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Winfried Morgenstern
In Berlin »Lehrzeit zum rechten Leben«

Der Ehrenbürger Theodor Heuss
(1884–1963)

In der an Führungspersönlichkeiten nicht gerade reichen Demokratiegeschichte Deutschlands nimmt der leidenschaftlich engagierte und international geachtete Liberale Theodor Heuss einen wichtigen Platz ein.
     Über drei Jahrzehnte seines aktiven Lebens verbanden ihn, den gebürtigen Schwaben, als Publizisten, Dozenten und Politiker mit Berlin, seiner zweiten Heimat. Hier hat er nach eigenem Bekenntnis »die Lehrzeit zum rechten Leben« durchlaufen.
     Theodor Heuss, am 31. Januar 1884 in Brackenheim bei Heilbronn geboren, wuchs in einer Honoratiorenfamilie mit lebendigen demokratischen Traditionen (1848) auf. Der Vater war Regierungsbaumeister (Straßenbau), die Vorfahren Schiffer, Kaufleute und Oberförster. Während des Studiums der Kunstgeschichte und Nationalökonomie in München und Berlin (hier wohnte er in der Elsässer Straße 38) prägte Friedrich Naumann, der »Vater des politischen Liberalismus«, maßgeblich seine


Theodor Heuss

nationalen und sozialen Ideen sowie seinen Weg in die Politik.
     Der damals führende Ökonom Lujo Brentano, dessen Verbindung von entschiedener Sozialpolitik und liberaler Weltanschauung Theodor Heuss stark beeindruckte, betreute seine Dissertation (1905).
     Im April 1908 wurde Theodor Heuss mit Elisabeth Eleonore Knapp in Straßburg von Albert Schweitzer getraut. 1905–1912 besorgte Theodor Heuss Naumanns Wochenschrift

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»Die Hilfe«, danach bis 1918 als Chefredakteur die »Neckar-Zeitung« in Heilbronn. 1920–1933 wirkte er als Studienleiter und Dozent an der Hochschule für Politik in Berlin.
     Zeitweilig war er auch Geschäftsführer des »Deutschen Werkbundes«, in dem Unternehmer, Architekten und bildende Künstler um eine von sozialökonomischen und pädagogischen Aspekten geprägte »neue Formgesinnung« in Handwerk, Industrie und Baukunst rangen.
     Mit dem Architekten Hans Poelzig und dem Schriftsteller Hermann Hesse war Theodor Heuss freundschaftlich verbunden. Mehrere Künstler, darunter auch Käthe Kollwitz, hatte er persönlich kennen- und schätzengelernt.
     Aus der Feder von Theodor Heuss stammen politikwissenschaftliche Bücher und zahlreiche Aufsätze zu kulturhistorischen und künstlerischen Themen.
     Bereits 1903 war Theodor Heuss der Freisinnigen Vereinigung (ab 1910 Fortschrittliche Volkspartei) beigetreten, die sich 1919 mit dem linken Flügel der Nationalliberalen zur Deutschen Demokratischen Partei vereinigte.
     Seine parlamentarische Laufbahn begann Theodor Heuss als Bezirksverordneter in Berlin- Schöneberg. Von 1924 bis 1928 und von 1930 bis 1933 war er Mitglied des Reichstages. Daß er, der sich in Reden und vor allem in seiner Schrift »Hitlers Weg« (1932) öffentlich mit dem
Nationalsozialismus auseinandergesetzt hat, am 23. März 1933 – unter Fraktionszwang – dem Ermächtigungsgesetz zustimmte, war ihm bis ans Lebensende Grund für bittere Selbstvorwürfe. 1933–1936 gab er erneut »Die Hilfe« heraus und schrieb nach Publikationsverbot und Verlust des Lehramtes unter Pseudonym regelmäßig für die »Frankfurter Zeitung«.
     Von 1918 bis 1930 wohnte er in Friedenau (Fregestraße 80), von 1930 bis 1943 in Lichterfelde (Kamillenstraße 6; 1968 für eine Straßenverbreiterung abgerissen).
     Nach 1945 beteiligte sich Theodor Heuss aktiv am politischen Wiederaufbau des Landes, zunächst als Kultusminister und Mitglied des Landtages von Württemberg- Baden.
     Dabei sah er die Aufarbeitung der Geschichte als eine der schwierigsten Aufgaben an. »Sie ist nicht dadurch zu lösen«, stellte Theodor Heuss seinerzeit fest, »daß man eine Reinigungsanstalt herbeiholt und die braune Farbe abputzen läßt, um eine andere Farbe aus bereitgestellten Kübeln aufzuschmieren, sondern die Forderung ist die, daß wir in den Raum der Wissenschaft wieder die zweckentbundene Wahrheit hereinführen.«
     1948/49 wirkte er im Parlamentarischen Rat maßgeblich an der Formulierung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland (vor allem der Präambel und des Teiles »Grundrechte«) mit.
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1949 übernahm Theodor Heuss den Vorsitz der F.D.P.- Fraktion im ersten Bundestag der BRD. Am 12. September 1949 wurde der fast 65jährige Repräsentant des demokratisch- liberalen, humanistisch gebildeten Bürgertums zum ersten Bundespräsidenten gewählt und am 17. Juli 1954 (ohne Gegenkandidaten) in Berlin für eine weitere Wahlperiode bestätigt.
     In seiner bis 1959 währenden Amtszeit versuchte Theodor Heuss, bewußt an jene geistigen Traditionen anzuknüpfen, die in Deutschland durch den Faschismus unterbrochen worden waren. Von besonderer Wirkung auf die öffentliche Meinung waren seine Stellungnahmen zu Fragen der Emigration, zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus und zur Wiedergutmachung.
     Außenpolitisch trug er wesentlich zum wachsenden Ansehen der BRD bei. Wiederholt weilte er als Bundespräsident in Berlin.
In Würdigung seiner Verdienste wurde Theodor Heuss am 31. Oktober 1949, dem Tag seines ersten Besuches als Präsident der Bundesrepublik in Berlin, die Ehrenbürgerwürde der Stadt Berlin verliehen.
     Gewürdigt wurden damit »die großen Verdienste, die sich Theodor Heuss als langjähriger Stadtverordneter von Berlin und Bezirksverordneter von Schöneberg um eine Selbstverwaltung im demokratischen Geist, aber auch als Reichstagsabgeordneter und später als Mitglied des Parlamentarischen Rates um Berlin als Hauptstadt erworben hat«.
     Theodor Heuss starb am 12. Dezember 1963 in Stuttgart.
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© Edition Luisenstadt, 1999
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