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Matthias Harder
Ein Meister des magischen Erzählens

Der Schriftsteller Friedo Lampe
(1899–1945)

Zu seinen Lebzeiten wurde Friedo Lampe von der literarischen Öffentlichkeit nur wenig beachtet. Und auch heute noch gilt er als ein weitestgehend vergessener Autor jenes magisch- realistischen Erzählstils, der sich am Ende der zwanziger Jahre zu etablieren begann und der schließlich vor allem für die westdeutsche Nachkriegsliteratur bedeutsam wurde. Dennoch haben die Romane von Friedo Lampe in den fünfziger Jahren unter anderem einen starken Einfluß ausgeübt auf so erfolgreiche Werke wie Wolfgang Koeppens »Tauben im Gras« (1951) oder Alfred Anderschs »Sansibar oder der letzte Grund« (1957). Der Schriftsteller Friedo Lampe, so schrieb Wolfgang Koeppen 1957, »war auf seine stille Art avantgardistisch, und er hätte zugleich auch volkstümlich sein können, denn seine Prosa war, obwohl für die Zukunft geschrieben, in der Form nicht verwirrend und experimentell, sondern strömte sicher aus einer deutschen Überlieferung, die bis zu den ältesten Märchen zurückreicht.«1)

Friedo Lampe

 

Christian Moritz Friedrich (genannt Friedo) Lampe wurde am 4. Dezember 1899 in Bremen als zweiter Sohn einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie geboren. Aufgrund einer Gehbehinderung durch eine Knochentuberkulose wurde er im Ersten Weltkrieg lediglich zum »Heimatdienst« in einer Küchenverwaltung herangezogen.

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Oberrealschule zu Bremen: Zeugnis der Reife, 18. Dez. 1919

Nach dem Abitur studierte Lampe ab 1920 Germanistik und Kunstgeschichte in Heidelberg, München und Freiburg, wo er 1928 mit einer Arbeit über »Goeckingks Lieder zweier Liebenden« promoviert wurde.
     Nach Tätigkeiten als Redakteur in Bremen sowie als Bibliothekar in Hamburg und Stettin holte ihn schließlich Ernst Rowohlt 1937 als Lektor in seinen Verlag nach Berlin. Doch schon bald wurde Lampe im Zuge der Gleichschaltung des Rowohlt Verlags, der in den nationalsozialistischen EHER- Konzern integriert wurde, entlassen. In der Folgezeit war Friedo Lampe, der trotz seiner allgemein bekannten Homosexualität von den Nationalsozialisten weitgehend unbehelligt blieb, für verschiedene Verlage als freier Lektor tätig. Vor allem aber konzentrierte er sich auf sein eigenes literarisches Werk.
     Im Mittelpunkt von Lampes schmalem Œuvre stehen die Kurzromane »Am Rande der Nacht« (1934) und »Septembergewitter« (1937), die beide im Berliner Rowohlt Verlag erschienen sind. Daneben veröffentlichte er 1936 unter dem Titel »Das dunkle Boot« einen Band Gedichte; aber schon das Erscheinen seiner Erzählsammlung »Von Tür zu Tür« (1944/46) erlebte er nicht mehr.
     Als Lampe 1932 mit der Niederschrift seines Romans »Am Rande der Nacht« begann, schrieb er an seinen Freund und späteren Herausgeber, Johannes Pfeiffer: »Es soll ein kleines Buch werden. Eine ziemlich wunderliche Sache ... Lauter kleine, filmartig
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vorübergleitende, ineinander verwobene Szenen nach dem Hofmannsthalschen Motto: >Viele Geschicke weben neben dem meinen, durcheinander spielt sie alle das Dasein.< Alles leicht und fließend, nur ganz locker verbunden, malerisch, lyrisch, stark atmosphärisch.«2)
     Lampes Erzählung entfaltet eine Fülle von Bildern und beschreibt skizzenhaft über dreißig Figuren, darunter zahlreiche Außenseiter. Dabei umfaßt die erzählte Zeit lediglich einige wenige Stunden eines warmen Septemberabends und bildet keine einheitliche Handlung. Daß der Roman dennoch ein Panorama des alltäglichen Lebens zu geben vermag, liegt nicht zuletzt daran, daß Lampe hier eine Simultantechnik verwendet, die ihm auf engstem Raum eine enorme erzählerische Verdichtung ermöglicht. Dabei gleicht »Am Rande der Nacht« vielfach eher einem verworrenen Traumgeschehen, das hinter der empirischen Wirklichkeit

Schwanentod. Handschriftliches Manuskript des Gedichts

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die verborgenen, »magischen« Sinnzusammenhänge aufzudecken sucht. Dementsprechend wird der Roman von einer für Friedo Lampe insgesamt typischen melancholisch- pessimistischen Grundstimmung geprägt, die sich jedoch jeder explizit politischen Stellungnahme enthält. Trotz dieser politischen Enthaltsamkeit wurde das Buch kurz nach seinem Erscheinen beschlagnahmt, weil Lampe in dieser Prosaerzählung

 

ungezwungen auch sexuelle Wunschträume und homoerotische Beziehungen schildert. Ähnlich wie in seinem Erstlingswerk bilden auch die Geschichten und Studien des Bandes »Von Tür zu Tür« ein vielschichtiges Nebeneinander. Auch dieses Buch wird wiederum von einem Traumgeschehen dominiert, in dem sich der erzählte Raum in einer ständigen Verwandlung befindet und die natürliche Zeitenfolge suspendiert ist. Ganz entsprechend werden in Lampes Texten auch die logisch- grammatischen Sinngefüge aufgehoben. Auf diese Weise erfährt das erzählte Geschehen immer wieder eine magische Metamorphose, in der keine klare Scheidelinie mehr zwischen Realem und Irrealem gezogen werden kann, in der das Unmögliche zum Möglichen und schließlich zur Selbstverständlichkeit wird.
     Über Lampes Beziehung zu Berlin ist – obwohl wichtige Teile seiner literarischen Tätigkeit hier anzusiedeln sind – noch immer wenig bekannt. Sicher aber scheint, daß seine Romane und Erzählungen

 

Ehemaliges Wohnhaus von Ilse Molzahn, Heimdallstr. 62 in Kleinmachnow, heute Geschwister- Scholl- Allee

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wesentlich durch eine genaue Beobachtungsgabe sowie eine filmische Erzähltechnik fundiert wurden, wie sie wohl nur in der Metropole ausgebildet werden konnte. So machte Friedo Lampe tatsächlich auch regelmäßig Inspektionsgänge über den Kurfürstendamm. »An der Ecke Joachimsthaler Straße«, so berichtet Wolfgang Koeppen, »stand er dann fremd und groß, ein rechter Klabautermann, in dem düsteren, glanzlosen, aber eifrig wimmelnden Nachtleben des Krieges.«3)
     Obwohl Friedo Lampe aufgrund seiner Gehbehinderung auch diesmal nicht zum Militärdienst verpflichtet wurde, erlebte er den Zweiten Weltkrieg als eine umfassende Erschütterung. Als in der Nacht vom 22. auf den 23. November 1943 seine Berliner Wohnung im (Neuen) Fürstenbrunner Weg 10 ausbrannte, wurde damit auch seine kostbare Privatbibliothek weitgehend vernichtet. Lampe fand nunmehr Unterschlupf in Kleinmachnow bei der von ihm lektorierten Schriftstellerin Ilse Malzahn.
     In dieser Zeit schrieb Lampe: »Man sieht die alte Welt aufbrennen. Die Menschen haben selber das Feuer heraufbeschworen, um sich zu verbrennen und zu vernichten. Sie haben Recht und Freiheit nicht mehr zu schätzen gewußt, nun müssen sie es durch diese bitteren Erfahrungen wieder lernen.«4) Und in einem Brief, den Friedo Lampe am 28. März 1945 an Johannes Pfeiffer schrieb, heißt es: »Wir müssen in einer andern Richtung zu denken lernen, aber das ist sehr schmerzlich und schwer, besonders für Sinnenmenschen wie mich.
Ganz am Ende winkt da eine Freiheit und Heiterkeit, ein Losgelöstsein von allem Irdischen und eine Einsicht in die Hinfälligkeit und Vergänglichkeit alles Irdischen, die frühere Zeiten nur in seltenen ähnlichen Momenten erlebt haben.«5)
     Die Freiheit, die Lampe hier beschwört, erlebte er selbst nicht mehr. Am 2. Mai 1945, dem Tag der Befreiung Berlins, verlor er aufgrund eines tragischen Mißverständnisses das Leben; er wurde auf einem Waldweg bei Kleinmachnow von einem russischen Soldaten erschossen, weil er nicht belegen konnte, daß er kein Angehöriger der SS war. Sein Grabkreuz auf dem Waldfriedhof von Kleinmachnow trägt die Inschrift: »Du bist nicht einsam.«

Quellen:
1     Wolfgang Koeppen, Friedo Lampe und Felix Hartlaub, in: Merkur, 11. Jg. (1957), Heft 5, S. 501
2     Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer, Brief (Stettin) vom 14. Februar 1932, zit. nach: Friedo Lampe, Das Gesamtwerk, mit einem Nachwort von Johannes Pfeiffer, Reinbek b. Hamburg, Rowohlt Verlag 1955, S. 326 (Nachwort)
3     Wolfgang Koeppen, a. a. O., S. 500
4     Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer, Brief (Berlin) vom 10. Dezember 1943, in: Neue deutsche Hefte, 3. Jg. (1956/57), S. 118
5     Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer, Brief (Berlin) vom 28. März 1943, in: Neue deutsche Hefte, 3. Jg. (1956/57), S. 122

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