Louise Schroeder

* 02. 04. 1887 Altona
+ 04. 06. 1957 Berlin

Amtierende Oberbürgermeisterin
vom 08. 05. 1947 bis 13. 08. 1948
und 02. 12. 1948 bis 05. 12. 1948

Bildnis Louise Schroeder Sie ist in den Nachkriegsjahren zweifellos die populärste Mutter Berlins, obwohl sie weder Kinder noch Ehemann hat - Louise Schroeder, die als 60jährige an die Spitze der Gesamtberliner Verwaltung berufen wird und wenig später die Geschicke West-Berlins in den schweren Monaten der sowjetischen Blockade zu leiten hat. Im Juli 1948 schreibt der englische "Observer": "Unter allen deutschen Männern und Frauen, die im belagerten Berlin den Kampf für die Freiheit und die Demokratie aufgenommen haben, gibt es niemanden, der tapferer, bescheidener und gütiger kämpft, als Frau Louise Schroeder, die amtierende Bürgermeisterin der Stadt. Die kleine, gebrechliche Frau ..., die über soviel Güte und Takt verfügt und der eine derart entwaffnende Freundlichkeit zu Gebote steht, daß selbst ihre heftigsten kommunistischen Gegner sich Mühe geben müssen, sie zu hassen, ist heute für die Sicherung des Wohlergehens von dreieinhalb Millionen Menschen verantwortlich, die in einer großen vom Kriege zerstörten Stadt Europas unter den beschämendsten Umständen leben."

Die Stadt liegt nicht nur in Trümmern, sie ist auch zerrissen. Aufgeteilt in vier Sektoren, die je einer Siegermacht unterstehen, wird sie dominiert von der Alliierten Hohen Kommandantur, deren Tätigkeit von den Vorboten des Kalten Krieges belastet wird. Als bei den Wahlen für die Berliner Stadtverordnetenversammlung das bürgerliche Lager mit SPD (48,7 Prozent), CDU (22,2 Prozent) und Liberalen (9,3 Prozent) die absolute Mehrheit gegenüber den Kommunisten (19,8 Prozent) erreicht, spitzt sich die Situation weiter zu: Der zum Oberbürgermeister berufene Sozialdemokrat Dr. Otto Ostrowski soll nach dem Willen der Mehrheit der Abgeordneten nach kurzer Zeit durch den politisch stärker westlich orientierten Ernst Reuter, ebenfalls SPD, ersetzt werden. Doch seine Wahl am 24. Juni 1947 wird von der Sowjetischen Militäradministration nicht akzeptiert. Die Verantwortung für den vakanten Posten kommt auf einen seiner gewählten Stellvertreter zu - auf Louise Schroeder, seit 1946 Bürgermeisterin und 3. Stellvertreterin des Oberbürgermeisters. Gerade 60 Jahre alt geworden und nicht von stabiler Gesundheit, nimmt sie die Herausforderung auf sich. Aus Pflichtgefühl gegenüber der Stadt und ihren Einwohnern.

Diese Entscheidung entspricht ihrer Lebenshaltung. Am 2. April 1887 in Hamburg-Altona als jüngstes von acht Kindern eines sozialdemokratisch orientierten Bauarbeiters und einer Gemüsehändlerin geboren, lernt sie schon früh, Verantwortung für andere zu übernehmen. Nach dem Besuch der Mittel- und einer kaufmännischen Gewerbeschule Angestellte in einer Hamburger Versicherungsgesellschaft, organisiert sie in der Stadt die Arbeiterwohlfahrt mit und wird Leiterin des Altonaer Pflegeamtes. Mit 23 Jahren ist sie Mitglied der SPD und wird in den Jahren 1915 bis 1918 in den Vorstand des SPD-Ortsvereins Altona-Ottensen gewählt. Sie entwickelt sich schnell zu einer engagierten Sozialpolitikerin, wird 1919 in Altona Stadtverordnete, gehört im gleichen Jahr als Mitglied der Verfassunggebenden Nationalversammlung zu den ersten weiblichen Abgeordneten in einem deutschen Parlament und wird 1920 für den Wahlkreis Schleswig-Holstein in den Deutschen Reichstag gewählt. Ihm gehört sie bis zum Machtantritt der Nationalsozialisten an. Gemeinsam mit anderen Parlamentarierinnen setzt sie sich unter anderem für die Unterstützung von Müttern mit unehelichen Kindern ein, streitet für ein Reichsjugendwohlfahrtsgesetz und bringt ein Gesetz zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten durch.

Die Nazis zwingen Louise Schroeder, alle ihre politischen Ämter niederzulegen; sie erhält Arbeitsverbot aber keinerlei Unterstützung. Anfangs muß sie sich zweimal in der Woche auf dem Polizeirevier in Altona melden, einmal im Monat taucht die Gestapo in ihrer kleinen Wohnung auf, die sie zusammen mit ihrer Mutter und einer blinden Schwester bewohnt. In Hammersbrock bei Hamburg versucht sie, als Filialleiterin eines Brotladens ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie weigert sich, ihre Kunden mit "Heil Hitler!" zu grüßen, wird boykottiert und rettet sich schließlich mit Hilfe politischer Freunde nach Berlin. In einem Bauunternehmen findet sie als Bürokraft, später als Fürsorgerin Arbeit. Zweimal wird ihre Wohnung in der Schwedter Straße durch Bombenangriffe verwüstet, auch ihre Unterkunft bei Freunden in Wilmersdorf geht in Flammen auf; schließlich kann sie nach einem Bombenangriff in Friedenau nur unter Mühen aus einem Berg von Trümmern geborgen werden. Dennoch: Als der Krieg zu Ende ist, findet man Louise Schroeder dort, wo sie erwartet wird: inmitten von Hilfsbedürftigen und an der Seite von Menschen, die helfen. Sie baut die Berliner Arbeiterwohlfahrt auf und wird deren Vorsitzende; und sie fördert die Gründung der SPD in der Stadt und wird zur 2. Landesvorsitzenden gewählt. 1946 übertragen ihr Stadtverordnetenversammlung und Alliierte die Verantwortung eines Bürgermeisters von Berlin.

Den kommunalen Auftrag nimmt Louise Schroeder als Politikerin und mehr noch als Fürsorgerin wahr. Die Sorgen der "kleinen Leute" sind ihr ebenso wichtig wie die großen politischen Entscheidungen; sie will keinem Amt vorstehen, sondern eine Aufgabe erfüllen; sie will nicht verwalten, sondern helfen. Anerkennung und Autorität erreicht sie nicht durch eine geschliffene Rhetorik und die Aura des Einmaligen; die Berliner achten und mögen die schmalgliedrige Frau wegen ihrer Ehrlichkeit und weil sie sich mit Aufmerksamkeit und Zähigkeit der Bürgersorgen annimmt und diese zu lindern versucht. Bevor sie an sich denkt, hat sie Tausenden anderen geholfen. Noch als Oberbürgermeisterin von Berlin wohnt sie bei einer Freundin in der Tempelhofer Boelkestraße 121 zur Untermiete. Auch ein Angebot aus Hamburg, als Senatorin in ihre Heimatstadt zurückzukommen, lehnt sie angesichts der Berliner Trümmerlandschaft ab. Politik zu machen heißt für sie, nicht den eigenen Vorteil zu suchen, sondern einer Aufgabe und einer Idee zu dienen. Bald nennen sie die Berliner in Erinnerung an die einst so populäre preußische Monarchin liebevoll "Königin Louise".

Dabei ist die Zeit alles andere als reif für nostalgische Verklärungen. Berlin steht vor der Zerreißprobe. Die westlichen Alliierten setzen in ihren Sektoren eine separate Währungsreform durch, die Sowjetunion zieht ihren Vertreter aus dem gemeinsamen Kontrollrat zurück und verhängt am 24. Juni 1948 eine totale Blockade gegen West-Berlin. Betroffen sind zweieinhalb Millionen Westberliner, denen von sowjetischer Seite zeitweise sogar der Strom abgeschaltet wird. Es beginnt die Zeit der Luftbrücke, über die Berlin fast ein Jahr lang mit insgesamt 200 000 Flügen mit Brennstoffen, Lebensmitteln, Medikamenten und allem anderen Lebensnotwendigen versorgt wird.

Diese zerrissene, zwischen Angst und Hoffnung taumelnde Stadt, wird - nunmehr vom Schöneberger Rathaus aus - von einer Frau regiert, in der Außenstehende nie und nimmer den Oberbürgermeister einer Zweieinhalb-Millionen-Metropole vermuten würden. "Wenn es in der Welt eine Aufgabe gibt, deren Lösung einen 'ganzen Mann' benötigt, so ist es sicher die, die zerstörte, hungrige Stadt Berlin zu regieren", schreibt im Mai 1948 voller Hochachtung der Korrespondent der "New York Times" und fährt fort: "Niemals hat bis jetzt eine deutsche Frau eine so wichtige Stellung innegehabt, noch wurde jemals eine Stadt von vergleichbarer Größe irgendwo in der Welt von einem Mitglied des 'zarten Geschlechts' verwaltet... Da, wo Männer aller Parteien Fehlschläge erlitten, gelang es ihr, Erfolge zu erzielen ... Ihre außergewöhnliche Gemütsveranlagung ist von solcher Art, daß sie fähig ist, mit fast jedermann fertig zu werden ... unter welchen Umständen dies auch immer sein mag." Fügen wir hinzu: Ihrer totalen Hingabe an eine Aufgabe, ihrer absoluten Zurücknahme der eigenen Person und der spürbaren Aufrichtigkeit aller ihrer politischen und sozialen Bemühungen konnte selten jemand widerstehen. Keine deutsche Frau ist damals bekannter als die "Mutter von Berlin". Viele Deutsche möchten sie, die in den Jahren 1948/49 auch Präsidentin des Deutschen Städtetages ist, auf dem Stuhl des Bundespräsidenten sehen.

Solche politischen Ambitionen liegen Louise Schroeder fern. Sie sucht die Genugtuung nicht in der Repräsentation, sondern in der erfüllten Pflicht. So wird sie eine der Berliner Abgeordneten im Bonner Bundestag und im Europa-Rat in Straßburg. Immer versteht sie sich als Botschafterin der Stadt Berlin und ihrer Einwohner. "Für uns ist der Einheitsstaat Deutschland der demokratische Staat. Um ihn mit Ihnen zu schaffen, sind wir zu Ihnen nach Bonn gekommen. Lassen Sie uns dabei zusammenarbeiten. Dann retten Sie Berlin und retten Sie Deutschland", appelliert sie am 30. September 1949 an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Diese Haltung, weniger durch politisches Kalkül, wie sonst bei Politikern, als durch zutiefst persönlich empfundene Mitverantwortung für die Menschen bestimmt, hinterläßt auch bei den westlichen Alliierten Eindruck und beeinflußt ihre Entscheidungen, die heute als historisch gelten. Als am Tag nach Beendigung der Blockade - am 13. Mai 1949 - Konrad Adenauer, Ernst Reuter und andere Männer der Politik vor dem Schöneberger Rathaus ihre Reden halten, rufen die auf dem Platz versammelten 500 000 Berlinerinnen und Berliner wie mit einer Stimme "Lou-i-se! Lou-i-se!!"

Die Popularität Louise Schroeders wird für die Westberliner zu einem wichtigen Argument, sich im Dezember 1948 bei den Wahlen für das neue Stadtparlament in den Westsektoren für die SPD zu entscheiden. 64,5 Prozent votieren für die Sozialdemokraten, die nunmehr im Schöneberger Rathaus den schon im Ostberliner Stadthaus gewählten Ernst Reuter endgültig als Oberbürgermeister, später als Regierenden Bürgermeister einsetzen. Im sowjetisch kontrollierten Sektor Ost-Berlin war bereits im November eine eigene Stadtverordnetenversammlung gewählt und Friedrich Ebert zum Oberbürgermeister bestellt worden.

Louise Schroeder hält Berlin bis zu ihrem Tod die Treue. Zu ihrem 70. Geburtstag wird sie "als langjährige Helferin in Not und Leid" und "als Vorbild mütterlicher Pflichterfüllung" zur ersten Ehrenbürgerin West-Berlins ernannt. Die Freie Universität Berlin, deren Entwicklung sie persönlich engagiert gefördert hat, trägt ihr die Würde eines Ehrenmitglieds der Alma mater an. Die Universität Köln verleiht ihr in Anerkennung ihrer Verdienste in Sozialpolitik und Wohlfahrtspflege die Doktorwürde honoris causa.

Als Louise Schroeder am 4. Juni 1957 in Berlin an einem Herzleiden stirbt, nehmen bei einem Staatsbegräbnis Tausende Abschied von der Frau, die ihnen in Berlins schwerster Zeit fürsorgend wie eine eng Vertraute zur Seite stand. Ihre letzte Ruhestätte findet Louise Schroeder zwischen den Gräbern ihrer Eltern auf dem Friedhof in Altona-Ottensen, jenem Hamburger Stadtteil, der ihre Lebensmaximen entscheidend geprägt hat.

In der Freien und Hansestadt war es wohl auch das einzige Mal, wo Louise Schroeder ihre politische Funktion mit einer gewissen inneren Genugtuung wahrgenommen hat: Als Botschafterin des geteilten Berlins in das Hamburger Rathaus geladen, schritt sie als anerkannte Politikerin die Stufen jenes ehrwürdigen Hauses hinauf, zu dem sie einst als kleines Mädchen gelaufen war, wenn sie ihrem Vater das Mittagessen aus dem Vorstadtmilieu zur Rathaus-Baustelle herüberbringen mußte.

 

© Edition Luisenstadt, 1998
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