An der Spitze der kurfürstlichen Residenzstadt Berlin von 1486 bis 1709

Berlin erlebte zwischen 1486 und 1709 einen mehrmaligen Wechsel von wirtschaftlichem und kulturellem Niedergang und Wiederaufstieg. Die Zahl der Berliner Einwohner sank allein während des Dreißigjährigen Krieges (1618 - 1648) um etwa ein Drittel auf ca. 6.000. Dennoch blieb die Lebenskraft der Stadt ungebrochen. Nicht zuletzt deswegen avancierte sie von einer kurfürstlichen Residenzstadt zur königlich-preußischen Haupt- und Residenzstadt.

Siegel der Stadt BerlinIm 16. Jahrhundert hatten die alten Ratsgeschlechter noch einmal entscheidenden Einfluß auf das Stadtgeschehen. Sie beherrschten den Rat und mit ihm die Bürgerschaft. Als äußeres Zeichen ihrer Macht wurde die jährliche Ratsversetzung - die Amtsübernahme des neuen Rates - als Fest begangen, bei dem die Ratsherren in einer feierlichen Prozession unter Gesang und dem Läuten der Glocken von der Nikolaikirche zum Rathaus geleitet wurden.

Dennoch kam es wiederholt zu sozialen Auseinandersetzungen zwischen Bürgerschaft und Rat. Im Jahre 1515 zum Beispiel erhob sich die Bürgerschaft gegen den Rat, weil dieser den Berlinern eine höhere Steuer (Schoß) auferlegt hatte. Diesmal griff der Kurfürst allerdings zugunsten des Rates ein. Im darauffolgenden Jahrhundert richteten sich die sozialen und politischen Proteste der Berliner Bürger dann - wie im Kalvinistentumult 1615 - vor allem gegen die landesherrliche Bedrückung.

Der Berliner Rat bestand zunächst traditionell aus zwölf Ratsherren mit zwei Bürgermeistern. Zwischen 1535 und 1571 bildete sich dann zunehmend eine Personalunion von Bürgermeistern, Ratsherren und hohen kurfürstlichen Beamten heraus.

Im Aufgabenbereich des Rates lag die Verwaltung der zur Stadt gehörenden Dörfer, Meiereien und Vorwerke, der städtischen Gebäude und Hospitäler, der Kalk- und Ziegelscheunen sowie der Fischerei auf der Spree. Dafür waren zwei Ratsherren - die Stadtkämmerer - zuständig. Des weiteren oblag dem Rat - bis etwa Mitte des 17. Jahrhunderts - die Besteuerung der Bürger, die Markt- und Gassenordnung, die Bau- und Feuerpolizei. Für die Aufsicht über die Gewerke setzte der Rat sogenannte Assessoren (Beisitzer) ein. Der Syndikus - hervorgegangen aus dem früheren Amt des Stadtschreibers - vertrat die Stadt bei den Landständen (Landtagsvertretung), vor dem Kurfürsten und bei Prozessen vor auswärtigen Gerichten. Er bekleidete so die zweithöchste Ratsfunktion. Seit 1544 besaß der Rat auch wieder die hohe und niedere Gerichtsbarkeit; erstere bereits seit 1508, als sie für 90 Gulden Jahresrente vom Kurfürsten zurückgekauft wurde.

Seit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert setzte der Kurfürst in wachsendem Maße studierte Beamte in das Bürgermeisteramt ein. Der Rat wurde dadurch mehr und mehr zu einer kurfürstlichen Behörde. Die Geschlechterherrschaft der Patrizier endete somit endgültig. An ihre Stelle trat das sogenannte Honoratiorentum - ein mit den führenden Kaufleutenversipptes Beamtentum.

Unter Kurfürst Friedrich Wilhelm (1640 - 1688) wurden die Befugnisse der städtischen Selbstverwaltung begrenzt. Der Rat verlor das Recht der Steuererhebung und mußte die Schlüssel der Stadttore an den Militärkommandanten übergeben. 1649 kam es zur Umstrukturierung und personellen Reduzierung des Rates. Berlin verfügte danach nur noch über acht Ratsherren - zwei Bürgermeister, zwei Kämmerer und vier Ratsherren -, die der Zustimmung des Kurfürsten bedurften.

Mit der Verwandlung Berlins in eine Garnisons- und Festungsstadt in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts übertrug der Kurfürst dem Gouverneur als Befehlshaber der Garnison städtische Polizeibefugnisse und schränkte so den Kompetenzbereich des Rates weiter ein.

Während der Kriegswirren des 17. Jahrhunderts war es nicht zuletzt dem politischen Geschick des Berliner Rates zu danken, daß die Stadt - wenngleich zeitweilig besetzt - weder erstürmt noch niedergebrannt wurde. Der Rat hatte auf Neutralität und Verhandlungen gesetzt. Allerdings mußten beträchtliche Kontributionen und Kriegsabgaben erbracht werden, die den Berliner Bürgern auferlegt wurden. Das nahmen diese zwar nicht ohne Widerstand hin, führte sie aber letztlich mehrheitlich in die Situation, nicht mehr die Steuern für ihre Häuser aufbringen zu können. So waren 1642 von 845 Häusern etwa 300 unbewohnt, für die der Stadt Steuergelder verlorengingen. Der Rat ersuchte deshalb erstmalig 1643 den Kurfürsten um die Genehmigung, eine allgemeine Verbrauchssteuer (Akzise) erheben zu dürfen, da er nur darin noch eine Möglichkeit sah, den landesherrlichen Geldforderungen nachzukommen. Gleiche Gesuche folgten 1658 und 1662.

Unter derartigen Bedingungen wundert es nicht, daß beispielsweise das städtische Schulwesen völlig unterentwickelt war. Zwar bemühte sich der Rat um die Verbesserung der deutschen Schreib- und Rechenschulen, die den Pfarrkirchen angeschlossen waren und in denen die Söhne der Kaufleute und der wohlhabenden Handwerker eine Ausbildung für die Weiterführung der väterlichen Geschäfte erhielten; aber von einer allgemeinen Schulbildung war nicht die Rede. Erst im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts entstand ein gewisses Schulsystem, zu dem Gymnasien, Kirchspielschulen für die Handwerkersöhne und Armenschulen gehörten.

Mit den großen Einwanderungen seit 1685 auch nach Berlin und durch die damit verbundene rege Bau- und Gewerbetätigkeit wurde die Stadt allmählich wieder belebt und schließlich zu einer ansehnlichen Hauptstadt des Preußenstaates geformt.

 

© Edition Luisenstadt, 1998
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