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Rudolf Jürschik
Die Sicht des Wirklichen

Ehrenbürger Max Liebermann (1847–1935)

Der Vater Louis Liebermann, ein angesehener, weil ebenso tüchtiger wie wohlhabender jüdischer Kaufmann und Fabrikant, erwarb 1859 das Haus Pariser Platz Nr. 7, direkt neben dem Brandenburger Tor. Dort wohnte Max Liebermann ab 1894 – da galt er schon als der repräsentativste Maler in Deutschland – und richtete sich sein Atelier ein, das bis 1933 ein Zentrum des geistigen Lebens in Berlin war.
     Nach seinem Abitur 1866 am Friedrichswerderschen Gymnasium immatrikulierte er sich an der Philosophischen Fakultät der Berliner Universität. Gleichzeitig war er Schüler des Pferdemalers Steffeck. Seiner außergewöhnlichen Begabung folgend, studierte er von 1868 bis 1873 an der Kunstschule in Weimar. Prägend wirkte eine Begegnung mit dem ungarischen Maler Michael Munkácsy (1844–1900). Unter dem Eindruck seiner Bilder malte Max Liebermann 1871/72 sein erstes großes Gemälde, die »Gänserupferinnen«, das auf Ausstellungen in Weimar, Hamburg und Berlin Aufsehen erregte, Aner-


Max Liebermann

 

kennung fand und Widerspruch hervorrief. Zwischen 1873 und 1878 lebte er in Paris, Barbizon und Holland. Er begegnete Gustave Courbet (1819–1877) und Jean-François Millet (1814–1875), der zu seinem großen Vorbild wurde. Beeindruckend waren für ihn auch die Arbeiten von Frans Hals (zwischen 1581 und 1585–1666). Die niederländische Landschaft, der Alltag ihrer Bewohner wurden für lange Zeit Ort, Motiv und geistiger Bezug seines Schaffens.

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In den Jahren von 1878 bis 1884 lebte er in München; nachhaltig wirkte die freundschaftliche Beziehung zu Wilhelm Leibl (1844–1900).
     Mit so bedeutenden Werken wie »Hof des Waisenhauses in Amsterdam«, »Arbeiter im Rübenfeld«, »Der zwölfjährige Jesus im Tempel«, »Schusterwerkstatt« u. a. hatte er bereits international Beachtung gefunden, als er nach Berlin »heimkehrte«. Am Nordrand des Tiergartens, In den Zelten 11, wohnte die Familie Liebermann. Dort und später auch in der Augustastraße am Landwehrkanal hatte Liebermann ein Atelier.
     Im wilhelminischen Berlin wirkte die Objektivität seiner Bilder zwangsläufig oppositionell. Vielfach wurden sie als »Armeleute-Malerei« abgewertet. Unbeirrt folgte Liebermann seiner Sicht des Wirklichen und seiner Auffassung von Kunst. Er wird als Impressionist bezeichnet, was zutrifft, wenn man Impressionismus als eine Weltanschauung, als »Schau der Dinge aus ihrem Zusammenhang mit aller Natur« versteht. In den folgenden Berliner Jahren entstanden »Die Netzflickerinnen«, »Flachsscheuer in Laren«, »Frau mit Ziegen« u. a.
     Zur Weltausstellung 1889 in Paris anläßlich des 100. Jahrestages der Französischen Revolution bewirkte er, trotz Ablehnung durch die staatlichen Behörden in Berlin, das Zustandekommen einer repräsentativen deutschen Abteilung. Er wurde Mitglied der »Societé National des Beaux Arts«; seine
Ernennung zum Ritter der Ehrenlegion durfte er jedoch nicht annehmen. Die Aufnahme der »Gänserupferinnen« in die Berliner Nationalgalerie im Jahre 1894 markierte nun auch in Deutschland offiziell seine Geltung. 1896 wurde Liebermann durch die Französische Republik erneut zum Ritter der Ehrenlegion ernannt – nun durfte er die Ehrung annehmen.
     Auf der Großen Berliner Kunstausstellung 1897 erhielt er die Goldene Medaille; der Professorentitel wurde ihm zuerkannt. 1898 wurde er Mitglied der Preußischen Akademie der Künste. Zugleich gehörte er aber auch der in diesem Jahr gegründeten Berliner Sezession an – einer antiakademischen Künstlervereinigung, deren Bemühungen auf die Beförderung moderner und sozialkritischer Kunst des In- und Auslandes gerichtet waren; in der Stellung zu den Expressionisten jedoch schieden sich die Geister. Von 1899 bis 1911 war Liebermann Präsident der Sezession.
     Die deutsche Malerei aus der wilhelminischen Enge heraus- und die Tradition der Berliner Kunst eines Schinkel, Schadow und Menzel weiterzuführen war die Lebensaufgabe und -leistung Max Liebermanns. Obwohl er nie ein Lehramt ausübte, hatte er doch großen pädagogischen Einfluß; »vorbildlich durch seine Selbständigkeit« (Gerhart Hauptmann) und als unermüdlicher Anreger durch seinen bekräftigenden Verweis auf bedeutende künstlerische Leistun-
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Selbstbildnis, Ölgemälde 1909

 

gen. So hatte er beispielsweise Käthe Kollwitz' Zyklus »Ein Weberaufstand« für eine Goldmedaille vorgeschlagen. Der Vorschlag wurde von Kaiser Wilhelm II. (1859–1941, Kaiser 1888–1918) abgelehnt.
     Seit der Jahrhundertwende rückte die Kunst des Porträts in den Mittelpunkt seines Schaffens. Nur einige der von ihm Porträtierten seien hier genannt: Hamburgs Bürgermeister Petersen, Baron Berger, Samuel Fi-

scher, Wilhelm von Bode, Theodor Fontane, Albert Einstein, Richard Strauss und Ferdinand Sauerbruch. Die vielen Selbstbildnisse, eine anspruchsvolle Aufgabe, der er sich bis zum Ende seines Lebens immer wieder stellte, sind Zeugnisse höchster malerischer Kultur und aufrichtig-suchender Selbstbefragung. Bezeichnend hierfür ist sein berühmtes Bonmot: »Wenn man Frans Hals sieht, bekommt man Lust zu malen, wenn man Rembrandt sieht, möchte man es aufgeben.« Den Briefwechsel von Goethe und Schiller bezeichnete er einmal als eine seiner Bibeln, worin er tagtäglich lese, und Kants »Kritik der reinen Vernunft« als die andere.
     1920 wurde Max Liebermann zum Präsidenten der Preußischen Akademie der Künste berufen. Schon wenige Tage danach erreichten ihn anonyme Morddrohungen; später – 1927 – war in nationalsozialistischen Zeitungen zu lesen, es sei »unerhört, daß ein Jude den Reichspräsidenten malt«. Seine Akademie-Reden und die zur Eröffnung vieler Ausstellungen, seine Schriften zu Persönlichkeiten und Tagesfragen wie seine Gedanken zur »Phantasie in der Malerei« zeugten von einem von konsequentem Humanismus bestimmten Demokratieverständnis.
     »In Liebermann bewundere ich Berlin – das man von München aus viel besser bewundert, als wenn man dort lebte. Ich finde es königlich, daß er den geweckt schnoddri-
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gen Berliner Jargon spricht, frank und unverfälscht, und wenn ich bei ihm bin, in seinem Haus am Pariser Platz, fühle ich mich im Brenn- und Sammelpunkt erheiternder und mächtiger Charakterköpfe, an repräsentativsymbolischem Ort, in der Residenz des genius loci: eine Empfindung, zu der das Fluidum von Freiheit, Kühnheit, Größe, Souveränität nicht wenig beiträgt, das die rassig-feine und ritterliche, im strengsten Sinne liebenswürdige Person des Hausherrn umwittert.« So erhellt in seinem Gruß Thomas Mann Persönlichkeit und Ausstrahlung dieses Malers.
     Zu seinem 80. Geburtstag wurde Max Liebermann auf Beschluß der städtischen Behörden vom 29. und 30. Juni 1927 das Berliner Ehrenbürgerrecht verliehen.
     1932 wurde Liebermann Ehrenpräsident der Akademie. Verbürgt ist seine pointierte Äußerung »Ick kann jar nich soviel fressen, wie ich kotzen möchte!«, als Hitlers braune und schwarze Kolonnen 1933 vor seinem Fenster durchs Brandenburger Tor marschierten. Mal- und Ausstellungsverbot trafen ihn und andere Künstler. Im Zusammenhang mit der Aktion »Entartete Kunst« wurden viele seiner Bilder aus öffentlichen Sammlungen in Deutschland entfernt. Neben Heinrich Mann und Käthe Kollwitz war Max Liebermann aus Protest aus der Akademie ausgetreten. Der Wortlaut seiner Erklärung vom 8. Mai 1933 wurde erst nach dem Krieg öffentlich bekannt. »Ich habe während
meines langen Lebens mit allen meinen Kräften der deutschen Kunst zu dienen gesucht: Nach meiner Überzeugung hat Kunst weder mit Politik noch mit Abstammung etwas zu tun, ich kann daher der Preußischen Akademie der Künste, deren ordentliches Mitglied ich seit mehr als dreißig Jahren und deren Präsident ich durch zwölf Jahre gewesen bin, nicht länger angehören, da dieser mein Standpunkt keine Geltung mehr hat. Zugleich habe ich das mir verliehene Ehrenpräsidium der Akademie niedergelegt.«
Max Liebermann wurde nach seinem Tode am 12. Februar 1935 in der Familiengruft auf dem Jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee beigesetzt. Seine Frau Martha, 1943 von der Gestapo zum Transport nach Auschwitz aufgefordert, wählte den Freitod.

Bildquelle:
Hans Ostwald, Das Liebermann-Buch, Berlin 1930

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Berlinische Monatsschrift Heft 6/99
© Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de