Marsilius

Stadtschulze 1247, 1253

Ein Schulze bzw. Schultheiß Marsilius, der - vom Markgrafen eingesetzt - an der Spitze der städtischen Verwaltung und Gerichtsbarkeit Berlins stand, erscheint erstmalig in einer Schenkungsurkunde des Bischofs von Brandenburg für das am Südharz gelegene Zisterzienserkloster Walkenried vom 29. April 1247. Er wird in diesem Dokument als Marsilius schultetus de Berlin bezeichnet. Eine weitere Nachricht über ihn findet sich in der Gründungsurkunde der Stadt Frankfurt an der Oder vom 14. Juli 1253, mit der Markgraf Johann von Brandenburg dem neuen Ort das Berliner Stadtrecht verlieh. Hier ist er nur als Marsilius de Berlin vermerkt. Ihm stand bereits ein Rat zur Seite, denn die Stiftungsurkunde weist aus, daß Frankfurt von der Gesamtheit der Berliner Ratmannen (Ratsherren) Berliner Recht erteilt wurde.

Berlin lag im Territorium der Markgrafen von Brandenburg. Deren Rechte als Landesherren wahrte der von ihnen ernannte Stadtschulze. Nicht ausgeschlossen ist es, daß Marsilius als Lokator (Beauftragter des Landes- oder Grundherrn für die Anwerbung von Kolonisten, die Anlage einer neuen Siedlung, die Verteilung von Land) im markgräflichen Auftrag den Ausbau Berlins und die Niederlassung neuer Ansiedler geleitet hat.

Dem Stadtschulzen oblag als Vertreter des Markgrafen die Aufsicht über das gesamte Gemeinwesen Berlin. Er vereidigte die Ratsmitglieder, die von einem von ihnen selbst erwählten neuen Kollegium jährlich abgelöst wurden. Die ersten Mitglieder des Berliner Rates hat er wohl selbst ernannt. Sicher wählte er hierfür Personen aus, die bereits als Angehörige eines bevorrechteten Standes (z. B. Ritter) in die Mark Brandenburg gekommen waren. Aus ihnen und den wohlhabenden Kaufleuten bildete sich schon sehr bald, wie überall in deutschen Städten, eine ratsfähige Schicht.

Dem Rat Berlins gelang es, schon frühzeitig besondere Privilegien von den askanischen Markgrafen zu erwerben. Eine Urkunde von 1251 bezeugt die Berlin gewährte Zollfreiheit. Auch das Niederlagsrecht erhielt Berlin im 13. Jahrhundert, was handelspolitisch besonders wichtig war, weil alle durchreisenden fremden Kaufleute gezwungen waren, falls sie Land- bzw. Wasserwege in einem bestimmten Umkreis von Berlin befuhren, entweder ihre Waren für einige Tage zum Verkauf anzubieten oder aber einen hohen Durchgangszoll zu zahlen.

Der Rat - unter Leitung des Stadtschulzen - vertrat das Gemeinwesen in Streitfragen. Ihm unterstellt war das Marktwesen und damit die juristische Gewalt über alle Handel und Gewerke, Maße und Gewichte betreffenden Vergehen. Er beaufsichtigte die Handwerkerinnungen und sprach Recht in Streitfällen hinsichtlich der Bewirtschaftung von städtischen Fluren. Doch die oberste Straf- und Exekutivgewalt lag nach wie vor beim markgräflichen Landesherrn. In allen schwerwiegenden Zivil- und Strafsachen mußten die Bürger vor dem Landding der markgräflichen Vogtei erscheinen.

Schulze Marsilius entstammte dem Raum am Niederrhein. Den Taufnamen Marsilius findet man erstmalig in einer Urkunde von 1141 der Stadt Soest in Nordrhein-Westfalen. Offensichtlich unterhielt diese Stadt rege Handelsbeziehungen mit dem französischen Marseille, wo sie vermutlich auch eine Faktorei besaß, denn der Handelsverkehr zwischen dem nordwestlichen Deutschland und dem Orient vollzog sich vorrangig über diese Hafenstadt. Der Name Marsilius bedeutet daher wahrscheinlich soviel wie "der Marseiller", da die mittelalterliche Bezeichnung für das heutige Marseille "Marsilia" lautete.

 

© Edition Luisenstadt, 1998
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