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Simone Ladwig-Winters
Anwalt ohne Recht

Das Schicksal jüdischer Rechtsanwälte in Berlin nach 1933

Berlin, be.bra.Verlag, 1998

Die verdienstvolle Dokumentation, die von der Rechtsanwaltskammer Berlin angeregt und finanziert wurde, enthält die zum großen Teil mühsam recherchierten Biographien bzw. Lebensdaten der noch eruierbaren 1 227 von 1 835 Berliner Rechtsanwälten, die in der Nazi- Diktatur wegen ihrer jüdischen Herkunft im Rechtsleben diskriminiert, schikaniert, ausgegrenzt, zunehmend mit Berufsverbot belegt und schließlich (soweit sie nicht emigrierten) bis auf wenige Ausnahmen (die mit viel Glück, zumeist wegen ihrer zu ihnen haltenden »arischen« Ehefrauen, überlebten) umgebracht wurden. Die Berliner Rechtsanwaltskammer, die erst durch eine Anfrage ihrer Kollegen in Tel Aviv bezüglich der Lieferung einer Liste der vom NS-Regime diskriminierten jüdischen Berliner Anwälte auf das Thema verwiesen wurde, konnte den Auftrag zur Aufarbeitung des Themas kaum an eine Geeignetere vergeben als an die Autorin: Sie hat an der FU Rechtswissenschaft und Pädagogik studiert und dort 1996 mit einer Arbeit zur »Arisierung« des Kaufhauskonzerns Wertheim promoviert – steht also mitten im Material und in der Forschungsmethodik. Daneben ist sie als 1955 Geborene auch in ihrem Urteil souverän genug, die nach 1949 im Bereich des Grundgesetzes unter den Teppich gekehrten Hilfsdienste der »arischen« deutschen Justiz zur Pervertierung des Rechtswesens ungeschminkt beim Namen zu nennen. Es ist schon verdienstvoll, wenn in Erinnerung gebracht wird, daß die ganze Entrechtung jüdischer Juristen in eine Zeit fällt, da der Reichsjustizminister Franz

Gürtner (1881–1941) hieß, einst als Mitglied der christlichen Bayerischen Volkspartei bayerischer Justizminister, dann – zu Hugenbergs Deutschnationalen gewechselt – im Juni 1932 von Papen in dessen Kabinett der Barone als oberster Rechtswahrer der Weimarer Republik gehievt wurde und bis zu seinem Tode Mitglied der Reichsregierung war!
     Das Geleitwort des gegenwärtigen Präsidenten der Berliner Rechtsanwaltskammer, Bernhard Dombek, stimmt auf die wissenschaftliche, juristische und menschliche Abrechnung mit anerkennenswerter Offenheit ein: Betroffenheit und Trauer über das menschliche Leid seien nicht genug.
     »Auch die Wut auf unsere Kollegen nichtjüdischer Abstammung, von denen uns kein Wort des Protestes angesichts des Schicksals der jüdischen Kollegen überliefert ist, reicht nicht aus.« (S. 7) Die Verfasserin spricht sich noch ungenierter aus, indem sie in ihrer detaillierten Einleitung die Justiz der Weimarer Republik so nackt darstellt, wie sie in der großen Mehrheit ihrer Vertreter einer autoritären Erlösung aus dem Dornengestrüpp der ungeliebten Republik entgegenfieberte (leider darunter, in tödlicher Verkennung der Sachlage, auch Juristen jüdischer Herkunft). Die Nachzeichnung der einzelnen Stufen der Diskriminierung, Entrechtung und Entwürdigung jüdischer Rechtsanwälte (die 1933 immerhin fast die Hälfte aller Berliner Rechtsanwälte ausmachten) ist überzeugend. Wenn die Nazis entgegen einem nachweisbaren Vorhaben vom März 1933 (damals war an höchstens 35 jüdische Rechtsanwälte gedacht, die noch Zulassung bei Berliner Gerichten haben sollten) dennoch bis Herbst 1938 ein durchgängiges Berufsverbot scheuten, so war anfänglich eine Intervention des dafür mobilisierten Reichspräsidenten Hindenburg dafür verantwortlich, die erreichte, daß Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs, Angehörige von Gefallenen und vor 1914 bereits zugelassene Rechtsanwälte von der Diskriminierung ausgenommen wurden: Zu
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ihrem Erstaunen mußten die NS-Instanzen daraufhin nicht weniger als 1 761 jüdische Rechtsanwälte zulassen! Späterhin aber waren schlichtweg nur wirtschaftliche Gründe, die mit den deutschen Außenwirtschaftsbeziehungen zusammenhingen, für eine noch zeitweilige »Duldung« ausschlaggebend – die nach den »Nürnberger Gesetzen« 1935 jedoch schon insofern eingeengt wurde, als die jüdischen Rechtsanwälte zum Jahresende grundsätzlich die notarielle Befugnis verloren. Dem folgte im September 1938 (also vor dem Judenpogrom vom 9. November!) das totale Berufsverbot – für immerhin noch 671, die bis dato bei ständig zurückgehenden Einnahmen ausgeharrt hatten. Der bewußte NS- Rückgriff auf die Zeit vor der europäischen Aufklärung manifestierte sich in der Schikane, den 90 danach noch zugelassenen juristischen Vertretern, die Rechtssachen für Juden erledigen durften, den Titel »Konsulent« zuzumessen: Er war im 18. Jahrhundert für Winkeladvokaten gebräuchlich ...
     Gut wird auch nachgezeichnet, wie die jüdischen Rechtsanwälte um die Vertretung ihrer Standesinteressen gebracht wurden: Der eben erst gewählte Vorstand der Berliner Rechtsanwaltskammer trat, getrieben vom Druck des Volkszorns auf der organisiert tumultierenden Straße, Ende März 1933 zurück; er machte für eine Neuwahl Platz, bei der ausgerechnet – wenn auch erwartungsgemäß – jene Nazis den Vorstand übernahmen, die noch im Januar/Februar bei den Vorstandswahlen eklatant durchgefallen waren. Das Schweigen der »arischen« Berufskollegen kommt Lesern, die ihre Erfahrungen als »Abgewickelte« hinter sich haben, nicht so unverständlich vor wie dem Präsidenten Dombek: Mit der Ausschaltung der jüdischen Rechtsanwälte konnten sich »Arier« auf deren Erfolgsfeldern tummeln und Nutzen ziehen, die vorher höchstens im dritten Glied gestanden hatten! Unter solchen Umständen ist naturgemäß an ein Eintreten für die Ausgegrenzten nicht zu denken, auch wenn man
sich einst an den Glanz von deren Autorität herangedrängt hatte. Nun erschienen auch, obwohl keineswegs amtlich verlangt, an einer Vielzahl von Kanzleien die Schilder »Arische Rechtsanwaltspraxis«. Und einmal diskriminiert, waren die Diskriminierten auch fast jeder Schofligkeit ausgesetzt, wenn sich ein Klient, für den der Rechtsanwalt einmal nicht hatte erfolgreich sein können, mit Verdächtigungen, übler Nachrede und Strafanzeige wegen angeblich überhöhter Honorare rächen wollte. Daß die heute so unschuldig daherkommenden Wirtschaftsunternehmen sich natürlich holterdiepolter von ihren jüdischen Rechtsvertretern trennten und sie damit empfindlich am Geldbeutel trafen, erscheint dem Leser da schon so gut wie selbstverständlich.
     Nicht ohne Schaudern liest man die nüchterne zahlenmäßig- statistische Auswertung der von der Verfasserin ermittelten Einzelschicksale (S. 84): Von den 1 785 ermittelten Personen (das sind 97,3 Prozent aller am 1. Januar 1933 in Berlin zugelassenen Rechtsanwälte, die aus Nazi- Sicht als jüdisch einzustufen waren) waren für 568 nur Namen und Adressen der Kanzleien festzustellen. Von den verbleibenden 1 227 Personen konnte sie weitere Angaben sammeln. Von diesen waren schon bis Oktober 1933 mehr als ein Drittel ausgegrenzt, weil die von Hindenburg erreichte »Duldung« bestimmter Kategorien für sie nicht zutraf. Sie dürften den ersten Schub jener 635 (51,7 Prozent) gestellt haben, die auswanderten. Eines natürlichen Todes starben 189 (15,4 Prozent), wobei immerhin offen bleibt, inwiefern Armut, psychische Belastung usw. der »Natürlichkeit« nachgeholfen haben. 23 (1,9 Prozent) begingen Selbstmord, durch Kriegshandlungen (Bombenkrieg!) starben 5 (0,4 Prozent), überlebt unter manchmal abenteuerlichen Umständen haben in NS- Deutschland 104 (8,5 Prozent); aber von der nazistischen Judenvernichtungsmaschinerie ums Leben gebracht wurden 271, das sind 22,1 Prozent! Darunter sind auch solche Personen gezählt, die
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auswanderten, aber in ihren Exilländern von der NS- Mordbürokratie eingeholt wurden. Von den 635 Auswanderern, die einen rettenden Hafen fanden (selbst dabei sind Menschen zu finden, die im Zweiten Weltkrieg als »feindliche Ausländer« britische bzw. australische Internierungslager von innen kennenlernten ...), entschlossen sich 48 (7,55 Prozent) nach dem 8. Mai 1945, in das Land zurückzukehren, das ihnen so Furchtbares angetan hatte. Keiner von ihnen ist dort zu hoher Anerkennung gelangt. Aber Botho Laserstein (1901–1955), der nach seiner Rückkehr aus Frankreich 1951 Staatsanwalt bzw. Richter in Nordrhein- Westfalen wurde, erlag einer diskriminierenden Hetze, die letztlich darauf abzielte, sich doch bitte von dem Verdacht zu reinigen, daß er die Untaten der Nazi- Justiz persönlich übelnähme! (S. 87) Laserstein, der schon seine Familie durch die »Endlösung« verloren hatte, setzte seinem Leben schließlich selbst ein Ende.
     Auch für die biographische Forschung zur Berliner Geschichte, namentlich der im 20. Jahrhundert, ist das Buch eine Fundgrube.
Kurt Wernicke

 

Bahman Nirumand/ Gabriele Yonan
Iraner in Berlin

Herausgegeben von der Ausländerbeauftragten des Senats - Berlin -
(Miteinander leben in Berlin)

Obwohl schon vor knapp fünf Jahren in der Reihe »Miteinander leben« erschienen, sei auf die von der Berliner Ausländerbeauftragten Barbara John herausgegebene 86seitige Broschüre ausdrücklich hingewiesen. »Unter den über 6 000 Iranern in Berlin sind viele, die hier Zuflucht vor Verfolgung und Folter gefunden haben.« Angesichts der neuen Morde an iranischen Intellektuellen bleibt dieser Satz Barbara Johns im Vorwort traurige Aktualität.

Im ersten Teil gibt Bahman Nirumand, Schriftsteller und Journalist, einen guten Überblick über den Vielvölkerstaat, er beschreibt die religiösen und kulturellen Traditionen. »Überhaupt pflegen die Iraner ein sehr enges Verhältnis zur Literatur, namentlich zu der klassischen Lyrik. Selbst Analphabeten können zahlreiche Gedichte der berühmten iranischen Klassiker wie Firdusi, Sa'di, Hafis, Khayyam und Rami (eigentlich: Rumi, d. V.) auswendig.« Hafis lebte im 14. Jahrhundert. Durch ihn wurde Goethe zum West-Östlichen Diwan angeregt.
     Ausführlich behandelt Nirumand die religiöse Entwicklung, beschreibt die Islamisierung des Landes unmittelbar nach der Eroberung Irans durch die Araber vor fast 1400 Jahren. Im Laufe der Zeit bildete sich der Schiismus heraus. Während heute die meisten Iraner Moslems sind, gibt es noch rund 25 000 Anhänger Zarathustras, dessen Religion vor dem Islam verbreitet war. Nimrud beschreibt das klassische Persien und die iranische Neuzeit. Eine politische Geschichte, die sich scheinbar wiederholt: Die Geschichte Irans »nimmt sich aus wie ein einziges Thema mit Variationen: Blütezeit und Expansion unter einem neuen Herrscher, Verfall und Terror der untergehenden Dynastie und Eroberung der Macht durch ein neues Herrscherhaus oder eine Invasion von außen.« Am Ende werden die deutschen Leser besser verstehen, warum so viele Iraner ihr Land verlassen mußten und immer noch müssen.
     Ein ganzes Kapitel ist der »Ära Khomeini« gewidmet, mit dem viele Iraner damals nach dem SchahRegime die Hoffnung auf »Freiheit, Unabhängigkeit, soziale Gerechtigkeit und vor allem nationale Identität« verbanden. Das Volk wurde, wie so oft, betrogen. Das neue Regime duldete vom Anfang an keine Opposition, keine Andersdenkenden; Menschenrechtsverletzungen, lange Haft nach unfairen Gerichtsverfahren, Folter und Hinrichtungen waren Alltag in der Islamischem Republik geworden.
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Ein Verdienst dieses Heftes besteht unter anderem darin, das Mullah- Regime auch für deutsche Leser zu entlarven. Dennoch bleibt in Nirumands Darstellung unklar, warum die von Theokraten geführte Revolution damals so breite Unterstützung fand, selbst bei aufgeklärten Intellektuellen und Kommunisten.
     Nirumands Ausführungen schließt sich ein Beitrag von amnesty international an, der unter anderem Menschenrechtsverletzungen, Folter, Todesstrafen und extralegale Hinrichtungen aufzeigt. Traurige Wahrheit, daß die aufgezählten Namen heute durch viele ergänzt werden müßten.
     Im zweiten Teil der Broschüre untersucht Gabriele Yonan Berlin als ein Zentrum persischer Kultur. Nach der Erläuterung »Persien oder Iran« berichtet sie über bedeutende deutsche Iranistikforscher, die Tätigkeit der deutschen Missionsgesellschaften in Iran und nicht zuletzt über die wirtschaftlichen und diplomatische Beziehungen. Detailliert gibt sie Auskunft über Personen, eine Leistung, die von mühseliger Arbeit in Bibliotheken und Archiven spricht. Wenn Goethe von Hafis inspriert wurde, so nur deshalb, weil J. von Hammer- Purgstall 1812 erstmals dessen Gedichte ins Deutsch übersetzte. Kenntnisreich stellt Gabriele Yonan auch die Entstehung der Iranistiksforschung dar. Bereits 1805 entzifferte G. F. Grotefend die Keilschriften. Seine Arbeiten, so Yonan, waren »ein Grundstein der Iranistik in Deutschland«. Während der Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts begann die Übersetzung klassischer persischer Literatur. J. Göress hat 1820 eine Übersetzung von »Schah Nameh« vorgelgt.
     Der Dichter und Orientalist Friedrich Rückert (1788– 1876) schuf kongeniale Nachdichtungen, durch die Rumi, Nizami und Saadi in Deutschland bekannt wurden.
     Gabriele Yonan beschäftigt sich weiter mit der Stellung Persiens in der deutschen Orient- Politik vor dem Ersten Weltkrieg, interessant dabei
zwei Dokumente, Berichte der Gesandtschaften Teheran und Täbris aus dem Jahre 1911.
     In den 20er Jahren unseres Jahrhunderts wirkte eine neue Generation deutscher Iranisten. Während und nach dem Zweiten Weltkrieg wurde über Mitteliranistik geforscht. »Einen wichtigen Beitrag zur Mitteliranistik leistete in der DDR H.F.J. Junker mit seinem Glossar Farhangi- Pahlavi (1955).« Besonderes interessant ist der Bericht über die Tätigkeit iranischer Patrioten und Demokraten in Deutschland während des Ersten Weltkrieges.
     Die Autorin berichtet über die Aktivitäten von Taqisadeh, Qaswini, Dschmalzadeh, Purdawud und Tarbiat in der Zeitschrift KAVEH, verbunden mit kurzen und präzisen Biographien.
     Man liest die Broschüre von Bahman Nirumand und Gabriele Yonan mit Interesse und Gewinn.
     Leider haben sich einige Druckfehler eingeschlichen, zum Beispiel Mima Yuschidj anstatt Nima Yuschidj (Seite 10), Ali Mohamed Djamalzadeh anstatt Mohamed Ali Djamalzadeh (Seite 10), Tasna anstatt Tasua (Seite 14), Karimpub anstatt Karimpur (Seite 24), Ajatollah Samii anstatt Enajatollah Samii (Seite 85). Der verdienstvollen Leistung beider Autoren tut das allerings keinen Abbruch.
Farhad Kazemi
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© Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de