Franz Naunyn

* 29. 09. 1799 in Drengfurt
+ 30. 04. 1860 in Berlin

Bildnis Franz Naunyn

Amtierender Oberbürgermeister
vom 20. 03. 1848 bis 23. 01. 1851

Mit Franz Naunyn gelangt im Frühjahr 1848 ein Mann an die Spitze des Magistrats, der die Übernahme dieser Funktion nicht der offiziell zu Ende gehenden Dienstzeit des im Amte befindlichen, gewählten Oberbürgermeisters, sondern gewissermaßen "unplanmäßig" einer spezifischen Situation in einer besonderen geschichtlichen Zeit zu verdanken hat. Nur zweieinhalb Jahre und auch nur kommissarisch sollte Naunyn dieses Amt innehaben. Dann wird er selbst ein Opfer neuer zeitlicher Umstände. Im Gedächtnis der Nachwelt in Erinnerung geblieben ist vor allem seine politische Wandlungsfähigkeit. Naunyn - ein Wendehals oder ein kluger Pragmatiker? Auf jeden Fall ein ehrgeiziger, sachkundiger Kommunalpolitiker, ausgestattet mit feinem Gespür für Stimmungen im Volke, ebenso aber auch mit der Fähigkeit, schnell neue politische Situationen zu erkennen und sich darauf einzustellen.

Franz Naunyn wurde am 29. September 1799 im ehemaligen ostpreußischen Drengfurt geboren. Zu Beginn seines Lebensweges sah es nicht danach aus, als ob ihm später einmal höhere Amtsweihen beschieden sein würden. Die Familie war mit Vermögen nicht gesegnet, und schon nach wenigen Jahren mußte der junge Franz das Gymnasium verlassen, da die Kosten für die Schulbildung nicht weiter aufgebracht werden konnten. Doch Verwandte sprangen ein, förderten ihn. Mit Hilfe eines Stipendiums konnte er die Oberschuljahre nachholen und 1821 eine hervorragende Reifeprüfung ablegen. Nach einem juristischen Studium an der Universität zu Königsberg (heute Kaliningrad) nahm er eine Tätigkeit als Syndikus bei der Generalkommission zur Regulierung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse in Ostpreußen auf. Er legte die große juristische Staatsprüfung ab und diente danach bei der Regierung in Gumbinnen (heute Gussew). 1844 wurde die Stelle eines Bürgermeisters in Berlin frei. Den dortigen Stadtvätern war noch gut in Erinnerung, daß Naunyn während eines Examensaufenthaltes in Berlin die Frage der Regulierung des Terrains des Köpenicker Feldes zur allseitigen Zufriedenheit gelöst hatte, und so trug man ihm ein entsprechendes Angebot vor. Naunyn, inzwischen den gutdotierten Posten eines Justitiars bei der Niederschlesisch-Märkischen Eisenbahn und eines Direktors der Anhaltinischen Eisenbahn innnehabend, ging darauf ein und nahm die Stelle an. Bald war es ein offenes Geheimnis, daß er Ambitionen nicht abhold war, selbst den Stuhl des derzeitigen Oberbürgermeisters Krausnick zu besetzen. Der Gang der Ereignisse während der Berliner Märzrevolution von 1848 sollte ihm bald dazu Gelegenheit bieten.
Das Verhältnis zu Krausnick war nie ganz frei von Konflikten, am 18. März 1848 kam es jedoch zu einem ersten ernsten Zusammenstoß. Während Krausnick sich auch in den kritischen Märztagen als loyaler Diener des Königs verstand, machte Naunyn keinen Hehl daraus, daß er auf der Seite der Volksbewegung stand und deren Forderungen unterstützte. Einen Tag später fand er sich gar im Schloß ein, um - ohne von Amts wegen offiziell dazu beauftragt worden zu sein - an den Beratungen über eine Wiederherstellung des Friedens zwischen den Konfliktparteien teilzunehmen. Er trat dort als Sprecher der aufständischen Bürger in Erscheinung und wurde in dieser Eigenschaft sogar zum König vorgelassen. Diesem präsentierte er dann auch die Forderung, das Militär aus den Straßen abzuziehen. Der König sagte zu, auf diese Forderung einzugehen und erließ tatsächlich kurze Zeit darauf eine entsprechende Weisung. Am 20. März war dann endgültig für Naunyn Gelegenheit, die Gunst der Stunde zu nutzen. Massivem politischem Druck ausgesetzt, hatte sich Krausnick an jenem Tage gezwungen gesehen, seinen Hut nehmen. Naunyn ergriff die Gelegenheit beim Schopfe, sich als neuer erster Mann der Stadt zu präsentieren. Krausnick widerrief zwar einen Tag später seinen Rücktritt, übergab dann aber doch am 31. März "aus Gesundheitsrücksichten" die Geschäfte an Naunyn, dem damit fortan die Ehre zuteil wurde, dem Magistratskollegium zu präsidieren.

Der Trubel der Märzereignisse hatte sich gelegt, doch um so deutlicher trat eine Fülle von politischen, wirtschaftlichen und sozialen Fragen zutage, die nach Lösung riefen. Sachkenntnis, schnelle Entscheidungsfähigkeit und tatkräftiges Handeln waren gefragt, und Naunyn bekam wiederholt Gelegenheit, unter Beweis zu stellen, daß es ihm daran nicht mangelte. Die wichtigste Frage war die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit nach dem Abzug des Militärs. Demonstrationen und Unruhen griffen um sich, auf den Straßen fanden sich zahlreiche beschäftigungslose Arbeiter. Sie waren ein ständiges Potential für Auseinandersetzungen und Störungen der allgemeinen Ordnung. So unternahm der Magistrat große Anstrengungen, ihnen Arbeitsgelegenheiten zu verschaffen. Besonders bei der Anlage von Straßen und Uferböschungen wurden sie eingesetzt, aber auch beim Bau von Schiffahrtswegen, des Luisenstädtischen und des Landwehrkanals beispielsweise, waren sie beteiligt. Doch so sehr man sich auch um die Einhaltung der Gesetzlichkeit bemühte, immer wieder kam es zu Übergriffen. So gingen Randalierer am 9. Juni gegen Mitglieder der Nationalversammlung vor, und am 14. Juni wurde das Zeughaus gestürmt. Naunyn und sein Magistrat waren in der Zwickmühle. Auf der einen Seite gab es den festen Willen, am Prinzip der Selbstverwaltung festzuhalten, andererseits galt es der Tatsache Rechnung zu tragen, daß die Bürger sehnlichst wünschten, daß wieder Ruhe und Ordnung im Lande einkehren würden.

Mittlerweile machte sich auch eine deutliche Verschiebung des politischen Kräfteverhältnisses bemerkbar. Restaurative Kräfte sahen die Zeit für gekommen, wieder offen auf der politischen Bühne in Erscheinung zu treten. Ein Konflikt zwischen Naunyn und dem Königshaus schien unvermeidlich zu sein. Vordergründiger Auslöser war die Anordnung von König Friedrich Wilhelm IV. vom 8. November 1848, die Nationalversammlung von Berlin nach Brandenburg zu verlegen. Der Magistrat sah in dieser Maßnahme einen Affront gegen die Residenzstadt Berlin und bat, deren Tagungen weiter in Berlin zu belassen. Als eine Abordnung unter Naunyns Leitung nach Potsdam reiste, um Seiner Majestät einen dementsprechenden Wunsch vorzutragen, mußte sie unverrichteterdinge wieder zurückkehren. Der Köng hatte sich geweigert, der Delegation eine Audienz zu gewähren. Eine weitere Eskalation zeichnete sich ab, als am 10. November Truppen des Generals von Wrangel in Berlin einzogen und tags darauf das Schauspielhaus für Sitzungen der Nationalversammlung sperrten und per Kabinettsorder am selben Tage - dem 11. November - die Bürgerwehr aufgelöst wurde. Gegen beide Maßnahmen hatte sich der Magistrat heftig, aber erfolglos gewehrt. Ein Versuch der städtischen Behörden vom 12. November, die Rücknahme des Befehls zur Auflösung der Bürgerwehr zu erreichen, scheiterte. Wieder wurde die Delegation der Stadt vom König nicht empfangen. Gleichentags fühlte sich die Staatsmacht auch stark genug, den Belagerungszustand über Berlin zu verhängen. Die Nationalversammlung verurteilte in einer Resolution die Maßnahme als nicht rechtsgültig. Den Linken ging dies jedoch nicht weit genug. Sie forderten energische Maßnahmen und riefen zu einer Steuerverweigerung auf. Trotz zahlreicher Appelle besonnener Kreise, dieses Ansinnen noch einmal zu überdenken - auch der Magistrat hatte sich dementsprechend geäußert -, fand sich am 15. November in der Nationalversammlung eine Mehrheit für einen solchen Schritt. Damit war der Stimmungsumschwung vollzogen. Der Magistrat befürchtete nun, daß bei Ausführung des Aufrufs chaotische Zustände im ganzen Lande einziehen würden. Er verurteilte in scharfen Worten diesen Appell als Aufforderung zum Aufruhr und stellte sich hinter die Maßnahmen der Regierung, das Land vor dem Abgrund zu retten. In einer Erklärung vom 21. November 1848 an die Bürger Berlins machte er die Nationalversammlung für die entstandene Lage verantwortlich. Sie sei schuld an den Zuständen, weil sie es nicht fertiggebracht habe, ihre Pflicht zu erfüllen, nämlich eine Verfassung auszuarbeiten, was eines der Hauptziele der Märzrevolution gewesen war. Damit hatten Naunyn und sein Magistrat einen wichtigen Schritt getan, sich auf die neuen Gegebenheiten einzustellen und von den Zielen der Revolution abzuschwenken.

Allmählich beruhigte sich auch die Lage in der Stadt wieder. Am 28. Juli 1849 wurde der Belagerungszustand aufgehoben. Unterdessen konnten die konservativen Kräfte ihre Positionen weiter ausbauen und die demokratischen Errungenschaften der Märzrevolution Schritt für Schritt aushöhlen. Ein neues Wahlgesetz teilte die Wähler entsprechend der Höhe der von ihnen entrichteten direkten Steuern in drei Klassen ein, womit dafür gesorgt war, daß in der Stadtverordnetenversammlung die Konservativen das Feld beherrschten. In einer geheimen Sitzung faßte sie dann auch am 9. August 1849 den Beschluß, die Distanz zur Krone aufzugeben und eine Wiederherstellung des guten Verhältnisses, wie es früher einmal bestanden hatte, zu erstreben. Der König vernahm dies mit Genugtuung; eine Delegation der Stadt unter Leitung von Naunyn reiste nach Potsdam, um ihm zu huldigen, und wurde auch prompt in Audienz empfangen.

Die politischen Schwenks, sein Opportunismus sollten Naunyn jedoch bald zum Verhängnis werden. Im November 1850 standen Wahlen für das Amt des Oberbürgermeisters an, doch Naunyn landete weit abgeschlagen mit ganzen sieben Stimmen nahezu am Ende des Kandidatenkarussells. Man entschied sich statt dessen, den altgedienten Heinrich Wilhelm Krausnick wieder in das Amt zurückzuholen, das er in den Wirren der Märzrevolution unter so unrühmlichen Umständen aufgeben mußte. Schließlich wußte man bei ihm, daß an der Gradlinigkeit seiner Königstreue nie ein Zweifel angebracht war.

Naunyn war es dennoch vergönnt, seine Kraft weiter in den Dienst der Stadt zu stellen, schließlich war seine fachliche Kompetenz stets unumstritten. Für zwei Amtsperioden wurde er als Bürgermeister bestätigt und war unter anderem als Vorsitzender der Ökonomiedeputation und der Armendirektion tätig.

Am 30. April 1860 erlag er nach längerem Leiden den Folgen eines Schlaganfalls. Eine Straße im Berliner Stadtbezirk Kreuzberg trägt seit 1863 seinen Namen.

 

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