Ludwig Steeg

* 22. 12. 1894 in Ottweiler (Saar)
+ 06. 09. 1945 in einem sowjetischen Gefangenenlager

Bildnis Ludwig Steeg

Amtierender Oberbürgermeister und amtierender Stadtpräsident
von Juli 1940 bis Februar 1945
Oberbürgermeister
von Februar 1945 bis April 1945

Ludwig Steeg ist heute nahezu vergessen. Viele Dokumente, die Aufschluß über seine Amtsführung geben könnten, sind verlorengegangen. In den von der Propaganda gesteuerten Presseorganen der Reichshauptstadt finden sich nur wenige Informationen über seine Tätigkeit. Dabei hat Steeg vom Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 bis zum Untergang ihrer Herrschaft 1945 der Stadtverwaltung in führenden Stellungen gedient. Von 1940 an hat er sie sogar geleitet, zunächst kommissarisch, um ihr schließlich von Februar 1945 an bis zum Einzug der Truppen der Roten Armee in Berlin als regulärer Oberbürgermeister vorzustehen. Große Akzente konnte er freilich nicht setzen. Er stand stets im Schatten von Staatskommissar Lippert und Gauleiter Goebbels, die es verstanden, sich mit publikumswirksamen Auftritten in Szene zu setzen und sich als die eigentlichen oberen Herren der Stadt zu präsentieren. Steeg führte die Geschäfte eher unauffällig, darauf konzentriert, die Anweisungen und Richtlinien Goebbels' in die Tat umzusetzen. Nach Ausbruch des zweiten Weltkrieges mußte sich seine Tätigkeit zu großen Teilen darauf beschränken, die Stadt auf den auch unausweichlich über sie hereinbrechenden Krieg vorzubereiten und schließlich das Leben der Einwohner unter den immer heftiger werdenden Angriffen der alliierten Luftstreitkräfte notdürftig zu organisieren.

Ludwig Steeg wurde am 22. Dezember 1894 in Ottweiler (Saar) als Sohn eines Lehrers geboren. Nach dem Abitur begann er in Berlin ein Studium der Philosophie, brach es aber nach fünf Semestern ab, um sich einer Laufbahn in der Berliner Verwaltung zu widmen. Nach Ausbruch des ersten Weltkrieges diente er in der Infanterie und brachte es bis zu einem Leutnant der Reserve. August 1919 nahm er seinen Dienst in der Berliner Verwaltung wieder auf. Nach entsprechender Ausbildung wurde er in den verschiedensten Bereichen eingesetzt und war unter anderem als Inspektor für die Stadtreinigung und das Fuhrwesen zuständig. Obwohl er der NSDAP erst relativ spät beitrat, nämlich 1933, schien dies für seine weitere Karriere kein Hindernis darzustellen. Er erwies sich als ein bereitwilliger Helfer der Nationalsozialisten bei der Verwirklichung ihrer Pläne, und schließlich verfügte er über mehrjährige kommunalpolitische Erfahrungen und war mit den Problemen Berlins bestens vertraut. So gelang ihm nach Hitlers Machtantritt schnell der Weg in eine Spitzenposition der Berliner Verwaltung. Er wurde Stellvertreter von Staatskommissar Lippert und gehörte dem Staatskommissariat bis 1937 an. Im April desselben Jahres wurde er zum Bürgermeister der Stadt ernannt. Dabei war er durchaus nicht der Wunschkandidat des Berliner Gauleiters Joseph Goebbels. Süffisant vermerkte dieser in seinen Tagebüchern, er wünsche sich in dieser Position eine "repräsentativere Figur" als Steeg - "Kerle" würden da gebraucht und keine "Knaben"! - und ließ die Stelle öffentlich ausschreiben. Der Erfolg muß offenbar mager gewesen sein, denn "mangels Besserem" willigte er schließlich in diese Personallösung ein.

Als Bürgermeister war Steeg ausgestattet mit einer Fülle von Zuständigkeiten, angefangen von Personalfragen über Finanz-, Wirtschafts-, Verkehrs- und Bauangelegenheiten bis hin zu Belangen der Wissenschaften, der Schulen, der Jugend und der Gesundheit. Besonders gründlich wirkte Steeg in der Personalpolitik. Durch eine rigorose Anwendung der neuen Kriterien bei der Besetzung von Stellen achtete er streng darauf, daß nur noch dem Nationalsozialismus treu ergebene Kader zum Zuge kamen. Kein Zweifel, daß die Säuberungen eine chronische Personalknappheit in der Verwaltung nach sich zogen. Doch Lippert und Steeg verstanden es, aus dieser Not eine Tugend zu machen. Mit großem propagandistischem Aufwand wurde die Aktion als ein Beitrag zur Rückkehr zu preußischer Sparsamkeit ausgegeben. Überhaupt diente nun der angebliche Kampf gegen Korruption und Mißwirtschaft - von der NSDAP schon unter den Oberbürgermeistern Scholtz und Sahm mit viel verbalem Getöse angekündigt -, als Deckmantel zur Verfolgung politisch unliebsamer Personen mit strafrechtlichen Mitteln.

Im Juli 1940 ging die Ära Lippert in Berlin zu Ende. Daß dies auch das Aus für seinen Zögling Steeg bedeutet hätte, wäre anzunehmen gewesen. Doch dessen politische Zurückhaltung, seine Beschränkung auf fleißiges, unauffälliges Administrieren erwiesen sich als Pluspunkt. Ein neuer Oberbürgermeister und Stadtpräsident in Personalunion wurde nicht ernannt, statt dessen durfte nun Steeg amtierend die Geschäfte des Oberbürgermeisters führen und obendrein auch noch kommissarisch das Amt des Stadtpräsidenten verwalten. Großen Spielraum zu entfalten gab es allerdings kaum. Im Hintergrund gab NSDAP-Gauleiter Goebbels den Ton an und entschied ganz im Sinne der Auffassung von der bestimmenden Rolle der NSDAP selbstherrlich in allen wichtigen Fragen über Wohl und Wehe der Stadt.

Und noch ein ganz anderer Umstand begann zunehmend alles zu überlagern. Ursprünglich noch aus dem Bewußtsein verdrängt, wurde er immer offensichtlicher: Drohend zogen die Wolken des Krieges auch am Berliner Himmel auf. Im August 1940 startete die britische Royal Air Force die ersten Luftangriffe auf die Stadt. Steegs wichtigste Aufgabe mußte es sein, Berlin organisatorisch auf die Folgen vorzubereiten, die mit dem Krieg unausweichlich auf die Menschen und ihre Stadt zukommen würden. Vorrangig bedeutete dies, Pläne für die Verteilung von Lebensmitteln und anderen wichtigen Gütern auszuarbeiten, Evakuierungsmaßnahmen vorzubereiten und die Sicherstellung notwendiger Versorgungsleistungen in die Wege zu leiten.

Im Herbst 1943 begann die große Bombenoffensive gegen Berlin. Insgesamt sollten durch die Angriffe aus der Luft 50 000 Menschen ums Leben kommen; die Stadt verlor 39 Prozent ihres Wohnungsbestandes; Industrieanlagen, Büros und Kultureinrichtungen wurden zerstört. Etwa eine Million Männer, Frauen und Kinder wurden in Zusammenarbeit von Stadtverwaltung, Partei und NS-Wohlfahrt in weniger gefährdete Gebiete evakuiert. Steegs Stadtverwaltung konnte der Belastungen, so sehr sie sich auch unbestreitbar Mühe gab, nur noch punktuell Herr werden. Erschwerend kam hinzu, daß sie mit einem Minimum an Verwaltung auskommen mußte. Wehrfähige Männer wurden an die Front geschickt, ältere Jahrgänge und Frauen konnten die Lücken nur notdürftig schließen. Hauptaufgabe blieb die Sicherung der Ernährung. Feldküchen wurden eingerichtet, Brot aus auswärtigen Bäckereien in die Stadt gebracht. Selbst Außergewöhnliches war nun vorstellbar. So konnte es vorkommen, daß die Berliner bei einem näheren Blick auf ihre öffentlichen Grünanlagen Merkwürdiges wahrnahmen. Der Rasen war nämlich kurzerhand umgepflügt worden, und statt der vertrauten Gänseblümchen oder des Löwenzahns sahen sie nun dort Möhren und anderes Gemüse. Auch die Stadtgüter stellten sich um und produzierten jetzt Kartoffeln, Obst und Milch. Daneben kümmerte sich die Administration um die Unterbringung von durch Bombardierung obdachlos gewordenen Einwohnern, bemühte sich um die Trümmerbeseitigung, in Mitleidenschaft gezogene Verkehrslinien mußten wieder in Gang gebracht werden, die Versorgung mit Strom, Gas und Wasser galt es einigermaßen sicherzustellen.

Die Situation war mehr als bedrückend. Dennoch ließ sich Steeg offenbar in Verkennung der Tatsachen und unter dem Druck einer gelenkten Propaganda am 31. Dezember 1943 im "Völkischen Beobachter" dazu hinreißen, Durchhalteparolen auszugeben. Die Berliner hätten "diese Schlacht bisher gewonnen" und sie würden sie "auch in Zukunft gewinnen", dröhnte er siegessicher.

1944 erfolgte eine neuerliche Änderung der Verfassung der Reichshauptstadt. Die in Personalunion wahrgenommenen Ämter des Oberbürgermeisters und des Stadtpräsidenten wurden wieder getrennt. Per Erlaß Hitlers wurde der Reichspropagandaminister und Berliner NSDAP-Gauleiter Joseph Goebbels zum Stadtpräsidenten ernannt. Erstaunlicherweise sah Goebbels, der noch wenige Jahre vorher nicht gerade schmeichelhafte Worte für Steeg fand, auch jetzt keinen Anlaß, sich von selbigem zu trennen und das Amt des Oberbürgermeisters neu zu besetzen. Offenbar war es in dieser Kriegssituation nicht mehr möglich, einen geeigneten Kandidaten zu finden. Bis zum bitteren Ende sollte Steeg nun diesen Posten besetzen, wenn auch wieder vorerst nur kommissarisch.

Je länger der Krieg fortschreitet, um so dramatischer wird die Situation. Auch Steeg klingt jetzt schon wesentlich leiser als noch wenige Monate zuvor. Unter dem Druck der sich verschlimmernden Lage muß er wohl geahnt haben, daß der "Endsieg" endgültig im Donner der näherrückenden Geschütze untergehen würde. Aber er macht sich und seinen Mitbürgern immer noch Mut. Man sehe "mit aller Ruhe der Zukunft entgegen", heißt es in seinem Jahresbericht für 1944. Wie die Dinge wirklich liegen, dafür sprechen die Fakten: Die Versorgung der Stadt ist nicht mehr gesichert. Verbindungswege fallen aus oder werden unsicher. Berlin leidet unter Brennstoffmangel. Strom, Gas und Wasser stehen nicht mehr kontinuierlich zur Verfügung. Die Trümmerbeseitigung reduziert sich auf das notwendigste. Krankenhäuser sind nicht mehr voll funktionsfähig. Der Arbeitskräftemangel ist allerorten spürbar. Steeg steht vor einem Dilemma. Um den Aufgaben wenigstens auch nur halbwegs gerecht zu werden, braucht er neue Arbeitskräfte, andererseits wird er von Goebbels gedrängt, diese einzusparen. Ämter werden zusammengelegt, noch mehr Frauen zum Dienst herangezogen. Es ist wirkungslos. Mit voller Wucht fordert der Krieg seinen Tribut. Auch der Volkssturm, Hitlers verzweifeltes letztes Aufgebot von Halbwüchsigen und alten Männern, kann keine Entlastung mehr bringen.

Am 1. Februar 1945 wird Berlin zum Verteidigungsbereich erklärt.
Im selben Monat erfolgt Steegs Ernennung zum regulären Oberbürgermeister. An der Situation ändert das nichts. Tödlich getroffen liegt das Hitlerregime in seinen letzten Zuckungen. Unaufhaltsam rücken sowjetische Truppen auf Berlin zu und ziehen den Ring um die Stadt immer enger. Immerhin ist Steeg mannhaft genug, sich der einmarschierenden Roten Armee zu stellen. Sein Schicksal ist besiegelt. Er stirbt 51jährig am 9. September 1945 als Zivilinternierter in einem sowjetischen Gefangenenlager.

 

© Edition Luisenstadt, 1998
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