Carl Friedrich Leopold von Gerlach

* 25. 08. 1757 in Berlin
+ 08. 06. 1813 in Berlin
Bildnis Friedrich Leopold von Gerlach
Oberbürgermeister
vom 6. 7. 1809 bis 8. 6. 1813

Carl Friedrich Leopold von Gerlach war der erste Oberbürgermeister der Stadt Berlin seit der Einführung der neuen Städteordnung von 1808. Seine kommunalpolitische Tätigkeit fiel in eine Zeit, in der die napoleonische Fremdherrschaft wie auf den meisten deutschen Ländern auch und gerade auf Berlin lastete, und endete zu einer Zeit, als das Fanal der Befreiung von diesem Joch bereits hell wetterleuchtete.

Das Regime der französischen Fremdherrschaft in Berlin und seiner umliegenden Gebiete hatte für einen Großteil seiner Bevölkerung einschneidend verschlechterte Lebensbedingungen zur Folge, materielle Not griff immer stärker um sich und zeitigte vielfältige Auswirkungen. Somit wurden die Linderung der materiellen Not der Berliner und die Sanierung des städtischen Finanzwesens zu einer Aufgabe von überragender Bedeutung für die städtische Verwaltung. Sie war aufgrund ihrer immensen Dimension nicht kurzfristig lösbar. Ein Abtragen dieses Problemberges war nur über die Amtszeit des ersten Berliner Oberbürgermeisters hinaus vorstellbar. Leopold von Gerlach ging zur Lösung dieser damaligen Grundaufgabe kommunalpolitischer Tätigkeit erste und wesentliche Schritte.

Vor allem die Erfahrungen, die von Gerlach aus seiner Tätigkeit als Präsident der Kurmärkischen Kammer mitbrachte, ließen ihn als einen geeigneten Kandidaten für die Lösung dieser schwierigen Aufgabe erscheinen. Leopold von Gerlach wurde als Sohn des Friedrich Wilhelm von Gerlach, eines Kriegs- und Domänenrates bei der Kurmärkischen Kammer, und der Christine Sophie Coeper geboren. Die Gerlachs galten an der Wende zum 19. Jahrhundert als eine bekannte adlige Familie Berlins. Frühzeitig wurde dem jungen Leopold das Gefühl für Treue zu Krone und Staat, für pflichtbewußte Arbeit und eine fromme, pietistisch orientierte Lebenseinstellung vermittelt. Er besuchte ab Ostern 1766 die Domschule zu Halberstadt. 1772 schrieb er sich an der Universität Göttingen als Student der Rechte ein. Von Gerlach studierte dort bis 1774 sowie ein weiteres Jahr in Halle und kehrte danach nach Berlin zurück. Hier arbeitete er ab 1775 als Referendar am Berliner Kammergericht, legte 1779 die große Justizprüfung ab und wechselte im selben Jahr als Assessor zur Kurmärkischen Kriegs- und Domänenkammer. 1790 erhielt er seine Beförderung zum Rat; dies war mit dem Eintritt in das engere Kollegium der Kammer verknüpft. 1795 wurde von Gerlach dann zum Präsidenten, mit der Titulierung Geheimer Oberfinanz-, Kriegs- und Domänenrat, der Kurmärkischen Kammer ernannt. Diese Einrichtung galt als die wichtigste regionale preußische Verwaltungsbehörde. Somit konnte sich von Gerlach einen riesigen Erfahrungsschatz auf den Gebieten des Rechts, der Verwaltung und des Finanzwesens aneignen.

In der Zeit der französischen Besatzung war die Residenz dem Comité administratif unterworfen; nach dem Frieden von Tilsit zwischen Frankreich und Preußen war von Gerlach als Zivilkommissar für die Kurmark tätig. Ihm fiel dabei die diffizile Aufgabe zu, sich einerseits mit der Besatzungsmacht arrangieren und andererseits seine Verwaltungsbehörde erhalten zu müssen. Diese Aufgabe nutzte er auch dazu, die drückenden Lasten der Besatzung auf die Bevölkerung Berlins und der Provinz abzuschwächen. Der Zusammenbruch des preußischen Staates und die Überlebtheit seiner Strukturen, die vor allem 1806 in der verlorenen Schlacht von Jena und Auerstedt gegen die napoleonische Armee sichtbar wurden, verlangten nach Reformen in Staat und Verwaltung. Reformerische Kräfte in Preußen und namentlich in Berlin erstarkten und initiierten entsprechende Schritte. Da von Gerlach nicht zuletzt aufgrund seiner adligen Herkunft die geplante Neuordnung der Verwaltungsbehörden im Sinne des Freiherrn vom und zum Stein nicht mittrug und den Kreisen um Stein als unkalkulierbarer Faktor galt, wurde er bei der Ernennung der Oberpräsidenten, die an die Stelle der bisherigen Kammerpräsidenten traten, übergangen. Deshalb reichte er 1809 beim König seinen Rücktritt ein, dem dieser nur sehr widerstrebend stattgab. Zur Verabschiedung aus dem Amte erhielt von Gerlach den Roten Adlerorden I. Klasse.

Er gedachte sich jedoch keineswegs zur Ruhe zu setzen, vielmehr wandte er sich nunmehr enger den Geschicken der Stadt Berlin zu. Die Wahl von Gerlachs 1809 zum ersten Oberbürgermeister ist ein Beweis des Vertrauens der Berliner in diese Persönlichkeit, sowohl der Berliner Oberschichten als auch derjenigen, die in besonderer Weise unter der materiellen Not jener Zeit litten; sein Wirken während der französischen Besetzung im Interesse der Bevölkerung Berlins und der Kurmark war noch in lebendiger Erinnerung. Am 25. Mai 1809 wurde Leopold von Gerlach in der Nikolaikirche zum Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung gewählt. Doch nur wenige Tage später, am 1. Mai 1809, votierten die Bürgervertreter Berlins für Leopold von Gerlach als Oberbürgermeister. Nach anfänglichem Zögern willigte er in einem Immediatschreiben (Gesuch an den Landesherrn) an König Friedrich Wilhelm III. ein, den Posten als Oberbürgermeister Berlins wahrzunehmen. Die Amtseinführung fand am 6. Juli 1809 statt.

Angesichts der darniederliegenden Wirtschaft, der materiellen und finanziellen Belastungen, die sich aus der napoleonischen Besatzungspolitik ergaben, und dem sich daran anschließenden Schuldenberg für die Bevölkerung Berlins wird es als die wesentlichste Leistung der von Leopold von Gerlach geleiteten Kommunalverwaltung zu gelten haben, daß er es vermochte, dem fortschreitenden finanziellen Ruin Einhalt geboten zu haben. Zunächst gelang es von Gerlach, für die am 1. Oktober 1809 fälligen Zinsbelastungen eine Stundung zu erwirken. Den Durchbruch auf finanziellem Wege bedeutete die Genehmigung, daß ab 1811 die Verbrauchssteuer zugunsten städtischer Belange heraufgesetzt werden durfte. Zudem gelang es von Gerlach, Zuschüsse aus der Staatskasse zu erhalten. Trotz seiner großen Reserviertheit gegenüber einer liberalen Gewerbepolitik, wie sie durch vom Stein und Hardenberg vertreten wurden, die die Berliner Wirtschaft hätte befördern können, vermochte es von Gerlach kraft seiner Hartnäckigkeit dennoch, den weiteren finanziellen Niedergang der Berliner Finanzwirtschaft zu stoppen.

Eine sehr bedeutsame Entwicklung, die in die Zeit des von Leopold von Gerlach geleiteten Magistrats fiel, war die Gründung der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität am 15. Oktober 1810. Der durch Reformen eingeleitete Beginn bürgerlicher Umwälzung schuf dazu das entsprechende Klima. Das Wirken dieses Magistrats trug mit seinen Mitteln zumindest indirekt dazu bei, daß sich das geistige Leben der Stadt normalisieren konnte, ja sogar in gewisser Weise Auftrieb erhielt.

Die Quellensituation gestattet leider keine ins Detail gehende Zuordnung der persönlichen Beteiligung des ersten Berliner Oberbürgermeisters an kommmunalpolitischen Entscheidungen und an der Lösung vieler weiterer komplizierter Probleme jener Zeit, die den Berlinern und Bewohnern der Provinz das Leben erschwerten. Dennoch kann man die grundlegende kommunalpolitische Leistung Leopold von Gerlachs darin sehen, daß der von ihm geleitete Magistrat es vermocht hatte, die ärgsten Auswüchse der materiellen Not der Berliner zu lindern und die finanzielle Talfahrt aufzuhalten und damit unter anderem auch seinen Nachfolgern die Möglichkeit gab, von einer stabilisierten Basis heraus die Probleme des städtischen Gemeinwesens anzupacken und sukzessive einer - sofern gewollten -Lösung zuzuführen, wenngleich die Probleme so gewaltig waren, daß sie von vornherein nicht allein während der Amtszeit von Gerlachs abgebaut werden konnten. Das Gesamtwirken Leopold von Gerlachs als erster Berliner Oberbürgermeister seit Einführung der Städteordnung muß man dahingehend würdigen, daß er mit der ihm eigenen, konservativ geprägten prinzipienfesten preußischen Tugendhaftigkeit dem Wohle der Stadt zu dienen bestrebt war, ohne sich jedoch die von Stein und Hardenberg initiierten reformerischen Bestrebungen und Schritte im Staats- und Verwaltungswesen im Interesse einer allmählich einsetzenden bürgerlichen Entwicklung zu eigen zu machen. Trotz seiner ablehnenden Haltung zu den Stein-Hardenbergschen Reformgedanken war er zur Genüge Realist, auf die drängendsten Erfordernisse seiner Zeit einzugehen und ihnen solcherart Rechnung zu tragen, daß die kommunalpolitischen Entscheidungen seines Magistrats an wichtigen Lebensfragen der Berliner orientiert waren und Voraussetzungen für ein sinnvolles Weiterwirken seiner Amtsnachfolger legten bzw. daß die überkommenen staatlichen und städtischen Strukturen auch unter neuen historischen Bedingungen weitestgehend funktionstüchtig blieben.

Aus dem persönlichen Leben des ersten Berliner Oberbürgermeisters ist bekannt, daß er 1786 Agnes von Raumer heiratete, die einer Beamten- und Gelehrtenfamilie aus dem Anhaltinischen entstammte. Die Gerlachs hatten fünf Kinder: Sophie (geb. 1787), Wilhelm (geb. 1789), Leopold (geb. 1790), Ernst Ludwig (geb. 1795) und Otto (geb. 1801). Die Kinder eiferten dem von ihrem Vater vorgelebten konservativ-pietistischen Preußentum nach: so wurden beispielsweise Leopold Generaladjutant von Friedrich Wilhelm IV. und Ernst Ludwig Oberlandesgerichtspräsident.

Das aufopferungsvolle Wirken des Leopold von Gerlach als Präsident der Kurmärkischen Kammer und als Oberbürgermeister Berlins forderte seinen Preis. Die letzten Jahre sahen einen schwerkranken Mann, der seine Ämter kaum noch persönlich ausüben konnte, sich von Johann Büsching, seinem späteren Nachfolger, vertreten lassen mußte und es sich dennoch nicht nehmen ließ, mit seinen letzten verbliebenen Kräften an bedeutungsvollen Ereignissen unmittelbar teilzunehmen, so zum Beispiel 1813 an der Ehrung der russischen Truppen, die in Berlin einmarschierten und damit die erneute französische Besatzung beendeten. Am 8. Juni 1813 verstarb Leopold von Gerlach im Alter von nur 56 Jahren. Sein Ehrengrab befindet sich auf dem Kirchhof der Domkirchengemeinde, Müllerstraße 72-73.

 

© Edition Luisenstadt, 1998
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