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Jan Feustel
»Gebraut und gesoffen« Ausstellung im Heimatmuseum Friedrichshain Zur Alltagsgeschichte gehört, was man so ißt und trinkt. Und kein Nahrungsmittel
ist so eng mit der Geschichte gerade des Bezirks Friedrichshain verwoben wie das Bier!
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Patzenhofer verhalf mit tiefdunklem,
stets qualitätsvollem Bier nach fränkischem
Vorbild seiner 1855 gegründeten Brauerei zu
wirtschaftlicher Blüte. Das Böhmische
Brauhaus braute erstmals in Berlin ab 1868 Bier
nach böhmischer Art, wie es der Gründer
Armand Knoblauch aus einer alten Berliner Kaufmannsfamilie
dort während des Feldzugs 1866 kennengelernt hatte. Eine dritte
Brauerei auf Friedrichshainer Gebiet entwickelte sich erst 50 Jahre später zum
marktbeherrschenden Großbetrieb das
gezuckerte obergärige Caramel-Malzbier machte
nicht nur den Konsumenten stark, der es trank. Die Engelhardt-Brauerei AG stieg mit
diesem Produkt seit der Jahrhundertwende auf zum größten Malzbierproduzenten der Welt.
1917 übernahm sie die Victoria-Brauerei in Stralau, wo noch heute die beeindruckende Architektur des Flaschenkellerturmes von 1929 die Silhouette der Halbinsel prägt. Solche Betriebsübernahmen waren typisch für die Entwicklung der Berliner Brauindustrie nach der Umwandlung der Großbrauereien in Aktiengesellschaften kam es hier zu einem starken Konzentrationsprozeß. Als 1920 die Actienbrauerei Friedrichshöhe, ehemals Patzenhofer, mit der Schultheiss-AG fusionierte, entstand der größte Bierkonzern des europäischen Festlands. Um 1900 schon war Berlin die führende Braustadt Deutschlands geworden. Aber auch die sozialen Kämpfe jener Zeit spiegeln sich in der Brauereigeschichte wider. Im großen Bierboykott | ||
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von 1894 versuchten Gewerkschaften
und Sozialdemokratie, den organisierten Großbrauereien durch Bierverzicht der
Arbeiterschaft soziale Zugeständnisse
abzuringen. Sie zogen dabei letztlich den kürzeren.
Denn das Bier und der Besuch in der Eckkneipe waren aus dem Alltag der kleinen
Leute nicht wegzudenken.
Bei den beengten Wohnverhältnissen diente die Gastwirtschaft als erweitertes Wohnzimmer und auch die SPD und andere Arbeiterorganisationen nutzten die Wirtshaussäle nebst Bierkonsum für ihre Versammlungen und Festkommerse. Biergärten, wie sie sich neben jeder großen Brauerei erstreckten, waren traditionelle Ausflugsziele der Unterschichten, und bei Volksfesten wie dem Stralauer Fischzug floß der Gerstensaft mehr als reichlich. Selbst die Kultur beruhte in den Wohnbezirken der kleinen Leute auf Bierbasis ohne den Ausschank im eigenen Biergarten und den Kredit einer Brauerei hätte auch das berühmte Rose-Theater seine Bühnenkunst nicht darbieten können. In den Kneipen und Bouillonkellern des Berliner Ostens hielt Heinrich Zille mit Zeichenstift und Fotoapparat »sein Milljö« fest, und rings um den Schlesischen Bahnhof (heute Ostbahnhof) traf sich die Unterwelt in Kaschemmen und Verkehrslokalen der Ringvereine natürlich stets mit diskretem Hinterausgang für den Fall einer Razzia. Von den Arbeiterparteien über den »kleinen Mann von nebenan« bis zu Kriminellen |
Georg Patzenhofer und Prostituierten für die meisten
Friedrichshainer stellte die Gaststätte mit
entsprechendem Bierkonsum ein unverzichtbares kommunikatives Zentrum dar. Da
hatte die Agitation der Abstinenzler nicht allzuviel Wirkung. In Friedrichshain wurde
nicht nur gebraut, sondern auch gesoffen ...
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| Auch im Hammelkopp-Keller in der Andreasstraße floß das Bier in Strömen | ||||
Weg des Bieres nachzuzeichnen
bemüht, wird vielleicht dazu anregen, darüber
nachzudenken, was unsere Alltagskultur dem Gerstensaft verdankt.
Historische Fotografien, Werbeanzeigen und -schilder, Gläser und Flaschen illustrieren die Brau- und Schankgeschichte. Ein Spielzeug-Bierfuhrwerk zeigt, wie vertraut schon die Allerjüngsten mit dem Gerstensaft waren. Es bleibt zu hoffen, daß Biergenuß in vernünftigen Maßen auch weiterhin zur Kommunikation der Friedrichshainer unter- |
einander beiträgt und daß die hiesigen
Gaststätten stets Zentren der Sozialisierung bleiben mögen. Hopfen und Malz Gott erhalt's!
Die Ausstellung kann bis zum 15. September 1999 im Heimatmuseum Friedrichshain, Alte Feuerwache, Marchlewskistraße 6, besucht werden. Öffnungszeiten: Dienstag und Donnerstag von 1118 Uhr, sonnabends 1318 Uhr Bildquelle:
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© Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de