* 2.5.1948 in Chemnitz
Oberbürgermeister (Ost-Berlin)
vom 23. 02. 1990 bis 30. 05. 1990
Christian Matthias Wilhelm Hartenhauer wuchs als Sohn eines Textilarbeiters in der schwer vom Bombenkrieg gezeichneten sächsischen Industriemetropole Chemnitz auf, besuchte dort von 1954 bis 1962 die Grundschule und anschließend bis 1966 die Erweiterte Oberschule, wo er auch eine begleitende Berufsausbildung als Dreher abschloß. Auf das Abitur folgte ein Studium an der Hochschule für Ökonomie in Berlin-Karlshorst bis 1970, das er als Diplomökonom beendete. Ein Forschungsstipendium ermöglichte ihm anschließend die Promotion mit dem Thema "Rationalisierung der Rechtsanwendung auf dem Gebiet des internationalen Wirtschaftsrechts mittels elektronischer Datenverarbeitung". Das praxisorientierte Thema der Dissertation führte ihn jedoch nur für kurze Zeit auch in ein praxisorientiertes Arbeitsgebiet der Volkswirtschaft - in das Ministerium für Außenhandel der DDR. Nach Absolvierung seines Militärdienstes trat er Arbeitsstellen an, die im Umfeld des Gesamtsystems zur Durchsetzung der dirigistischen Gesellschafts- und Staatskonzeption lagen, wie sie in der DDR nach sowjetischem Muster durchexerziert wurde: Hartenhauer, seit 1968 Mitglied der SED, war durch effiziente sachbezogene Organisationsarbeit bei Kaderpolitikern aufgefallen, die auf der Suche nach organisatorisch befähigten Technokraten waren. Entsprechend wurde sein ferneres Leben auf eine Entwicklung in dieser Hinsicht ausgerichtet: Im Ministerium für Außenhandel übernahm er 1976 eine hauptberufliche Position als Funktionär der staatlichen Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend (FDJ) und trat 1977 an die Spitze der FDJ im Berliner Stadtbezirk Mitte. In dieser Stellung erlangte er wertvolle Einblicke in kommunalpolitische Probleme. Nach einer Delegierung für einen einjährigen Lehrgang an der sowjetischen Akademie für Gesellschaftswissenschaften in Moskau, der er 1982/83 nachkam, übernahm er für ein Jahr eine hauptamtliche Funktion in der Kreisleitung der SED im Stadtbezirk Berlin-Pankow; dort war er für die Verbindung zu den gesellschaftlichen Organisationen (Gewerkschaften, Jugendorganisation FDJ, Kulturbund, Deutsches Rotes Kreuz usw.) verantwortlich, was seinen Blick für die immer komplizierter werdenden politischen Phänomene der DDR-Gesellschaft in ihrer konkreten kommunalen Widerspiegelung weiter schärfte.
1985 wurde Hartenhauer als stellvertretender Abteilungsleiter der Abteilung Kultur in den Verwaltungsapparat des Berliner Magistrats berufen. Schon ein Jahr später - am 23. Juni 1986 - wählte ihn die Stadtverordnetenversammlung Ostberlins zum Stadtrat für Kultur. Trotz der klingenden Funktionsbezeichnung war sein Arbeitsfeld jedoch in internen Anweisungen im wesentlichen auf praktisch-organisatorische Fragen eingeengt, die in erster Linie aus dem Vorhaben resultierten, die 1987 anstehende 750-Jahr-Feier Berlins zu einer gigantischen Schau von Selbstdarstellung der DDR zu machen, um deren internationales Renommee weiter aufzuwerten. Hartenhauer konnte mit seinen kommunalpolitischen Erfahrungen - die auch zu berücksichtigen wußten, wo sich die Masse der Bevölkerung mit Vorgaben der Politbürokratie zu identifizieren vermochte, wo sie sie wenigstens tolerierte und wo sie sich ihnen verweigerte - sehr beachtlich dazu beitragen, daß das "Jubelfestival" in Ost-Berlin im wesentlichen von den Einwohnern angenommen wurde und höchst beachtliche Begegnungen mit glanzvollen Stars der breitgefächerten internationalen Kulturszene stattfinden konnten. Andererseits befanden sich die DDR-Oberen nach 1987 in einem fühlbaren Dilemma, denn sie hatten nun Erwartungshaltungen hinsichtlich einer Öffnung zu den westlichen Weltstars geweckt, die angesichts ängstlicher Kulturpolitik und belastender Devisenknappheit nicht zu befriedigen waren. Aber Hartenhauer sollte nichtsdestoweniger die traditionellen "Berliner Festtage" 1988 und 1989 zu ähnlichen Höhen führen wie 1987, was schon aus der Devisenlage und der katastrophalen Ostberliner Hotelkapazität nicht zu gewährleisten war; darüberhinaus brachten die immer deutlicher sichtbaren wirtschaftlichen Implikationen ihn zusätzlich in das Dilemma, daß er vorrangig seine Autorität für die Lösung materieller Probleme der Kulturinstitutionen und Kulturschaffenden mobilisieren mußte.
Die Konzentration auf materiell-technische Probleme des Ostberliner Kulturlebens bewahrte Hartenhauer dann im Spätsommer 1989 davor, sich durch das Wiederkäuen politbürokratischer Haßtiraden ein Profil als Hardliner zu verschaffen - sein eher verständnisvoller Umgang mit ernsthaften wie auch weniger ernsthaften Querelen der Kulturszene mit dem Überwachungs- und Unterdrückungsapparat der DDR-Obrigkeit prädestinierte ihn auch nicht für eine solche Rolle. Nichtsdestotrotz mußte er gelegentlich auch Zusammenstöße auf sich nehmen, da er als sichtbarer Vertreter der bevormundenden Obrigkeit eben auch mit der Wut über die allgegenwärtige Zensur konfrontiert wurde.
Im Kontext mit der gesamten politischen Entwicklung in der DDR war der Magistrat seit der letzten Dekade des Oktobers 1989 in seiner Arbeitsfähigkeit weitgehend gelähmt. Oberbürgermeister Krack geriet als Repräsentant von SED-Herrschaft und DDR-Staatsmacht zunehmend unter den Druck der sich nun offen artikulierenden oppositionellen Kräfte. Mitglieder des Magistrats drängten daraufhin auf irgendeine Form, in der der Oberbürgermeister ein Aufeinander-zu-Gehen signalisieren solle. Es war schließlich eine Gruppe um Hartenhauer - der durch seine frühere amtliche Bekanntschaft mit allen bedeutenden Vertretern des Ostberliner Kulturlebens über entsprechende Kontakte verfügte - die Anfang Dezember 1989 eine erste offizielle Begegnung Kracks mit namhaften Repräsentanten der Bürgerbewegungen zustande brachte. Dieses Treffen war einer der konstitutiven Faktoren für die Entstehung des Runden Tischs auch für Berlin, wo Hartenhauer neben Krack die kommunalpolitische Verwaltung repräsentierte, und wo sich alle Beteiligten darin einig waren, daß die Kommunalpolitik im Interesse eines funktionswirksamen städtischen Lebens aktionsfähig bleiben mußte. Krack wurde jedoch von den neuen politischen Kräften sehr bald für die Wahlfälschungen bei der Kommunalwahl vom 7. Mai 1989 verantwortlich gemacht und trat deshalb am 15. Februar 1990 zurück. In der inzwischen zu einem parlamentarischen Arbeitsstil übergegangenen Stadtverordnetenversammlung wurde daraufhin der Gedanke propagiert, den Regierenden Bürgermeister des Landes Berlin, Walter Momper, auch zum Oberbürgermeister für Ost-Berlin zu wählen, um den Willen zur Zusammengehörigkeit beider Stadthälften vor der Weltöffentlichkeit zu demonstrieren. Eine Mehrheit der Stadtverordneten folgte jedoch der Argumentation des Stadtverordnetenvorstehers Laurenz Demps, daß der Magistrat aus seiner eigenen Kenntnis und Verantwortlichkeit in voller Arbeitsfähigkeit bleiben müsse, bis die anstehenden freien Kommunalwahlen ein Stadtparlament entstehen ließen, das dann über einen neuen Magistrat und dessen Oberhaupt befinden könne. Als Kandidat für die Wiederbesetzung des Oberbürgermeisterpostens bis zu diesem Zeitpunkt wurde neben Ingrid Pankraz, amtierende Oberbürgermeisterin seit dem 15. Februar, Christian Hartenhauer nominiert; bei Anwesenheit von 132 der 225 Stadtverordneten wurde er mit 82 zu 40 Stimmen (bei 7 Enthaltungen und 3 ungültigen Stimmzetteln) am 23. Februar 1990 im Roten Rathaus gewählt.
Oberbürgermeister Hartenhauer gab sich schon in seiner Antrittsrede keinen Illusionen über die Dauer seiner Amtsperiode hin. Er wollte aber durch Flexibilität die verbleibende Zeit nutzen, Ost-Berlin auf spätere Entwicklungen einzustimmen. Im Bewußtsein üblicher Gefahren in Wendezeiten, wenn kostenträchtige Vorschläge leicht ins Kraut schießen, drang er vor allem auf einen funktionstüchtigen und absolut ausgeglichenen Finanzhaushalt, der durch wöchentliche Finanzrapporte der einzelnen Ressorts kontrolliert wurde. Wenig mehr als eine Woche nach seiner Berufung als Stadtoberhaupt traf er sich mit dem Regierenden Bürgermeister Momper zur Absprache über abgestimmtes Auftreten im Regionalausschuß Berlin-Brandenburg, dem neben den Bezirken Frankfurt/Oder und Potsdam die beiden Berlins angehörten. Trotz der damals noch angenommenen längeren Periode eines fruchtbaren Neben- und verständnisvollen Miteinanders der beiden Stadthälften als selbständige administrative Einheiten brachte Hartenhauer Überlegungen zu einer Magistratsreform auf den Weg, die darauf abzielten, die Struktur des Magistrats paßfähig zu machen für eine effiziente Zusammenarbeit mit dem Senat des Landes Berlin. Ein dafür vorgelegter erster Entwurf wurde auch den Spitzenkandidaten von CDU, F.D.P. und SPD für die Berliner Stadtverordnetenwahlen zugeleitet.
Mit dem Runden Tisch arbeitete der Magistrat unter Hartenhauer hervorragend zusammen: Der Dank blieb nicht aus, denn bei der letzten Sitzung der alten Stadtverordnetenversammlung am 28. April 1990 sprachen sich die kompetenten Vertreter des Runden Tisches explizit in diesem Sinne aus. Informationsgespräche über praktische kommunalpolitische Schritte führte Hartenhauer auch mit dem SPD-Spitzenkandidaten Schwierzina.
Die Kommunalwahlen bescherten der SPD die erwartete stärkste
Fraktion im Stadtparlament. Tino Schwierzina wurde demgemäß
am 30. Mai zum Oberbürgermeister gewählt. In seiner
Antrittsrede brachte auch er seinen Dank an den bis dato amtierenden
Magistrat zum Ausdruck; in einem Schreiben an seinen Amtsvorgänger
unterstrich Schwierzina diesen Dank auch an Hartenhauer persönlich.
Am 31. Mai übergab dieser in einem kurzen zeremoniellen Akt
im Roten Rathaus die Amtsgeschäfte an seinen Nachfolger.
Er selbst übernahm eine verantwortungsvolle Position in der
freien Wirtschaft.
© Edition Luisenstadt, 1998
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