abschließt. Daran schließen sich ein zweijähriges Vikariat und das 2. Theologische Staatsexamen an. 1989/90 folgt ein Praktikum im Kunstdienst der Evangelischen Kirche. In dieser Zeit nimmt auch Thomas Krügers politisches Engagement konkrete Formen an. In der Vorwendezeit, als die verschiedenen Gruppierungen der Opposition beginnen, sich zu organisieren und ihre politischen Strategien auszuarbeiten, wird er Mitglied der Sozialdemokratischen Partei der DDR. Die noch schwache, im Oktober 1989 erstmals offiziell an die Öffentlichkeit tretende Partei hat einen großen Bedarf an profilierten Führungspersönlichkeiten. Thomas Krüger gehört schnell zu ihnen. Er wird Geschäftsführer des Bezirksverbandes Berlin und ist von Februar bis September 1990 stellvertretender Vorsitzender des Berliner Bezirksverbandes. Seit September 1990 ist er stellvertretender Landesvorsitzender der Berliner SPD. Von März bis August 1990 gehört er mit dem Mandat der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands der ersten freigewählten Volkskammer der DDR an. Parallel zu seinem Aufstieg in Parteifunktionen übernimmt Thomas Krüger auch schnell ein Spitzenamt in der Stadtverwaltung von Ost-Berlin. Der neue Oberbürgermeister Tino-Antoni Schwierzina überträgt ihm am 11. Januar 1990 im Magistrat den hochsensiblen Posten des Stadtrates für Inneres. Energie und die Fähigkeit, Entscheidungen durchzustehen, die nicht allerseits Zustimmung auslösen, gehören zu seinen gefragtesten Eigenschaften. In dieser Funktion auch für die Personalverwaltung des Magistrats und der Stadtbezirke verantwortlich, bekommt er schon bald die Stürme zu spüren, die sich mitunter an seinen Entschlüssen oder denen des Magistrats entfachen.
Ein Beispiel: Da es schon rein sachbedingt nicht möglich ist, von einem Tag zum anderen den gesamten Mitarbeiterstab auszuwechseln, muß Thomas Krüger vorerst mit dem Apparat zurechtkommen, den er bei seinem Amtsantritt vorfindet. Ihm ist klar, daß hier eine Veränderung notwendig ist. Und so ergeht am 12. Juni 1990 der von ihm mitvertretene Magistratsbeschluß Nr. 27/90. Er ging als "Aktion Besen" in die Geschichte ein. Den Empfängern bestimmter höherer Gehaltsgruppen im Magistrat, in den Stadtbezirken und in nachgeordneten Einrichtungen wird brieflich mitgeteilt, daß ihr Arbeitsverhältnis bis zu dem Zeitpunkt befristet ist, zu dem die Stellung aufgrund öffentlicher Ausschreibung neu besetzt wird. Ein Welle der Entrüstung brandet auf. An die 1000 erregte Magistratsmitarbeiter stürmen den Stadtverordnetensaal des Roten Rathauses. Sogar von Streik ist die Rede. Am Ende stellt sich alles als ein "Mißverständnis" heraus. Es betrifft 192 leitende Mitarbeiter, vom Abteilungsleiter über Theaterintendanten bis zum Tierparkdirektor. Man einigt sich darauf, daß in Einzelgesprächen ihre Motivation für das von ihnen bekleidete Amt herausgearbeitet werden soll.
Am 2. Dezember 1990 finden in Berlin Wahlen zum Abgeordnetenhaus statt. Es sind zum ersten Mal seit 1946 wieder Gesamtberliner Wahlen. Der Ost-Berliner Oberbürgermeister Tino Schwierzina scheidet aus seinem Amt und wird Vizepräsident des Abgeordnetenhauses. Dem Reglement entsprechend übernimmt der Stadtrat für Inneres die Leitung der Stadtverwaltung. Thomas Krüger, 32 Jahre alt, wird also Amtierender Oberbürgermeister. Große Entscheidungen hat er nicht mehr zu treffen. Seine Aufgabe bleibt es, seitens des Magistrats für einen geordneten Übergang zu einer einheitlichen, gemeinsamen Stadtverwaltung, geleitet vom Senat zu Berlin, zu sorgen. Am 22. Januar 1991 findet im Rathaus Schöneberg die letzte der insgesamt 25 gemeinsamen Sitzungen der beiden Länderregierungen - des Magistrats von Ost-Berlin und des Senats von West-Berlin - statt. Unter den Tagesordnungspunkten ist nur noch eine politische Entscheidung von Brisanz: der sofortige Vollzug der Abwicklung der Humboldt-Universität und der Hochschule für Ökonomie.
Mit der Auflösung des Magistrats von Ost-Berlin ist der politische
Weg Thomas Krügers nicht zu Ende. Der SPD Berlin-Ost werden
zwei Senatorenposten in der neuen Landesregierung zugebilligt.
Einer der beiden Senatoren heißt Thomas Krüger. Mit
156 Stimmen wird er am 24. Januar 1991 vom Abgeordnetenhaus als
Senator für Jugend und Familie gewählt.
© Edition Luisenstadt, 1998
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