Dr. Klaus Schütz

* 17. 09. 1926 in Heidelberg

Regierender Bürgermeister (West-Berlin)
vom 19. 10. 1967 bis 02. 05. 1977

Bildnis Klaus Schütz Mit Beginn der 70er Jahre erlebt West-Berlin einen deutlichen Situationswandel. Es ist die Phase des Übergangs von der Konfrontation und der Spannungen zur Normalität und der völkerrechtlich gesicherten Existenz der Stadt. In diesem Zusammenhang fällt auch immer wieder der Name des Regierenden Bürgermeisters Klaus Schütz. Mit seinen Bemühungen, Berlin trotz weiterbestehender Rivalitäten zwischen den beiden Supermächten, den USA und der Sowjetunion, aus einem brodelnden Strom permanenter Konflikte herauszuführen und in ruhigere Fahrwasser zu geleiten, bleibt er für immer mit der Stadt verbunden. Das Zustandekommen des Abkommens zwischen den vier Siegermächten des zweiten Weltkrieges über Berlin (West) ist die Krönung langjähriger außenpolitischer Tätigkeit. Doch liegen auch für Klaus Schütz Triumph und Niederlage eng beieinander. Als es darum geht, in West-Berlin nach der außenpolitischen Absicherung die lange Zeit zurückgestellten und nun massiv zutage tretenden kommunalpolitischen Aufgaben in Angriff zu nehmen, läßt seine Regierungstätigkeit auf diesem Gebiet deutlich weniger Fortüne erkennen.

Klaus Schütz' politischer und persönlicher Weg ist seit seiner frühesten Jugend eng mit der Spree-Metropole verbunden. Seine Geburtsstadt ist zwar Heidelberg; im Alter von 10 Jahren aber wird der Junge von seinem Vater, einem Rechtsanwalt, nach Berlin gebracht und besucht in Steglitz das Realgymnasium. Der Krieg geht auch an ihm nicht spurlos vorüber. Noch in den letzten Kriegstagen wird er in Italien lebensgefährlich verwundet; sein rechter Arm ist seither gelähmt. 1945 kehrt der 19jährige nach Berlin zurück und beginnt ein Studium der Geschichtswissenschaften und Germanistik. Beseelt von dem Gedanken, nie wieder Krieg und Terror zuzulassen, drängt es den jungen Mann, sich politisch zu organisieren. Er tritt in die SPD ein; dank seines engagierten Auftretens hat er bald erste Funktionen in SPD-nahen Studenten- und Jugendorganisationen inne. Nach einem Studienaufenthalt in den USA 1949/50 nimmt er an der Freien Universität Berlin eine Stelle als Assistent am Institut für Politische Wissenschaften an. Sein Interesse an der Politik beschränkt sich alsbald nicht allein auf die wissenschaftliche Seite; auch die praktische Politikgestaltung zieht ihn zunehmend in ihren Bann. 1951 wird Schütz Vorsitzender der Jungsozialisten in West-Berlin, zwei Jahre später übernimmt er von Willy Brandt des Amt des SPD-Kreisvorsitzenden von Wilmersdorf. 1954 zieht er ins Berliner Abgeordnetenhaus ein. Drei Jahre später glückt ihm der Sprung in die große Bundespolitik nach Bonn: er wird Bundestagsabgeordneter. 1961 kehrt er nach Berlin zurück, um sein erstes Staatsamt zu übernehmen: Willy Brandt beruft den erst 35jährigen in die Berliner Landesregierung und ernennt ihn zum Senator für Bundesangelegenheiten und das Post- und Fernmeldewesen.

Ende 1966 kommt es in Bonn zur Regierung der Großen Koalition. Willy Brandt wird Außenminister, und auch für Klaus Schütz bedeutet dies einen Aufstieg: Er zieht als beamteter Staatssekretär ins Auswärtige Amt ein und unternimmt in dieser Funktion erste Bemühungen, durch Annäherungsversuche an Osteuropa aus der bislang als heilige Säule deutscher Außenpolitik geltenden Hallstein-Doktrin einige Steinchen herauszubrechen. Doch diese Tätigkeit sollte nur ein kurzes Intermezzo bedeuten. Klaus Schütz ist auf dem Wege zum Gipfel seiner politischen Laufbahn; sie führt ihn wieder nach Berlin zurück. Nach dem Rücktritt des Regierenden Bürgermeisters Albertz Ende September 1967 ergeht an ihn der Ruf, dessen Nachfolge anzutreten. Schütz zögert nicht; am 19. Oktober 1967 wird er vom Abgeordnetenhaus in diese Funktion gewählt.

Daß auf ihn als nunmehr obersten Chef der Stadtverwaltung nicht nur eine Fülle kommunaler Aufgaben zur Erledigung wartet, bekommt Schütz bald zu spüren. Außenpolitische, ja weltpolitische Implikationen bringen die Stadt immer wieder in die Schlagzeilen, machen sie zu einem Austragungsort par excellence für Spannungen zwischen Ost und West. So etwa, als Bundestagspräsident Gerstenmaier Mitte Dezember 1968 die Bundesversammlung für den 5. März 1969 nach West-Berlin einberuft, um von ihr den neuen Bundespräsidenten wählen zu lassen. Die sowjetische und die DDR-Regierung protestieren scharf gegen diese "grobe Provokation" und drohen ernste Folgen an. Der Konflikt ist prinzipieller Art. Moskau und Ost-Berlin sind der Auffassung, daß West-Berlin kein Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland ist und nicht von ihr regiert werden darf; Bonn und die Westmächte dagegen bestehen auf der Zugehörigkeit West-Berlins zum Rechts-, Wirtschafts- und Finanzsystem der Bundesrepublik. Eine Eskalation mit unwägbaren Risiken scheint unvermeidlich, Säbelrasseln ist vernehmbar. Die Agentur TASS kündigt gemeinsame Militärmanöver der Sowjetarmee und der NVA für Anfang März 1969 an, DDR-Innenminister Dickel verbietet für Mitglieder der Bundesversammlung die Fahrt durch die DDR und sperrt stundenlang die Transitautobahn Berlin-Helmstedt, die Sowjetunion lehnt die Verantwortung für die Sicherheit der auf dem Luftwege anreisenden Teilnehmer ab, ja, die Angelegenheit beschäftigt sogar den NATO-Militärrat in Brüssel. Erleichterung, als schließlich am 5. März in der Ostpreußen-Halle unter dem Funkturm die Wahl von Gustav Heinemann zum neuen Bundespräsidenten ungestört über die Bühne geht.

Schütz weiß, wie lebenswichtig, ja überlebenswichtig es für die Stadt ist, der von Breschnew und Ulbricht betriebenen Strategie, West-Berlin unter Druck zu setzen und von seinen westlichen Partnern abzuschnüren, entgegenzuwirken. Sein Konzept: durch konkrete praktische Schritte das Konflikt- und Konfrontationspotential abbauen und die Sowjetunion gemeinsam mit den drei westlichen Schutzmächten in eine völkerrechtlich abgesicherte Garantie der Existenz Westberlins einbinden. Hierzu sucht er auch das Gespräch mit Moskaus Botschafter in Ost-Berlin, Abrassimow. Tatsächlich nimmt das Projekt auch bald konkrete Gestalt an. Am 26. März 1970 beginnen im Westteil der Stadt Gespräche zwischen den Botschaftern der USA, Großbritanniens und Frankreichs in Bonn und dem Botschafter der Sowjetunion in Ost-Berlin. Angesichts der Kompliziertheit der Problematik ist es erstaunlich, daß bereits nach anderthalb Jahren ein unterschriftsreifer Vertrag auf dem Tisch liegt. Abrassimow spricht sein berühmtes "Ende gut, alles gut" in die Mikrofone; am 3. September 1971 unterzeichnen die vier Botschafter das Schlußprotokoll des Vierseitigen Abkommens über Berlin (West).

Damit ist der schwerste Druck, der auf dem Westteil der Stadt seit Ende des zweiten Weltkrieges gelegen hatte, von ihr genommen. Die Gefahr, daß West-Berlin aus der politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Gemeinschaft mit der Bundesrepublik Deutschland herausgelöst und in eine selbständige politische Einheit umgewandelt wird, ist gebannt. Das Existenzrecht Westberlins ist gesichert und von den vier Mächten garantiert. Der Regierende Bürgermeister kann zufrieden sein. In einer Erklärung vor dem Abgeordnetenhaus vier Tage später spricht er von einem "Status quo plus", der nun erreicht worden sei.

Doch der erfahrene Politiker Schütz weiß nur zu genau, daß von einer allseits befriedigenden Lösung nur dann gesprochen werden kann, wenn auch der andere deutsche Staat durch entsprechende Vereinbarungen darin mit eingebunden ist. So wird parallel dazu mit der DDR-Regierung eine Reihe flankierender Abkommen geschlossen, so über den Transitverkehr, die Zugangswege, eine Verbesserung des Reise- und Besucherverkehrs usw.
Die Abkommen über West-Berlin markieren einen Höhepunkt in der Entspannungspolitik, aber sie bringen auch eine Wende. Die Stadt ist aus den internationalen Schlagzeilen heraus; Normalität ist angesagt. Das Erreichte gilt es zu konsolidieren und auszubauen. Jetzt tritt ein, was Schütz bereits zwei Jahre vorher in einem Interview mit Radio Luxemburg prophezeit hatte: "Wir sehen die Zukunft Berlins wie die einer normalen und aktiven Metropole." Mit anderen Worten: Schütz' Aufgabenbereich hat sich gewandelt. Eine Umorientierung hin zur Stadtpolitik ist dringend erforderlich. Wirtschafts- und Sozialpolitik, innere Sicherheit, Hochschulpolitik, der Wohnungsmarkt, Umweltfragen, Effektivität der Verwaltung, das sind die großen Themen, die nun die Öffentlichkeit beschäftigen; sie sollten sich langfristig für Klaus Schütz als Stolpersteine erweisen. Vieles liegt im argen; durch eine nahezu ununterbrochene Regierungstätigkeit hatte sich die SPD verschlissen, alles Negative wird jetzt ihr angelastet. Trotzdem: Schütz' Popularität bleibt davon vorerst unberührt. Am 14. März 1971 stellt er sich den West-Berlinern zur Wahl. Das Ergebnis ist eindeutig: 50,4 Prozent - die absolute Mehrheit - für die SPD. Da begeht er nach Ansicht vieler Beobachter einen entscheidenden Fehler. Statt die sozial-liberale Koalition fortzusetzen, entschließt er sich aus parteitaktischen Gründen zu einer Alleinregierung der SPD. Der Hintergedanke: Alle rivalisierenden Flügel der Partei sollen mit einem Regierungsposten versorgt werden, in der Hoffnung, sie dadurch ruhigzustellen. Das Ergebnis ist verheerend. Statt sich demutsvoll in Zurückhaltung zu üben, bringen es die linken Rebellen unter Führung von Harry Ristock in der unolympischen Disziplin des Querschießens zu beachtlicher Meisterschaft und blockieren so im Parlament wichtige Vorhaben der Regierung. Die Öffentlichkeit reagiert prompt. Nur noch 42,6 Prozent bei den Wahlen am 2. März 1975 sind die Quittung.

Der Ansehensverfall der Regierung Schütz ist nicht mehr aufzuhalten. Zu allem Übel machen auch noch Skandale und Skandälchen dem Regierenden Bürgermeister schwer zu schaffen. Unregelmäßigkeiten bei der Finanzierung des Baus des sogenannten Steglitzer Kreisels, undurchsichtige Entscheidungen bei der Besetzung führender Stellen bei stadteigenen Betrieben und weitere Affären erschüttern die Öffentlichkeit. Das Wort von der "Filzokratie" macht die Runde. Die straffe Führung und klare Übersicht über die Kommunalverwaltung der Zweimillionenstadt entgleitet offenbar Schütz' Händen. Als im April 1977 gar seinem Stellvertreter, Innensenator Neubauer, finanzielle Unregelmäßigkeiten nachgesagt werden, reichen kosmetische Revirements zur Beilegung der Senatskrise nicht mehr aus. Die Genossen drängen auf eine "Große Lösung", mit anderen Worten, der Kopf des Regierenden Bürgermeisters selbst ist gefordert. Zermürbt von den nicht enden wollenden Enthüllungen und innerparteilichen Wadenbeißereien, wirft Klaus Schütz am 25. April 1977 schließlich resigniert das Handtuch und gibt sein Amt auf.

Fortan ist wieder die vertraute Außenpolitik seine Domäne. Bundeskanzler Helmut Schmidt überträgt Klaus Schütz einen der sensibelsten Posten, den die bundesdeutsche Diplomatie zu vergeben hat: das Amt eines Botschafters in Israel.

Wieder zurück in Deutschland, übernimmt er am 1. Juli 1981 eine Funktion, in die er ebenfalls seine reichen außenpolitischen Erfahrungen einbringen kann: Er wird Intendant der Deutschen Welle in Köln, der Auslandsrundfunkstation der Bundesrepublik Deutschland.

Nach sechsjähriger Tätigkeit verläßt er diesen Posten, bleibt aber im Medienbereich tätig und ist bis zu seiner Pensionierung Direktor der Landesanstalt für Rundfunk in Nordrhein-Westfalen.

 

© Edition Luisenstadt, 1998
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