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Hans Hauser
»Dem Feind das Schwert«

Kernige Sprüche auf Medaillen zur Eröffnung des Reichstagsgebäudes im Jahre 1894

Der Umbau des Reichstagsgebäudes am Platz der Republik in Berlin nach Plänen des britischen Architekten Sir Norman Foster ist beendet. Am 23. Mai wählt die Bundesversammlung unter einer innen begehbaren und in der Nacht erleuchteten Kuppel das neue Staatsoberhaupt als Nachfolgerin oder Nachfolger von Bundespräsident Roman Herzog. Ob es Medaillen

zur Eröffnung des Neubaues in alter Hülle geben wird wie im Jahre 1894, wird sich zeigen. Eines aber ist sicher – Kaiser Wilhelm II. (1859–1941, Kaiser von 1888–1918) wird auf solchen Prägungen bestimmt nicht erscheinen.
     Vor hundert Jahren war es üblich, Prunkmedaillen zur Weihe von Staatsbauten und Denkmälern gleich im Dutzend herzustellen. Stempelschneider und Prägeanstalten machten mit großen und kleinen Medaillen, die sich seit der Renaissance als Mittel fürstlicher Selbstdarstellung großer Beliebtheit erfreuten, gute Geschäfte und übertrafen sich mit aufwendigen Arbeiten. Ausführungen in Gold und Silber wurden bisweilen an gekrönte Häupter, Architekten und Bildhauer sowie Minister und andere Persönlichkeiten verteilt, sie sind deshalb

Reichstags-Medaille von 1894 mit Kaiserkopf und Gebäudeansicht
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heute selten. Eine dieser schon durch ihre Größe auffallenden Medaillen stammt aus der Stuttgarter Prägeanstalt von Wilhelm Mayer. Sie stellt den schnurrbärtigen Monarchen im Schmuck des Schwarzen Adlerordens dar, als sei er der Protektor des höchsten deutschen Parlaments. »Schutz dem deutschen Herd – dem Feind das Schwert« lautet die zugleich lockende wie drohende Inschrift. Wer da als Feind im Visier des Kaisers stand, geht aus der Prägung nicht hervor.
Zeitgenössische Zeichnung von der Schlußsteinlegung
Aber nach der abschätzigen Meinung, die der Monarch gegenüber Vertrauten vom »Reichsaffenhaus« und seinen Abgeordneten zum Besten gab, dürfte damit alles Rote, Linke und Liberale gemeint gewesen sein. Das Schiller-Zitat »Seid einig, einig, einig« ist auf der gleichen Medaille über der Ansicht des nach Plänen von Paul Wallot von 1884 bis 1894 errichteten Hauses zu lesen, der sich jetzt nach dem vermutlich letzten Umbau seiner hundertjährigen Geschichte stark abgespeckt zeigt. Eine zweite Medaille mit der gleichen Rückseite zeigt den zum Zeitpunkt der Reichstagseröffnung bereits abservierten Reichs- kanzler Otto von Bismarck, eine dritte Medaille erinnert mit drei Kaiserköpfen unter der Krone indirekt daran, daß es unter Wilhelm I. (1797–1888, Kaiser 1871–1888), Friedrich III. (1831–1888, Kaiser 1888) und Wilhelm II. zahllose Eingriffe »von ganz oben« in den Bauablauf gegeben hat, obwohl eigentlich das höchste deutsche Parlament Bauherr und Financier war.
     Als 1894 Kaiser Wilhelm II. »im Namen der Fürsten und Freien Städte des Reiches und in Gemeinschaft mit den verfassungsmäßigen Vertretern des deutschen Volkes« den Schlußstein legte und dabei an seinen
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Großvater und Vater erinnerte, lobte er das Reichstagsgebäude als Zeugnis deutschen Fleißes, deutscher Kraft und als Denkmal einer großen Zeit, »in welcher als Preis des schwer errungenen Sieges das Reich zu neuer Herrlichkeit erstanden ist, eine Mahnung den künftigen Geschlechtern zu unverbrüchlicher Treue in der Pflege dessen, was die Väter mit ihrem Blute erkämpft haben«. Nach zehn Jahren mühevoller Arbeit walte in den Räumen der Geist der Gottesfurcht, der Vaterlandsliebe und der Eintracht, fügte der Kaiser hinzu.
     Bei dem mit einer riesigen Kuppel und wuchtigen Türmen an den Ecken sowie reichem Figurenschmuck innen und außen versehenen Reichstagsgebäude war alles vom Besten, nur eines wurde vermißt – die für Staatsbauten dieser Art obligatorische Portalinschrift. Man liest sie noch heute in Berlin. Am Zeughaus, an der Staatsoper, am Alten Museum und anderenorts wird an die Hohenzollern erinnert. Als Stifter des Reichstags konnte Wilhelm II. allerdings nicht genannt werden, wohl aber schaltete sich der Kaiser, der sich als oberste Instanz in Kunstfragen verstand und gelegentlich als Zeichner und Reimeschmied dilettierte, in die Diskussion ein, was denn nun als Motto über dem Portal stehen solle. Hartnäckig widersetzte er sich der Inschrift »Dem Deutschen Volke« und schlug statt dessen, »unliebsame Erörterungen« in Kauf nehmend, wie man in der Umgebung feststellte, das
etwas holprig formulierte Motto »Der Deutschen Einigkeit« vor. Dies vielleicht mit dem Hintergedanken, das Volk und seine Vertreter mögen sich unter dem Schutz der Krone, die am und im Reichstagsgebäude allgegenwärtig war, zusammenfinden und ohne Murren die kaiserlichen Ratschlüsse verwirklichen.
     Begierig wurde die Inschriftenfrage in der Öffentlichkeit aufgegriffen. Man schlug mehr oder weniger witzige Varianten wie »Dem deutschen Heere« vor, weil man bei der Eröffnung 1894 fast nur bunte Uniformen und blitzende Orden in »Wallotsteins Lager« gesehen hatte. Der Dichter Frank Wedekind (1864–1918) legte allerdings keinen Wert auf eine Inschrift, als er reimte:
     Und so verhüllt auch heute eine Wolke
     Noch die Aufschrift: »Dem deutschen Volke«;
     Gebe Gott, daß sie nie wird zu lesen sein
     Über diesen kleinen Fensterlein.

Der Historiker Heinrich von Sybel war überzeugt, es bedürfe keiner besonderen Angabe über Zweck und Eigentümer des Hauses. Man sehe ja, »daß hier kein Confectionslager existirt«. So wurde die Frage erst einmal ad acta gelegt.
     Erst 1915, im zweiten Jahr des Ersten Weltkrieges, hat die Presse das Thema erneut aufgegriffen. Jetzt aber zeigte sich der Kaiser, um Volksnähe bemüht, geneigt, die seinerzeit abgelehnte Inschrift zu genehmigen. Als habe man keine anderen Sorgen, entbrannte erneut ein Streit, allerdings diesmal
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Der Reichstags nach der Fertigstellung. Stich aus dem Jahre 1895

um die zu verwendende Schriftart. Zur Diskussion standen Antiqua und Fraktur, doch einigte man sich auf eine »jugendstilige« Schrift, die den Vorteil hatte, daß alle Buchstaben gleich groß sind. Schon 1908 hatte der Architekt und Designer Peter Behrens den Auftrag erhalten, eine Schrift zu entwerfen, wie Michael S. Cullen in seinem Buch über das Reichstagsgebäude mitteilt. Generös stiftete der Kaiser zwei im Spandauer Depot verwahrte Kanonen, die in den Befreiungskriegen erobert worden waren, um die Metallbuchstaben gießen zu lassen.

Bildquelle: Archiv Autor, br>Michael S. Cullen, Der Reichstag

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