* 29. 01. 1871 in Bythin
+ 14. 05. 1935 in Berlin
Amtierender Oberbürgermeister
von Herbst 1929 bis 14. 4. 1931
Mit Arthur Scholtz gelangte im Herbst 1929 ein Mann in die höchste Position der Berliner Kommunalverwaltung, der diesen Aufstieg - wie übrigens nicht zum ersten Mal in der Geschichte der Stadt - dem unvorhergesehenen, erzwungenen Verzicht des im Amte befindlichen Oberbürgermeisters zu verdanken hatte. Dabei erwiesen sich die Aufgaben, die auf Scholtz zukamen, als nahezu unlösbar. Durch den Sklarek-Skandal (vgl. Biographie Gustav Böß) waren das Amt des Oberbürgermeisters und darüber hinaus der Ruf der gesamten Verwaltung aufs äußerste beschädigt. Die Parteien der extremen Rechten und auch linke Parteien nutzten dies, um das Weimarer Staatswesen insgesamt anzugreifen. Das Bemühen, durch solide Arbeit das Vertrauen der Öffentlichkeit wiederzuerringen und das Ansehen der kommunalen Institutionen zu heben, mußte um so schwieriger sein, als es angesichts der verzweifelten finanziellen Situation, in der sich die Stadt aufgrund der Folgen der Weltwirtschaftskrise befand, kaum gelingen konnte, sichtbare Erfolge vorzuzeigen.
Arthur Scholtz wurde am 29. Januar 1871 in Bythin bei Posen (heute
Poznan) als Sohn eines Domänenrates geboren. Nach dem Schulbesuch
in Halle (Saale) studierte er in München, Berlin und Breslau
(heute Wroclaw) Rechts- und Staatswissenschaften und arbeitete
zunächst als Referendar. Seine kommunalpolitische Laufbahn
begann in Posen (heute Poznan), als er 1897 in die Verwaltung
der Stadt eintrat. Drei Jahre später war er dort schon Stadtrat
und Kämmerer. 1903 zog er nach Berlin und übernahm in
Charlottenburg wiederum den Posten eines Stadtrates und Kämmerers.
Er entwickelte sich dabei zusehends zu einem Experten für
Haushalts-, Finanz- und Steuerangelegenheiten. So wurde er 1915,
als seine erste 12jährige Amtsperiode zu Ende ging, für
weitere 12 Jahre im Amte bestätigt. In dieser Eigenschaft
war er Vorsitzender bzw. stellvertretender Vorsitzender einer
Vielzahl von Abteilungen, die sich allesamt mit Haushalts- und
Finanzfragen beschäftigten. Darüber hinaus war seine
Meinung auch zu anderen Themen gefragt. So gehörte er einer
Reihe von Magistratsausschüssen an, zum Beispiel dem für
für Personalangelegenheiten, für Fragen der Eingemeindung,
der Unterstützung der Armen usw.
Bei den ersten Wahlen zum Groß-Berliner Magistrat im Jahre
1920 wurde Scholtz von der Deutschen Volkspartei, deren Mitglied
er war, für das Amt eines Bürgermeisters vorgeschlagen.
Das Rennen machte aber sein sozialistischer Gegenkandidat Ritter.
Dennoch tat dies seiner kommunalpolitischen Karriere keinen Abbruch.
Nachdem in Charlottenburg durch die Wahl von Ernst Scholz zum
Reichswirtschaftsminister der Stuhl des ersten Bezirksbürgermeisters
frei wurde, wählte ihn die dortige Bezirksversammlung am
9. Februar 1921 in diese Funktion. Dieses Amt gewährte ihm
auch genügend Entfaltungsmöglichkeiten, um sich intensiv
mit grundsätzlichen Fragen von Organisation und Struktur
der Berliner Verwaltung zu befassen. 1924, als Ritter überrraschend
starb, unternahm er einen zweiten Anlauf, im Roten Rathaus als
Bürgermeister einzuziehen. Diesmal sollte er aus dem Duell
mit dem Nürnberger Stadtrat Heimerich als Sieger hervorgehen.
Wieder sah er seine Hauptaufgabe darin, die Berliner Verwaltungsorganisation
den Erfordernissen der Zeit anzupassen und das Verhältnis
zwischen Zentral- und Bezirksverwaltung neu zu überdenken.
Dabei gestaltete sich seine Beziehung zu Oberbürgermeister
Gustav Böß als nicht frei von Spannungen. Böß
erblickte in den Ambitionen Scholtz' unliebsame Aktivitäten
und übertrug ihm das mit ebenso umfangreichen wie undankbaren
Aufgaben eingedeckte Sozial- und Fürsorgedezernat. Doch auch
auf diesem Gebiet entwickelte Scholtz Kompetenz und Sachkenntnis.
Unter seiner Führung kam es zu einer grundlegenden Neuordnung
der Berliner Wohlfahrtspflege und zu einer Vereinheitlichung des
gesamten städtischen Unterstützungssystems. Mit gleicher
Energie widmete er sich dem Obdachlosenwesen, an das durch Wohnungsnot,
Arbeitslosigkeit und Zuwanderung hohe Anforderungen gestellt wurden.
Als im September 1929 Oberbürgermeister Böß zu einer Amerika-Reise aufbrach, ahnte Scholtz wohl kaum, daß er plötzlich von einem Tag zum anderen kommissarisch die volle Last und Bürde der Funktion des obersten Mannes der Stadt würde tragen müssen. Die Enthüllung, daß die windigen Textilgroßhändler Gebrüder Sklarek aus Berlin durch betrügerische Machenschaften um ca. 10 Millionen Mark geschädigt hatten, wobei der ganze Coup erst durch die Bestechlichkeit städtischer Beamter möglich wurde, trafen die Stadt und den in Vertretung von Böß die Amtsgeschäfte führenden Bürgermeister Scholtz mit voller Wucht. Er stand jetzt stellvertretend für die gesamte Stadtverwaltung im Rampenlicht. Die Öffentlichkeit war empört. Nationalsozialisten, aber auch Kommunisten versuchten, Mißwirtschaft und Unfähigkeit als Wesensmerkmale der gesamten Verwaltung an den Pranger zu stellen und eine grundsätzliche Abrechnung mit dem Weimarer Staat zu führen. Scholtz war bemüht, Böß vor ungerechtfertigten Angriffen in Schutz zu nehmen. Dabei geriet er selbst in die Schußlinie der Kritik; der Magistrat bekundete ihm gegenüber aber sein volles Vertrauen.
Scholtz' oberste Aufgabe in dieser Situation mußte es sein, Schadensbegrenzung herbeizuführen; alle anderen Angelegenheiten rückten zwangsläufig erst einmal in den Hintergrund. Haupthindernis bei der Beruhigung der Lage war der katastrophale Zustand der Finanzen. Die Krise, in die die gesamte Weltwirtschaft geraten war, machte auch um Deutschland und um Berlin keinen Bogen. Massenarbeitslosigkeit griff um sich, immer breitere Teile der Gesellschaft gerieten in Armut und erwarteten verzweifelt Hilfe vom Staat. Nahezu 25 Prozent der Bevölkerung Berlins mußte aus öffentlichen Mitteln unterstützt werden. Aber die Kassen waren leer. Die Stadt stand vor dem Offenbarungseid. Ein Schuldenberg von 400 Millionen Reichsmark drückte 1929 die Kommune! Auch der Finanzfachmann Scholtz konnte keinen Ausweg aus diesem Dilemma finden. Immerhin gelang es ihm, in- und ausländische Banken zur Gewährung von Krediten in zweistelliger Millionenhöhe zu bewegen. Das brachte keine grundsätzliche Lösung und schon gar nicht die Inangriffnahme neuer, großer Projekte, aber es verschaffte der Stadt wenigstens eine Atempause. Natürlich waren die Kredite keine uneigennützigen Geschenke, sondern an harte Konditionen gebunden. Sogar der Verkauf einer der finanziellen Perlen der Stadt, der Elektrizitätsgesellschaft BEWAG, stand zur Debatte. Scholtz konnte dies zwar vorerst verhindern, seinem Nachfolger Sahm aber blieb es nicht erspart, diesen schmerzhaften Schritt doch noch tun.
Als ob das Renommee der Stadt durch den Sklarek-Skandal nicht schon genug beschädigt gewesen wäre, gesellte sich zu allem Übel noch eine weitere Affäre hinzu. Eigenartige Grundstücksankäufe der Berliner Verkehrs AG, besser bekannt unter dem Kürzel BVG, kamen an den Tag und ließen die Stadtverwaltung erneut im Zwielicht erscheinen. In der Tat hatte die BVG 1926 bis 1928 für 145 Millionen Reichsmark Grundstücke erworben, die für spätere Verkehrsprojekte wichtig waren. Da ein Bekanntwerden der Kaufabsichten den Preis gewaltig in die Höhe getrieben hätte, betrieben die Verantwortlichen der BVG eine Art verdeckte Operation an der Stadtverwaltung vorbei. Pikanterweise war die Stadt aber Eigentümerin der BVG, doch hatte sie im Laufe der Jahre nahezu jeden Einfluß auf die Geschäftsführung verloren, und so fiel man wieder einmal aus allen Wolken, als die Sache ruchbar wurde.
Waren in der Stadtverwaltung alle Aktivitäten darauf konzentriert, wenigstens punktuell Herr der überaus angespannten Lage zu werden, so hatte die preußische Staatsregierung zur selben Zeit Sorgen ganz anderer Art. Angebliche oder offenkundige Mängel in der Berliner Administration beschäftigten ihre Aufmerksamkeit, und man kam zu dem Schluß, daß es wieder einmal an der Zeit sei, die Stadt mit einem neuen Gesetz zur Reformierung der Verwaltung zu beglücken. Und so platzte sie mitten ins Geschehen hinein mit dem Entwurf eines "Selbstverwaltungsgesetzes für die Hauptstadt Berlin". In aller Heimlichkeit war daran gebastelt worden, und dementsprechend war der Zorn, den Magistrat und Stadtverordnetenversammlung diesem Werke angedeihen ließen. Neben der Neuregelung einiger bezirklicher Fragen war einer der entscheidenden Punkte die Neudefinierung der Rolle des Oberbürgermeisters. Der bislang nach dem Kollegialsystem strukturierte Magistrat sollte zwar weiterhin formell Gemeindevorstand bleiben, der Oberbürgermeister wurde aber in den Rang eines Führers der Verwaltung erhoben. Dieser Kompetenzzuwachs bedeutete im Klartext, daß ihm damit die Leitung und Beaufsichtigung sämtlicher Geschäftszweige der Verwaltung oblag. Ihm zur Seite sollten zwei Bürgermeister gestellt werden, deren Aufgaben vom Oberbürgermeister festgelegt wurden und die seinen Weisungen unterlagen.
Damit sah Scholtz seiner Tätigkeit die Geschäftsgrundlage entzogen; er fühlte sich in seiner Stellung als Bürgermeister beeinträchtigt und in seinen Rechten beschnitten. Seine Amtszeit wäre zwar erst 1936 zu Ende gewesen, er beschloß aber unter diesen Umständen, seine Demission einzureichen, jedoch verbunden mit der Bereitschaft, bis zur Neuwahl eines Nachfolgers von Böß die Geschäfte weiterzuführen. Falls er jemals mit dem Gedanken gespielt haben sollte, selbst als Kandidat für das Oberbürgermeisteramt ins Spiel gebracht zu werden, so sollten derartige Rechnungen nicht aufgehen. Als neuer erster Mann an der Spitze der Stadt trat der ehemalige Senatspräsident von Danzig (heute Gdansk), Dr. Heinrich Sahm, am 14. April 1931 sein Amt an.
Scholtz' kommunalpolitische Laufbahn war damit nach fast 30 Jahren
zu Ende. Nur noch wenige Jahre sollte er seinen Ruhestand genießen
können. Im Alter von 64 Jahren starb er am 14. Mai 1935 in
Berlin.
© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de