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Hans-Heinrich Müller
Bei den Demoiselles in Buchholz

Einem verregneten Tag und dem Ausbleiben eines Wagens, einem buchstäblich ins Wasser gefallenen Ausflug, verdanken wir eine launige Zeichnung des Malers, Radierers und Zeichners Daniel Chodowiecki (1726– 1801). Der Künstler hatte seiner Familie, vor allem seinen Kindern, eine Sonntagsfahrt versprochen. Um sie zu trösten und ihnen eine gewisse Entschädigung zu bieten, zeichnete er 1775 in glücklicher Laune, mit Phantasie und großer Anschaulichkeit den geplanten Ausflug nach Französisch Buchholz, eine Zeichnung, die 1779 vervielfältigt wurde und unter die Leute kam. Ein typischer Familienausflug der damaligen Zeit ist zu sehen, voraus seine Tochter Susette, am linken Arm einen Korb mit Brot und an einer über die Schulter gelegten Heugabel fünf Würste und eine große Brezel. Ihr folgen auf einem Esel, in Körben untergebracht, die Geschwister Heinrich und Henriette, während sein Sohn Wilhelm mit Peitsche und Zügeln vorn sitzt und der Neffe Daniel auf dem Hinterteil des Tieres thront. Den Abschluß bilden Schwester Nanette und Tochter Jeanette mit einem Kuchen auf einem Teller und einem Korb mit drei Flaschen,

sowie Kolbe, ein Freund des Hauses, der auf einer Violine spielt.
     Die »Wallfahrt nach Französisch Buchholz«, wie Chodowiecki seine Zeichnung nannte, galt einem 1242 erstmalig erwähnten Ort im Grünen, im Kreis Barnim gelegen, zum Amte Mühlenbeck gehörig, eine Meile von Berlin entfernt, einem Dorf, das sich zwei Kilometer hinzog. Und hier gab es eine französische Kolonie. In Buchholz hatten sich Hugenotten angesiedelt. Seit dem Toleranzedikt des Großen Kurfürsten (1620–1688, Kurfürst ab 1640) im Jahre 1685 fanden vertriebene Protestanten aus Frankreich, die Reformierten, Aufnahme in Buchholz, das im Dreißigjährigen Kriege entvölkert worden war. 1729 zählte man in Buchholz sechs französische Bauern und zehn französische Kossäten, die kleinere Bauernhöfe besaßen. 1796/97 gab es in diesem Ort 13 hugenottische Familien mit 52 Angehörigen, zu denen sich noch zwölf Deutsche gesellten, die als Dienstpersonal bei den Franzosen arbeiteten.
     Die Buchholzer Hugenotten hatten sich zu einer Kolonie mit relativ selbständigem Eigenleben zusammengeschlossen, mit eigener Kirche, Schule, eigenem Gericht und einer gut organisierten Armenfürsorge, die sich ausschließlich aus Spenden und Kollekten finanzierte.
     Die französischen Landwirte erweckten durch den Anbau zahlreicher hier bisher unbekannter Feldfrüchte wie Tabak, Spargel,
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Chodowieckis Wallfahrt nach Buchholz von 1779: Zwar war der geplante Ausflug wegen Regens ausgefallen, wurde aber doch zu Papier gebracht

Blumenkohl, Artischocken und Küchenkräuter sowie Erfolgen in der Blumenzucht bei den Einheimischen Bewunderung, und Französisch Buchholz, wie es genannt wurde (seit 1818 auch offiziell), war Ziel sonntäglicher Besucher aus Berlin. Schon um 1780 bezeichnete man Französisch Buchholz als »Ausflugsort«, zumal zwei Gaststätten und ein französisches Café die Besucher anlockten, wobei wohl nicht zuletzt die Zeichnung von Chodowiecki zum Bekanntheitsgrad dieses Ortes beigetragen haben dürfte. So wählten auch die Mitglieder der französischen Kolonie in Berlin seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Buchholz für ihre zweimal im Jahr unternommene Landpartie.
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Nicht nur die gepflegten Gärten und die Blumenpracht, sondern auch die Hauptstraße mit ihren reichen Baumanpflanzungen, ein schöner Park, der zum Besitztum des Ministers von Lottum gehörte, und ein »Gehölz«, ein Wald, zogen die Besucher an und luden zum Verweilen ein.
     Mit der Zeit siedelten sich auch wohlhabende Bürger aus Berlin in Buchholz an. Es gab »viel schöne Landhäuser, welche Privatpersonen in Berlin gehören«, wie der Aufklärer und Buchhändler Christoph Friedrich Nicolai (1733–1811) 1786 in seiner »Beschreibung der königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam« schrieb. So besaß der bekannte Bildhauer Johann Gottfried Schadow (1764–1850), Schöpfer der Quadriga auf dem Brandenburger Tor, in Buchholz ein Kossätengut, das er im April 1797 an einen Provinzinspektor namens de Wailly verkaufte. Kossätenhöfe besaßen ein Ballettmeister und ein Graf Sparr. Um 1790–1792 erwarb Franz Carl Achard (1753–1821), Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften und Direktor der Physikalischen Klasse, ein Kossätengut, 1795 noch ein zweites. Hier betrieb er botanische Studien, zog Gewächse und Samen aller Art und veröffentlichte 1796 ein »Verzeichnis einer Sammlung Treib-Gewächs- Orangerie-Haus- Pflanzen«, in dem er 2 311 Pflanzen (in lateinisch) aufführt. Samen und Pflanzen bot er den »Freunden der Botanik« an im Tausch gegen Samen und Gewächse, die er in seinem Verzeichnis
nicht erwähnt hat. 1798 folgte ein Anhang zu diesem Verzeichnis, in dem er weitere 1 147 Gewächse und Samen zum Tausche anbot. Achard verfaßte in Buchholz auch zwei kleinere Schriften für »märkische Wirte« und propagierte darin den Anbau von Futtergräsern, ferner baute er zuckerhaltige Runkelrüben an, traf Vorbereitungen für die Zuckererzeugung, mit der er dann im Laboratorium der Akademie der Wissenschaften in der Dorotheenstraße 10 (BM 5/99) im Jahre 1799 begann.
     Im 19. Jahrhundert wurde Französisch Buchholz zur beliebten Sommerfrische mit zahlreichen Landhäusern und zu einem Ziel für immer mehr Berliner Ausflügler. Bemittelte Berliner Bürger kauften und bauten Landhäuser, und die »kleinen Leute« wanderten oder fuhren nach Buchholz ins Grüne, wobei man gern in die Cafés der »französischen Demoiselles« einkehrte. Auch Carl Friedrich Zelter (1785–1832), Maurermeister und Komponist, Leiter der Berliner Singakademie, berichtete seinem Freund Wolfgang von Goethe (1749–1832) 1831 von einem Ausflug nach Französisch Buchholz. Ein fröhlicher »Schmaus« fand genau in dem Landhaus statt, das er vor etlichen dreißig Jahren einem Privatmann aufgebaut habe. In einem »Wegweiser durch Berlin«, verfaßt von Alexander Cosmar, vermerkte der Autor um 1840, daß das »größtenteils von französischen Kolonisten bewohnte Dorf« ein schöner »Vergnügungsort« sei und den Einheimischen
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wie Fremden Belehrung und Unterhaltung biete.
     Obwohl im 19. Jahrhundert die Bevölkerung in Französisch Buchholz stetig anstieg, im Jahre 1900 bereits 3 157 Personen und 201 Häuser gezählt wurden, 1919 sogar 4 906 Einwohner in Französisch Buchholz lebten, behielt der Ort doch weitgehend den von Landwirtschaft und Gärten geprägten Charakter bei. Modernes Leben zog erst nach der Jahrhundertwende ein, Gasanschluß erfolgte zwar schon vor 1900, Elektrizität, Wasser, Kanalisation kamen jedoch erst 1904 bzw. 1908 und 1913 hinzu. Größere Verkehrslinien liefen an Buchholz vorbei. Die nächstgelegene Vorortbahn befand sich in Blankenburg, und die Straßenbahnverbindung mit Pankow war kein Ersatz.
     1913 verlor Buchholz den Namenszusatz #187;Französisch«, im Zusammenhang mit der nationalistischen Welle gegen den »Erbfeind« Frankreich aus Anlaß des 100. Jahrestages des Befreiungskrieges. Doch die Alteingesessenen hielten am ursprünglichen Namen fest. Nach Tilgung des »Französischen« hieß der Ort nun Berlin-Buchholz, obwohl Buchholz erst 1920 in Groß-Berlin eingemeindet wurde und dann zum Stadtbezirk Pankow gehörte.
     Seit dem 30. Mai 1999 heißt der Ort wieder »Französisch Buchholz«, und im Neubaugebiet Buchholz-West mit seinen 8 000 Einwohnern gibt es fast nur französische Straßennamen.
Eine Gedenktafel im Ortszentrum erinnert an die hugenottische Tradition, an fruchtbares deutsch-französisches Zusammenwirken, an Toleranz und gegenseitige Achtung.

Quellen:
Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam-Sanssouci, Rep. 2, Amt Mühlenbeck, D 12721–12726, D 12813 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin-Dahlem, Rep. 122, Nr. 4312;

Literatur:
     Alexander Cosmar, Neuester und vollständiger Wegweiser durch Berlin für Fremde und Einheimische, Berlin 1839 und 1841
     Hans-Jürgen Rach, Die Dörfer in Berlin, Ein Handbuch der ehemaligen Landgemeinden im Stadtgebiet von Berlin, Berlin 1988, S. 59 ff.
     Winfried Löschburg, Wallfahrt nach Französisch- Buchholz, in: Hugenotten in Berlin, hrsg. von Gottfried Bregulla, Berlin 1988, S. 425 ff.

Bildquelle: Repro aus Ralph Hoppe, »Bolle reiste jüngst ...«, be.bra verlag 1998

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© Edition Luisenstadt, 1999
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