* 13. 11. 1941 in Berlin
Regierender Bürgermeister
vom 09. 02. 1984 bis 16. 03. 1989
und vom 24. 01. 1991 bis 2001
Als im November 1983 Richard von Weizsäcker ankündigte, er werde seinen Posten als Regierender Bürgermeister aufgeben, um 1984 für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren, machten sich Ratlosigkeit und Enttäuschung breit, hatte Weizsäcker doch der Westberliner Stadtpolitik neues Profil vermittelt; Hoffnung und Zuversicht waren wieder eingekehrt. Zwei Politiker meldeten entschlossen ihren Anspruch auf das Amt an: die resolute Hanna-Renate Laurien, Schulsenatorin unter Weizsäcker, und der sachlich-abwägende Eberhard Diepgen, Fraktionsvorsitzender der Westberliner CDU. Nach einer kurzen, mit äußerster Leidenschaft geführten innerparteilichen Auseinandersetzung ging schließlich Eberhard Diepgen als Sieger aus dem Duell hervor. Seit 1984 hatte er nun - mit knapp zweijähriger Unterbrechung - im Range des Chefs einer Landesregierung eines der höchsten kommunalpolitischen Ämter in Deutschland inne.
Eberhard Diepgen wurde am 13. November 1941 im Berliner Stadtbezirk Wedding geboren. 1960 legte er das Abitur ab und studierte danach Jura an der Freien Universität Berlin. Bereits als Student machte er durch politisches Engagement auf sich aufmerksam. Er trat 1962 der CDU bei, als Mitglied des Ringes Christlich-Demokratischer Studenten hatte er 1963 für kurze Zeit das Amt des Vorsitzenden des Allgemeinen Studentenausschusses der Freien Universität inne, 1965/66 war er stellvertretender Vorsitzender des Verbandes Deutscher Studentenschaften. Nach Abschluß des Studiums 1967 arbeitete Eberhard Diepgen als Referendar unter anderem am Kammergericht Berlin. Seit 1972 ist er als Rechtsanwalt zugelassen. Innerhalb der Berliner CDU profilierte er sich vor allem im bildungspolitischen Bereich. 1971 wurde er Mitglied des Landesvorstandes, Mitglied der Programmkommission und auch Geschäftsführender Landesvorsitzender. Im April selbigen Jahres zog er ins Abgeordnetenhaus ein; im Dezember 1980 übernahm er als Nachfolger von Heinrich Lummer den Vorsitz der CDU-Fraktion. Mißerfolge, Skandale und Skandälchen der regierenden SPD-FDP-Koalition verschafften ihm reichlich Gelegenheit, sich mit der Forderung nach einem politischen Wandel zu profilieren. In der Amtszeit Richard von Weizsäckers (1981 - 1984) sah Diepgen seine Hauptaufgabe darin, dessen Politik in der Fraktion als deren Chef parlamentarisch abzusichern.
Am 9. Februar 1984 kam Eberhard Diepgens große Stunde. Mit 71 gegen 61 Stimmen wurde der 42jährige als Nachfolger Richard von Weizsäckers vom Abgeordnetenhaus zum Regierenden Bürgermeister Westberlins gewählt. Etwas über ein Jahr später, am 10. März 1985, hatten die Westberliner Gelegenheit, bei Wahlen ein Urteil über die Senatspolitik zu fällen. Mit 54,8 Prozent aller Stimmen sprachen sie sich für die Fortsetzung der CDU-FDP-Koalition aus. Unangefochten konnte Eberhard Diepgen weiterregieren. In seiner Regierungserklärung vom 25. April 1985 versprach er "Fortschritte auf dem Weg zu einer attraktiven Monopole", "Sorge und Anliegen Nummer eins [bleibe] die Arbeitslosigkeit". Schließlich werde sich "der Senat ... weiterhin für eine friedliche Überwindung der Teilung einsetzen".
Anfänglich konnte Diepgen den Popularitätsbonus, den die CDU noch aus der Ära Weizsäcker besaß, relativ ungetrübt auch für sich in Anspruch nehmen. Ab Herbst 1985 jedoch verdüsterten dunkle Wolken das bis dahin in freundlichem Lichte erscheinende Bild des Senats. Skandale bei städtischen Behörden stürzten die Koalition in erhebliche Turbulenzen. Die Öffentlichkeit erfuhr, daß Amtsträger auf verschiedenen Ebenen offenbar Probleme hatten, öffentliche und private Interessen klar voneinander abzugrenzen; Vorwürfe der Bestechlichkeit im Amt, der Korruption und der Entgegennahme von Parteispenden unter unklaren Umständen machten die Runde, ja selbst drei Senatoren und der CDU-Fraktionsvorsitzende kamen unter schweren Beschuß. Schlammschlachten und pauschale Verdächtigungen beherrschten das Klima und erschwerten jegliche sachliche parlamentarische Arbeit. Die Opposition erkannte die Gunst der Stunde und rief zur Generalabrechnung mit dem Senat auf. SPD und Alternative Liste forderten den Rücktritt des Senats, stellten einen Mißtrauensantrag gegen Eberhard Diepgen. Auf einem Parteitag der CDU räumte letzterer schwerwiegende Verfehlungen von Amtsträgern seiner Partei ein. Berlin sei eben "kein Kloster von Heiligen", aber auch "kein Sumpf". Diepgen wußte, daß er nur durch offensives Vorgehen wieder Punkte machen konnte. So verkündete der Senat Maßnahmen zu mehr Klarheit und Transparenz im Baubereich, Anfang April 1986 zogen die Senatoren Lummer, Vetter und Franke die Konsequenzen und erklärten ihren Rücktritt.
Einen großen Stellenwert in der Politik des Senats nahm der Interessenausgleich mit der DDR ein. Durch vielfältige Kontakte und Abmachungen war Diepgen bemüht, in praktischen Fragen der Stadt und des Lebens der Menschen die Teilung erträglicher werden zu lassen. Wie schon sein Vorgänger Richard von Weizsäcker wußte auch er, daß an Erich Honecker kein Weg vorbeiführte, ging es um die Lösung grundsätzlicher Fragen. So traf er sich mehrmals am Rande der Leipziger Frühjahrsmesse mit dem DDR-Staatsratsvorsitzenden und suchte ihn schließlich am 12. Februar 1988 auch im Schloß Niederschönhausen zu einem offiziellen Gespräch auf.
Zu einem Testfall dafür, wie weit Normalität in die Beziehungen zwischen West-Berlin und der DDR eingekehrt war, sollte sich das Jahr 1987 gestalten. Beide Stadthälften rüsteten zum 750jährigen Jubiläum der Gründung Berlins; West-Berlin war bemüht, Gemeinsamkeiten herauszustellen, Ost-Berlin übte sich in Abgrenzung. Zu einem diplomatischen Drahtseilakt ersten Ranges gestaltete sich der Umgang mit den gegenseitigen Einladungen zur offiziellen Feier der jeweils anderen Seite. Eberhard Diepgen war zur Teilnahme am Staatsakt der Regierung der DDR für den 23. Oktober 1987 nach Ost-Berlin geladen worden, Erich Honecker seinerseits hatte eine Einladung zu den Feierlichkeiten am 30. Mai 1987 in West-Berlin in der Tasche. Die Drähte zwischen dem Chef der Senatskanzlei, Detlev Stronk, und dem Staatssekretär im DDR-Kulturministerium, Kurt Löffler, glühten. Doch mit einem Mal ging alles ganz schnell. Als ein Brief Eberhard Diepgens an die Regierungschefs der Bundesländer bekannt wurde, in dem er deren Teilnahme an "Staatsakten oder staatsaktähnlichen Veranstaltungen der DDR ... angesichts [ihrer] Haltung ... und des nach wie vor für beide Stadthälften verbindlichen Vier-Mächte-Status" für "unangebracht" halte, fühlte sich Ost-Berlin brüskiert und reagierte postwendend. Herr Honecker sehe "keine Möglichkeit" zum Kommen, verkündete Löffler kühl. Auch Eberhard Diepgen war bald der Aufgabe enthoben, noch weiter zu knobeln, ob er seinerseits dem Ostberliner Festakt seine Aufwartung machen sollte. Die DDR hatte nämlich in dessen Festrede vom 30. Mai 1987 "verleumderische Angriffe" entdeckt und ihn daraufhin kurzerhand wieder ausgeladen. Diepgens Kommentar knapp und bündig: "Damit ist die Sache erledigt."
Honeckers Absage konnte den illustren Reigen der Staatsgäste zu den 750-Jahr-Feierlichkeiten in West-Berlin nicht trüben. Glanzvolle Höhepunkte bildeten am 16. Mai 1987 die Visite von Königin Elizabeth II. von England und ihres Gemahls, Prinz Philip, und am 12. Juni der Aufenthalt des amerikanischen Präsidenten Reagan mit Ehefrau Nancy in der Spree-Metropole. Unvergessen ist Reagans Rede, die er vor 25 000 geladenen Deutschen und Amerikanern auf dem Platz vor dem Brandenburger Tor hielt. Seine darin enthaltene Aufforderung an das sowjetische Staatsoberhaupt Gorbatschow: "Mr. President, öffnen Sie dieses Tor! Mr. President, reißen Sie diese Mauer nieder!" -von nicht wenigen zur damaligen Zeit als Provokation empfunden -ging um die Welt und sollte sich nur knapp zweieinhalb Jahre später - allerdings auf ganz andere Weise - erfüllen.
Für den 29. Januar 1989 standen den Westberlinern wieder einmal Wahlen ins Haus. Der CDU-Landesausschuß nominierte Eberhard Diepgen am 14. Oktober 1988 zum Spitzenkandidaten der Partei für das Amt des Regierenden Bürgermeisters. Ziel sollte es sein - so in einem Leitantrag zum 76. Landesparteitag am 6. Mai 1988 - sich für eine "stärkere Bekämpfung der Arbeitslosigkeit" und "eine menschliche Stadt der guten Nachbarschaft und des Gemeinsinns" einzusetzen. Doch die Wählerinnen und Wähler konnte das offenbar nicht überzeugen. Im Vergleich zu den Wahlen 1985 mußten die Christdemokraten eine Stimmeneinbuße von 8,7 Prozent hinnehmen; eine Fortsetzung der bisherigen Koalition war unmöglich. SPD und Alternative Liste bildeten die Regierung, die CDU mußte das saure Brot der Opposition essen. Eberhard Diepgen fungierte fortan wieder als Chef der Fraktion. Doch sein strahlendes Comeback sollte nicht lange auf sich warten lassen. Erstmals seit 1946 fanden am 2. Dezember 1990 wieder Gesamtberliner Wahlen statt. 48,8 Prozent der Stimmen für die CDU - das war ein eindeutiger Auftrag zur Übernahme der Regierungsverantwortung. Die bewährte Koalition mit der FDP kam nicht zustande, da hierfür drei Stimmen fehlten. Diepgen schluckte die Kröte und vereinbarte mit der SPD eine Große Koalition. Am 24. Januar 1991 wurde er zum dritten Mal vom Abgeordnetenhaus als Regierender Bürgermeister - erstmals seit 1948 wieder als Stadtoberhaupt Gesamtberlins - bestätigt.
Keinen Zweifel ließ Diepgen daran, daß es selbstverständlich für ihn sei, seinen Amtssitz auch wieder in das angestammte Haus der Berliner Stadtverwaltung - das Rote Rathaus im Stadtbezirk Mitte - zurückzuverlegen. Am 5. August 1991 begann der Auszug der Senatskanzlei aus dem Rathaus Schöneberg, das nahezu 43 Jahre als Gastdomizil gedient hatte; seit dem 25. September residiert auch der Hausherr persönlich wieder im Gebäude in der Jüdenstraße 1.
In dem Maße, wie Berlin sich wieder als einheitliche Stadt präsentierte, rückte auch die Frage immer mehr in den Mittelpunkt, welche Rolle die Metropole an der Spree künftig im geeinten Deutschland spielen solle. Der Einigungsvertrag hatte Berlin bereits als deutsche Hauptstadt festgeschrieben; ob die Stadt anstelle von Bonn aber auch Sitz von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat werden soll, darüber entbrannte 1991 eine mit zunehmender Leidenschaft, ja teilweise mit Erbitterung geführte Debatte. Am 13. Juni äußerte sich Eberhard Diepgen in einer Regierungserklärung vor dem Abgeordnetenhaus eindeutig dazu: "Das Bekenntnis zu Berlin" sei "ein Akt der politischen Glaubwürdigkeit ... Berlin ist das Symbol der Überwindung der Teilung und muß nun zum Symbol des Zusammenwachsens werden".
Sieben Tage später, am 20. Juni, fiel im Bundestag die Entscheidung. Um 21.47 Uhr verkündete Präsidentin Rita Süssmuth das Ergebnis der Abstimmung. Es fiel knapp aus: 337 Abgeordnete votierten zugunsten Berlins, 320 sprachen sich für Bonn aus.
Daß mit dieser Entscheidung höchstens ein Etappensieg erzielt worden war, sollte sich schnell zeigen. Die Umzugsgegner gaben und geben sich nicht geschlagen; mit dem Argument, der Wechsel an die Spree sei viel zu teuer, wurden und werden immer wieder neue Varianten ins Spiel gebracht, um die Entscheidung zu verwässern oder auf den Sankt-Nimmerleins-Tag hinauszuschieben.
Überhaupt scheint die prekäre Finanzsituation der Stadt und des Bundes immer mehr zu einem bestimmenden Faktor der Landespolitik zu werden. Als Ende Juni 1993 der Senat radikale Streichungen im Haushalt in einer Größenordnung von 1,5 Milliarden DM vornahm, war die Entrüstung allerorten groß. Selbst vor kulturellen Einrichtungen, die jahrzehntelang zum Prestige der Stadt gehörten, machte der Rotstift nicht halt. Unter diesen zunehmend schwieriger werdenden Umständen die innere Einheit Berlins für deren Bürger auf praktische Weise akzeptabel und verträglich zu gestalten, dürfte zur größten politischen Herausforderung für den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen und den von ihm geleiteten Senat in der kommenden Zeit werden.
(P.S.: Er zeigte sich der Herausforderung nicht gewachsen. Verstrickt im bisher übelsten Finanz-Skandal Berlins musste er 2001 zurücktreten.)
© Edition Luisenstadt, 1998
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