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Bernhard Meyer
Der »Bismarck des Hochschulwesens«

Vor 160 Jahren wurde Friedrich Althoff geboren

Man nannte ihn seinerzeit den »Bismarck des Hochschulwesens« und den »heimlichen Kultusminister Preußens«. Heute findet sich in der einschlägigen Literatur »allmächtiger Ministerialdirektor«. Als er fast 70jährig 1908 in Steglitz bei Berlin verstarb, hinterließ er seinem Kaiser ein international anerkanntes, personell und institutionell wirkungsvolles modernes Hochschulwesen. Wenn Physik, Chemie und Medizin hierzulande vor 1914 Weltgeltung erlangten, stand als Initiator und Organisator Friedrich Althoff dahinter. Er erkannte frühzeitig die Chance, die Wissenschaft in das imperiale Streben des Deutschen Reiches einzubinden. Sein Weitblick ließ ihn Forschungsergebnisse und ihre Produzenten als wesentliche Mosaiksteine zur Erlangung deutscher Weltmachtstellung nutzen.
     Dabei bekleidete er weder in Preußen noch im Deutschen Reich je einen Ministerposten – er war und blieb Ministerialbeamter, zunächst einer von 33 Räten und später einer von vier Direktoren. Gewiß anders

als Wilhelm von Humboldt (1767–1835) vorgehend, wird er als Wissenschaftspolitiker doch mit ihm auf eine Stufe gestellt. Es gibt faktisch kein Gebiet in der vielfältigen Hochschullandschaft, auf dem er nicht seine prägende Spur hinterlassen hat: Er gründete Institute und Lehrstühle auf allen Wissenschaftsgebieten und erklärte Berufungen zu seiner Chefsache. Jeder der 3 500 Hochschulprofessoren und Dozenten (1910) benötigte zur Karriere seinen Segen. Frühzeitig erkannte und förderte er neue und erfolgversprechende Wissenschaftsdisziplinen wie die Bakteriologie, Chemotherapie und Serologie. Unter seiner Regie wandelten sich Hochschulstrukturen und Lehrplaninhalte, erhielt die medizinische Pflichtassistenz als praktisches Jahr nach Studienende Gesetzeskraft. Stets hatte er Arbeitsbedingungen und Lebensweg einer Reihe von Wissenschaftlern über Jahre hinweg fest im Visier, von denen viele später den Nobelpreis erhielten. Für die – völlig neuartige – Weiterbildung der Ärzte schuf er die lokalen Akademien für Ärztliche Fortbildung in Preußen. Unablässig war er auf der Suche nach privaten Geldgebern für zahlreiche Komitees und Vereine, die sich beispielsweise um die Tuberkulosebekämpfung, die Senkung der Säuglingssterblichkeit oder den Aufbau von Museen sorgten. Bedeutend seine konzeptionellen Vorstellungen zur Forschungskonzentration, die sich nach seinem Tode in den Kaiser- Wilhelm- Institu-
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ten (KWI) verwirklichten. Althoff verwaltete die Wissenschaft nicht, sondern gestaltete sie mit Talent, Umsicht und nie versiegendem Fleiß – die Nachwelt spricht heute, achtungsvoll oder kritisch, vom »System Althoff«. Zentral organisiert wie ein Großbetrieb, bürokratisch sowie »autoritärpatriarchalisch« gelenkt von einem genialen und dabei herrischen Bürokraten und Kulturpolitiker, so die wesentlichen Kennzeichen des Systems.1) Zweifellos war Althoff ein Glücksfall für die Wissenschaft, besonders für die Medizin, auf die sich dieser Beitrag konzentriert.
     Friedrich Theodor Althoff, am 19. Februar 1839 in Dinslaken (Westfalen) geboren und studierter Jurist, wurde 1882 von der Reichsuniversität Straßburg nach Berlin an das Ministerium für geistliche, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten als Universitätsreferent für Personalangelegenheiten gerufen. Es war das Jahr, in dem Robert Koch (1843–1910) an jenem denkwürdigen 24. März die Entdeckung des Tuberkelbakteriums bekanntgab. Sie machte auf Althoff nachhaltigen Eindruck. Wissend um die hohe Sterblichkeitsrate bei Tuberkulose und die Chancen der Bakteriologie ahnend, nahm sich Althoff dieser Richtung an, auch als er darüber in Konflikte mit dem Medizinpapst Rudolf Virchow (1821–1902) geriet. Dennoch fädelte er die Angelegenheit so geschickt ein, daß Koch 1885 den ersten Lehrstuhl für
Hygiene in Preußen an der Charité besetzen konnte.
     Selbst als sich die Wirkungslosigkeit des Tuberkulins als Medikament herausgestellt hatte, stritt Althoff im preußischen Landtag für ein Institut einschließlich einer Isolierstation für Infektionskranke außerhalb der Universität, an dem sich Koch, befreit von Lehraufgaben und Fakultätsgerangel, auf die weitere bakteriologisch- experimentelle Erforschung der Infektionskrankheiten konzentrieren sollte. Es herrsche, so seine Rede vor den Landtagsabgeordneten, die »Überzeugung, daß wir an der Schwelle einer neuen therapeutischen Ära stehen«, wofür die Bakteriologie der Ausgangspunkt sei.
     Geschickt verwies Althoff sodann auf die politische Dimension der Bakteriologie, die eine durchaus »patriotische Seite« hätte, denn es handele sich »um einen Ehrenpunkt für die deutsche Wissenschaft« gegenüber der Konkurrenz des Instituts Pasteur in Paris und anderen ausländischen Bestrebungen.2) 1891 verließ Koch die Charité, um fortan im neugegründeten »Institut für Infektionskrankheiten«, ab 1895 in einem eigens dafür geschaffenen Bau, ergebnisreiche Untersuchungen zur Aufklärung und Bekämpfung der Infektionskrankheiten im Deutschen Reich wie in Asien und Afrika durchzuführen.
     Zu seinen besonderen Schützlingen zählten auch der Begründer der Chemotherapie, Paul Ehrlich (BM 11/98), sowie der Begrün-
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   23   Probleme/Projekte/Prozesse Der »Bismarck des Hochschulwesens«  Vorige SeiteNächste Seite
der der Serologie, Emil Behring (1854–1917), den er 1892 kennenlernte. Durch die Entwicklung des Diphtherieserums unter den Fittichen von Koch berühmt geworden, strebte Behring natürlich eine Universitätslaufbahn an. Obwohl freundschaftlich mit Behring verbunden, zog Althoff über sein Informantennetz, seine Gegner sprachen von Spitzeln oder Agenten, Informationen ein. Er wollte ihn in Marburg unterbringen. Die dortige Fakultät widersetzte sich der Berufung auf den Lehrstuhl für Hygiene dermaßen vehement und andauernd, daß Althoff ihn 1895 per Anordnung einsetzte. Behring bedankt sich bei seinem Gönner: »Ich verdanke das Ihnen, hochverehrter Herr Geheimrat, und, unabhängig davon, was die Zukunft bringen mag, werde ich Sie stets als meinen Wohltäter betrachten, der aus unerquicklichster Zwitterstellung in Berlin mich gerettet hat und eine gesellschaftliche Position mir verschaffte.«3) Althoffs Informantensystem reichte über das ganze Reichsgebiet, zu den namhaftesten Zuträgern gehörten Theodor Mommsen, Rudolf Virchow, Gustav Schmoller, Adolf Harnack, Robert Koch, Emil Fischer, Emil von Behring.
     Wie auch immer bestimmte Berufungen zustande gekommen sein mögen, in der Mehrzahl waren sie für die Wissenschaft und Fakultäten von Vorteil. Daß damit aber Rechte der Universitäten beschnitten und außer Kraft gesetzt wurden, überging

Friedrich Althoff

 

Althoff in der Gewißheit, größere deutsche Ziele zu bedienen. Seiner Personalpolitik lag die moderne Auffassung zugrunde, auf die ersten Lehrstühle auch die besten Wissenschaftler zu berufen und an bestimmten Universitäten in bestimmten Fachrichtungen leistungsfähige Schwerpunkte zu schaffen. Die Berliner Universität wollte er zu einem nationalen Aushängeschild wissenschaft-

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   24   Probleme/Projekte/Prozesse Der »Bismarck des Hochschulwesens«  Vorige SeiteNächste Seite
licher Leistungsfähigkeit machen. Hier rief er 43 neue wissenschaftliche Einrichtungen ins Leben, davon 23 an der Charité. Durch geschickte Verhandlungsführung, und wenn es sein mußte durch Zusagen für Einkommensverbesserungen oder für Neu- oder Umbauten sowie modernere Ausstattung brachte er in seiner 25jährigen Dienstzeit, viele Wissenschaftler an den Ort ihrer größten Leistungsfähigkeit.
     Zuletzt war Althoff Wirklicher Geheimer Rat, mit Exzellenz anzusprechen und dem Recht ausgestattet, beim Kaiser unter Umgehung des Ministers vorstellig zu werden. In Verhandlungen konnte er bei der Verfolgung seiner Absichten schroff und unhöflich sein, seinen bestellten Gesprächspartner stundenlang warten und seine Macht als Ministerialbürokrat spüren lassen. Er schuf zahllose Abhängigkeiten, denn Fortkommen und Karrieren von Gelehrten entschieden sich letztlich an seinem Tisch. In seine Amtszeit fällt der aufsehenerregende Fall des sozialdemokratisch engagierten und von seiner Überzeugung nicht abweichenden Physikers Leo Arons (1860–1919) an der Berliner Friedrich- Wilhelms- Universität, dem 1899 schließlich die Venia legendi (Lehrbefugnis) entzogen wurde. Bei allen Verdiensten von Althoff, so seine Kritiker, habe er Menschen schlecht behandelt, unabhängige Gesinnung unterdrückt und lautere Naturen gedemütigt. So wird die Ära Althoff auch für verstärkte Autoritätsgläubigkeit und Duck-
mäusertum im Wissenschaftsbereich verantwortlich gemacht.
     Aber alles gelang Althoff in seiner Personalpolitik beileibe nicht, wie die Vorgänge um den Dermatologen Albert Neisser und den Stomatologen Willoughby Dayton Miller (1853–1906) beweisen. Als 1889 der Charité- Lehrstuhl für Hautkrankheiten vakant wurde, legte sich Althoff auf den in Breslau erfolgreich auf syphilitischem Gebiet forschenden Neisser fest. Der beklagte die »vollkommen unzureichenden Verhältnisse« an der Berliner Hautklinik, verwies auf Charité- Intrigen und die Tatsache, daß er in Breslau beginne, »die Früchte ausdauernden Strebens« zu ernten, was in Berlin vorerst nicht der Fall sein würde. Althoff ließ sich von den vorgebrachten Gründen nicht beeindrucken. Die Angelegenheit zog sich bis 1896 hin, die Berufungsliste der Charité enthielt den Namen Neisser schon nicht mehr, aber Althoff ließ nicht locker und stellte Neisser ein Ultimatum, das mit einer Ablehnung durch Neisser endete. Hier bewies einer, der allerdings schon ein Ordinariat besaß, Rückgrat. Im Falle des Amerikaners Miller, der 1889 an der Charité die noch heute akzeptierte Kariestheorie entwickelte, glaubte Althoff wohl nicht an dessen Entscheidung gegen Berlin und hielt ihn hin. Die Zahnklinik, an der Charité 1884 als erste ihrer Art in Deutschland eingerichtet, führte ein räumlich außerordentlich beengtes Dasein. Der international berühmte Miller ver-
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fügte über ein Labor von nur 3 Quadratmetern; Beifallskundgebungen jeglicher Art von Studenten im Hörsaal waren wegen dessen Baufälligkeit strengstens untersagt. Althoff kannte die unhaltbaren Zustände der immer noch um Anerkennung ringenden Zahnmedizin wohl. Erst als Miller nach wiederholt vergeblichen Anläufen 1906 seine Demission bekanntgab, um einen Lehrstuhl in den USA zu übernehmen, versprach Althoff bauliche Veränderungen und versuchte bis zur letzten Minute, den Amerikaner an der Charité zu halten. Miller verließ die Charité, Althoff veranlaßte den Bau der modernsten Zahnklinik Europas, die 1912 in der Invalidenstraße festlich geweiht wurde.
     Übereinstimmend bescheinigen Althoffs Biographen ihm ein besonderes Herz für die Medizin. Und das nicht erst, seit er 1900 zu allerlei Ämtern noch den Vorsitz der wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen übernahm. So lag ihm die Charité nahe, über die es seit Ende der 80er Jahre hinsichtlich ihres baulich veralteten Zustandes zunehmend Klagen gab, die im »Charité- Boykott« von 1893 (BM 12/95) ihren Höhepunkt fanden. Althoff verfolgte die Vision, eine moderne Charité am alten Standort zu erbauen, die für die dort um 1900 versammelte Elite eine erste Adresse ist. In einem beispiellosen Coup verkaufte Althoff das Gelände des Botanischen Gartens in Schöneberg, um mit den eingenommenen 17 Millio-
nen Mark dessen Verlegung nach Dahlem und den faktischen Neubau der Charité zu finanzieren. Da der preußische Landtag alles absegnete, wurden von 1897 bis 1916 für rund zehn Millionen Mark nach Plänen des Architekten Kurt Diestel (1862–1946) jene roten Backsteinkliniken und Institute auf dem angestammten Areal errichtet, die noch heute das Bild bestimmen. Als eines der ersten Gebäude wurde im Juni 1899 das Pathologische Museum als Reverenz an Rudolf Virchow übergeben. Ein Jahr später folgte als Geschenk zu seinem 80. Geburtstag das neue Pathologische Institut. Die Chirurgie nahm 1904 ihren Betrieb auf, die Kliniken für Innere Medizin 1910 und 1913 – die Charité erlebte eine »phönixgleiche Neugeburt«.4) Die Direktion widmete Althoff ein von Ferdinand Hatzer (1838–1906) geschaffenes Denkmal, das zu dessen 64. Geburtstag 1903 am Eingang zum Klinikum enthüllt wurde – das bis heute einzige Denkmal eines Nicht- Mediziners auf dem Gelände der Charité.
     Zahllos die Ämter, zahllos die Ehrungen für Friedrich Althoff. Er widmete sein Leben der Förderung der Wissenschaft im Deutschen Reich. So wie hier für die Medizin nur exemplarisch beschrieben, wirkte er in allen Wissenschaftsdisziplinen. Er schuf eine »Wissenschaftsrealität der Moderne«.5)
     Sichtbarster Ausdruck seines Erfolges wurden die 19 deutschen Nobelpreisträger von 1901 bis 1918 in Chemie, Physik und Medizin,
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von denen 13 an preußischen Universitäten wirkten. Was Koch, Behring und Ehrlich, alle drei sind Nobelpreisträger geworden, mit den auf ihr Profil zugeschnittenen Instituten durch Protektion Althoffs erreichten, stand Pate bei der Etablierung der Kaiser-Wilhelm- Institute ab 1911. In der deutschen Wissenschaftspolitik gab es nie wieder einen Koordinator und Strategen seines Formats. Althoff arbeitete in seinen 25 Dienstjahren für drei Kaiser, fünf preußische Ministerpräsidenten und vier Kultusminister. Seit 1905 kränkelte er und trug sich mit Rücktrittsabsichten, die ihm Kultusminister Konrad von Studt (1831–1921) immer wieder ausredete. Er galt als unersetzbar.6) In der kinderlosen Ehe zahlte seine Frau Marie dafür mit viel Alleinsein. Zu einem Geburtstag (wohl 1905) schrieb sie ihm die Zeilen:
Große Wünsche für Dich hab ich nicht mehr.
Genug der Erfolge, genug der Ehr!
Nur ein paar Jahre zwischen Gott und der Welt zu leben, wie Du es Dir vorgestellt.
Das wäre für mich wieder glückliche Zeit
nach zwanzigjähriger Einsamkeit.7)

     Es blieben dem auf die 70 Zugehenden nur noch wenige Jahre. Sie reichten nicht für die geplante Autobiographie. Friedrich Althoff starb am 20. Oktober 1908. So wie er für das Hochschulwesen alles bis zum letzten Detail regelte, so regelte er auch die Modalitäten seines Ablebens. Er wollte im Botanischen Garten begraben sein, und
ein Denkmal sollte seine Grabstätte zieren. So ist es auch geschehen.

Quellen:
1     Bernhard v. Brocke, Hochschul- und Wissenschaftspolitik in Preußen und im deutschen Kaiserreich 1882–1907, Hrsg. P. Baumgart, Stuttgart 1980, S. 15 f.
2     Friedrich Althoff, Rede im preußischen Landtag (9. Mai 1895), in: Sitzungsberichte des preußischen Landtags, Berlin 1891, S. 2264
3     Brief von Emil v. Behring an Friedrich Althoff, in: Arnold Sachse, Friedrich Althoff und sein Werk, Berlin 1928, S. 262
4     Arnold Sachse, a. a. O., S. 246
5     Dieter Hoffmann, Wissenschaft und Bürokratie. Hermann von Helmholtz und Friedrich Althoff im Spiegel ihres Briefwechsels, in: Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftspolitik im Industriezeitalter, Hrsg. Bernhard v. Brocke, Hildesheim 1991, S. 245
6     Vgl. Tagesgeschichte, in: »Zeitschrift für Ärztliche Fortbildung«, 4. Jg. (1907), Nr. 20, S. 638
7     Arnold Sachse, a. a. O., S. 9

Bildquelle:
Arnold Sachse, Friedrich Althoff und sein Werk, Berlin 1928

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Berlinische Monatsschrift Heft 2/99
© Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de