![]() | ![]() |
92 Geschichte und Geschichten![]() | Aus einem Diesterweg-Bericht ![]() ![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
Klaus Goebel
»Von dem Glanze der Hauptstadt geblendet« Aus einem Berliner Jahresbericht von Adolph Diesterweg Zu den bislang unveröffentlichten und damit unbekannten Texten, die in die
Gesamtausgabe der Werke von Adolph Diesterweg (17901866) aufgenommen werden,
gehören die Jahresberichte, die Diesterweg
als Direktor des Berliner Lehrer- Seminars dem preußischen Kultusminister zu erstatten hatte. Der berühmte Pädagoge leitete von 1832 bis zu seiner aus politischen Gründen 1847 erfolgten vorzeitigen Pensionierung das Seminar für
evangelische Stadtschullehrer. Es befand sich damals an der Oranienburger Straße. Diesterweg hatte dort auch seine Wohnung.
|
Luchterhand- Verlag Neuwied/ Berlin
erscheinen.
Bei dem nachstehenden Text handelt es sich um einen Abschnitt aus dem Jahresbericht, den Diesterweg am 27. Dezember 1840 für das abgelaufene Jahr abschickte. Seine Ausführungen klingen aktuell, betreffen sie doch die Erwartungen, die junge Lehrer auf eine Anstellung in Berlin hegen konnten, sobald sie die dreijährige Seminarausbildung beendet hatten. In seinem Bericht vergleicht Diesterweg die Berliner Absolventen mit denen des Seminars in Moers am Niederrhein. Das dortige evangelische Lehrerseminar hatte er, ebenfalls als Gründungsdirektor, von 1820 bis 1832 geleitet. Die in dem Bericht genannten »Hülfs-Lehrer« sind junge Lehrer, die noch keine feste Anstellung als Klassenlehrer besaßen, sondern vorübergehend angestellt wurden. Sie standen vor ihrer zweiten Prüfung, wurden als Vertreter eingesetzt oder taten ihren Dienst in Klassen, die wegen ihrer Größe geteilt worden waren. Zwar waren Klassenstärken von 100 und mehr Schülern damals eher auf dem Lande als in der Stadt verbreitet, aber auch dort, vor allem aber in der durch Zuwanderung ständig wachsenden Hauptstadt der preußischen Monarchie, gab es noch große Klassen. War nicht genügend Geld im Stadtsäckel, einen Hilfslehrer zu bezahlen, blieben die Klassen ungeteilt. 1854 setzte das Volksschul- Regulativ des | ||
![]() ![]() |
![]() | ![]() |
93 Geschichte und Geschichten![]() | Aus einem Diesterweg-Bericht ![]() ![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
Kultusministers Raumer, das
gewöhnlich nach seinem Verfasser, dem für das
Volksschulwesen verantwortlichen Ministerialbeamten Ferdinand Stiehl, genannt wird,
fest, daß Klassen mit mehr als 80 Schülern zu teilen waren. Doch blieb auch eine solche Bestimmung so lange außer Kraft, wie
ein zweiter Lehrer und ein neuer Klassenraum nicht vorhanden waren.
Adolph Diesterweg, der sich im Ruhestand sowohl als preußischer Landtagsabgeordneter wie als Berliner Stadtverordneter für die Verbesserung der Schulverhältnisse einsetzte, starb 1866. Noch viele Jahrzehnte gingen ins Land, ehe seine Forderungen weitgehend als erfüllt angesehen werden konnten. Der Bericht, aus dem der nachfolgende Auszug stammt, befindet sich im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin- Dahlem. In diesen Archivbeständen, vor allem in den dort verwahrten Faszikeln der Lehrerseminare Berlin und Moers sowie in den aus Merseburg zurückgekehrten Ministerialakten, sind zahlreiche weitere von Diesterweg unterschriebene Texte gefunden worden, die in die Gesamtausgabe aufgenommen werden. Auszug aus dem Jahresbericht des evangelischen Lehrerseminars in Berlin, Oranienburger Straße, von 1840 Berlin, 27. Dezember 1840
|
Adolph Diesterweg
sigen Stadt, wo die meisten bleiben, ist ein
großer, der würdigen Stellung der jungen
Männer höchst nachtheiliger Ueberfluß an Lehrern.
| ||
![]() ![]() |
![]() | ![]() |
94 Geschichte und Geschichten![]() | Aus einem Diesterweg-Bericht ![]() ![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
existieren, sind sie genötigt, außer 3036
Lehrstunden bei Tage und Abend, noch eine Masse von Privatstunden zu geben, die wegen
der Concurrenz schlecht bezahlt werden und in ihrer Wirkung als ein wahres Unglück betrachtet werden müssen.
Mit aus dem Grunde, um die aus der hiesigen Anstalt entlassenen Zöglinge in ihrem fernen Leben beobachten zu können, habe ich zu Anfang des Jahres zur Bildung eines Vereins den Anstoß gegeben, der sich monatlich einmal versammelt. Mit tiefem Schmerz habe ich hier bei den früheren Seminaristen den Mangel an leiblicher Gesundheit, geistiger Frische und an Fortschritt als Elementar- Lehrer in jeder Hinsicht wahrgenommen. Die im Sommer dieses Jahres nach dem Rhein unternommene Reise, die mir die Gelegenheit verschaffte, ehemalige Moersische Seminaristen wieder zu sehen, hat mir den ich sage nicht zu viel außerordentlichen, ich möchte sagen, ungeheueren Unterschied zwischen dort und hier recht vor Augen gelegt, und gewiß verdient darum der selbst Sr. Majestät vorgelegte Wunsch hiesiger Hülfs- Lehrer um Besserung ihrer Lage die Aufmerksamkeit und die Beförderung aller für das Wohl der Schule denn die Schule ist, was die Lehrer sind bewegten Geister und Herzen. Die Noth der hiesigen Hülfs- Lehrer ist keine eingebildete, ihnen aufgeredete, sondern eine wirkliche. Von dem Gehalt, das sie in hiesigen Privatschulen, an den unteren Klassen der öffentlichen Bürger- und Armenschulen erhal- |
ten, kann ein einzelner Mann ein
ordentliches Bestehen nicht haben, geschweige
Angehörige unterstützen, noch weniger heirathen.
Die christliche Ehe ist aber das erste Bildungsinstitut der Welt. Von hunderten, die sie zu führen verhindert werden, werden 99 eine
Beute der Sinnlichkeit und des Egoismus.
Die traurige Nachricht von der Lage jener jungen Männer kann keinen näher berühren als den Director und die Lehrer des hiesigen Seminars, welche Saat, die sie wachsen und blühen sehen, unter der Ungunst und Allmacht äußerer Umstände wenigstens zum Theil schmählig zu Grunde gehen sehen müssen. Von der öffentlichen Schilderung derselben haben mich bisher nur Rücksichten anderer Art abgehalten. Wenn es daher einen Gegenstand giebt, der von Seiten des hiesigen Magistrats und der Stadtverordneten mit humaner Gesinnung und in Liebe zu dem heranwachsenden Geschlecht der Stadt betrachtet und behandelt zu werden verdient, so ist es dieser. Aber die Aussichten, daß es bald und genügend geschehen werde, ohne treibende Anregung von anderer höherer Seite, sind leider nur sehr schwach. Wir bilden die jungen Schullehrer nach unsern Kräften: möchten Andere ihnen nun auch zu einer würdigen, gesicherten Existenz verhelfen! Die Blüthe des hiesigen Volksschulwesens ist wesentlich davon abhängig. Bildquelle: Archiv Autor | ||
![]() ![]() |
© Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de