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Manfred Stürzbecher
Mitautorin eines Lehrbuchs

DRK-Schwester Johanna Kunath
(1904–1993)

Die Diätetik hat in der Heilkunde seit der Antike eine große Bedeutung. Am Beispiel der DRK-Schwester soll der Versuch unternommen werden zu zeigen, wie sich in der Mitte des 20. Jahrhunderts ein neues Berufsbild im Gesundheitswesen herausgebildet hat. Johanna Kunath hat diese Entwicklung an einer wichtigen Stelle miterlebt und auch dabei mitgewirkt.
     Am 9. Mai 1904 wurde sie als Tochter des Oberlehrers Richard Kunath und seiner Ehefrau Marie in Großenhain, Sachsen, geboren. Sie besuchte von 1910 bis 1918 die Mädchenmittelschule in ihrem Geburtsort, von 1918 bis 1920 die Höhere Mädchenschule am Lehrerinnenseminar Dresden. Hier legte sie im April 1920 die Reifeprüfung ab. Bis zum Herbst 1920 ging sie auf die Höhere Handelsschule in Dresden, um anschließend bis April 1923 als »Volontärin in sämtlichen kaufmännischen Arbeiten im Büro einer Fabrik in Freital bei Dresden« zu arbeiten. Für ein Jahr – als die Inflation ihren Höhepunkt erreichte – blieb sie im elterlichen

DRK-Schwester Johanna Kunath

 

Haushalt in Großenhain. Anschließend war sie rund ein halbes Jahr als Haustochter auf einem Rittergut in der Uckermark angestellt. Für etwa drei Jahre, bis Juli 1928, war sie »Hausbeamtin« in einer Haushaltungsschule in Dresden, anschließend bis Ende 1930 Helferin in einem Kinderhort und Waisenheim in Großenhain.

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Diese Angaben aus einem Lebenslauf aus dem Jahre 1963 lassen vermuten, daß die »höhere Tochter« sowohl bildungsmäßig als auch sozial engagiert war, aber dem Anschein nach bis zu diesem Zeitpunkt keinen bestimmten Berufswunsch hatte, der sich unter den sozialen Bedingungen der Weimarer Republik für die Tochter eines Lehrers realisieren ließ.
     Am 1. April 1931 trat die 26jährige Frau, die schon die verschiedensten beruflichen Erfahrungen gesammelt hatte, als Lernschwester in das Augusta- Hospital in Berlin ein. Dieses Krankenhaus war von der preußischen Königin Augusta – der späteren Kaiserin – 1868 gestiftet und im April 1870 eröffnet worden. Die Rote-Kreuz- Schwesternschaft Märkisches Haus hatte die Leitung dieser von konservativer Gesinnung getragenen Anstalt bis 1946. Die zweijährige Ausbildungszeit zur Krankenschwester schloß mit einem Staatsexamen. Diese Prüfung unter dem Vorsitz eines Medizinalbeamten des Polizeipräsidenten in Berlin legte Johanna Kunath im März 1933 ab. Das Staatsexamen fand in einer Zeit des politischen Umbruchs statt. Während der auch im Bereich der Medizinalfachberufe sehr engagierte Oberregierungs- und Medizinalrat Walter Lustig (1891–1945) als Jude mit den ersten antisemitischen Boykottmaßnahmen in den Ruhestand versetzt wurde, ist schwer abzuschätzen, wie sich die Machtübernahme der Nationalsozialisten auf die
Schwesternschaft und das Krankenhaus insgesamt ausgewirkt hat.
     In einem stichwortartigen Lebenslauf aus dem Jahre 1963 erklärt Johanna Kunath, nach dem Krankenpflegeexamen: »... anschließend ein Jahr Diätschule im Augusta- Hospital, 1934 Examen als Diätassistentin abgelegt, als solche weiter in der Diätschule gearbeitet, ab 1935 Schwester Minna Hessler abgelöst, die Leitung der Diätschule übernommen.«
     Unbestreitbar gab es in dieser Zeit Bestrebungen, das Berufsbild der Diätassistentinnen einzuführen, wozu auch eine Ausbildung an einer entsprechenden Schule gehörte. Eine amtliche Regelung zu diesem Berufsbild aber gab es noch nicht. Die Innere Abteilung des Augusta- Hospitals unter der Leitung des Chefarztes Schlayer (1875–1937) hatte sich auf die Behandlung von Verdauungskrankheiten, Magen- und Darmstörungen, spezialisiert. Schlayer und sein Oberarzt Joachim Prüfer (1901–1994) gehörten zu maßgeblichen Förderern der Schaffung eines Berufsbildes der Diätassistentin. Sie dürften eine geregelte Ausbildung insbesondere auch für die Schwesternschaft des Märkischen Hauses im Augusta- Hospital betrieben haben. Es dürfte ein Hausexamen nach Abschluß der hauseigenen einjährigen Ausbildung gegeben haben, nur eine staatlich anerkannte Diätassistentin gab es weder 1934 noch 1935. Erst 1937 kam es zu einer entsprechenden
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Regelung, an der Prüfer maßgeblich beteiligt war.
     In den Krankenhäusern lassen sich schon im 19. Jahrhundert verschiedene, meist auf ärztliche Verordnungen verabreichte, Kostformen – Diäten – nachweisen. Auch in den medizinischen Lehrbüchern werden immer wieder Hinweise auf Krankenernährung gegeben. In den großen Krankenhäusern entstand neben der Hauptküche unter einer Küchenleiterin oder einem Koch die Diätküche, die meist von einer Küchenschwester geleitet wurde. Bei den Krankenschwestern entstanden insbesondere nach der Jahrhundertwende Spezialisierungen, von den hier neben den Küchenschwestern bzw. Diätschwestern – Prüfer berichtet, daß bei der Vorbereitung der Ausbildung und der Prüfungsordnung die Berufsbezeichnung »Diätschwester« ernsthaft diskutiert wurde – nur die Röntgenschwestern und die Fürsorgeschwestern genannt sein sollen.
     War Johanna Kunath zur Schwesternschaft Märkisches Haus gekommen, um Küchenschwester bzw. Diätassistentin zu werden? Bestanden eventuell schon vor dem Eintritt in die Schwesternschaft Verbindungen? Da keine Personalakten ermittelt werden konnten und offensichtlich auch keine Akten über die Schule im Augusta- Hospital mehr existieren, lassen sich die Einzelheiten über Ausbildung und Tätigkeit von Schwester Johanna Kunath in der Zeit vor dem Erlaß der Ausbildungs- und
Prüfungsordnung vom 5. April 1937 nur schwer rekonstruieren. Prüfer stellt in einem Nachruf auf Schwester Johanna Kunath im November 1993 fest, daß sie in beiden Ausbildungen am Augusta- Hospital den ärztlichen Unterricht von ihm erhalten habe.
     Nach Prüfer wurde sie nach dem Hausexamen Leiterin der Diätküche des Augusta- Hospitals und beteiligte sich an der Ausbildung in der zum Hause gehörenden Diätschule. Prüfer erklärte 1993: »Schwester Johanna Kunath und Schwester Minna Hessler waren für mich wertvolle Mitarbeiterinnen bei der Zusammenstellung der Themen für den Unterricht und die praktische Ausbildung. Das fand seinen Niederschlag bei der Entstehung des Lehrbuches der Krankenernährung von Schlayer- Prüfer, an welchem Schwester Johanna von der ersten, 1935 erschienenen, bis zur 7. überarbeiteten Auflage mitgearbeitet hat.«
     Dieses zweibändige Lehrbuch (Bd. 1 Allgemeine und spezielle Diätetik, 250 Seiten) erschien im Verlag Urban & Schwarzenberg, Berlin/Wien. Im zweiten Band (Rezeptsammlung, 350 Seiten) waren die Rezepte für die Diätzubereitungen aufgeführt, und hier hatte Johanna Kunath einen maßgeblichen Anteil. Selbst wenn man eine kurzfristige Vorbereitungszeit für eine solche Publikation annimmt, so muß davon ausgegangen werden, daß wenigstens die Anfänge der Arbeiten noch in die Zeit der Ausbildung als Diätschwester zurückreichen.
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Die Krankenschwester wurde im Titel des zweiten Bandes als Autorin mit aufgeführt. Bis zum Zweiten Weltkrieg erschienen in dem renommierten medizinischen Verlag drei Auflagen dieses Lehrbuches.
     Nach dem Erlaß der Vorschriften über die Ausbildung, Prüfung und staatliche Anerkennung von Diätassistenten(innen) und Diätküchenleitern(innen) vom 5. April 1937 erhielten die Krankenschwestern Minna Hessler und Johanna Kunath die Berechtigung zur Führung dieser Berufsbezeichnung, was Prüfer 1994 zu der Bemerkung veranlaßte: »Sie gehören insofern zu den ersten staatlich anerkannten Diätassistentinnen in Deutschland, gleichzeitig mit Schwester Agnes Schwardt von der Diätschule in Hamburg- Eppendorf.« An dieser Stelle sei angemerkt, daß sich der im Jahre 1935 amtierende Stadtmedizinalrat in Berlin, Wilhelm Klein (1887–1948), in dem Handbuch »Der Amtsarzt« für die Berufsbezeichnung »Krankenkosthelferinnen« einsetzte.
     Ende August 1939 wurde Schwester Johanna auf Grund des Gestellungsvertrages des Märkischen Hauses mit der Wehrmacht als Kriegsschwester in Polen eingesetzt. Dann übernahm sie wieder die Leitung der Diätschule im Augusta- Hospital. Im Zuge der Evakuierungsmaßnahmen der Reichshauptstadt wurde die Schule nach Fraustadt verlegt. Nach einem kurzen Aufenthalt im Augusta- Hospital kam sie im April 1945 nach Genthin und war dann ab August
wieder in Berlin- Mitte. Das Augusta- Hospital und seine DRK- Schwesternschaft wurde von der sowjetischen Besatzungsmacht aufgelöst. Schwester Johanna Kunath wechselte an das in Lichterfelde im US- amerikanischen Sektor gelegene Rittberg- Krankenhaus vom DRK und nach etwa einem Jahr an das DRK- Krankenhaus in der Drontheimer Straße als Diätküchenleiterin.
     1952 übernahm sie als Gastschwester der DRK- Schwesternschaft München die Leitung der Diätschule im Krankenhaus Speyrerhof in Heidelberg, wo sie mit dem Internisten W. Dieke zusammenarbeitete. 1966 ging sie in den Ruhestand, den sie zunächst mit einer befreundeten DRK- Schwester in Göttingen verlebte. Nach einer stationären Behandlung im Jahre 1989 nahm die Pflegebedürftigkeit immer mehr zu, so daß sie ins Pflegeheim »Haus Dreilinden« in Wolbrandshausen aufgenommen werden mußte. Dort verstarb sie am 19. Oktober 1993.
     Johanna Kunath, eine Rotkreuz- Schwester, hat maßgeblich an der Entstehung des Berufsbildes der Diätassistentin mitgewirkt. So hat sie entscheidenden Einfluß auf die Arbeit der Diätküchen in den Krankenhäusern ihrer Zeit ausgeübt.
     Frau Oberin Renate Lawrenz von der DRK- Schwesternschaft Berlin e. V. und Frau Oberin Liselotte Katscher vom Ev. Diakonie Verein sei für die Unterstützung bei der Datensammlung vielmals gedankt.
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© Edition Luisenstadt, 1999
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