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Gerhard Stelzer
Ein Kaufmann als Altertumsforscher

Ehrenbürger Heinrich Schliemann (1822–1890)

Schliemanns Leben und Werk bietet das denkwürdige Beispiel eines hochbegabten und genialen, energievollen und zielstrebigen Menschen seiner Zeit, der es unter ungünstigen Startbedingungen zu unwahrscheinlichen Erfolgen bringt – wo immer er auch aktiv wird, ob als Geschäftsmann, Studierender und Wissenschaftler, als Entdecker und Ausgräber.
     Zugleich war er stets der Außenseiter, der überall hart um Anerkennung ringen mußte. Besonders in der Altertumswissenschaft, denn hier haben seine seit 1870 die Öffentlichkeit in Atem haltenden Grabungsergebnisse, die er als »Amateur« in Troja, Mykene, Ithaka, Orchomenos und Tiryns erzielte, keineswegs nur Anerkennung und Bewunderung hervorgerufen, sondern vielfach auch Neid und Mißgunst, brüskierende Ablehnung und Anfeindungen bewirkt.


Heinrich Schliemann um 1874

Dem ausschließlich geld- und gewinnorientierten »Marktmenschen« unserer Tage dürfte es ohnehin ein Rätsel sein, warum der Multimillionär Schliemann, auf der Höhe geschäftlicher und sozialer Erfolge in Rußland und den USA angelangt, trotz bester Aussicht auf noch größere unternehmerische und soziale Erfolge 1864 ins Lager der Wissenschaft und Kultur überwechselte.

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Als fünftes Kind einer ärmlichen Pastorenfamilie am 6. Januar 1822 in Neubukow/ Mecklenburg-Schwerin geboren, war ihm die Aussicht auf ein Studium ohnehin versperrt. Nach dem Besuch der Dorfschule in Ankershagen, dort lebte die Familie seit 1823, und vierjähriger Realschulzeit in Neustrelitz wurde er 1836 Lehrling bei einem Fürstenberger Kleinkrämer, wo er fünfeinhalb Jahre zubrachte. Dann zog es ihn aus der provinziellen Enge in die weite Welt. Amsterdam und St. Petersburg waren seine ersten Stationen. Hier, in Rußland, gründete er 1847 als Fünfundzwanzigjähriger ein eigenes Handelshaus, das bestens florierte. 1850 bis 1852 wirkte er, vom Goldrausch erfaßt, mit großen geschäftlichen Erfolgen in Kalifornien und anderen Gebieten Amerikas und eröffnete dort eine Bank für Goldhandel. 1852 bis 1863 folgten in Rußland Jahre enormer, wie er sagte, mit »hartem Herzen« erzielte Gewinne, insbesondere durch den Krimkrieg und Teeimporte.
     Als Kaufmann und Bankier in Rußland und den USA zum Multimillionär geworden, zog sich Schliemann 1864 endgültig aus dem Geschäftsleben zurück, um sich »ausschließlich den Studien, welche den größten Reiz für mich haben, zu widmen«. Angekündigt hatte sich dies bereits Jahre zuvor, als er Mitte der fünfziger Jahre intensive Sprachstudien betrieb und weite Reisen unternahm. 1856 lernte er Neu- und Altgriechisch
– zuvor hatte sich der sprachbegabte Schliemann autodidaktisch schon Sprachkenntnisse in Englisch, Französisch, Holländisch, Spanisch, Italienisch und Portugiesisch angeeignet – und bereiste 1858/59 Schweden, Dänemark und Deutschland, Italien, Malta, Ägypten, Syrien, Palästina und Spanien.
     Nach der endgültigen Geschäftsaufgabe folgten zwischen 1864 und 1870 Jahre intensivster geistig-kultureller und wissenschaftlicher Vorbereitung auf das eigentliche Lebensziel. Wir finden ihn 1864–1866 als Weltreisenden in Indien, China, Japan, Amerika und Kuba, 1867/68 erneut in Nordamerika und Kuba, anschließend in Italien und Griechenland.
     1866–1870 studierte er an der Sorbonne in Paris Sprachen, Philologie und Philosophie. 1867 erschien sein erstes Buch: »La Chine et la Japon au temps présent« und 1869 das zweite: »Ithaka«. Im selben Jahr promovierte er an der Rostocker Universität und faßte den Entschluß, Archäologe zu werden.
     Seit 1870 hatte Schliemann – inzwischen amerikanischer Staatsbürger mit Wohnsitz in Athen geworden – als Entdecker und Ausgräber durch seine bedeutenden Funde die Weltöffentlichkeit aufhorchen lassen. Wie kein anderer hatte er es verstanden, seine Ergebnisse als Berichterstatter, wissenschaftlicher Interpret und in faszinierender publizistischer Darstellung wirksam zu offerieren, u. a. in mehreren Büchern, die in
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Leipzig, London, New York und Paris erschienen. Dabei kam ihm zugleich die besondere Empfänglichkeit zugute, die sein Jahrhundert der Erschließung längst verschollener und unerforschter Kulturen der fernen Vergangenheit entgegenbrachte.
     Bereits Schliemanns Grabungskampagnen in Troja (Hissarlik), die 1870 begannen und 1873 in der zweituntersten Schicht den vermeintlichen Schatz der Priamos zutage förderten, haben die bisherigen Vorstellungen und Deutungen des homerischen und vorhomerischen Zeitalters grundlegend korrigiert. Nicht minder durch weitere sensationelle Funde in Mykene 1876, wo er das Schatzhaus des Atreus entdeckt zu haben vermeinte und unter den bedeutenden, umfangreichen Goldfunden die Maske des Agamemnon vermutete. Ebenso wurden in Ithaka 1870–1885, Orchomenos seit 1880/81, Tiryns 1884/85 und andernorts bedeutsamen Monumente freigelegt, kostbare museale Fundstücke gewonnen und dadurch bislang unbekannte Kulturen des Mittelmeerraumes historisch greifbar gemacht und zugleich neue archäologische sowie vor- und frühgeschichtliche Forschungsgebiete begründet. Lediglich die geplante Freilegung des Königsschlosses in Knossos auf Kreta, die für ihn die Krönung seiner bisherigen Grabungen hätte werden sollen, scheiterte 1884 an dem nicht zustande kommenden Ankauf des bereits ermittelten Terrains.
Seinen bedeutenden Ergebnissen konnte sich nach längerem Zögern letztlich auch die Fachwelt nicht verschließen. Dennoch verstummten die kritischen Stimmen unter den Archäologen nie ganz. Hier gab es ohnehin allemal starke Vorbehalte gegen »grabende Laien« mit wissenschaftlichen Ambitionen. Sich zu neidloser Anerkennung durchzuringen, wenn so ein ungebeten und ohne Scheuklappen daherkommender »Amateurarchäologe« wie Schliemann überall unglaubliches Finderglück hatte und immer wieder gerade dort erfolgreich war, wo es nach fachlichem Ermessen eigentlich nichts zu finden geben sollte, mußte manchem weniger erfolgreichen, seriösen Fachmann schwerfallen. Um so mehr bei einem »sozialen Aufsteiger«, der durch geschäftliche Transaktionen in kurzer Zeit zu Reichtum gelangt war und sich nun scheinbar anschickte, mit Hilfe seiner Millionen das Reich der Wissenschaft zu erobern und hier in einem Maße zu Erfolg und Anerkennung, zu Ehre und Ruhm zu gelangen, wie es zu jener Zeit das Dasein eines noch so erfolgreichen Geschäftsmannes niemals hätte bieten können.
     Kein Wunder, daß einem Manne wie Schliemann immer wieder gern seine Irrtümer als Interpret und besonders gewisse Grabungssünden vorgehalten wurden und daß es zu seinen Lebzeiten außer Wilhelm Dörpfeld, der ihm seit 1882 bei den Ausgrabungen zur Seite stand, nur wenige Archäo-
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logen gab, die ihn voll anerkannt haben. Kein Wunder, daß Schliemann nicht darauf hoffen konnte, von der wissenschaftlichen Welt in Deutschland Ruhmeskränze geflochten zu bekommen. Er mußte sich selbst darum bemühen.
     Der Arzt und Ethnologe Rudolph Virchow, der Troja besucht hatte, war unter allen Zeitgenossen die Wissenschaftlerpersönlichkeit, der Schliemann sich am engsten verbunden fühlte und sich anvertraute und der ihm immer wieder zum unentbehrlichen Fürsprecher und Schutzpatron bei allen Anfeindungen wurde. Virchow und seinem weitreichenden Einfluß war es besonders zu danken, daß die Schliemannsche Troja-Sammlung 1881 nach Berlin kam, der Kaiser ihm dafür höchstpersönlich ein Dankschreiben schickte und bald darauf Schliemanns Wunsch, Ehrenbürger der Reichshauptstadt zu werden, in Erfüllung ging. Am 11. Dezember 1879 hatte Schliemann seinem Vertrauten und Verbündeten Rudolf Virchow insgeheim mitgeteilt, daß er beabsichtige, seine trojanische Sammlung ans Berliner Museum zu verschenken unter der Bedingung, daß das Lokal, wo sie aufgestellt wird, d. h. die Säle schön und passend sind und auf immer meinen Namen tragen, was vom deutschen Parlament bestätigt werden muß. Ich selbst will sie aufstellen; es muß nur ganz verschwiegen bleiben, denn es würde mir sehr in England schaden ... Als die Troja-Sammlung mit dem Schatz des Priamos 1881 nach Berlin ging, galt sie als
eine Schenkung an das deutsche Volk, mit der der Name Schliemann für immer verbunden sein sollte. Nun erhoffte er sich dafür vom Kaiser und den Berlinern eine Anerkennung. An Virchow richtete er in einem Brief vom 6. Januar 1881 die Bitte: Veranlassen Sie doch, daß die Stadt Berlin meine Frau und mich zu Ehrenbürgern ernennt, und tun sie sonst, was irgend von anderen Auszeichnungen erreichbar ist. Virchow kann als Stadtverordneter zumindest in bezug auf Schliemanns Ehrenbürgerschaft etwas unternehmen, zu dem bald darauf erbetenen Orden Pour le mérite und anderem kann er ihm nicht verhelfen. Um in Sachen Ehrenbürgerschaft sicherzugehen, riet Virchow am 10. Januar 1881, noch einige Monate zu warten, bis die Aufstellung Ihrer Sammlung erfolgt ist und die Sammlung dem Publikum eröffnet werden kann. Und um Schliemanns Ungeduld zu besänftigen: Vergessen Sie auch nicht, daß Magistrat und Stadtverordnete ein schwerer Körper sind, bei denen solche Hauptaktionen etwas Zeit kosten. Ehrenbürger macht man nicht alle Jahre, und ich würde da doch auch gern etwas Zeit haben, um die Gemüter warm zu machen und alles vorzubereiten. Wenn 126 Stadtverordnete abstimmen, da gibt es immer eine große Zahl von Querköpfen, und es ist nicht so ganz einfach, sich eine Majorität zu verschaffen. Aber ich will gern das meinige tun, und ich habe die beste Hoffnung.
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Am 3. Juni 1881 beschloß das Magistratskollegium, wie aus dem im Landesarchiv Berlin befindlichen Aktenmaterial hervorgeht, dem Dr. Heinrich Schliemann das Ehrenbürgerrecht zu ertheilen, und das Einverständnis der Stadtverordneten hierzu einzuholen. Im Antrag an die Versammlung der Stadtverordneten, datiert auf den 7. Juni 1881, hieß es: Herr Dr. Schliemann hat seine Sammlung trojanischer Alterthümer zu einem Geschenk für das deutsche Volk und zur Aufstellung in der Reichshauptstadt bestimmt. Diese Schenkung ist mit den daran geknüpften Bedingungen von S. Majestät, dem Kaiser, durch Allerhöchsten Erlaß vom 29 Jan d. J. genehmigt, von dem wir eine Abschrift beifügen.
     Wenn künftig die aus dem Schutt der Jahrtausende ans Licht gezogenen Reste alttrojanischer Kultur in unserer Stadt von den historischen Grundlagen der homerischen Dichtung reden, so werden sie auch Zeugnis ablegen von des genialen Forschers Thatkraft, der in langer unermüdlicher Arbeit die Mittel, in unverdrossener Begeisterung die Wege fand zu Aufdeckung ... einer von der Sonne der classischen Literatur vergoldeten Vorzeit ... Die Stadt, die seine Sammlung birgt, wird als den ihrigen gern den Mann begrüßen, der in der Vereinigung praktischer Tüchtigkeit mit idealem Streben dem deutschen Bürgertum ein Vorbild geworden.
Am 16. Juni 1881 wurde der Magistrat in Kenntnis gesetzt, daß die Stadtverordnetenversammlung ihr Einverständnis zu der Ertheilung des Ehrenbürgerrechts an Herrn Dr. Heinrich Schliemann erklärt hat.
     Am 7. Juli 1881 wurde Schliemann zum Ehrenbürger der Stadt Berlin ernannt, und Virchow hielt die Laudatio.
     Als Schliemann im März 1883 endlich das lang ersehnte Diplom erhielt, bereitete er sich schon wieder auf nächste Ausgrabungen vor. 1886 reiste er nach Kuba und 1889 und 1890 nochmals nach Troja. Der Tod ereilte den Unermüdlichen am 26. Dezember 1890 in Neapel, wo er sich gerade auf der Heimreise von Deutschland nach Griechenland befand.

Bildquelle: Archiv LBV

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