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Hainer Weißpflug
»Hans Sachs« von Bad Freienwalde

Der Drechsler und Volksdichter Karl Weise

In Neukölln gibt es eine Weisestraße, die von der Flughafen- bis zur Leinestraße führt. Seit dem 7. März 1894 heißt die ehemalige Straße Nr. 156 so, und eine Schule in dieser Straße erhielt den Namen Karl-Weise- Grundschule. In einer Broschüre über Rixdorf ist zu erfahren, daß der Volksdichter Karl Weise aus Bad Freienwalde 1874 im Rixdorfer Handwerkerverein sein »Loblied auf Rixdorf« vorgetragen habe, was der Anlaß für die Straßenbenennung war.
     Die Allgemeine Deutsche Biographie widmet Weise eine ganze Seite, aber andere einschlägige Nachschlagewerke kennen ihn nicht. Weder im Berliner Biographischen Lexikon, im Literatur- Lexikon von Walter Killy oder in Meyers Konversationslexikon noch im Brockhaus ist Karl Weise zu finden. Das ist sicher darauf zurückzuführen, daß er für lange Zeit in Vergessenheit geraten war. Wer also war Karl Weise?
     Karl Weise wurde als Sohn eines Zimmermanns am 19. November 1813 in den Kellerräumen einer Essigbrauerei in Halle/Saale geboren. Er war eines von zwölf Kindern.

Die Not der Familie war groß. Die Mutter arbeitete außerhalb, hatte kaum Zeit für die Erziehung der Kinder, und die Großmutter verwöhnte sie, vor allem den Karl. Seine Streiche brachten ihm häufig Prügel seiner Lehrer ein, und er wechselte, die freie Schulwahl nutzend, häufig die Schulinstitute, bis er einen Platz an der Freischule der Franckeschen Stiftung in Halle bekam. Nach Abschluß der Schule erlernte er den Beruf eines Drechslers und begab sich nach der Lehrzeit für drei Jahre auf Wanderschaft. Nach kurzer Seßhaftigkeit in Ruhla, wo seine Braut schon nach einem Jahr verstarb, einer Gesellenzeit in Buttstädt und erneuter Wanderschaft lebte er von 1842 bis 1848 in Berlin. Arbeit hatte er bei einem Berliner Drechslermeister gefunden, wo er auch seine Meisterprüfung ablegte.
     Als er, um sich von einer längeren Krankheit zu erholen, nach Freienwalde reiste, faßte er den Entschluß, Berlin den Rücken zu kehren. Karl Weise selbst schilderte das so: »Ein prächtiger Frühlingssonntag lockte auch mich hinaus, und das für einen Tag erwählte Ziel war ein von Wald und Wiesen umgrenztes Städtchen in der Mark. Bei seinem Anblick begann mein Herz nach langer, trüber Zeit wieder einmal freudig zu schlagen, ich mir aber auch zu sagen, daß ich eine zweite Heimat nur in einem so reizenden Orte zu finden vermöge. Des Schicksals Fügungen sind wunderbar. An diesem Tage hörte ich nicht nur, daß hier ein Meister
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meiner Profession unbedingt fehle und jeder nur irgend geschickte Drechslermeister sein Brot finde, ich traf auch mit dem Bürgermeister des Städtchens zusammen, der dies entschieden bestätigte. Als ich am Abend den Ort verließ, rief ich ihm >Auf Wiedersehen< zu, und noch ehe ich Berlin wieder erreichte, hatte der so schnell in mir entstandene Gedanke schon eine solche Reife erlangt, daß ich beschloß, am anderen Morgen schon mit meinem Meister Rücksprache zu nehmen.«
     Trotz aller Warnungen und Einwände seines Berliner Meisters ging er nach Freienwalde und war schon im Mai 1848 dortiger Bürger und Meister. Sein ehemaliger Meister gab ihm einen Kredit und unterstützte ihn bei der Einrichtung einer Drechslerwerkstatt in Freienwalde. 1854 heiratete Weise die Schlesierin Christiane Charlotte Henriette Milde, mit der er schon eine Tochter, Auguste Emilie, hatte. Bald kamen weitere zwei Töchter, Henriette Clara und Ottilie Marie Adolphine, sowie drei Söhne, Karl Friedrich, Friedrich Wilhelm und Barnim Friedrich Johannes, zur Welt.
     Der Kampf um das tägliche Brot ließ ihm zunächst keine Zeit für Schriftstellerei und Dichtung. Die Pfeifendrechslerei, mit der sich die Handwerker seiner Zunft hauptsächlich ihr Brot verdienten, erlebte durch die immer stärker aufkommende Mode des Zigarrenrauchens einen starken Niedergang, so daß Karl Weise für die nackte Existenz

Karl Weise, Stahlstich aus dem Jahre 1874

der Familie arbeitete. Erst 1858 wurde er Mitglied des Vereins für deutsche Reimsprache, und 1859 veröffentlichte er im Selbstverlag sein erstes Buch »Blumen der Wälder«, 1860 folgten die »Handwerkerbraut« und 1862 »Familienleben in Dichtungen«. Damit schaffte er in der literarisch interessierten Öffentlichkeit den Durchbruch.

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Er wurde zum »Volksdichter« und auch in Österreich und England bekannt. Preußens König Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861) setzte ihm eine jährliche Ehrengabe von 50Talern aus.
     Auf seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg besuchte Theodor Fontane (1819–1898) Karl Weise in Bad Freienwalde. Zwischen beiden entwickelte sich eine Freundschaft, und Fontane widmete Weise in seinen »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« im Band »Das Oderland« ein ganzes Kapitel unter dem Titel »Hans Sachs in Freienwalde«: »Die Straßen in Freienwalde sind Hügelstraßen und führen bergauf und bergab. Die belebteste derselben, die Berliner Straße, haben wir eben ihrer ganzen Länge nach passiert und noch immer nicht gefunden, was wir suchen. Aber das muß es sein – es ist das letzte Haus. Ein Berg und eine Kirche bilden den Hintergrund, nach der Straße zu stehen drei Linden, und inmitten dieser Landschaftsrequisiten erhebt sich ein alter Fachwerkbau, an dem ein erkerartig vorspringendes Fenster und zwei Rosenbäume so ziemlich das Beste sind. Die Rosenbäume fassen zwei Fenster ein, aber sie müssen den schmalen Raum mit zwei Aushängebrettern teilen, auf denen wir im Lapidarstil lesen: >Schirme repariert; Drechslerarbeit in Holz und Horn.< Dazu eine große, in Holz geschnittene Tabakspfeife, die als Ornament deutungsreich über dem Ganzen schwebt. Das ist es
allerdings, was wir suchen. Hier wohnt Karl Weise, Poet und Drechslermeister von Freienwalde,
     Drechselt Pfeifen in guter Ruh
     Und macht auch wohl
     'nen Vers dazu.«

So beginnt Fontanes meisterhafte Schilderung seines Besuches in Freienwalde. Weise, ein stattlicher Mann, so fährt Fontane fort, »ist brünett, groß, breitschultrig, in seiner ganzen Erscheinung von südslawischem Typus und nach Teint, Haltung und Schnurrbart viel eher ein Sereschaner- Hauptmann als ein Drechslermeister oder Poet«.
     An diesem Tag machten beide einen ausgedehnten Spaziergang auf den vor der Stadt gelegenen Schloßgartenberg. Hier und beim Biere schlossen sie Freundschaft, der große Meister der Erzählung Fontane und der Verse drechselnde Handwerker Weise. Mehrmals besuchte Fontane in der Folgezeit Karl Weise. In Briefen Fontanes finden sich oft Bemerkungen wie in einem vom 16. September 1862: »Von sechs bis acht reizende Fahrt nach dem Schloßberg, von acht bis elf mit dem Dichter und Drechslermeister Weise beim Biere geplaudert.« Fontane würdigte die Genügsamkeit, den kindlich- einfachen Sinn, Liebe, Pietät und Gottvertrauen Weises, ihn interessierte an dessen Dichtung das Anknüpfen an die Dichtertradition des Hans Sachs. Weise hat mit der Neubelebung dieser ursprünglichen Volks-

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dichtung Bleibendes geschaffen, auch wenn sie nie jene Anerkennung als echte Dichtkunst fand.
     Neben seiner Volkstümlichkeit hat sich Weise aber auch mit kulturhistorischer und heimatkundlicher Literatur einen Namen gemacht. Seine »Volkskalender«, Gedichte wie »Ritter Uchtenhagen«, »Blumen der Wälder«, »Georg Derfflinger« sind hier zu nennen und sein »Neuester Führer durch Freienwalde a.d. Oder und seine Fluren«. Autobiographisch interessant sind seine Erzählungen »Das Jugendleben eines Handwerkers« 1879 und »Weihnachtserlebnisse einer Handwerkerfamilie« von 1872. Sie und Erzählungen wie »Marie, eine Tochter aus der Armuth« aus dem Jahr 1880 sind wie seine Gedichte von biederer, volkstümlicher Sprache. 1881 wurde Weise Mitglied der Schillerstiftung zu Frankfurt am Main, 1887 überreichte die Berliner Drechslerinnung ihm das Ehrenmeisterdiplom. Der Publizist Professor Aegidi (1825–1901) huldigte Weise, und Scheffel junior überreichte den Ehrenkranz.
     Trotz allem blieb er ein armer Poet. Weises »Freunde heimischer Dichtung« mit Fontane an der Spitze verhalfen dem völlig verarmten Heimatdichter 1881 zu einem kleinen Haus in Freienwalde in der Gesundbrunnenstraße, wo er bis zu seinem Tode 1888 lebte. Handwerkervereine setzten ihm 1892 ein Denkmal an der Brunnenpromenade, zu deren Einweihung der
Reichstagsabgeordnete Althaus die Festrede hielt. Bis 1950 befand sich dort das Denkmal mit der Inschrift:

Dem Volksdichter Karl Weise
geb. 19. November 1813
gest. 31. März 1888
von den befreundeten
Handwerkervereinen
1892

Später wurde es durch eine Plastik ersetzt, bis 1979 die Stadt Bad Freienwalde ihrem »Hans Sachs« in der Karl-Weise- Straße ein neues Denkmal errichtete.

Bildquelle:
Oderlandmuseum Bad Freienwalde

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Berlinische Monatsschrift Heft 3/99
© Edition Luisenstadt, 1999
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