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Heiko Schützler
Improvisation und Reglementierung

Die Stadttechnik Berlins 1945

Zur Beurteilung der Situation Berlins bei Kriegsende ist auch eine Untersuchung des Zustandes der Stadttechnik erforderlich.
     Die Leitungsnetze waren beschädigt und die Organisationsstrukturen in Unordnung.1) Durch Zerstörung von 122 der 166 größeren Straßenbrücken2) waren alle in diesem Bereich verlaufenden Versorgungsleitungen unterbrochen worden.3) Erzeugerbetriebe der BEWAG, GASAG und der Wasserwerke, die Zentralstellen der Straßenreinigung, Müllabfuhr und Feuerwehr waren graduell unterschiedlich beschädigt und hatten den größten Teil ihres Materials verloren. Aus Sicherheitsgründen befanden sie sich unter militärischer Bewachung und waren daher nur unter größten Schwierigkeiten in Betrieb zu setzen.
     Im folgenden soll auf die einzelnen Versorger gesondert eingegangen werden.

Energieversorgung

Die Energieversorgung war in Berlin bereits zur Weimarer Zeit erheblich ausgebaut worden. Seit Ende der zwanziger Jahre existierte

ein einheitlicher Stromtarif. Nach Verschmelzung der Elektrizitätswerk Süd-West AG mit der BEWAG am 1. Januar 1938 sowie dem Ablaufen des Konzessionsvertrages zwischen Berlin und der Märkischen Elektrizitätswerke AG am 30. Juni 1938 war die BEWAG seit dem 1. Juli 1938 alleiniger Stromlieferant in der Stadt mit insgesamt neun Kohlekraftwerken.4)
     Das Kraftwerk Klingenberg hatte unter den Kämpfen der letzten Tage wenig gelitten und war daher schnell wieder betriebsbereit. Der Oberingenieur und spätere erste BEWAG- Direktor, Hans Witte, war entschlossen, die befohlene und von der SS vorbereitete Sprengung des Werkes zu verhindern, und hatte diesbezüglich Kontakt zu Aufklärern der Roten Armee hergestellt.
     Am 22. April 1945, unmittelbar nach der Einnahme von Karlshorst, nahmen Angehörige einer Sturmabteilung der 230. Schützendivision das Sprengkommando fest und durchtrennten die vorbereiteten Sprengkabel.5)
     Mit Hilfe von Klingenberg konnte das Werk in Moabit bereits am 25. Mai wieder vier Kessel und eine 5-MW- Turbine in Betrieb nehmen. Allerdings erfolgte hier einen Monat später durch die sowjetische Seite die Demontage eines Transformators aus dem Jahre 1929.6)
     Die Gebäude des Kraftwerks Charlottenburg wiesen geringfügige Beschädigungen auf; allerdings waren infolge des Artilleriebeschusses der Schornstein stark beschädigt
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und die Kranbahn völlig zerstört. Problematischer war die durch Brückensprengung unterbrochene Kabelverbindung zu den südlichen Versorgungsgebieten.
     Der Kessel und der überwiegende Teil der Dampfspeicheranlagen waren intakt geblieben, doch kam es auch hier zu Demontagen: Vom 27. Mai bis 18. Juni wurden zwei Turbogeneratoren abgebaut.7)
     Auf Grund des Kohlemangels reichte die Stromversorgung nicht aus, deshalb mußten Rationierungen eingeführt werden. Die von Oktober 1945 an erscheinende »Neue Berliner Illustrierte« veröffentlichte ab der ersten Nummer eine Anzeigenserie der Abteilung für städtische Energie- und Versorgungsbetriebe, unterzeichnet von Stadtrat Walter Jirak, der zum Stromsparen aufruft. Man bemühte sich um einen Stil, der unangenehme Assoziation zum »Kohlenklau«, von den Nazis zum gleichen Thema erfunden, nicht aufkommen lassen sollte.8)
     Die Belastung des Stromnetzes wurde für die Spitzenzeiten mit 100 bis höchstens 110 MW festgelegt und der tägliche Verbrauch auf 1 800 MWh begrenzt.9) Das hatte u. a. zur Folge, daß die Straßenbeleuchtung nur zwischen 22.30 und 4.00 Uhr in Betrieb und es Privatpersonen verboten war, von 9.00 bis 19.00 Uhr elektrische Geräte zu betreiben, ausgenommen Inhaber eines ärztlichen Attestes.
     Zwischen 8.00 und 20.00 Uhr wurden 30 kV- Unterstationen ausgeschaltet, sofern
sie nicht gewerbliche, militärische, medizinische, wissenschaftliche, kulturelle oder kommunale Einrichtungen belieferten. Außerdem hatten U- und Straßenbahnen ihren Energieverbrauch zu reduzieren.
     Diese Rationierungsvorschriften wurden später präzisiert.10) Die BEWAG erhielt die Anweisung, erstens für die Monate August und September 1945 ihre durchschnittliche Stromlieferung pro Tag auf höchstens 2 700 MWh zu begrenzen und zweitens eine Gruppe von Inspektoren mit der Kontrolle des Stromverbrauches in der Stadt zu beauftragen.
     Für die Rationierung wurden vier Vorzugskategorien eingeführt. Höchste Priorität hatten Wasserwerke, Kanalisation und ausgewählte Industriezweige, die einer Dauerlieferung von Strom bedurften, sowie militärische Anlagen, einschließlich militärmedizinischer Einrichtungen.
     Es folgten Krankenhäuser, das Zivilfernmeldewesen, Telefon und Rundfunk, dann die Hersteller von Lebensmitteln, unterteilt in Bäckereien und sonstige Betriebe, sowie der Personen- und Transportverkehr, also S- und U-Bahn und Züge. Zur dritten Gruppe gehörten Druckereien sowie von der Militärregierung genehmigte städtische und Industrieunternehmen. Zum Schluß kamen Privathaushalte und von der Stadt gebilligte Industriebetriebe.
     Zur Straßenbeleuchtung wurde nur noch das bei der notwendigen Gewährleistung der
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Sicherheit notwendige Minimum an Beleuchtungskörpern eingesetzt. Privatpersonen war es verboten, elektrische Raumheizgeräte und Wassererhitzer zu benutzen. Der Verbrauch für Haushalte wurde auf 500 Wattstunden pro Tag und Zähler, zuzüglich 50 Wattstunden pro Tag und Person, eingeschränkt.
     War im Haushalt ein elektrischer Herd einzige Kochmöglichkeit, gab es zusätzlich 1 200 Wattstunden pro Tag und Zähler, zuzüglich 200 Wattstunden pro Tag und Person. Zur Überwachung dieser Einschränkungen hatte die BEWAG monatliche Zählerablesungen durchzuführen. Dabei wurde jeder Verbraucher sofort abgeschaltet, der sein ihm zustehendes Kontingent um mehr als 10 Prozent überschritten hatte. Der Mehrverbrauch wurde ihm mit RM 100,– pro Einheit in Rechnung gestellt. Überzog er den Verbrauch in mehr als zwei aufeinanderfolgenden Monaten, hatte er mit Gefängnisstrafe zu rechnen.
     Diese Maßnahmen dienten der Einsparung von Kohle, um im anstehenden Winter genügend Reserven zu haben. Die Stadt hatte dadurch mit erheblichen Problemen zu kämpfen; insbesondere die Einschränkung der Stromerzeugung war kaum durchführbar, ohne daß wenigstens eine Verbrauchergruppe vollständig vom Netz genommen wurde.11) Um den Forderungen der Alliierten nach Stromeinsparung nachzukommen, wurde das Verbot des Gebrauchs elektrischer
Haushaltsgeräte auf die Zeit von 6.00 bis 22.00 Uhr ausgedehnt, elektrische Reklamebeleuchtung abgeschaltet sowie der Betrieb elektrischer Personen- Fahrstühle untersagt, ausgenommen waren Kranke mit ärztlichem Attest.
     Der Stromverbrauch blieb aber weiterhin zu hoch, so daß im November angeordnet wurde, alle Gaststätten, Cafés und dergleichen sowie alle Vergnügungsstätten, außer Kinos und Theater, mit Einbruch der Dunkelheit zu schließen. Ausgenommen blieben Gaststätten, in denen Speisen ausgegeben wurden, und Einzelhandelsgeschäfte, die ausschließlich Lebensmittel oder Medikamente anboten.12)
     Das war nun aber das Äußerste. Am 15. November 1945 befahl die Alliierte Kommandantur daher notgedrungen eine Erhöhung des täglichen Verbrauchs auf 3 400 MWh.13) Das bedeutete zwar nicht das Ende des Sparens, aber es entlastete die Situation geringfügig.

Gasversorgung

Nach Beendigung der Kämpfe blieb die Stadt – erstmals seit 120 Jahren – ohne Gasversorgung. Alle Werke waren außer Betrieb14) und zu 50 bis 60 Prozent zerstört bzw. beschädigt. Obwohl das Gasrohrnetz über 3 000 Bruchstellen aufwies und nur zu 0,2 Prozent betriebsfähig war, konnte die Wiederinbetriebnahme der Gaswerke in relativ kurzer Zeit erfolgen. Bereits am 7. Mai

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1945 begann das Werk Lichtenberg mit eingeschränkter Produktion.
     In Schöneberg war man noch nicht ganz soweit, obwohl die GASAG bereits die hundertprozentige Inbetriebnahme des dortigen Werkes verkündete. Anlaß war eine Siegesfeier der sowjetischen Besatzungsmacht im Lokal »Prälat Schöneberg«. Lediglich die zu diesem Lokal führenden Leitungen hatte man in Betrieb genommen und alle anderen abgeschiebert, so daß das Werk nach dieser Feier zunächst wieder außer Betrieb ging15) und erst am 11. Mai die Teilproduktion aufnehmen konnte. Acht Tage später begann die Teilproduktion im Werk Neukölln. Vollständig wieder in Betrieb gingen die Werke Mariendorf am 24. Mai, Tegel am 5. Juni, Danziger Straße (Prenzlauer Berg) am 15. Juni und Charlottenburg am 2. Juli. Das Werk in der Gitschiner Straße (Kreuzberg) wurde wegen schwerer Zerstörungen stillgelegt.16)
     Bis Oktober konnten am Leitungsnetz die wichtigsten 1 500 Schadstellen repariert werden, wodurch 81 Prozent des Rohrnetzes wieder zur Verfügung standen.
     Auf Befehl der Alliierten Kommandantur wurden im Interesse einer besseren Kohleausnutzung die Gaswerke Charlottenburg, Schöneberg und Danziger Straße Anfang September 1945 abgeschaltet und die gesamte Tageserzeugung den Werken Mariendorf, Tegel, Lichtenberg und Neukölln übertragen.17)
Hatte sich die tägliche Gasabgabe vor dem Krieg bei einem Kohlendurchsatz von 3 500 Tonnen in einer Größenordnung von 2 Millionen Kubikmetern bewegt, so konnten im Mai 1945 lediglich 59 000 m3 Gas mit 110 Tonnen Kohle erzeugt werden. Es gelang bis zum September, die im April 1945 erzeugte Menge von rund 500 000 m3 fast wieder zu erreichen, und das mit nur knapp über der Hälfte der Kohle, an der es wegen fehlender Transportmittel erheblich mangelte. Nach dem technischen Stand der Erzeugungsanlagen wären im Oktober bei einem Kohlendurchsatz von 1 600 t sogar 1 Million m3 mit einem Heizwert von 2 800 kcal bzw. 750 000 m3 mit 3 600 kcal lieferbar gewesen.18)
     Ab Oktober wurden daher auch in der Gasversorgung Rationierungen eingeführt, die sich nach der Anzahl in der Wohnung lebender Personen richtete.19) Ein Ein-Personen- Haushalt durfte demzufolge im Monat 10,7 m3 Gas verbrauchen. Je zusätzlicher Person wurden 2,6 m3 addiert. Am 15. Oktober erfolgte eine erste Ablesung der Gaszähler. Die Beleuchtung von Schaufenstern und Verkehrsanlagen mit Gas sowie die Nutzung von Gasheizungen wurden verboten.
     Mit Stand Oktober 1945 waren lediglich die zentralen und am stärksten zerstörten Bezirke Mitte, Tiergarten, Wedding, Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Kreuzberg zum Teil noch ohne Gas, in allen anderen Teilen der Stadt funktionierte die
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Kriegszerstörter Gasbehälter der Behälterstation Augsburger Straße, 1945
(heute: Fugger-/ Welserstraße)

Versorgung. Bis November konnten die betriebswichtigen Anlagen annähernd zu 100 Prozent wiederhergestellt werden. Es gelang, bis November 1945 einen Überschuß von einer Million Reichsmark zu erwirtschaften, nachdem die Gaswerke zunächst auf städtische Zuschüsse in Höhe von 5 Millionen Reichsmark im ersten Vierteljahr und 700 000 im zweiten angewiesen waren.20)
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Wasserversorgung

Die Versorgung mit Wasser oblag der Berliner Städtischen Wasserwerke AG sowie der Charlottenburger Wasser- und Industriewerke AG, die sich erst nach dem Krieg zusammenschlossen.21) In der Weimarer Zeit hatte es einen Ausbau der Rohrleitungen gegeben, so daß insgesamt 6 100 km Rohrnetz innerhalb der Stadtgrenzen zur Verfügung standen, etwa 4 000 der Berliner und 2 100 der Charlottenburger Werke.
     Hinzu kamen mehr als 400 km außerhalb der Stadt. Hauptsächlich verwendetes Material war Gußeisen (5 714,6 km innerhalb/436,8 außerhalb), an Bruchgefahrstellen kam Stahl zum Einsatz (3 124/0,4), ein kleiner Teil bestand aus Asbestzement (71,8/–).22) Das Wasser kam aus 30 bis 50 Meter tiefen Rohrbrunnen, zusätzlich wurde dem Müggelsee Oberflächenwasser entnommen.23) Die 19 Werke der Wasserversorgung waren in unterschiedlichem Zustand. Das Rohrnetz wies fast 2 000 Schadstellen auf, von denen bis November 1 700 repariert werden konnten.24) Die Wasserversorgung war somit im wesentlichen gewährleistet.

Entwässerung

Das Entwässerungsnetz hatte einen Umfang von 5 728 km (1945),25) wobei das Stadtgebiet in etwa 87 Entwässerungsgebiete untergliedert war. Die Entsorgung der Abwässer

erfolgte in Kläranlagen bzw. auf 12 000 ha Rieselfeldern, welche nach Kriegsende etliche Schäden an den Zuführungs- und Entwässerungsgräben aufwiesen.26) An den Entwässerungsleitungen gab es 3 200 Schadstellen. Alle 87 Pumpwerke der Stadtentwässerung befanden sich nach Abschluß der Kampfhandlungen außer Betrieb;27) bis November konnten jedoch 77 von ihnen die Arbeit wieder aufnehmen.

Dienstleistungen

Auch die städtischen Dienstleistungsbetriebe hatten mit erheblichen Problemen zu kämpfen. Bei der Straßenreinigung sah es besonders schlimm aus.28) Größtenteils zerstört waren die Verwaltungsgebäude, von 32 Gerätehöfen waren 14 total vernichtet, die übrigen 18 ihrer Geräte beraubt und in trostlosem Zustand. An Betriebsmitteln, Fahrzeugen, Geräten, Materialien sowie Schutzkleidung war fast nichts mehr vorhanden, 182 Fahrzeuge fielen aus.
     Die Müllabfuhr hatte ihren gesamten Bestand an Pferde(412) und Kraftfahrzeugen (296) in den Kampftagen verloren; der Betrieb kam daher völlig zum Erliegen.
     Die Feuerwehr hatte während der Kriegshandlungen 190 Mann Personal verloren.29) Durch die Bombardierungen und Straßenkämpfe waren zudem die Personalakten restlos vernichtet worden. Der provisorische Feuerschutz mußte mit 100 Mann aufrecht-

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   47   Probleme/Projekte/Prozesse Die Stadttechnik Berlins 1945  Vorige SeiteNächste Seite
erhalten werden. Sie trugen Zivilkleidung und transportierten ihre verbliebenen Geräte auf Handwagen.
     Von einer funktionierenden Brandwache konnte unter diesen Umständen natürlich keine Rede sein. Daher erteilte der zuständige Stadtrat, Arthur Pieck, bereits am 19. Mai den Auftrag, einen zentral geleiteten Feuerschutz aufzubauen. Das Personal arbeitete zunächst auf freiwilliger Basis, Gehalt konnte erst ab Juli gezahlt werden.
     Probleme gab es auch bei der Technik. Im April 1945 waren noch 1 650 Kfz vorhanden gewesen, doch am 22. April hatten sich etwa 100 vorher eingeteilte Motorspritzen, Sonderfahrzeuge, Personen- und Lastkraftwagen befehlsgemäß in Richtung Schwerin–Lübeck in Marsch gesetzt. Die in Berlin verbliebene Technik wurde während der Kämpfe zerstört oder als Beute abtransportiert. In dieser Situation kam folgender Glücksumstand wie gerufen: Die Werkstatt der Technischen Abteilung in der Jagowstraße hatte den Krieg relativ unbeschadet überstanden, so daß dort Fahrzeuge, die wegen ihres Alters nicht als Beute geeignet gewesen waren, für den Einsatz hergerichtet werden konnten. Ab Juni 1945 kam die verlagerte Technik zurück, wodurch die Zahl der Fahrzeuge im Oktober bereits wieder 116 betrug.
     Zusätzliche Schwierigkeiten erwuchsen aus den Gebäudeschäden. Sieben Feuerwachen
der Berufsfeuerwehr waren völlig zerstört, 15 schwer und 16 mittelschwer beschädigt. Hinzu kamen die Verluste bei der freiwilligen Feuerwehr, sie meldete je drei Wachen mit Totalschaden sowie je sechs als schwer und mittelschwer beschädigt. In allen Wachen gab es kaum noch Inventar.
     Schwere Verluste hatte das Zentralarchiv zu verzeichnen, durch Kriegseinwirkung waren die Unterlagen für die Jahre 1851–1864, 1919–1922 sowie 1939–1944 verlorengegangen.
     Das feuerwehreigene Nachrichtensystem funktionierte nicht mehr. Doch bereits am 17. Mai konnte mit zahlreichen freiwilligen Helfern der Wiederaufbau beginnen. Das Morse- und Fernschreibnetz wies so viele Störungen auf, daß seine Wiederinbetriebnahme erst 1948/49 möglich wurde. Die Feuermeldezentralen in den erhaltenen Wachen hatten kaum Schäden davongetragen; lediglich die Batterien, mit denen sie arbeiteten, mußten geladen werden. Die Not zwang zur Improvisation, bei zerstörten Wachen mußte die Notrufzentrale von anderen Bezirken übernommen werden. 600 Feuermelder waren vernichtet, 1 200 schwer bis leicht beschädigt. Die leicht beschädigten wurden instand gesetzt, bei den anderen verfuhr man nach dem Prinzip »Aus zwei mach eins«.
     Da das öffentliche Fernsprechnetz nicht funktionierte, behalfen sich die Wachen mit Notverbindungen über eigene Leitungen. Vorhandene Funkanlagen mußten ausgebaut
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   48   Probleme/Projekte/Prozesse Die Stadttechnik Berlins 1945  Vorige SeiteNächste Seite
werden, Schäden an den Leitungsanlagen konnten relativ schnell behoben werden.
     Die Markthallen waren fast durchweg außerordentlich schwer beschädigt, daher wurde zunächst auf ihren Wiederaufbau verzichtet. Umfangreiche Zerstörungen wiesen auch die Gebäude des Zentralschlachthofes auf, ebenso die Lagerhäuser und Kräne im Westhafen.
     Die Situation in den ersten Monaten nach dem Krieg zeigt deutlich die Notwendigkeit funktionierender technischer Infrastruktur im System einer Großstadt. Probleme erwuchsen in erster Linie aus dem Kohlemangel, hinzu kamen Demontagen im Bereich der Energieerzeugung. Nur durch Improvisation und strengste Reglementierung gelang es, Berlins Stadttechnik wieder in Gang zu bringen und damit einen entscheidenden Beitrag zum Überleben der Stadt zu leisten.

Quellen:
1     Abteilung für städtische Energie- und Versorgungsbetriebe, Bericht des Stadtrates Walter Jirak, in: Ein halbes Jahr Berliner Magistrat: Der Magistrat gibt Rechenschaft. Die Reden des Oberbürgermeisters Dr. Arthur Werner und des ersten stellvertretenden Oberbürgermeisters Karl Maron auf der Kundgebung in der Deutschen Staatsoper am 19. November 1945. Berichte der Stadträte. Hrsg. i. A. d. Magistrats der Stadt Berlin, Berlin 1945, S. 35 ff.
2     Ebenda
3     LeTissier, Tony, Der Kampf um Berlin 1945: von den Seelower Höhen zur Reichskanzlei, akt. u. erw. Taschenbuchausgabe, 2. Aufl., Frankfurt/M., Berlin 1995, S. 140

4     Berlin in Zahlen 1938, hrsg. vom Statistischen Amt der Reichshauptstadt Berlin 1938, S. 285
5     Vgl. Bernd Fischer, Karlshorst im Mai, in: »Berlinische Monatsschrift«, Heft 5, 1995, S. 8 f.
6     Vgl. Andreas Hoffmann, Kraftwerk Moabit, in: Geschichtslandschaft Berlin, Orte und Ereignisse, hrsg. v. Helmut Engel, Stefi Jersch-Wenzel und Wilhelm Treue. Bd. 2: Tiergarten, Teil 1: Moabit, Berlin 1986, S. 20 und 29
7     Vgl. derselbe, Kraftwerk Charlottenburg, in: Geschichtslandschaft Berlin, 1986, Bd. 1: Charlottenburg, Teil 1: Die historische Stadt, S. 270 f.
8     Vgl. »Neue Berliner Illustrierte«, 1. Jg., Heft 1, Oktober 1945
9     Befehl Nr. 20 des Militärkommandanten der Stadt Berlin über die Verteilung der vorhandenen Strommengen, 25. Juni 1945, Landesarchiv Berlin, Nr. 2127
10     Befehl der Alliierten Kommandantur über Stromrationierung, 28. August 1945, Landesarchiv Berlin, Nr. 12 211
11     Außerordentliche Magistratssitzung am 19. September 1945 zum Befehl der Alliierten Kommandantur über Stromrationierung vom 28. August 1945, Landesarchiv Berlin, Nr. 8500/15, Magistratsprotokolle 1945 und Anordnung des Magistrats über Stromeinschränkungen, 28. September 1945, Verordnungsblatt (VOBl) 1945, S. 110
12     Anordnung des Magistrats über weitere Stromeinschränkungen, 10. November 1945, VOBI 1945, S. 152
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13     Befehl der Alliierten Kommandantur zur Erhöhung des Stromverbrauchs, 15. November 1945, Landesarchiv Berlin, Nr. 12 351
14     Tatsachenbericht der Berliner Gaswerke über den Zustand der Werkanlagen nach Beendigung der Kampfhandlungen und heute, 21. Oktober 1945, Landesarchiv, Nr. 5378
15     Zeitzeuge Herr Sachwé, in: Hilmar Bärthel, Die Geschichte der Gasversorgung in Berlin. Eine Chronik. Hrsg. v. d. GASAG. Berlin 1997, Anm. S. 103
16     Ebenda
17     Befehl der Alliierten Kommandantur vom 5. September 1945, Landesarchiv Berlin, Nr. 12 224
18     Tatsachenbericht der Berliner Gaswerke, Landesarchiv Berlin, Nr. 5378, vgl. Berlin in Zahlen 1946/47
19     Anordnung des Magistrats über Rationierung des Gasverbrauchs, 10. Oktober 1945, VOBI 1945, S. 130 f.
20     Landesarchiv, Nr. 8500/26, Magistratsprotokolle 1945
21     Ernst Randzio, Unterirdischer Städtebau, Bremen 1951, S. 26
22     Ebenda
23     Rudolf Becker, Die Wasserversorgung Berlins, in: Berliner kommunale Mitteilungen 7, 1936, S. 5 f.
24     Abteilung für städtische Energie- und Versorgungsbetriebe, Bericht des Stadtrates Walter Jirak, a. a. O. 25     Berlin in Zahlen 1946/47
26     Christian Engel, Wolfgang Ribbe, Berlin in der NS-Zeit, in: Wolfgang Ribbe (Hrsg.), Geschichte Berlins, Bd. 2: Von der Märzrevolution bis zur Gegenwart, München 1987, S. 985; Ernst Randzio, a. a. O., S. 25
27     Abteilung für städtische Energie- und Versorgungsbetriebe, Bericht des Stadtrates Walter Jirak, a. a. O.
28     Ebenda
29     Vgl. Hundert Jahre Berliner Feuerwehr 1851–1951, hrsg. v. Hauptamt der Feuerwehr, Berlin 1951
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