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Gerhard Keiderling
Die Stunde der Kommandanten

Wie die letzte Chance zu einem Modus vivendi im geteilten Berlin vertan wurde

Zwischen Juni und September 1949 – der Zeitspanne vom Blockadeende bis zur doppelten Staatsgründung – flackerte die Hoffnung, daß sich beide Teile Deutschlands und Berlins nicht zu gegensätzlichen, einander feindlich gesinnten Gesellschaften entwickelten, noch einmal kurz auf. Anlaß dazu gab der Ausgang der VI. Tagung des Rates der Außenminister vom 23. Mai bis 20. Juni 1949 in Paris. Die Sowjetunion hatte diese Tagung in den Verhandlungen zum New Yorker Abkommen vom 4. Mai 1949 als Vorbedingung für die Beendigung ihrer Blockade gegenüber den Westsektoren Berlins gemacht.
     Nach 24 Sitzungen gingen die vier Außenminister am 20. Juni 1949 im Palais de Marbe Rosé auseinander. Sie hatten sich in den Streitfragen über Deutschland und Berlin nicht einigen können. Allein in acht (zumeist geschlossenen) Sitzungen zwischen 1. und 10. Juni 1949 beschäftigten sie sich mit dem Berlin- Problem: mit der Wiederherstellung einer einheitlichen Stadtverwaltung

und ihrer Kontrolle durch die vier Mächte, mit der Klärung der Währungsprobleme und mit der Frage einer »stabilen und brauchbaren Grundlage für den Zugang nach Berlin«. Zu groß waren die divergierenden Interessen und Ziele, zu unterschiedlich die Bewertung des Möglichen und Notwendigen, als daß eine Verständigung wenigstens in diesem lokalen Konfliktfeld erzielt werden konnte. Der britische Außenminister Ernest Bevin konstatierte, es gäbe fundamentale Gegensätze, die nicht mehr überbrückbar wären.
     Gemessen an den Erwartungen, war das Schlußkommuniqué von Paris mager: Fortsetzung der Bemühungen um die Wiederherstellung der wirtschaftlichen und politischen Einheit Deutschlands durch Viermächte- Beratungen in Berlin, Gespräche über die Normalisierung des Lebens im geteilten Berlin und die Empfehlung, die Wirtschaftsbande (»Interzonenverkehr«) zwischen beiden Teilen Deutschlands nicht abreißen zu lassen.
     In der Kardinalfrage der deutschen Einheit, inschließlich alliierter Kontrollen und Friedensvertrag, hatte man wochenlang auf der Stelle getreten. Die Sowjetunion wünschte deren Behandlung auf der Grundlage des Potsdamer Abkommens, weil sie sich davon Vorteile für ihre deutschlandpolitischen Ziele erhoffte. Die Westmächte dachten nicht daran, zu den Vereinbarungen von 1945 zurückzukehren und die unmittelbar
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vor ihrem Abschluß stehende Weststaatbildung »dadurch aufs Spiel (zu) setzen, daß wir ein vereinigtes Deutschland als etwas an sich Gutes anstreben«.1) Sie boten Moskau an, die Ostzone zusammen mit Groß- Berlin als ein Bundesland gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes der kommenden Bundesrepublik beitreten zu lassen. Aus heutiger Rückschau erscheint diese Offerte als verpaßter »Königsweg«, der Jahrzehnte der Teilung vermieden hätte. Doch aus damaliger Sicht war er nicht einmal geeignet, den gefahrdrohenden Ost-West- Gegensatz im Sinne eines Modus vivendi zu überbrücken. Eine sowjetische Zustimmung war natürlich nicht zu erwarten. Der Westen hatte auch gar nicht damit gerechnet. Denn am Schlußtag der Konferenz traten die Statuten der Hohen Alliierten Kommission, die in Abkehr vom Alliierten Kontrollrat die Oberaufsicht über die Bundesrepublik übernahm, in Kraft.
     Zum ersten Male nach 15 Monaten trafen am 28. Juni 1949 im Gebäude des früheren Kontrollrates in der Elßholzstraße wieder Vertreter der vier Mächte aufeinander. Gemäß dem Pariser Kommuniqué vereinbarten die stellvertretenden Oberbefehlshaber konsultative Beratungen auf zwei Ebenen: auf der »höheren Ebene« der Chefs der Besatzungsbehörden oder ihrer Stellvertreter und auf einer »untergeordneten Ebene« der Sachverständigen. Doch dazu sollte es nie kommen. Verhandlungen wurden nur
über die Berliner Frage aufgenommen.
     Die vier Stadtkommandanten – Generalmajor Alexander G. Kotikow (UdSSR), Brigadegeneral Frank L. Howley (USA; ab 1. September 1949 Generalmajor Maxwell D. Taylor), Generalmajor Geoffrey K. Bourne (Großbritannien) und Divisionsgeneral Jean J. Ganeval (Frankreich) – kamen viermal im Kontrollratsgebäude zusammen: am 12. und 27. Juli, am 18. August und am 12. September 1949.
     Gleich zu Beginn teilte der französische Kommandant namens seiner Kollegen mit, es handele sich nicht um eine »Wiederbelebung der Viermächte- Kommandantur«. Diese Erklärung war insofern bemerkenswert, als die Westmächte stets behaupteten, die von ihnen im Dezember 1948 installierte Dreimächte- Kommandantur stelle die Fortsetzung des früheren Viermächte- Organs dar.
     Eine konträre Interessenlage diktierte den Verlauf der Verhandlungen. Die Westmächte, im Vollgefühl des Triumphes über Stalins Blockade, wünschten nicht nur eine ausnahmslose Bestätigung des neuen Status quo durch Moskau, sondern auch eine nachträgliche Verbesserung und Absicherung ihrer Westberliner Position, vor allem in der Zugangsfrage. Die Furcht vor einer neuen Blockade war evident. Die Sowjetunion hingegen erhoffte sich durch Gesamtberliner Regelungen ein Offenhalten der deutschen Angelegenheiten in ihrem Sinne.
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Andernfalls wollte sie ihren Druck auf das isolierte West-Berlin andauern lassen. Die Aussicht auf Erfolg der Verhandlungen war also sehr trüb.
     In der ersten Sitzung – eineinhalb Stunden debattierte man allein über die Tagesordnung – wünschten die Westmächte eine Klärung der »kleineren Probleme« wie Einstellung restriktiver östlicher Maßnahmen auf den Zugangswegen, gegenseitige Anerkennung der Briefmarken und andere Verbesserungen im Postverkehr. Sie beriefen sich auf das New Yorker Abkommen, vermieden aber jeden Hinweis auf den von ihnen geduldeten UGO-Streik bei der Eisenbahn (vgl. BM 6/99). Eine Behandlung der »schwierigen Probleme
zur Seuchenbekämpfung in Berlin«, »Über die Regelung wirtschaftlicher Fragen bei der Verwaltung der Berliner Wasserversorgung«, »Über Regelung wirtschaftlicher Fragen bei der Verwaltung des Berliner Kanalisationssystems«.
     Das waren zwar wichtige, doch nicht politisch grundsätzliche Themen. Auch Kotikow tastete sich an den brisanten Kern des Berlin- Problems nur behutsam heran; Maximalforderungen hätten unvermeidlich ein frühes Ende der Gespräche bedeutet.
     Die weiteren Sitzungen offenbarten eine geringe Bereitschaft zu ernsthaften Verhandlungen. Lediglich der monatelange Brief-
der Berliner Währung und der beiden Stadtverwaltungen«2) sollte erst später erfolgen.
     In der zweiten Sitzung legte der sowjetische Kommandant sein Programm vor: »Über Beseitigung von Hindernissen bei Inanspruchnahme von Krankenhäusern durch die Berliner Bevölkerung«, »Über einheitliche Maßnahmen zur Schädlingsbekämpfung in der Landwirtschaft«, »Über Einführung einer einheitlichen Ordnung und einheitlicher Vorbeugungsmethoden
Tagungsort des Alliierten Kontrollrates
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markenkrieg, in dem beide Seiten die wechselseitige Anerkennung ihrer Postwertzeichen verweigert hatten, konnte beigelegt werden. Zu den Kotikow- Vorschlägen hieß es, »daß diese Fragen bereits von zuständigen deutschen Stellen bearbeitet würden und die Westkommandanten sich nicht in der Lage sähen, in diese Angelegenheiten einzugreifen«.3) Das entsprach aber nicht den Tatsachen; zwischen den beiden Magistraten herrschte von Anfang an absolute Funkstille. Eine Wiedervereinigung der Stadtverwaltung und der Währungen umgingen alle Kommandanten.
     Besonders die Amerikaner scheuten wie ein erschrecktes Pferd vor einer Rückkehr zum alten Viermächte- System, das nur dem Osten Vorteile brächte. Im Bewußtsein der gewonnenen Kraftprobe um Berlin dürfe man – so der damalige politische Chefplaner im US- Außenministerium, George F. Kennan – das Fait accompli in Westdeutschland »nicht leichtfertig aufs Spiel setzen«.4) Dazu gehörte es auch, in Berlin Gespräche zwischen den beiden Magistraten, die bei Annahme der sowjetischen Vorschläge unvermeidlich wären, auf jeden Fall zu vermeiden. Die Dreimächte- Kommandantur für West-Berlin entschied am 28. Juli 1949, die Kotikow- Offerte zurückzuweisen, weil sie eine »Defacto- Anerkennung« des Ebert- Magistrats einschlösse.5) Am 10. August 1949 wies das US- Außenministerium an, alles zu unterlassen, was auf eine Anerkennung
Ostberliner Behörden hinausliefe, weil dies »die legale oder normale Position« des Reuter- Magistrats schwächen könnte.6) Selbst eine von Kotikow angeregte »akzeptable Form von Kontakten zwischen den beiden Magistraten oder ihren Organen« zwecks Normalisierung der Lage wurde abgelehnt.7) Damit schuf man ein Präjudiz für den Fall, daß die seit Sommer 1948 erwartete Oststaat- Gründung in den nächsten Wochen eintreten würde.
     Verhandlungen und Abmachungen zwischen beiden Magistraten hätten zudem die bereits ad acta gelegte Frage der alliierten Kontrolle wieder aufgeworfen. US- Außenminister Dean G. Acheson hatte schon in Paris klargestellt, daß es keine Rückkehr zur Viermächte- Kommandantur zwischen 1945 und 1948 geben könnte: »All unsere Erfahrungen zeigen, es ist unmöglich, die Stadt auf der Grundlage des Einmütigkeitsprinzips zu verwalten.«8) Sein Angebot, die Sowjetunion solle der Dreimächte- Kommandantur auf der Grundlage des »Kleinen Besatzungsstatuts« vom 14. Mai 1949 beitreten, war für diese völlig indiskutabel. Ohne die Verhandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft zu haben, teilten die drei Kommandanten im Anschluß an ihre Sitzung vom 28. September 1949 dem sowjetischen Kollegen mit, sie seien von ihren Hohen Kommissionen in Bonn angewiesen worden bekanntzugeben, »daß wir nicht gewillt sind, die Verhandlungen weiterzuführen«, solange
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die Sowjetunion Vereinbarungen vom 26. Mai 1949 zur Beendigung des UGO-Streiks nicht einhalte.9)
     Wie sehr dieses Argument abwegig war, verdeutlichte einen Tag später Oberbürgermeister Ernst Reuter. Er stellte den »Abbruch der Normalisierungsverhandlungen« in einen logischen Kontext zur inzwischen erfolgten Regierungsbildung in Bonn und sprach die Hoffnung aus, »daß nun langsam auch andere Konsequenzen aus dieser so geschaffenen Situation gezogen werden. Denn einmal muß man doch sagen: entweder – oder. Man kann nicht sagen: weder Fisch noch Fleisch. ... Berlin muß die staatsrechtlichen und hoheitsrechtlichen Funktionen zuerkannt bekommen, die notwendig sind, um die Voraussetzung dafür zu schaffen, daß wir in unserem eigenen Haus Ordnung schaffen können.«10) Die Klärung der noch immer umstrittenen Zugehörigkeit West-Berlins zur Bundesrepublik (vgl. BM 5/99) erhielt Vorrang vor der mühsamen Suche nach gangbaren Wegen zu einer Normalisierung des Lebens in der geteilten Stadt.
     Eine behutsame Behandlung der offenen Wunde Berlin führte also nicht zur Heilung des deutschen Geschwürs. Im Gegenteil, die Dinge nahmen ihren vorgezeichneten Lauf. Am 7. September 1949 konstituierte sich in Bonn der Bundestag der Bundesrepublik Deutschland. Zeitgleich erteilte Stalin die Order zur Gründung der Deutschen
Demokratischen Republik am 7. Oktober 1949 (vgl. BM 9/95). Ein Modus vivendi, ein einigermaßen geregeltes Miteinander, wäre damals durchaus erreichbar gewesen, ohne die Positionen der Großmächte zu schmälern. So wären möglicherweise manche Verhärtungen und Zuspitzungen in der Folgezeit vermieden worden.

Quellen und Anmerkungen:
1     Foreign Relations of the United States. Diplomatic Papers (FRUS), 1949, Bd. III, Washington 1974, S. 872
2     Ebenda, S. 366
3     »Die Neue Zeitung«, Berlin, vom 19. 8. 1949
4     George F. Kennan, Memoiren eines Diplomaten, Bd. 2, München 1971, S. 445
5     FRUS, 1949, a. a. O., S. 367
6     Ebenda, S. 372
7     Ebenda, S. 374
8     Ebenda, S. 943
9     Ebenda, S. 394 f.
10     Berlin. Quellen und Dokumente 1945–1951, Berlin 1964, 2. Hlbd., Nr. 1024, S. 1777

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