An der Spitze des mittelalterlichen Berlins von 1244 bis 1486

Berlin war seit seiner ersten urkundlichen Erwähnung 1244 bis zur vollendeten Umgestaltung als Fürstenresidenz und Verwaltungszentrum des brandenburgischen Territorialstaates 1486 eine mittlere, aber nicht unbedeutende Handels- und Gewerbestadt mit etwa 6.000 Einwohnern (um 1400).

Siegel der Stadt BerlinBerlin verfügte seit der Stadtgründung über den Status einer Bürgergemeinde, die Selbstverwaltung und eine Ratsverfassung, jedoch nicht sofort über die volle städtische Autonomie. Neben dem vom Markgrafen eingesetzten Schulzen stand zwar ein Rat an der Spitze der Stadt, doch oblag es dem Schulzen, die Ratsherren zu bestätigen und einzusetzen. Nach dem Berliner Stadtrecht von 1253 waren Rat und Bürgermeister jeweils ein Jahr im Amt, und zwar im alternierenden Rhythmus. Der gerade im Amt stehende Rat wählte den nachfolgenden. Seine Wiederwahl im darauffolgenden Jahr war üblich, so daß eine einmal erfolgte und bestätigte Wahl im allgemeinen eine lebenslange Ratsherrentätigkeit bedeutete, zumal auch die nicht amtierenden Ratsherren an wichtigen Beschlüssen des Rates teilnahmen. Daher sind für Berlin vor allem in seinen ersten Jahrhunderten Ratsherren- und Bürgermeistergeschlechter typisch.

Der Berliner Rat bestand aus zwölf Ratsherren, wovon zwei Bürgermeister waren, die bis in das 14. Jahrhundert hinein "Altermänner" genannt wurden. Erst 1331 taucht urkundlich die Bezeichnung "Bürgermeister" auf. Der Rat lag in den Händen von Fernhändlern, Finanzleuten, Lehnbürgern und kaufmännischen Unternehmern, die bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts die volle Autonomie der Stadt herstellen konnten und sich als Patriziat formierten. Die neben dem Patriziat bestehende Bürgergemeinde gliederte sich in Gewerke, unter denen die Viergewerke - Schlächter, Tuchmacher, Schuhmacher und Bäcker - dominierten, und gemeine Bürger, das heißt Bürger ohne eine Zunftzugehörigkeit.

Der Rat hatte volle Gewalt und Aufsicht über die Innungen oder Gewerke (Zünfte). Ohne seine Erlaubnis durften nach dem Stadtrecht keine Zünfte gebildet werden. Ihm oblag vor allem auch die Aufgabe, neue Bürger aufzunehmen. Nach feierlicher Eidesleistung vor dem Bürgermeister verlieh dieser die Bürgerschaft. Der Erwerb der Bürgerschaft war an die Zahlung eines Bürgergeldes und wahrscheinlich auch an das Eigentum eines Wohnhauses in der Stadt gebunden.

Der Berliner Rat erlangte bis 1298 den landesherrlichen Grundstücks-, Hufen- und Marktzins, wodurch das feudale Grundeigentum durch Privateigentum am städtischen Grund und Boden ersetzt wurde. Er zog Abgaben in Form der städtischen Grund- und Marktsteuer ein. Berlin muß - zumindest zeitweilig - über beträchtliche Einnahmen verfügt haben, denn der Rat konnte 1391 Lichtenberg und Rosenfelde (das spätere Friedrichsfelde), 1397 Reinickendorf, 1435 Marienfelde und Tempelhof sowie zusammen mit Cölln 1370 Pankow und 1435 Mariendorf und Rixdorf (das spätere Neukölln) kaufen. Berlin besaß außerdem vor der Stadt Gartenland, Ackerhufe, nicht in Ackerhufe gegliederte landwirtschaftliche Nutzflächen (Kaveln), Viehweiden und Waldungen.

In den letzten Jahren des 14. Jahrhunderts erlangte der Berliner Rat die Befreiung vom Vogteigericht (dem zuständigen Gericht des obersten Landesherren für alle Strafsachen mit Lebens- und Leibesstrafen, für Klagen um Grundeigentum und die Freiheit einer Person) und erreichte so, daß dem Stadtgericht nicht mehr nur die niedere Gerichtsbarkeit oblag, sondern daß es für alle Streit- und Straffälle zuständig und zum alleinigen Gerichtsstand der Berliner Bürger wurde. 1391 erwarb er gegen Zahlung von 356 Schock Böhmischer Groschen die höhere Gerichtsbarkeit für Berlin und Cölln und damit eine bedeutende finanzielle Einnahmequelle, da die Möglichkeit bestand, sich zum Teil von der Vollstreckung eines Gerichtsurteils loszukaufen.

1307 bildeten Berlin und Cölln eine Städteunion für gemeinsam betreffende politische und militärische Fragen. Von da an war ein aus beiden Stadträten gebildeter Gesamtrat für die Beziehungen zum Landesherrn und zu den anderen Städten, für den Erwerb und die Verteidigung der städtischen Rechte und Freiheiten, für Bündnisse und militärische Fragen zuständig. Er hatte seinen Sitz in dem zu diesem Zweck gebauten Rathaus an der Langen Brücke - der heutigen Rathausbrücke. Beide Städte blieben jedoch hinsichtlich der inneren Stadtangelegenheiten selbständig. Sie verfügten über eigene Rathäuser. Das Berliner Rathaus stand an der Stelle, an der im 19. Jahrhundert das heutige Rote Rathaus errichtet wurde. 1432 vollzogen Berlin und Cölln jedoch ihre völlige politische Vereinigung; davon ausgenommen blieben nur die Zünfte.

Zur Absicherung gegen fortwährende Übergriffe und kriegerische Einfälle sowie zur Sicherung der städtischen Autonomie schloß der Rat mit anderen Städten wiederholt Bündnisse und Verträge, so 1308/09 den ersten märkischen Städtebund gegen Gewalt und Unrecht, 1323 den Städtebund zur Erhaltung des Landfriedens und 1393 den Vertrag zur gemeinsamen Abwehr von Überfällen. Ab 1430 gehörte Berlin dem Kampfbündnis der Hansestädte gegen die Fürstengewalt an.

Im Jahre 1441 brachen in Berlin die bis dahin schwersten Auseinandersetzungen zwischen dem patrizischen Rat einerseits und den Viergewerken und der Stadtgemeinde andererseits aus. Letztere forderten Mitbestimmungsrechte im Rat. Der Landesherr stellte sich aus Eigeninteresse auf die Seite der bürgerlichen Opposition. Im Februar 1442 wurde die patrizische Stadtherrschaft gestürzt. Ein kurfürstlicher Entscheid legte fest, daß die Viergewerke und gemeinen Bürger im Rat Sitz und Stimme erhielten, die Union Berlins und Cöllns von 1432 sowie alle Bündnisse Berlins aufgelöst wurden, Berlin keine neuen Bündnisse schließen durfte, dem Kurfürsten das Recht zustand, die Ratswahl zu bestätigen und jederzeit die Stadtschlüssel ausgehändigt zu erhalten. Letzteres führte im Sommer 1442 zur Empörung gegen den Kurfürsten. Der entzog der Stadt daraufhin das Amt des Stadtrichters, die Gerichtsgefälle (Abgabe an die Rechtsbehörde) sowie das Recht der Niederlage (oder auch Stapelrecht genannt, das heißt, das Recht einer Stadt, jeden Kaufmann, der Waren mit sich führte, zu zwingen, diese in der Stadt eine Zeitlang zum Kauf anzubieten). Die Berliner lehnten sich aber gegen die drastischen Maßnahmen auf, stellten ihre innerstädtischen Auseinandersetzungen zurück und erhoben sich schließlich 1447/48 bewaffnet gegen den Kurfürsten (Berliner Unwille). Die Auseinandersetzungen endeten im Mai 1448 mit einem Vergleich. Der Kurfürst mußte davon absehen, der Stadt eine weitere Beschränkung der Städtefreiheit aufzuerlegen und darauf verzichten, die völlige Aufhebung des Städtebündnisses Berlin-Cölln durchzusetzen. Berlin mußte dagegen das Recht des Kurfürsten auf Bestätigung der Ratswahl und der Bestellung des Stadtrichters anerkennen, den Verlust der Gerichtsgefälle und von Einnahmen aus dem Niederlagsrecht hinnehmen und sich mit eingeschränkter Autonomie in die kurfürstlich-brandenburgische Landesherrschaft einordnen. Die Alleinherrschaft des Patriziats war gebrochen.

 

© Edition Luisenstadt, 1998
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