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»Heimat, deine Sterne ...«

Ausstellung im Heimatmuseum Hellersdorf

»Heimat, deine Sterne ...« heißt ein Schlager, den der Großdeutsche Rundfunk während des Zweiten Weltkrieges immer wieder für die Wehrmachtsoldaten ausstrahlte, die für ein menschenverachtendes und verbrecherisches System als Okkupanten in fremden Ländern oftmals ihr Leben lassen mußten. »Heimat, deine Sterne ...« – gleichzeitig der Titel für eine Ausstellung über Verfolgung und Widerstand im Naziregime?
     Der scheinbare Widerspruch löst sich auf, wenn man Näheres über den Textdichter Erich Knauf erfährt. Dem am 21. Februar 1895 in Meerane/Sachsen geborenen USPD- Mitglied und Redakteur der »Plauener Volkszeitung«, der seit 1928 als Schriftführer der Büchergilde Gutenberg in Berlin tätig war, kam der Einfall zu seinem Lied in Frontnächten des Ersten Weltkrieges, als er sich nach der Heimat sehnte.
     Knauf hatte bereits nach der nationalsozialistischen Machtergreifung die Büchergilde, die »gleichgeschaltet« wurde, verlassen und wegen einer mißliebigen Theaterkritik in einer Berliner Zeitung 1934 einige Monate in den Konzentrationslagern Oranienburg und Lichtenburg zubringen müssen. 1936 wurde er Pressechef der Terra- Filmgesellschaft. Das Lied schrieb er dann 1938 für seinen Freund Heinz Rühmann, für dessen Film »Quax, der Bruchpilot«. Den Text hatte der damals bekannte Komponist Werner Bochmann vertont.
     1943 wurde Knauf in Wilmersdorf ausgebombt.
     Er erhielt wie sein Freund Erich Ohser, bekannt als E. O. Plauen, der Karikaturist und Schöpfer der »Vaterund- Sohn- Geschichten«, und der Verleger Bruno Schultz Unterkunft bei dem praktischen Arzt Dr. Daubenspeck in Kaulsdorf, Am Feldberg 3. In

dessen Praxis wurde der Verfasser dieser Zeilen in den fünfziger Jahren selbst noch behandelt.
     Wegen regimekritischer Äußerungen wurden Knauf und Ohser im Frühjahr 1944 denunziert, verhaftet und vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. Ohser ging im Gefängnis in den Freitod, Knauf wurde am 2. Mai 1944 in Brandenburg enthauptet.
     Das alles erfährt der Besucher in einer Ausstellung im Heimatmuseum Hellersdorf, die bis zum Juli dieses Jahres zu sehen ist. Ihr Ziel ist es, anhand von Einzelschicksalen die Breite des Spektrums des antifaschistischen Widerstandes im heutigen Bezirk Hellersdorf zu verdeutlichen und das humanistische Engagement vieler Menschen in dieser Zeit zu würdigen. Die zwölf Jahre faschistischer Diktatur sind zwar, wie Dieter Winckler, der Leiter des Heimatmuseums, erklärt, aufgrund des inzwischen erreichten zeitlichen Abstandes unübersehbar Geschichte geworden, sie dürfen für uns aber niemals einfach nur Geschichte sein.
     Diesem Anspruch folgt die Gliederung der Ausstellung: Eingangs wird anhand ausgewählter Daten und Zeitzeugnisse zu Verfolgung und Widerstand in die Thematik eingeführt. Zu sehen ist auch eine Fahne der »Eisernen Front« der SPD von 1932, die auf einem Laubengrundstück im Wedding vergraben war und erst in den achtziger Jahren durch Zufall wiederentdeckt wurde. Den Schwerpunkt bilden dann Biographien von Einwohnern Kaulsdorfs, Biesdorfs und Mahlsdorfs, die verfolgt wurden, die dem Regime in den verschiedensten Formen Widerstand leisteten oder die verfolgten Menschen halfen. Und das waren mehr Menschen, als die Ausstellungsgestalter anfangs vermutet hatten. Bis zuletzt stellten Angehörige Materialien zur Verfügung: Fotos, Erinnerungsberichte, Briefe, Polizeiberichte, Vorladungen, Haftbefehle und vieles andere. Der Widerstand ging durch alle Bevölkerungsschichten. Es widersetzten sich Arbeiter, Angestellte, Gewerbetreibende, Unternehmer, Wissenschaftler, Künstler, Ärzte und, nicht zu vergessen,
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Geistliche wie Heinrich Grüber, der 1938 in seinem damaligen Pfarrhaus in Kaulsdorf sein »Büro Grüber«, eröffnete, das später ins Stadtzentrum verlegt wurde. Ihm war 1991 aus Anlaß seines 100. Geburtstages in Zusammenarbeit mit dem Margareteund- Heinrich- Grüber- Haus in Berlin- Dahlem eine eigene Ausstellung im Heimatmuseum Hellersdorf gewidmet, deren Exponate die jetzige über Verfolgung und Widerstand eindrucksvoll ergänzen und abrunden.
     Großen Raum nehmen Dokumente ein, die über den Leidensweg vieler jüdischer Mitbürger sowie Stätten des Terrors, Arbeitslager und Betriebe, in denen sogenannte Fremdarbeiter ausgebeutet wurden, berichten. Hier bietet die Ausstellung für manchen Besucher sicher viel Neues. Den wenigsten wird zum Beispiel bekannt sein, daß sich auf dem Gelände des heutigen Krankenhauses Kaulsdorf ein Krankenobjekt für Zwangs- und Fremdarbeiter befand, in dem, wie eine wegen ihrer jüdischen Herkunft zur Zwangsarbeit verpflichtete Kaulsdorferin aus eigenem Erleben berichtete, pseudowissenschaftliche und verbrecherische medizinische Versuche an erkrankten Zwangsarbeitern beiderlei Geschlechts durchgeführt wurden.
     Dies alles zusammengetragen, geordnet und für die Ausstellung aufbereitet zu haben ist das Verdienst vieler, darunter der Mitarbeiter des Heimatmuseums Hellersdorf, des Heimatvereins Hellersdorf, Kaulsdorf, Mahlsdorf e. V. und der Geschichtswerkstatt Hellersdorf im Kulturring in Berlin e. V.
     Die Ausstellung ist montags bis freitags von 10 Uhr bis 18 Uhr im Heimatmuseum, Jenaer Str. 11, zu besichtigen. Ihr ist auch Heft 8 der »Hellersdorfer Heimathefte« unter dem Titel »Verfolgung und Widerstand in Berlin- Hellersdorf 1933–1945« gewidmet, das zum Preis von 5 DM im Museum zu erwerben ist.
Wolfgang Voigt
Regina Stürickow
Der Kommissar vom Alexanderplatz

Das Neue Berlin o. J. (1998), Berlin

Die Autorin, ein Berliner Kind vom Kurfürstendamm (über dessen Geschichte als Schauplatz sie ein sehr lesbares Buch vorgelegt hat; vgl. BM 3/96), widmet sich hier einem Arbeitsplatz, der über Jahrzehnte mit einer mindestens ebenso berühmten Berliner Lokalität verbunden war: dem Morddezernat (ab 1926: Zentrale Mordinspektion) der Berliner Kriminalpolizei, das bis in den Zweiten Weltkrieg hinein (und z. T. darüber hinaus bis zum Abriß der letzten Gebäudeteile des durch den Bombenkrieg schwer in Mitleidenschaft gezogenen Bauwerks in den sechziger Jahren) im Berliner Polizeipräsidium, der »roten Burg« am Alex, angesiedelt war. Held ihrer spannend und lebendig geschriebenen Geschichte ist der einst legendäre Kriminalkommissar Ernst Gennat (1. Januar 1880 – 20. August 1939), auch er ein Berliner Kind und schon von seiner Geburt her ebenfalls mit einer bekannten – oder besser berühmtberüchtigten – Berliner Adresse verbunden: Sein Vater war Oberinspektor der »Plötze« – der Strafanstalt Plötzensee. Gennat löste von 1906 an für drei Jahrzehnte spektakuläre Berliner Mord-, aber auch andere Kriminalfälle und wurde insbesondere im Berlin der Weimarer Republik durch aufsehenerregende Erfolge ein weithin bekannter Mann. Das lag sicherlich auch an der gestiegenen Rolle der Sensationspresse, für die der körperlich auffallende Mann (sein Gewicht sank nie unter zwei, erreichte aber endlich zweieinhalb Zentner!) mit seiner stoischen Ruhe natürlich ein beliebtes Kultobjekt wurde. Obgleich vom NS-Regime im Dienst belassen, war er mit dieser Körperfülle natürlich kein Vorbild für das Image des

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alerten Verbrechensbekämpfers, den das »gesunde Volksempfinden der moralisch sauberen Volksgemeinschaft« verlangte. So verblaßte sein Bild in seinen letzten Lebens- und Arbeitsjahren erheblich. Die Berliner Polizei hat ihm jedoch schon seit längerem ein bescheidenes Denkmal gesetzt, indem sie ihm in ihrer »Polizeihistorischen Sammlung« im Souterrain des Polizeipräsidiums am Platz der Luftbrücke eine eigene Vitrine widmet.
     Natürlich will die Autorin durch die Darstellung der Aufklärung von Kriminalfällen den Leser fesseln. Das gelingt ihr auch (wenn man einmal von dem märchenhaften Einsprengsel im Kapitel »Der blaue Skarabäus« absieht, das aber durch den überzeugenden Parsprototo- Blick auf die zweifelhafte »Boheme« rund um den Ku'damm besticht) dank ihres unzweifelhaften Erzähltalents recht gut. Dennoch ist dieser Lesegenuß nicht das eigentlich Entscheidende an diesem Stürickow- Opus. Die Verfasserin bleibt nämlich nicht bei den Fällen stehen, sondern sie stellt die Arbeit des Morddezernats im Berliner Polizeipräsidium in den Zusammenhang der jeweiligen Zeitumstände und räumt auf diese Weise mit der unausrottbaren Legende von der »guten alten Zeit« auf; das ungute Gefühl wegen der zunehmenden Kriminalität unter Jugendlichen hat Gennat z. B. jedenfalls seit seinem Dienstantritt im Jahre 1904 begleitet. Sehr instruktiv ist darüber hinaus die in lockerer Form, aber gerade deshalb so überzeugend vorgelegte »Beweislast« hinsichtlich der sozialen Herkunft der leitenden Kriminalbeamten in der Reichshauptstadt: Im Kaiserreich war der höhere Kriminalpolizeidienst in hohem Maße von Adligen besetzt, und da die Herrschaften Fachleute waren, blieben sie in der Weimarer Republik im Dienst. Sie brachten ihrerseits wieder Aspiranten unter, die ihnen nahestanden, und mit dem demokratisch- republikanischen Engagement der so gefeierten Berliner Kriminalpolizei war es offenbar in der Weimarer Republik nicht weit her. Sogar die Nazis mußten kaum »Unzuverlässige« in die Wüste
schicken – selbst wenn die Berliner Kriminalisten sich (vgl. das Kapitel »Das unglaubliche Abenteuer des Fabrikanten Schlesinger«) mit kriminellen Taten übergeschnappter SA-Banditen befaßten. Die Autorin benennt auch den hauptsächlichen Grund, der die leitenden Kriminalpolizisten dem NS-Regime zutrieb: die gegenüber dem strammen Kaiserreich gemilderte justizielle Praxis der Republik im Strafmaß und in der Durchführung der Todesstrafe; der »Humanitätsdusel« der Justiz bzw. des Justizministeriums brachte die Verbrecherjäger in Rage, die genau wußten, daß sie sich ihren mild behandelten »Kunden« bald wieder zu widmen hatten. Nach allem, was das Buch vermittelt, hieb Gennat jedoch gerade nicht in diese Kerbe – so, wie er sich auch beharrlich weigerte, an der Hinrichtung auch nur eines der von ihm überführten Mörder teilzunehmen.
Kurt Wernicke  

Wolfgang Hartwig/ Günter Weise
100 Jahre Fußball in Berlin

Sportverlag, Berlin 1997

Die Anfänge des Berliner Fußballsports gehen bis in die Zeit um 1880 zurück. Auf dem Tempelhofer Feld – südlich vor der Stadt gelegen, Truppenübungsplatz des kaiserlichen Gardekorps, zugleich beliebter Erholungsplatz der Berliner, die sonntags mit Kind und Kegel hierherkamen – wurde begonnen, dem Lederball nachzujagen. Es waren vor allem die sich in der Reichshauptstadt zu Bildungszwecken aufhaltenden Engländer, die junge Berliner mit dem Fußballspiel bekannt machten. Zu Fuß oder – je nach Wegstrecke – für fünf bzw. zehn Pfennig mit dem von Pferden gezogenen »Omnibus« konnte der

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Ort des Geschehens erreicht werden, im »Gepäck« Torstangen, Fähnchen zur Spielfeldbegrenzung und weiteres Gerät. Noch kein Gedanke anfangs an Vereine, Verbände, einheitliche Spielregeln oder gar geordneten Spielverkehr. Für die breite Öffentlichkeit war Fußball – im Gegensatz zu Schlagball, Faustball oder Völkerball – noch unbekannt. Mißtrauisch beäugt, kam die Fußballbewegung dann aber in den 80er Jahren durch die Gründung von Fußball- Clubs in Gang. Es entstanden der Berliner Cricket- Club (1883), der BFC Frankfurt (1885 gegründet von Georg Leux, den es von Frankfurt am Main nach Berlin verschlagen hatte). Darüber hinaus gab es so manche weitere schwärmerische Gründung, die bald wieder verblühte, wie FC Aragonia, BFC Thusnelda, Saturn, Toscana, Silvia oder Madeira. Spiele gegeneinander waren in den ersten Jahren nur schwer zu organisieren, und wenn sie zustande kamen, durften die Beteiligten keine Scheu vor kuriosen Duellen haben. Der Buchabschnitt »Wie der Fußball laufen lernte« enthält dafür ein schönes Beispiel: Weil im BFC Frankfurt auch »mit Aufnehmen des Balles«, also Rugby, gespielt wurde, pflegte man sich mit dem Cricket- Club in beidem zu messen – vor der Pause im Rugby, danach im Fußball.
     Leider haben Wolfgang Hartwig und Günter Weise nur begrenzt Platz, die Ur- Anfänge des Berliner Fußballs noch plastischer zu machen. Dafür ist ihr Thema zu weitgespannt und vielschichtig. Die sich anbietende großzügige Gestaltung unter Verwendung attraktiver, großformatiger Fotos und anderer Illustrationen geht natürlich zu Lasten des reinen Textteils. Um so bemerkenswerter, daß es beiden Autoren gelungen ist, die Entwicklung des Berliner Fußballs über mehr als ein Jahrhundert hinweg in vertretbaren Proportionen zu Papier zu bringen und wohl auch alles Wichtige zu berücksichtigen. Das Buch ist sachkundig gegliedert und wird durch einen fundierten statistischen Anhang – dafür ist Helmut Tietze zuständig – abgerundet. Viele zusätz-
liche Informationen konnten in Kurzbiographien der bekanntesten Fußballer und von Trainern und Fachleuten sowie in Spots untergebracht werden. Dadurch gewinnt das Ganze noch an Lebendigkeit.
     Streng waren die Sitten in den Anfangsjahren: Geldstrafen für den, der das Spiel oder die folgende obligatorische Versammlung im Vereinslokal versäumte; Vermeiden von größeren Spaziergängen zur Besichtigung in fremden Städten vor und nach den Auswärtsspielen, ebenso Verzicht auf Alkohol und Rauchen usw. Ein Spiel konnte sogar in einzelnen Fällen das Schicksal einer Mannschaft besiegeln: Als die Insel Helgoland, bis 1890 britisch, wieder deutsch wurde, gründeten sich in Berlin 1897 und 1898 zwei FC Helgoland, ohne voneinander zu wissen. Man beschloß daraufhin ein Entscheidungsspiel mit der Maßgabe, daß der Verlierer sich auflösen sollte. Zweimal wurde remis gespielt, bis schließlich »97« das dritte Spiel gewann, was für Helgoland »98« das Aus bedeutete. Noch heute sind die »97er« in Mariendorf zu Hause. Eine andere Mannschaft, Borussia, ereilte 1890 nach einem 1:2 gegen Stern 89 das gleiche Schicksal, weil sie die dem Sieger laut Spielvertrag zustehenden Medaillen nicht bezahlen konnte. Die meisten Borussen traten sofort Stern (heute noch in Neukölln) bei. Eine Anzahl solcher Begebenheiten am Rande zusammenzutragen bedurfte gewiß aufwendiger Recherchen.
     Der Titel dieser repräsentativen, kompakten Publikation bezieht sich auf ein ganz konkretes Datum, den 11. September 1897. An diesem Tag wurde, noch unter anderem Namen, der Berliner Fußball- Verband (BFV) ins Leben gerufen, der damit drei Jahre älter als der Deutsche Fußball- Bund (DFB) ist, den er 1900 mit gründete. Viele der ersten Vereine gingen damals schnell wieder ein. Immerhin aber existiert in Berlin noch heute mit dem 1888 gegründeten FC Germania sogar der anerkannt älteste noch bestehende deutsche Fußball- Club, der, unterklassig im lokalen Spielbetrieb aktiv, seine Heimstatt in der Tempelhofer Götzstraße hat. Im Jahre
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1890 aber stand Germania 88 noch in voller Blüte, konnte gegen fünf Berliner Vereine eine (inoffizielle) erste deutsche Meisterschaft gewinnen, die im Jahr darauf verteidigt wurde. Wenig später – im Buch fehlt leider die Jahresangabe – erklärte man auch Viktoria 89 einmal zum »Meister«, weil der zum Endspielgegner bestimmte Vertreter Süddeutschlands, Hanau 93, die Reise nach Berlin nicht finanzieren konnte, womit das Endspiel ausfallen mußte. Solcherart Titel nahmen nur wenige ernst, und sie tauchen nicht in den Statistiken auf – die Zeitrechnung der echten deutschen Meisterschaften setzt 1903 (unter dem Dach des DFB) ein.
     So mit Episoden aus der Anfangszeit eingestimmt, ist man um so geneigter, sich durch ein Jahrhundert der Höhen und Tiefen des Berliner Spitzenfußballs hindurchzulesen. Natürlich immer wieder im Mittelpunkt: Hertha BSC mit all seinen Erfolgen, aber auch Skandalen. Vor allem »Herthas goldene 30er« werden wieder lebendig, die beiden nach vier vergeblichen Anläufen zuvor in den Jahren 1930 und 1931 errungenen deutschen Meistertitel, die letzten bis heute. Nicht wenige werden sich vielleicht noch an Herthas Idol Hanne Sobeck erinnern, aber wer weiß, daß in der Berliner Stadtauswahl jener Zeit neben Sobeck ein Sepp Herberger (späterer Trainer der Nationalmannschaft) spielte, der während seines Studiums an der »Deutschen Hochschule für Leibesübungen« für Tennis Borussia aktiv war. Weitere Themen in dem Buch sind der Fußball in der Zeit der beiden Weltkriege ebenso wie Details und Umstände beim Bau des 1936 eröffneten Olympiastadions – besonders aktuell im Zusammenhang mit der hartnäckigen Diskussion zur Zukunft des Olympia- Geländes. Die Autoren schreiben über die Pokalendspiele in diesem »deutschen Wembley«, über alle BRD- und DDR- Länderspiele, die in Berlin ausgetragen wurden, über die erbitterten Duelle zwischen dem BFC Dynamo und dem 1. FC Union in der DDR- Oberliga, über den Kampf von Vorwärts, Dynamo und Union um die Vorherrschaft im Ostteil
Berlins, über das bescheidene Abschneiden und die Fahrstuhlfahrten von Hertha BFC (jeweils eine Saison auch von Tasmania 1900, Tennis Borussia und Blau-Weiß 90) in der 1963 ins Leben gerufenen Bundesliga. Gebührend gewürdigt wird gleich im ersten Abschnitt des Buches »Schwur im Ziel: Nie mehr zweite Liga« der erneute Aufstieg der Herthaner in die Bundesliga im Jahre 1997, mit dem man nun endlich wieder salonfähig ist (was inzwischen auch für die »Veilchen« von Tennis Borussia als Aufsteiger in die 2. Bundesliga gilt). Fachkundig behandelt werden schon ein wenig in Vergessenheit geratene Ereignisse wie die einstmals attraktiven Städtespiele, deren Bedeutung sich aber nach Einführung des Profi- Fußballs zwangsläufig verringerte. Beschrieben wird der Spielverkehr mit Mannschaften aus der DDR in den vier Jahrzehnten der gespaltenen Stadt sowie die Entwicklung nach der Wende. Wissenswertes enthält das Buch zu zahlreichen weiteren Themen – vom Kinder- und Jugendfußball, auch vom Frauenfußball bis hin zum Einsatz von Berliner Spielern in der Nationalmannschaft. Im Kapitel »Berlins Talente liebt das Land« wäre sicher außer dem Beklagen des Abwanderns so vieler Talente (Ziege, Häßler, Bäron, der inzwischen zurückgekehrte Thom und viele weitere) ein wenig Ursachenforschung über Versäumtes, vor allem die Frage, warum Spieler in so großer Zahl nicht gehalten werden konnten, am Platz gewesen.
     Die Autoren Hartwig und Weise haben über viele Jahre hinweg als Fußballjournalisten und Sportchefs in ihren Zeitungen die Szenerie aus nächster Nähe betrachtet, ersterer u. a. für die »Berliner Zeitung«, letzterer für die »Berliner Morgenpost«. Was bei ähnlich komplexen Themen, die Entwicklungen in West und Ost ausgewogen unter einen Hut bringen sollten, noch längst nicht immer Standard ist, dem haben die Autoren dieses Buches entsprochen; auch dem Fußball im Osten wird der ihm gebührende, gewiß nicht zu übertreibende, Platz eingeräumt.
Hans Aschenbrenner
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© Edition Luisenstadt, 1999
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