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93 Geschichte und Geschichten![]() | Die erste neue Linde im Großen Tiergarten ![]() ![]() |
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Hainer Weißpflug
Bäume und Sträucher statt Gemüsefelder Die erste neue Linde im Großen Tiergarten Am 17. März 1949 pflanzte
Oberbürgermeister Ernst Reuter (18891953) die erste
neue Linde im Großen Tiergarten. Mit diesem symbolischen Akt begann der
Wiederaufbau des Parks, der nach dem Zweiten
Weltkrieg völlig verwüstet war.
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Zwischen Landwehrkanal und
Zoologischem Garten errichteten die NS- Machthaber den überirdischen Zoobunker,
dessen Flakgeschütze die Alliierten zu
verheerenden Bombenangriffen auf das gesamte Gelände veranlaßten. Der Sturm auf
Berlin konzentrierte sich schließlich auf
den Reichstag, das Brandenburger Tor und die
Reichskanzlei in unmittelbarer Nachbarschaft des Tiergartens. Als der Kampf in
das entscheidende Stadium trat, fraßen sich Schützengräben durch den Tiergarten,
Panzer und Granaten pflügten den Park regelrecht um.
Die Zerstörung des Tiergartens ging nach Kriegsende weiter. Während des schlimmen Nachkriegswinters 1946/47 fällten die Berliner die letzten verbliebenen Bäume, um Heizmaterial zu haben. Von den etwa 200 000 Bäumen des Parks blieben lediglich 700 stehen. Um die Lebensmittelrationen der Einwohner aufzubessern, gab der Magistrat das entholzte Gelände für den Kartoffel- und Gemüseanbau frei. 2 500 Parzellen entstanden so. Andere Flächen ließ der Senat als Felder für Grünfutter bewirtschaften. Die Gewässer waren mit Unrat gefüllt. Max Frisch (19111991) beschrieb eine Mittagsrast im Tiergarten in diesen Nachkriegstagen wie folgt: »Eine baumlose Steppe mit den bekannten Kurfürsten, umgeben von Schrebergärten. Einzelne Figuren sind armlos, andere mit versplittertem Gesicht. Einer ist offenbar vom Luftdruck gedreht | ||
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worden und schreitet nun herrisch
daneben. Anderswo ist nur noch ein Sockel mit zwei steinernen Füßen, eine Inschrift; der
Rest liegt im wuchernden
Unkraut.«1)
Einen Tag nach der Pflanzaktion stand im »Telegraf«: »Der Dreißigjährige Krieg hatte den Tiergarten nicht zerstört. Damals wurde nur ein Teil des Baumbestandes abgeholzt und die Einzäunung zerstört. Das Waldgelände verwilderte. Was in vier Jahrhunderten gehegt, gepflegt und gepflanzt wurde, ging im Chaos des letzten Krieges und dessen Folgen unter. Im Jahre 1945 ließ der damalige Bürgermeister Bachmann die Reste des Tiergartens abholzen. Berlins schönste Parkanlage ist ... zu einer Kraterlandschaft geworden. Wo wir als Kinder trotz Polizeiverbots im Neuen See gebadet hatten, sind verwahrloste Uferböschungen und mit Entengrütze bewachsene übelriechende Wasser geblieben. Wo im Winter nach aufregender Schlittschuhpartie die Rousseau- Insel zur Rast einlud, wuchert Schlingengewächs in dornigen Büschen.«2) Schon am 2. Juli 1945 faßte der Berliner Magistrat den Beschluß zur Wiederherstellung des Großen Tiergartens. Der Leiter des Stadtgartenamtes, Reinhold Lingner (19021968), und der Professor für Gartengestaltung an der Berliner Universität (seit 1949 Humboldt- Universität zu Berlin), Georg |
Pniower, legten 1946/47 die ersten
Entwürfe für die Neugestaltung vor. 1949 begann
man nun endlich mit der Säuberung und dem Wiederaufbau des Parks. »Aber gestern
feierte der Berliner Tiergarten den Beginn einer Wiedergeburt. Oberbürgermeister
Reuter warf die erste Schaufel Erde auf die
Wurzeln einer der 500 Linden, die den Krieg in der
Ernst Reuter pflanzt die erste neue Linde im Tiergarten | ||
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Baumschule der Tiergartenverwaltung
im Grunewald überstanden haben. An der Hofjägerallee am Großen Stern wurde
der erste Baum des neuen Tiergartens wieder in den Boden gebracht. Der Oberbürgermeister sprach vielen Berlinern aus dem
Herzen, als er sagte: >Der Tiergarten ist die furchtbarste Wunde, die der Krieg
unserer Stadt schlug. Der Tiergarten soll wieder
zur Erholungsstätte werden. Wir Berliner
lassen uns nicht unterkriegen, und in 5 bis 10 Jahren werden wir im Tiergarten schon
wieder einen Baumbestand
haben.<«3)
Unter Leitung des Chefs des neugegründeten Westberliner Hauptamtes für Grünflächen und Gartenbau, Fritz Witte, dem es gelungen war, daß die Wiederherstellung des Tiergartens in das Notstandsprogramm für West-Berlin aufgenommen wurde, begannen nun 1 000 sogenannte Notstandsarbeiter mit der Säuberung der Gewässer, und auf einem ersten Abschnitt zwischen S-Bahn und Hofjägerallee konnten 350 Tonnen Metallschrott und 1 500 Tonnen Trümmer abgefahren werden. Gepflanzt wurden 250 000 Junggehölze, darunter 35 000 Setzlinge, gespendet von der Stadt Bremen. Den Plänen Wittes folgten 1952 die von Willy Alverdes, damals Leiter des Gartenamtes des Bezirkes Tiergarten. Ihre Verwirklichung gab dem Tiergarten seine heutige Gestalt. Neben Bäumen und Sträuchern wurden 300 000 winterharte Stauden gepflanzt, dabei entstand der Rhododendron- |
hain zwischen Rousseau- und
Luiseninsel. Wege von insgesamt 35 Kilometern
Länge und 13 Brücken wurden erneuert. Neu
gegenüber dem Lennéschen Tiergarten
sind die großen Liegewiesen und der 1951 bis 1952 angelegte Englische Garten im
südlichen Teil des Schloßparks Bellevue.
Der wiedererstandene Große Tiergarten erlebte in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt Veränderungen. Fünfzig Jahre, nachdem Ernst Reuter die erste Linde im Tiergarten gepflanzt und die Wiedererstehung des Tiergartens als Erholungs- und Begegnungsstätte eingeleitet hat, melden sich immer mehr Naturliebhaber und Umweltschützer zu Wort, um auf Gefährdungen des Parks aufmerksam zu machen. Neben den »alltäglichen« Umweltsünden muß er in seinem Umfeld zahlreiche Baumaßnahmen wie die für den Tiergartentunnel oder den Potsdamer Platz und die damit verbundene Grundwasserabsenkung verkraften. Bleibt zu hoffen, daß sein Bestand und damit die »Grüne Lunge« in der Mitte der Stadt den Berlinern lange erhalten bleibt. Quellen:
Bildquelle: Archiv | ||
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© Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de