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Thea Koberstein
Das Mosse-Palais: eine feine Adresse

Jahrzehntelang war er Brachland, erst jetzt rückt der Leipziger Platz dank ehrgeiziger Stadtplanung wieder ins Bewußtsein der Berliner. Dabei galt er um die Jahrhundertwende als großstädtisches Juwel. Dieses Achteck, in weiten Flächen mit gepflegtem Rasen bedeckt und von Linden beschattet, galt als einer der schönsten Plätze der Innenstadt. Westlich, zum Potsdamer Platz hin, war er von zwei kleinen dorischen Tempeln begrenzt. Am östlichen Ende, an der einmündenden Leipziger Straße, befand sich das Mosse-Palais. Heute steht an seiner Stelle ein großes Bürohaus. Obwohl es den gleichen Namen trägt, erinnert nichts an das alte Palais. Erst mit Hilfe von alten Akten und Fotografien läßt sich ehemaliger Glanz erahnen.
     Zwischen 1881 und 1885 ließ sich der jüdische Verleger Rudolf Mosse (1843–1920) seine Stadtresidenz bauen. Es war ein imposanter Backsteinbau, der entlang seiner Vorderfront mit einem Relief von Max Klein geschmückt war: »Die Erhebung des deutschen Genius« lautete die durchaus ernstgemeinte Inschrift. Was schon von außen wie ein Musentempel wirkte, war es auch innen.

Wertvolle Handschriften, seltene Bücher, aber auch Gemälde und Skulpturen entzückten die Besucher. Mosse, ein sonst so nüchterner Geschäftsmann, sammelte Kunst. Er hatte einen Blick fürs Bleibende und erkannte früh den Wert der Werke von Künstlern wie Böcklin, Corinth, Leibl oder Liebermann. Immer wieder neue Entdeckungen zeigte er in seiner Galerie. Aufsehen erregte auch das große Wandgemälde im Speisesaal. Anton von Werner, Historienmaler des Kaisers und des neuen Geldadels, stellte Mosse im Kreis seiner Familie und Freunde dar. Er zeigte sie, nach der Mode des 16. Jahrhunderts gekleidet, um eine üppig gedeckte Tafel versammelt. Den Kelch zum Trinkspruch erhoben, schienen sie voller Stolz ihren Wohlstand zu feiern.
     Seinen Reichtum zu zeigen galt als selbstverständlich. Mosse gehörte zu den einflußreichen Männern in der Hauptstadt des Kaiserreichs. Sparsam und korrekt hatte er seine Firma aufgebaut, entwickelte das Annoncengeschäft, gründete einen Nachrichtendienst und gab selber Zeitungen heraus, unter anderem das auflagenstarke »Berliner Tageblatt« (BM 6/95). Der kleine Mann mit Kinnbart und scharf blickenden Augen galt Anfang dieses Jahrhunderts als drittreichster der Berliner Millionäre, allein sein Palais am Leipziger Platz wurde auf zweieinhalb Millionen Mark geschätzt. Hier residierte Rudolf Mosse mit seiner Frau Emilie jahrzehntelang. Sie verstanden es,
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Rudolf Mosse um 1917

 

berühmte Persönlichkeiten um sich zu scharen. Des Abends rollten noble Kutschen und mehr und mehr Automobile auf den Hof. Wenn die Räder mit ihren dünnen Speichen zum Stehen kamen und livrierte Chauffeure die Schläge aufrissen, stiegen die Damen und Herren der Berliner Gesellschaft aus. Erwartungsvoll näherten sie sich dem Palais, es war unverzichtbar für das kulturelle Leben der aufstrebenden Stadt geworden.

Schon im Hof war das erste Kunstwerk zu bewundern. Leichtfüßig tanzten drei bronzene Mädchen auf einem Brunnenrand. Lächelnd und nur mit den Fingerspitzen einander berührend, machten sie die Erdenschwere vergessen. Mosse sah in ihnen die verkörperte Lebensfreude und bezahlte den Bildhauer Walter Schott fürstlich. Der Verleger, oft als sparsam, ja geizig verschrien, konnte das Geld mit vollen Händen ausgeben, wenn es um die Kunst ging. »Willst Du lustig leben, / Geh mit zwei Säcken, / Einen zum Geben. / Einen um einzustecken«, schrieb dann auch einer seiner Gäste ins Gratulationsbuch zum siebzigsten Geburtstag.
     Nicht nur die Kunst, auch die Haushaltsführung verbrauchte Unsummen. Um in so einem Palast wohnen zu können, bedurfte es einer großen Dienerschar. Die Hausherrin, Emilie Mosse, geb. Loewenstein, gab sich nicht mit Kleinigkeiten ab. Als Dame der Hautevolee widmete sie sich vor allem der Wohltätigkeit. Zum Beispiel gründete sie den Verein »Mädchenhort«. Armen, vaterlosen Mädchen wurde Obdach, Verpflegung und vor allem Erziehung gewährt, damit ihre Mütter arbeiten gehen konnten. Dies war damals eine Aufsehen erregende Idee. Für ihr soziales Engagement wurde Emilie 1909 vom Kaiser mit dem Wilhelmsorden geehrt.
     Nach dieser hohen Auszeichnung wurden zahllose Billetts und Briefe an die feine
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Adresse am Leipziger Platz 15 gerichtet. Es müssen Berge von Glückwünschen, Einladungen und Bittschriften gewesen sein, die täglich eintrafen. »Ich habe mich darüber gefreut, daß Ihr menschenfreundliches Walten eine solche Anerkennung gefunden hat«, schrieb ein Verehrer an Emilie, »aber ich habe auch Genugtuung darüber empfunden,

Die Mosse-Residenz um 1915, Ansicht vom Leipziger Platz

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Emilie Mosse, 1913

 

daß diese einer Jüdin zuteil wurde.« So ein Orden aus erlauchter Hand wirkte wie Balsam. Der Zweifel vieler Juden, letztendlich doch von der christlichen Mehrheit nicht angenommen zu sein, konnte erst einmal verdrängt werden.
     Emilie widmete sich verstärkt ihren philanthropischen Neigungen, und sie bezog ihre Tochter mit ein. Felicia blieb jedoch

meist im Schatten. Schon als Kind war in dem großen Palais kaum etwas von ihr zu spüren. Umgeben von Gouvernanten, kannte sie keine wilden Spiele. Auch zur Schule wurde sie nicht geschickt, Hauslehrer gaben ihr Unterricht. Manchmal fühlte sie sich von der Mutter schlecht behandelt. Als sie dann erfuhr, es war an ihrem Hochzeitstag, daß sie nicht die leibliche, sondern eine Adoptivtochter sei, brach für sie eine Welt zusammen. Georg, ihr Sohn, heute 80 Jahre alt, erinnert sich an ein Gespräch kurz vor ihrem Tode. »Glaubst du«, hatte sie ihn gefragt, »daß es schlimm ist, nur adoptiert zu sein?« Felicia, die Alleinerbin der Mosse-Millionen, ist nicht glücklich geworden. Angeblich verdankte sie ihre Existenz einer kurzen Liebe, die Rudolf zu seiner Haushälterin empfand. Die Frau hieß Marx und stammte aus Köln. Sie soll ihre Tochter dem kinderlosen Ehepaar überlassen und später einen Musiker geheiratet haben. Aber ganz genau wußten dies wohl nur die Beteiligten.
     Noch ein weiteres Familienmitglied wohnte in dem Palais am Leipziger Platz. Ulrike Mosse, geb. Wolff, verbrachte hier ihre letzten Jahre. Sie war die Urmutter des Mosse-Clans. Verheiratet mit einem Landarzt in Graetz, gebar sie 13 Kinder, darunter Rudolf. Wie später ihr Sohn, leistete auch sie sich in jungen Jahren einen Seitensprung. Die Gelegenheit dazu fand sich, als ihr Ehemann wegen Beteiligung am 48er Aufstand gegen die Preußen im Gefängnis saß. Als er davon
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erfuhr, wollte er sie verstoßen. Später verzieh er ihr, aber nicht, bevor er durch den Rabbiner einen Vertrag absegnen ließ, in dem die neuen Bedingungen des Zusammenlebens festgelegt wurden. Unter anderem hieß es: »Du darfst nur sprechen, wenn du angesprochen wirst, darfst nicht so viel Geräusche machen und nur mit meiner Erlaubnis aus dem Hause gehen.« Ulrike fügte sich und überlebte ihren strengen Gatten um viele Jahre. Sie starb am 13. Februar 1888 im Mosse-Palais und wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee beigesetzt.
     Im 20. Jahrhundert leerte sich das große Haus. 1910 verließ Felicia die Eltern und heiratete Hans Lachmann, einen Bankkaufmann und Sohn des Besitzers der Berliner Messingwerke. Später nannte er sich Lachmann-Mosse und leitete als Ehemann der Erbin das Verlagsimperium. Diesen Platz nahm er ein, nachdem Rudolf Mosse 1920 einer Herzattacke erlegen war. Vier Jahre später folgte Emilie ihrem Mann. Niemand mehr bewohnte das denkmalgeschützte Gebäude. Nur noch einige Kenner kamen, um die Kunstschätze zu besichtigen. Erst 1930 sprach man wieder vom Palais am Leipziger Platz. Die dort stattfindende Weltenergiekonferenz zog Fachleute aus allen Erdteilen an. Danach wollten die Amerikaner das repräsentative Haus zu ihrer Botschaft machen und boten fünf Millionen Reichsmark. »Wenn sie soviel bieten, kann ich auch noch mehr bekommen«, feilschte Lachmann-Mosse

Mosses Tochter Felicia Lachmann-Mosse

 

und verpaßte die letze Chance. Nachdem das Unternehmen unterhöhlt und die Familie von den Nazis bedroht wurde, emigrierte sie. Von 1936 bis 1945 wurde das Palais von der berüchtigten »Akademie des Deutschen Rechts« genutzt. Nach einem der letzten großen Bombenangriffe blieben nur noch Trümmer.

Bildquelle: Mosse-Zentrum Berlin

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Berlinische Monatsschrift Heft 6/99
© Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de