* 02. 06. 1881 in Breslau (heute Wroclaw)
+ unbekannt
Amtierender Oberbürgermeister
vom 19. 12. 1935 bis 31. 3. 1937
Als Oberbürgermeister Heinrich Sahm im Dezember 1935 zurücktritt, sollte er das letzte, aus ordentlichen Wahlen hervorgegangene Stadtoberhaupt bis zum Zusammenbruch des "Dritten Reiches" im Mai 1945 sein. Die Nationalsozialisten waren fest entschlossen, dieses Amt völlig in ihre Hände zu bekommen und nicht daran interessiert, einen eigenständig handelnden Oberbürgermeister an der Spitze der Stadt akzeptieren zu müssen. Mit der Ernennung von Julius Lippert zum Staatskommissar am 14. März 1933 war bereits ein wichtiger Schritt getan worden, die Berliner Kommunalverwaltung unter ihre Kontrolle zu stellen. Ein neues Gesetz nach Sahms Rücktritt sollte die Funktion eines mit allen Befugnissen des Amtes ausgestatteten Oberbürgermeisters endgültig abschaffen. Bis zu dessen Fertigstellung und Inkrafttreten mußte jedoch - zumindest nach außen - der Schein gewahrt bleiben. Dazu bediente man sich Oskar Maretzkys.
Maretzky war bereits unter Sahm Bürgermeister. Er galt auch gegenüber den neuen Machthabern als loyal und bereitwillig. Eigener Gestaltungsdrang oder gar Widerstand waren von seiner Seite nicht zu erwarten, wenn auch Lippert in der Folgezeit mitunter Anlaß sehen sollte, beim Berliner Gauleiter Goebbels über Maretzkys Aufmucken in einigen Angelegenheiten Klage zu führen. Daß er überhaupt auf einen Spitzenposten in der Berliner Verwaltung avancieren konnte, mag auch zum großen Teil mit daran gelegen haben, daß er über einen reichen, langjährigen Erfahrungsschatz in der Kommunalpolitik verfügte. Eben auf diesem Gebiet gab es bei der NSDAP erhebliche Defizite; ihr fehlte - auch in kommunalen Angelegenheiten - die Kompetenz. All das vermochte aber dennoch nicht auszugleichen, daß Maretzky in den Augen der Nationalsozialisten als nicht sonderlich geeignet erschien, als Repräsentant der Reichshauptstadt aufzutreten. Sein wesentliches Manko: Er konnte keine stramme parteipolitische Karriere aufweisen, ja nicht einmal Mitglied der NSDAP war er. So sehr er sich auch darum bemühte und zu diesem Zwecke sogar aus Alfred Hugenbergs Deutschnationaler Volkspartei austrat, er scheiterte an einer allgemeinen Aufnahmesperre. Selbst Lippert, der sich in dieser Angelegenheit gegenüber NSDAP-Schatzmeister Franz Xaver Schwarz verwendete und Maretzky dabei über den grünen Klee lobte, konnte keine Ausnahmeregelung erreichen.
Oskar Maretzky wurde am 2. Juni 1881 in Breslau geboren. Nach einem Studium der Rechtswissenschaften an der dortigen Universität und in Leipzig beginnt er 1908 eine Tätigkeit als Gerichtsassessor und ist danach in der Verwaltung tätig. 1911 kommt er zum ersten Mal mit der Kommunalpolitik in Berührung. Er wird Beigeordneter und stellvertretender Bürgermeister von Rummelsburg. Ab Oktober 1912 steht er als Bürgermeister an der Spitze von Lichtenberg. 1920 wird er entlassen, seine kommunale Laufbahn ist erst einmal für längere Zeit unterbrochen. Warum, das ist aus einem Schreiben von Lippert an den bereits erwähnten NSDAP-Schatzmeister Schwarz in München zu erfahren. Demzufolge war Maretzky während des Kapp-Putsches zum Berliner Polizeipräsidenten ernannt worden. Nachdem der Putsch scheiterte, mußte er seinen Stuhl als Bürgermeister räumen. Maretzky verlegt nun seine politischen Aktivitäten zunächst auf die Reichs- und dann auf die Landesebene. Von 1920 bis 1924 sitzt er als Abgeordneter für die Deutsche Volkspartei im Reichstag, danach, bis 1928, gehört er mit dem Mandat der Deutschnationalen Volkspartei dem Preußischen Landtag an. Als nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 auch in der Berliner Stadtverwaltung personalpolitisch die großen Besen geschwungen werden, gelangt Maretzky ins Bürgermeisteramt; er wird nach dem Rücktritt von Oberbürgermeister Sahm im Dezember 1935 kommissarisch mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Oberbürgermeisters betraut.
Über die Tätigkeit Maretzkys zu jener Zeit ist nur wenig
bekannt. Er leitet das Wirtschafts- und das Gesellschaftsdezernat
und sitzt in seiner Eigenschaft als Bürgermeister in verschiedenen
Aufsichtsratsgremien. Als Parteiloser vertritt er mit Engagement
die Politik der NSDAP und beteiligt sich an der Säuberung
der Verwaltung von jüdischen, marxistischen oder anderweitig
nicht mehr genehmen Mitarbeitern. Doch die NSDAP dankt ihm diesen
Kurs der Anbiederung nicht. Die offizielle Propaganda sorgt dafür,
daß er öffentlich quasi nicht existent ist. Selbst
bei repräsentativen Anlässen, die normalerweise der
Oberbürgermeister wahrzunehmen hat, tritt nur Lippert in
Erscheinung. Es entsteht der Eindruck, der Staatskommissar Lippert
sei das Stadtoberhaupt. Treffender konnte das "Berliner Tageblatt"
vom 6. Januar 1937 die Situation nicht schildern: "So ergab
es sich von selbst, daß die tatsächliche Führung
der Geschicke der Reichshauptstadt seit nahezu vier Jahren in
seinen (d. h. Lipperts - d. Verf.) Händen lag."
Um die Jahreswende 1936/37 ist es soweit. Das "Gesetz über
die Verfassung und Verwaltung der Reichshauptstadt Berlin"
liegt vor. Der Dualismus zwischen Oberbürgermeister und Staatskommissar,
der sich in den vergangenen Jahren oft störend bemerkbar
gemacht hatte, ist ad acta gelegt. Die Funktion eines Staatskommissars
wird in die eines Stadtpräsidenten umgewandelt und mit dem
Amt des Oberbürgermeisters in Personalunion zusammengelegt.
Damit ist eindeutig fixiert, daß von nun an Dr. Julius Lippert
als alleiniger oberster Herr der Berliner Stadtverwaltung vorsteht.
In seiner Eigenschaft als Oberbürgermeister dirigiert er
die Kommunalverwaltung, als Stadtpräsident ist er Vorgesetzter
einer Behörde auf Landesebene. Die Gleichschaltung mit dem
Machtwillen der NSDAP ist vollzogen.
Trotz unbestrittener kommunalpolitischer Kompetenzen ist für Dr. Maretzky kein Platz mehr im neuen System. Seine politische Laufbahn ist zu Ende. Ihm bleibt nur noch eine Konsequenz: Er bittet um Versetzung in den Ruhestand zum 1. April 1937.
Ab dieser Zeit verlaufen sich seine Spuren. Er gehört noch
dem Deutschen Gemeindetag und dem Präsidium des Deutschen
Roten Kreuzes an, wird auch bei Veranstaltungen in den gehobenen
Kreisen Berlins gesehen. Bei der Knorr-Bremse AG in Berlin-Lichtenberg
verdient er als Angestellter seinen Lebensunterhalt. Nach 1939
verliert sich sein weiterer Weg in den Wirren des Krieges. Es
ist unbekannt, wann und wo er gestorben ist.
© Edition Luisenstadt, 1998
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