Dr. Arthur Werner


* 15. 04. 1877 in Berlin
+ 27. 07. 1967 in Berlin

Oberbürgermeister
vom 17. 05. 1945 bis 10. 12. 1946

Bildnis Arthur Werner Seit dem 17. Mai 1945, zwei Wochen nach Beendigung der Kampfhandlungen in Berlin und wenige Tage nach der bedingungslosen Kapitulation Hitler-Deutschlands, hatten die mit den in jeder Hinsicht verheerenden Kriegsfolgen schwer zu ringenden Berliner wieder einen Oberbürgermeister. Dr. Arthur Werner, ein gerade 68 Jahre alt gewordener Ingenieur, war kurioserweise vom designierten stellvertretenden Oberbürgermeister, Karl Maron, am 12. Mai, morgens gegen 7.00 Uhr, im Garten seines Hauses in Berlin-Lichterfelde aufgesucht und mit ihm zu Walter Ulbricht in die Lichtenberger Prinzenallee gebracht worden.

Ulbricht, der seinen Gesprächspartnern als ehemaliger kommunistischer Reichstagsabgeordneter vorgestellt worden war und dessen Rolle als Leiter der nach ihm benannten Gruppe Moskauer KPD-Emigranten unerwähnt blieb, dürfte in diesem Gespräch die wichtigsten Lebensdaten Werners erfahren haben: Nach mehreren Jahren Studium und praktischer Arbeit in Berliner Architektenbüros hatte Werner im März 1907 die Hauptprüfung als Diplomingenieur abgelegt und 1911 zum Dr. Ing. promoviert. Eine schwere Verwundung im ersten Weltkrieg zwang ihn seit 1916 zur ständigen Benutzung eines Gehstockes. Schon 1906 hatte Werner neben seiner beruflichen Arbeit im Hause seiner Eltern eine technische Lehranstalt mit dem verpflichtenden Namen "Schinkel-Akademie" eingerichtet, die er nach dem ersten Weltkrieg zur bekanntesten technischen Privatschule Berlins ausbaute. Seine in humanistischer Gesinnung wurzelnde, Antisemitismus und den Nationalsozialismus ablehnende Haltung sowie seine Toleranz gegenüber politisch und ideologisch Andersdenkenden brachten ihm Schikanen der Behörden und letztlich die Schließung seiner Schule im März 1942. Werner zog sich ins Privatleben zurück. Seit 1914 verheiratet, waren in der Familie Werner vier Söhne aufgewachsen. Zwei von ihnen mußten noch im Januar bzw. April 1945 den vom Nazi-Regime ausgelösten verbrecherischen zweiten Weltkrieg mit dem Leben bezahlen.

Als erfahrener Funktionär hatte Ulbricht die Eignung seines "etwas naiven" Gegenübers für das höchste Berliner Stadtamt erkannt. Und da er die halbjährige Mitgliedschaft Werners in der NSDAP 1932 nicht überbewertete, kam es noch am Abend desselben Tages zu einem Gespräch mit dem Berliner Stadtkommandanten Generaloberst Nikolai Erastowitsch Bersarin. Dieser eröffnete dem nun wohl doch überraschten Werner, daß er ihn als neuen Oberbürgermeister vorgesehen habe. Arthur Werner erklärte sein Einverständnis und machte sich auftragsgemäß schon am folgenden Tag mit den anderen für den Magistrat vorgesehenen Kollegen an die Arbeit.

Auf der feierlichen Amtseinführung am 19. Mai im notdürftig hergerichteten Saal des Gebäudes Parochialstraße 1-3, die von einem durchaus nicht auf allen Ebenen üblichen achtungsvollen Umgang zwischen Besatzungsmacht und der obersten deutschen Behörde in Berlin geprägt war, formulierte Werner als Aufgabe des neuen Magistrats, Berlin aus "einer Stadt der Zerstörung" zu "einer Stadt der Arbeit und des Fortschritts machen".

Was dieser angesichts der dramatischen Lage von manchem für utopisch gehaltenen Zielvorgabe folgte, war kaum honorierter täglicher Einsatz der schon weitgehend von ehemaligen Nazis "gereinigten" Verwaltungsorgane für die Sicherung der Ernährung der über zwei Millionen Berliner. Straßen, Betriebe, U- Bahnschächte mußten von Trümmern geräumt, die Strom-, Wasser- und Brennstoffversorgung angekurbelt, die Müllbeseitigung organisiert werden. Es galt, der Gefahr von Seuchen und Krankheiten vorzubeugen, Schulen für die Aufnahme des Unterrichts vorzubereiten, Bedingungen für kulturelle Veranstaltungen zu schaffen...

Dies waren auch die häufigsten wiederkehrenden Themen der seit dem 20. Mai stattfindenden wöchentlichen Sitzungen des Magistrats. Stetige, systematische und sachliche Sitzungs- und Verwaltungsarbeit, aber auch die solide Reaktion auf von den Besatzungsorganen "über Nacht" angemahnten Maßnahmen zur Energieeinsparung, Brennstoffversorgung, Entnazifizierung waren Markenzeichen der Arbeitsweise dieses Magistrats und Ausdruck der tiefen Achtung Werners vor dem "Ethos der Arbeit". Für Werners Arbeitsstil war charakteristisch, daß er den anderen Magistratsmitgliedern keinen Deut ihrer Verantwortung abnahm. Kam einer seiner Mitarbeiter dieser Eigenverantwortung nicht genügend nach, dann setzte er sich - wie im Fall des für Ernährung zuständigen Andreas Hermes - für dessen Ablösung ein.

Mit besonderer Aufmerksamkeit pflegte Arthur Werner die im wahrsten Sinne des Wortes lebensnotwendigen Kontakte zunächst mit den sowjetischen und seit Juli mit den interalliierten Besatzungsorganen, die ja uneingeschränkte Regierungsgewalt ausübten. Allein in der strikten Durchführung der Befehle der Besatzungsorgane sah er Möglickeiten, den Handlungsspielraum des Magistrats zu verbessern. Denn immerhin durfte der Magistrat Beschlüsse fassen, die allerdings nur mit Zustimmung der Besatzungsbehörden in Kraft traten.

Große Hochachtung brachte der Oberbürgermeister den Antifaschisten entgegen, "die sich schon während der Naziherrschaft für unsere Ideen eingesetzt und für sie gekämpft haben". Daß er zudem Hoffnungen in die "antifaschistische Einheit" setzte und den Zusammenschluß von KPD und SPD so verstand, mag eine Erklärung für seine teilweise heftig kritisierten Begrüßungsworte auf der Eröffnungsveranstaltung des Vereinigungsparteitages zu Ostern 1946 sein.

Solcherlei mißverständliche Parteinahme war jedoch keineswegs typisch für den Oberbürgermeister und die Magistratstätigkeit. Kam es dennoch zu politischen Auseinandersetzungen, wie in der mehrmals diskutierten Frage der Erteilung von Religionsunterricht an den Schulen, dann erlebten die Magistratsmitglieder einen Oberbürgermeister, der seine Überzeugungen geradezu starrsinnig verteidigte - und wenn es sich nicht vermeiden ließ - als einziger gegen eine Vorlage stimmte.

Nach dem überstandenen ersten Nachkriegswinter, in dem sich Oberbürgermeister und Magistrat nach Kräften besonders für die dringendsten Belange der Kinder eingesetzt hatten, boten der nahende Jahrestag der Einsetzung des Magistrats und weitere Jubiläen begründeten Anlaß zur Rückschau und Würdigung des "Großmuts" und der Hilfe der Alliierten und der Leistungen der "Pioniere einer neuen Zeit", wie er die Magistratsmitglieder bezeichnete. Zu verschiedenen Anlässen lobte er die "freudige Bereitschaft der Bevölkerung", dank der in Berlin "bereits eine gewaltige Aufbauarbeit geleistet" worden sei.

Seine Hoffnungen indes, daß 1946 "ein Jahr der Konsolidierung" und man in "die schöpferische Phase des Wiederaufbaus eintreten" werde, sollten dann doch nicht in Erfüllung gehen. Der von einer Mehrheit der Berliner SPD zumindest zu diesem Zeitpunkt nicht gewollte, aber doch noch zustandegekommene, von vielen als "Zwangsvereinigung" empfundene Zusammenschluß von KPD und SPD, führte zu einer solchen Vergiftung der politischen Atmosphäre, in der weder ein fairer Wahlkampf für die auf den 20. Oktober 1946 angesetzten Kommunalwahlen noch eine sachliche Bewertung der Arbeit des Magistrats möglich wurde.

Arthur Werner, der die schweren Stunden unbegründeter Anschuldigungen gegen seine Person und die von ihm geleitete Institution vor allem dank der demonstrativen Würdigung seiner Arbeit durch die alliierten Kommandanten überstand, schied aus dem Amt, wie er es angetreten hatte: mit Würde, im schwarzen Gehrock, auf seinen Stock gestützt und mit den ihm eigenen, die neuen Abgeordneten verpflichtenden Worten: "Möge die Ära, die nunmehr unter Ihrer Ägide für die Geschichte unserer Stadt beginnt, den aus hoffnungslosen Voraussetzungen bereits sichtbar begonnenen Wiederaufstieg Berlins zu bleibenden Erfolgen führen ..."

Die im Wahlkampf bis zum Erbrechen demonstrierte politische Intoleranz fortführend, verweigerten die Wahlsieger dem ersten Berliner Nachkriegsoberbürgermeister zustehende finanzielle Bezüge und Lebensmittelkartenstufe, was den inzwischen 73jährigen zur Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit als Vertreter einer Baustoffirma zwang. Erst mit Hilfe von Freunden und den Besatzungsbehörden konnte er sein Haus in Berlin- Lichterfelde wieder beziehen, wo er 1950 seine private Bauschule wiedereröffnete. Von der DDR-Führung ausgezeichnet, vom Westberliner Senat gemieden, starb Arthur Werner im Alter von 90 Jahren.

 

© Edition Luisenstadt, 1998
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