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Herbert Schwenk
Der Wahnsinn hatte Methode

Das grausame Strafgericht gegen Münzmeister Lippold anno 1573

Am 3. Januar 1571 kam es zwischen vier und fünf Uhr morgens auf dem Schloß Köpenick zu einem mysteriösen Todesfall, der Anlaß zu einem der spektakulärsten Justizmorde in der Geschichte Berlins liefern sollte.
     Während eines Jagdaufenthalts zum Jahreswechsel war der vitale Kurfürst Joachim II. Hektor (1505–1571, Kurfürst seit 1535) zehn Tage vor Vollendung seines 66. Lebensjahres plötzlich verstorben.1) Noch Tage zuvor hatte er in Berlin fröhliche Schlittenfahrten »mit Bürgerfrauen und Töchtern« an seiner Seite unternommen sowie Festlichkeiten veranstaltet. Selbst am letzten Tag seines Lebens war er noch auf der Jagd gewesen, hatte abends mit seinen engsten Vertrauten, darunter Kanzler Lampert Distelmeier (1522–1588; vgl. BM 4/96), getafelt und sich gegen zwei Uhr nachts zur Ruhe begeben. Im Schlaf hatte den Kurfürsten ein anhaltender Husten gequält, der schließlich den Erstickungstod herbeigeführt habe. Prompt wurde Verdacht auf einen Giftmord erhoben – und fiel ebenso prompt auf eine be-

stimmte Person: den Juden Lippold (Leupolt) Ben Chluchim (Hluchen), kurz Lippold genannt, Kämmerer und enger Vertrauter des Kurfürsten. Er hatte als Kammerdiener Zugang zum Schlafgemach des Verstorbenen und ihm den üblichen nächtlichen Trunk, einen Becher spanischen Weins, gereicht. Sofort nach Bekanntwerden des Todes des Kurfürsten ließ der bereits 46jährige Thronfolger Johann Georg (1525–1598) die Stadttore von Berlin und Cölln schließen, Günstlinge des Verstorbenen verhaften sowie deren Eigentum und Papiere versiegeln und in Beschlag nehmen. Unter den Inhaftierten befanden sich der Kämmerer Lippold, der Berliner Bürgermeister und Rentmeister (Titel eines Finanzbeamten) Thomas Matthias (1563–1571) sowie die Geliebte des Verstorbenen Anna Sydow. Während die beiden letzteren glimpflich davonkamen,2) sollte über Lippold ein schreckliches Strafgericht hereinbrechen, das bis in unsere Zeit sowohl hinsichtlich der Urteilsfindung als auch der Art der Strafvollstreckung schaudern läßt.
     Dieser grausame Willkürakt geschah zu einer Zeit, da die Residenzstadt Berlin/Cölln unter dem Einfluß von Spätrenaissance und Humanismus ihren Weg als Stadt der Kultur, der Künste und der Wissenschaften beschritten und ihre geistigen Horizonte zu erweitern begonnnen hatte!
     Am 20. Januar 1556 hatte Lippold von Kurfürst Joachim II. eine Bestallung zum Ober-
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Die Hinrichtung des Münzmeisters Lippold, Holzschnitt, hergestellt bei Leonhard Thurneyssers Offizin im Grauen Kloster, 1573
sten aller Juden in der Mark Brandenburg erhalten, obwohl Lippold eine zwielichtige Vergangenheit nachgesagt wurde. Er soll in Prag, wo er als Sohn des Juden Jodels Hluchen geboren wurde, wegen Münzfälschung bereits verfolgt und sogar »an beiden Seiten des Leibes gebrannt« worden sein. Die Auswanderung seines Vaters mit beiden Söhnen nach Brandenburg erlaubte auch Lippold eine neue Karriere. Das war möglich, weil Joachim II. 52 Juden gestattet hatte, sich gegen hohe Entgelder (Aufnahme-, Schutz- und Strafgelder) in der Mark Brandenburg, davon neun in Berlin/Cölln, niederzulassen. Das geschah drei Jahrzehnte nach dem Judenpogrom von 1510, bei dem 38 unschuldige Juden hingerichtet und alle anderen aus der Mark Brandenburg vertrieben worden waren. Die eingewanderten Juden hatten seit 1554 die kurfürstlichen Münzen jährlich mit 3 000 Mark Feinsilber zu beliefern.
     Lippold heiratete in seiner neuen Heimat ein zweites Mal. Seine Ehefrau Magdalene,
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die während Lippolds Untersuchungshaft sowie durch einen Brief an den Kaiser noch für beträchtliches Aufsehen sorgen sollte, brachte neun Kinder zur Welt.

Der verschwenderische Kurfürst und sein Geldbeschaffer

Wann und wie Lippold in kurfürstliche Dienste getreten war, liegt im dunkeln; die Gründe dafür sind nicht belegt. Sicher ist, daß ihn die Bestallung von 1556 in eine exklusive Stellung brachte: die Aufsicht über seine Glaubensgenossen in der Mark und den Zugang zum Zentrum der kurfürstlichen Macht. Dies ist in der Bestallungsurkunde verankert. Danach hatte Lippold von den ins Brandenburgische eingewanderten Juden, denen Schutz und Geleit zugesichert war, das Schutzgeld einzuziehen und sie über ihre Personalien »zu vernehmen«. Diejenigen, die sich ohne Geleit und Schutzbrief in Brandenburg aufhielten, hatte er »anzuzeigen«. Hinzu kamen bedeutende finanzpolitische Rechte und Pflichten: Lippold hatte die Ausfuhr von Silber aus Brandenburg zu verhindern und sämtliche Juden anzuhalten, die Münzen in Berlin und Stendal »mit dem nöthigen Silber zu versehen«. Ihm wurde auferlegt, dem Kurfürsten »Darlehn zu verschaffen«. Und er hatte auch »darauf zu sehen, daß kein Jude bewaffnet ginge«.
     Damit war bedeutende Macht in die Hände

Lippolds gelegt und der Weg zum engen Vertrauten des geldhungrigen Kurfürsten geebnet. Daß Lippold seine Aufgaben zur Zufriedenheit des Landesherrn gelöst hat, geht daraus hervor, daß er 1565 zum Kurfürstlichen Münzmeister befördert wurde. In der Vertrauensstellung als Kämmerer des Kurfürsten (höchster kurfürstlicher Beamter des Finanzwesens) konnte er auch privat ein gigantisches Geldleih- und Pfandgeschäft (bei einem Zinsfuß von 54 Prozent!) betreiben, an dem sein an ständiger Geldnot krankender Landesherr ausgiebig partizipierte.
     Der Geldbedarf des Kurfürsten war indes ins unermeßliche gestiegen. Während er 1551 durch eine Verordnung zur Einschränkung der Prunksucht den Bürgern zum Beispiel vorschrieb, wieviel Gäste sie bei Festlichkeiten bewirten und wieviel Gerichte sie dabei reichen durften, veranstaltete Joachim II. rauschende Feste, prächtige Ritterspiele und ausgiebige Jagden. Seine Hofhaltung umfaßte 400 Bedienstete. Auf der Fahrt zur Königswahl nach Frankfurt am Main im Jahre 1562 mit über 450 Pferden gehörten zu seiner Begleitung elf kurfürstliche Räte, drei Geistliche sowie 68 hochrangige Adlige samt Dienern. Prinzessin Katharina von Brandenburg (1549–1602) zum Beispiel, die Nichte Joachims II., erhielt 1570 bei ihrer Vermählung mit Kurprinz Joachim Friedrich (1546–1608), dem Enkel Joachims II., eine unvorstellbar opulente Aussteuer, zu der u. a. Gold-, Silber- und Samtröcke gehörten,
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darunter solche mit 388 Perlenrosen, 2 317 Goldrosen, 434 fliegenden goldenen Herzen; ferner 32 Hauben, darunter eine Perlenhaube mit elf Smaragden, 15 Diamanten und zwölf in Gold gefaßten Rubinen, 96 Schleier, 32 Kleinodien, elf Armbänder, 18 Ringe, 33 Ketten sowie ein vergoldeter Wagen nebst zehn Pferden mit Geschirr. Dazu lieh sich der Kurfürst Geld, wo es irgend möglich war. Bis 1558 brachten allein Berlin und Cölln 211 777 Gulden, 27 Groschen und 6 Pfennig zur Deckung kurfürstlicher Schulden auf. Von 1556 bis 1563 flossen an jüdischen Tribut- und Strafgeldern 10 117 Taler, 9 Groschen und 60 Pfennig in die kurfürstliche Kasse. Die Schulden des Kurfürsten stiegen von über einer Million Gulden im Jahre 1540 auf 4,7 Millionen im Januar 1571.
     So hatte die Bestallung von 1556 zugleich jenen Abgrund vorgezeichnet, der sich vor Lippold nach dem Tode seines verschwenderischen Landesherrn auftat. Er mußte in der ihm übertragenen Stellung unter seinen vielen Gläubigern und auch unter seinen Glaubensgenossen zum allgemein Gefürchteten und Gehaßten werden. Hinzu kam, daß Lippold selbst überall Schulden gemacht hatte, um sein Vermögen zu mehren. Seine zunehmend einflußreiche Stellung am Hofe, die er als »Hofjude« stolz und hochmütig zur Schau trug, hatte bei vielen Neid, Groll und Rachegefühle angestaut, die sich nun Luft machen sollten. Viele hielten also gierig nach Lippolds Vermögen Ausschau.
Absurde Beschuldigungen und eine barbarische Exekution

Am 6. Januar 1571 wurde Lippold verhaftet, nachdem eine Flucht mißglückt war. Die Anklage gegen ihn lautete zunächst auf Diebstahl, Untreue und Unterschlagung.
     Inwieweit bereits in dieser Phase die Beschuldigung des Giftmordes im Spiel war, ist nicht eindeutig. Schon bevor ein Ergebnis der Untersuchung vorlag, kam es in Berlin und Cölln zu schweren Pogromen. In der Klosterstraße wurde die Synagoge zerstört; Juden wurden öffentlich mißhandelt, die Häuser der reichsten jüdischen Bürger erstürmt und beraubt. Trotz intensiver Untersuchungen konnten keine Anhaltspunkte für eine Anklage gegen Lippold gefunden werden. Die Kontrolle aller Finanzunterlagen durch höchste kurfürstliche Kommissarien bestätigte Lippolds korrekte Buchführung. Bezüglich des Giftmord- Verdachts war wohl zu offenkundig, daß Lippold allein vom Leben des Kurfürsten, keineswegs jedoch vom Tod Vorteile gehabt haben konnte. Lippold wurde wieder freigelassen, jedoch unter Hausbewachung gestellt. Da aber seine Ausschaltung, verbunden mit den Judenpogromen, im Interesse des hochverschuldeten Hofes lag und der willkommene Anlaß des Thronwechsels nicht »verschenkt« werden sollte, mußte – im Zeitalter von Humanismus und Renaissance! – noch einmal der Geist des mittelalterlichen Hexen- und

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Teufelswahns bemüht werden, einen Unschuldigen aufs Schafott zu bringen. Die Art und Weise, wie dies geschah, ist ebenso absurd wie abstoßend. Dem Kurfürsten wurde »hinterbracht«, daß Lippolds Ehefrau Magdalene den Unglücklichen mit folgenden Worten der Zauberei beschuldigt habe: »Wüßte nur der Kurfürst, was Du für ein böser Schelm bist und welche Bubenstücke Du mit Deinem Zauberbuch kannst, so würdest Du schon längst kalt sein!«3)
     Lippold wurde erneut verhaftet. Den gerichtlichen Protokollen zufolge soll er alle seine Aussagen freiwillig unter der einen Bedingung gemacht haben: die Verschonung von der Folter. So habe er laut Protokoll vom 16. Januar 1573 »gestanden«, seit seiner Prager Zeit im Besitz eines »Zauberbuches« zu sein, mit dem er den »Teufel beschworen« und ihm versprochen habe, »alles das mit des Teufels Hülfe auszurichten, was dieser zum Schaden der Leute thun wolle; stets kommen zu wollen, wenn der Teufel es wünsche, und sich ihm mit Leben und Leib zu übergeben«.4) Detailliert wurde Lippold über »seine Kunst, den Mitmenschen Schaden zuzufügen« und »die Eigenschaft, sich die Gunst der Leute zu erwerben«, verhört. Und nun – so geht eindeutig aus den Protokollen hervor – standen auch »die Vergiftung des Kurfürsten und die Gründe hierfür« auf der Anklageliste. Lippold gestand alles – auch den angeblichen Giftmord. Er habe in besagter Nacht in Köpenick in den Nacht-
trunk »Muskatennuß, langen Pfeffer, Oel, Hüttenrauch und Mercurium sublimatum gemischt«, um den Kurfürsten zu beseitigen. Und das Motiv? fragten die Richter. Weil ihm Joachim »eine 750 Kronen werthe, stattliche Kette, eine kleinere Kette und drei Kleinode gestohlen« habe! Diese Gegenstände habe sich Lippold »zurückgenommen«, und, um nicht entdeckt zu werden, seinen Herrn vergiftet. Aber unter Zeugen hatte Lippold einst die goldenen Ketten vom Kurfürsten selbst mit dem Auftrag erhalten, daraus Goldmünzen zu prägen!
     Es ist schwer zu verstehen, warum Lippold so naiv gewesen sein soll, solche Aussagen »freiwillig« gemacht zu haben. Ein Mann seines Verstandes und seiner Erfahrung muß einfach gewußt haben, daß seine Aussagen im 16. Jahrhundert den sicheren Tod bedeuteten. Ob und wann ihm diese Einsicht kam, ist nicht belegt. Jedenfalls hat er am 28. Januar 1573 sein »freiwilliges Geständnis« widerrufen. Das aber bedeutete die Folter. Der Scharfrichter Meister Balzer habe diese auf dem berlinischen Rathaus mit einer Gründlichkeit vollzogen, daß Lippold »das Bluet zum Halse ausgelauffen« sei und der Gemarterte »frei und öffentlich« seine Geständnisse – halb bewußtlos und mit gebrochener Stimme – als richtig anerkannte. Am selben Tag empfing Lippold sein Todesurteil, obwohl wichtige Zeugenaussagen den »Geständnissen« widersprachen. War bereits dies für sich entsetzlich genug, so erschreckt
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vor allem die unglaubliche Brutalität, mit der die Exekution vollzogen wurde. Und es erschreckt auch die sittliche Verrohung, mit der eine große Volksmenge die grausamen Vorgänge jubelnd begleitete, weil vermeintlich »Schuldige« an miserablen Zuständen namhaft gemacht werden konnten! Der schwer mißhandelte Körper Lippolds wurde auf dem Karren des Schinders durch die »vornehmsten Straßen« von Berlin und Cölln gezogen, »10 mahl mit glüenden Zangen grieffen oder gerissen, gezwacket, darnach auff dem Neuen-Markt mit 4 Stößen gerädert, darnach off ein Tisch gebunden, den bauch aber auff, die Brust aufgehauen mit einem Beil, das Herz ihm aufs maul geschlagen, die Hertina in ein Zuber geworfen, den Kopf ab, der Koerper in viertel zerhawen, die Vißera sambt dem Zauberbuch ofm Newenmarkt verbrandt, und an die wegstraßen an galgen bei den Fuesszen und henden aufgehenket, der Kopf auf St. Georgens Thor aufgestecket«.5)
     Das makabre Geschehen von 1573 wurde noch im selben Jahre in einem Holzschnitt festgehalten und bei Leonhard Thurneyssers Offizin (Druckerei) im Grauen Kloster hergestellt. Der Titel der Darstellung lautet: »Warhafftige Abconterfeyung oder gestalt des angesichts [des] Leupolt Jüden«. Eine Umschrift des Porträts des Unglücklichen höhnt mit einem griechischen Vers: »Wandle der Billigkeit Pfad; denn Übermut fället die Stolzen.«
Ein Gesuch der Witwe und das Eingeständnis des Kurfürsten

Bevor das entsetzliche Drama des Strafgerichts am Kämmerer Lippold zu den Akten der Geschichte gelegt wurde, machte Witwe Magdalene noch ein zweites Mal von sich reden. Sie wandte sich mit einem Bittgesuch an Kaiser Maximilian II. (1527–1576, Kaiser seit 1564), auf den Kurfürsten Johann Georg von Brandenburg einzuwirken, daß ihr das konfiszierte Vermögen ihres unschuldig hingerichteten Mannes zurückgegeben werde. Kaiser Maximilian übersandte das Gesuch dem Kurfürsten, und der teilte dem Kaiser am 23. April 1574 einen »wahrhaften Bericht« des Vorgefallenen mit. Das Urteil sei rechtens. »Bösewicht« Lippold habe »Bubenstücke durch seine teuflischen Künste« begangen, die die »wohlverdiente Strafe« begründen. Lippold habe ein »ungeheures Verbrechen« an Leib und Leben seines, das heißt des Kurfürsten, Vaters begangen, das die Konfiszierung allen Hab und Gutes des Juden rechtfertige. Im übrigen habe er, der Kurfürst, aus Lippolds Vermögen alle Gläubiger befriedigt, Pfänder zurückgegeben, Wucher zurückbezahlt und »wohl über 1000 Thaler der Jüdin und ihren Kindern überwiesen und sie mit dieser Summe, um solches böses Ungeziefer (!) endlich los zu werden, aus meinem Lande gewiesen«.6)
     Das Schreiben vom 23. April 1574 ist mehr

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als nur die Dokumentation der Rachsucht des Landesfürsten Johann Georg in unverblümtarroganter Sprache. Es ist das bemerkenswerte Eingeständnis, daß die Hinrichtung des Münzmeisters nicht nach dem Urteil einer unabhängigen Justiz, sondern auf allerhöchsten Befehl des Kurfürsten geschah: Er selbst, so berichtete der Kurfürst stolz seinem Kaiser, habe Lippold die »wohlverdiente Strafe zukommen lassen«!
     Nach diesem Sachverhalt kann man nicht umhin, die Hinrichtung Lippolds im Jahre 1573 als Verbrechen und Justizmord zu kennzeichnen, ganz zu schweigen von der bestialischen Art und Weise, in der sie vollzogen wurde. Die Bewertung der Hinrichtung Lippolds durch den Historiker Oskar Schwebel (1845–1891) kann man heute weniger denn je teilen. Schwebel war lediglich bereit, die Grausamkeit des Verfahrens zu beklagen, nicht aber auch das juristische Fehlurteil zuzugeben: »Nach diesen Geständnissen ist nichts falscher als auch hier von einem Justizmord zu reden. Nach den Anschauungen jener Zeit hatte Lippold einen qualvollen Tod verdient.«7)
     425 Jahre nach Lippolds Tod und 110 Jahre nach Schwebels Wertung ist es geboten, anders darüber zu urteilen – zumal mit dem Wissen um das Geschehen einer Reichspogromnacht von 1938 und dem darauf folgenden Holocaust. Der Wahnsinn der Judenverfolgung hatte stets Methode – vor 425 Jahren ebenso wie vor 60 Jahren.
Quellen und Anmerkungen:
1     Eine ausführliche Darstellung der Umstände des Todes bei Carl Brecht: Der Tod des Kurfürsten Joachim II. im Schlosse zu Köpenick, und seine Folgen für die Berliner Judenschaft. In: Der Bär, 1875, Nr. 10, S. 98/99 und Nr. 11, S. 106–108. Vgl. auch Adolf Streckfuß, 500 Jahre Berliner Geschichte. Vom Fischerdorf zur Weltstadt, Erster Band, Berlin 1886, S. 104–108 und Oskar Schwebel, Geschichte der Stadt Berlin, Berlin 1888, S. 459–465
2     Rentmeister Thomas Matthias wurde später freigesprochen, jedoch seiner Ämter enthoben und um sein Vermögen gebracht. Er starb 1576 in großer Armut. Anna Sydow, die Witwe eines Geschützgießers, war die Geliebte Joachims II. geworden, nachdem dessen Gemahlin Hedwig 1551 verstorben war. Der Kurfürst hatte mit Anna Sydow zwei Kinder, von denen Magdalena zur »Gräfin von Arneburg« erhoben wurde. Nach dem Tod Joachims II. wurde Anna Sydow wegen Erpressung schuldig gesprochen und im Juliusturm zu Spandau eingesperrt, wo sie 1575 starb.
3     Adolf Streckfuß, a. a. O., S. 106
4     Carl Brecht, a. a. O., S. 107
5     Ebenda, S. 108
6     Vgl. Schreiben des Kurfürsten Johann Georg vom 23. 4. 1574 im vollen Wortlaut, in: ebenda, S. 108
7     Oskar Schwebel, a. a. O., S. 464
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