Dr. Hans-Jochen Vogel

* 03. 02. 1926 in Göttingen

Regierender Bürgermeister (West-Berlin)
vom 23. 01. 1981 bis 11. 06. 1981

Bildnis Hans-Jochen Vogel Vogel wurde Nachfolger des am 15. Januar 1981 zurückgetretenen Dietrich Stobbe, dessen Senat aufgrund eines Finanzskandals, des sogenannten Garski-Skandals, in eine tiefe Krise geraten war. Der von Vogel geführte Senat scheiterte aber bereits nach wenigen Wochen in den vorgezogenen Wahlen zum Abgeordnetenhaus am 10. Mai 1981, da die SPD nur 38,3 Prozent erreichte und der Koalitionspartner FDP nur knapp die 5-Prozent-Sperrklausel übertraf. Die Wahl eines CDU-Minderheitssenats am 11. Juni 1981 beendete die kurze Amtsführung Vogels als Regierender Bürgermeister und die fast 35jährige Vorherrschaft der SPD in West-Berlin. Abgelöst wurde Vogel durch den CDU-Politiker und späteren Bundespräsidenten Dr. Richard Freiherr von Weizsäcker.
Für Vogel blieb Berlin nicht viel mehr als ein Zwischenspiel in seiner politischen Laufbahn, für West-Berlin blieb sein Senat nicht mehr als eine Übergangsregierung.

Bekannt wurde Hans-Jochen Vogel, der 1950 in die SPD eintrat und seit 1952 Gewerkschaftsmitglied ist, als Oberbürgermeister von München, ein Amt, das er als 34jähriger 1960 übernahm und bis 1972 ausübte. Vogel hatte 1943 das Abitur abgelegt, wurde im selben Jahr eingezogen und war bis 1945 Soldat. Nach dem Krieg studierte er in Marburg und München Jura. 1948 und 1951 legte er die erste und zweite juristische Staatsprüfung ab. Bereits 1950 promovierte Vogel zum Dr. jur. 1952 war er zunächst als Assessor, dann als Regierungsrat im Bayerischen Justizministerium tätig. Nach kurzzeitiger Tätigkeit als Amtsgerichtsrat in Traunstein wirkte er dann an der Bayerischen Staatskanzlei. In München fungierte er von 1958 bis zu seiner Wahl zum Oberbürgermeister als besoldeter Stadtrat und Leiter des Referates Recht, erhielt in dieser Zeit auch seine Zulassung als Rechtsanwalt.

1970 wählte der SPD-Parteitag den damaligen Münchener Oberbürgermeister erstmals in den Parteivorstand. 1972 bis 1977 führte Vogel als Landesvorsitzender die SPD in Bayern. Dem Bundestag gehört er als Abgeordneter seit 1972 mit Ausnahme der Berliner Jahre 1981 bis 1983 an. In der zweiten von Willy Brandt gebildeten Regierung fungierte er von Dezember 1972 bis Mai 1974 als Minister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Danach war er in den Regierungen Helmut Schmidts Bundesjustizminister, bis ihn seine Partei im Januar 1981 als "Notnagel" für das Amt des Regierenden Bürgermeisters von West-Berlin nominierte.

Vogels Berliner Amtszeit war geprägt durch Wohnungsprobleme und Hausbesetzungen. Im Frühjahr 1981 hatte sein Senat die sogenannte Berliner Linie verkündet, wonach neu besetzte Häuser sofort, bereits besetzte Häuser aber nur auf Antrag der Hausbesitzer und bei rechtlichen Voraussetzungen für die Sanierung geräumt werden sollten, ansonsten waren sogenannte Legalisierungsverträge vorgesehen. Im Februar war ein 20-Millionen-Programm zur Instandsetzung von Altbauwohnungen beschlossen, das aber nach dem Wahlergebnis vom Mai nicht durchgeführt wurde.

Zwei Jahrzehnte zuvor hatte Vogel, unter anderem mit Helmut Schmidt und Klaus Schütz, zu jenen Nachwuchspolitikern gehört, die im Juli 1960 mit Willy Brandt in Barsinghausen bei Hannover zu einem "konspirativen" Treffen zusammenkamen, das innerparteilich in entscheidendem Maße Brandt den Weg zur Aufstellung als Kanzlerkandidat für die Bundestagswahl 1961 ebnete.

Im Unterschied zu Brandt wurde Vogel jedoch nie Vorsitzender der Berliner SPD. Als Stobbe von diesem Amt zurücktrat, übernahm im Februar 1981 nicht Vogel, sondern Peter Glotz den Landesvorsitz der Berliner SPD. Allerdings führte Vogel nach der Wahlniederlage der SPD vom Mai 1981 bis 1983 als Vorsitzender die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus. In der SPD sollte die politische Erfolgsleiter Vogel weiter nach oben, aber weg von Berlin führen. Noch während seiner Berliner Zeit, auf der Bundeskonferenz im November 1982, stellte ihn die SPD für die Bundestagswahlen 1983 als Kanzlerkandidaten auf. Im selben Jahr übernahm er den Fraktionsvorsitz der SPD im Bundestag, 1984 wählte ihn der SPD-Parteitag zum stellvertretenden Parteivorsitzenden. Nach dem spektakulären Rücktritt Willy Brandts vom Parteivorsitz der SPD 1987 löste Vogel ihn als Nachfolger ab. 1989 wurde er auf dem Kongreß der Sozialistischen Internationale zu deren Vizepräsidenten gewählt. 1991 gab er im Mai sein Amt als Vorsitzender der SPD und im November als Fraktionsvorsitzender im Bundestag ab. Seither zieht er sich schrittweise aus der aktiven Politik zurück. Vogel war 1990 in Berlin über die Landesliste für den Bundestag gewählt worden, für die Bundestagswahlen 1994 wird er voraussichtlich nicht wieder kandidieren.

Das Stigma eines Oberlehrers, aus einer Auseinandersetzung mit Hans-Jürgen Wischnewski resultierend, ist Vogel nie wieder losgeworden. Sein trockener, oft belehrender Stil, hat auch zu Titulierungen wie "Schulmeister", "Behördenleiter" oder "Dezernent" geführt, wozu auch seine Selbstdisziplin und peinliche Genauigkeit beitrugen.

Vogel ist verheiratet und hat drei Kinder. Konfessionell ist er katholisch gebunden. Sein 1932 geborener jüngerer Bruder Bernhard ist prominentes Mitglied der CDU und war 1974 bis 1988 Landesvorsitzender der CDU und 1976 bis 1988 Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz; seit 1992 ist er Ministerpräsident von Thüringen.

Hans-Jochen Vogel veröffentlichte mehrere Publikationen, darunter "Städte im Wandel", "Die Amtskette - meine 12 Münchener Jahre" und "Pluralismus und Toleranz".

 

© Edition Luisenstadt, 1998
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