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Joachim Bennewitz
Wie Weißensee verschwinden sollte

Korrekturen an der durch das Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin vom 27. April 1920 (Preußische Gesetzessammlung 1920, Nr. 19, S. 123) festgelegten Struktur der ursprünglich 20 Verwaltungsbezirke hat es in den über 75 Jahren des Bestehens von Groß-Berlin verschiedene Male, von unterschiedlicher Bedeutung und aus verschiedenartigen Motiven gegeben. Nicht erst die in DDR-Zeiten durchgeführten gravierenden Änderungen durch Bildung von allein drei neuen Stadtbezirken veränderten das Bild der Stadt nachhaltig.
     Bereits in früheren Jahren fanden Umstellungen statt. So z. B. 1933 durch einen Magistratsbeschluß, mit dem ein Eckgrundstück Berliner Straße/Birkenstraße (heute Konrad-Wolf- Straße/ Berkenbrücker Steig in Hohenschönhausen) aus dem Bezirk Weißensee an Lichtenberg übertragen wurde (Dienstblatt Teil I vom 2. Dezember 1933, S. 342). Schon 1934 bahnten sich größere Veränderungen an, als durch einen Auftrag des Oberbürgermeisters Grenzänderungen angekündigt wurden, mit denen bestehende, aus der früheren Abgrenzung von Ortsgemarkungen entstandene Widersprüche

zur großstädtischen Entwicklung überwunden werden sollten. Insbesondere wurde darauf orientiert, Bezirksgrenzen nicht durch die Straßenmitte, sondern entlang der Baublockbegrenzung zu führen. Eine Forderung, die ein Jahr später dahingehend korrigiert wurde, daß nun die Straßenflucht als Maßstab genommen wurde. Doch wurde im späteren Verlauf der Dinge auch von diesem eigens in einer Beratung vom 10. Oktober 1935 postulierten Grundsatz abgewichen.
     Die Bezirke Weißensee und Lichtenberg unternahmen es in diesem Zusammenhang, sich über bestehende Widersprüche zu verständigen. So wurde für den Bereich Wilhelmsberg, der zwar zu Lichtenberg gehörte, sich aber allein schon wegen der unmittelbaren Nachbarschaft eng an die Entwicklung Hohenschönhausens angelehnt hatte, der Wechsel nach Weißensee als sinnvoll angesehen. Ebenso kam man überein, dem Oberbürgermeister dafür einen Gebietsaustausch entlang der Landsberger Chausee (heute Teil der Landsberger Allee) anzutragen. Alle Flächen südlich dieser Trasse, darunter auch das Gebiet »Weiße Taube«, sollten zu Lichtenberg kommen, um so von der Stadtgrenze bis zur Bezirksgrenze Prenzlauer Berg eine einheitliche Grenzführung zu ermöglichen. Dieser Antrag wurde ebenfalls am 10. Oktober 1935 akzeptiert und für die künftige Anordnung vorgemerkt.
     Der Erfolg dieser Vereinbarung veranlaßte die Beigeordneten Weißensees, die die 1933
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abgeschafften Bezirksverordneten zu ersetzen hatten, im Mai des folgenden Jahres zu einem folgenschweren Vorstoß: Man forderte die Bildung der neuen Bezirksgrenze gegenüber Prenzlauer Berg im Verlauf der Ringbahntrasse und von Lichtenberg ein weiteres Territorium nördlich der Landsberger Chaussee, ferner von Pankow die Überlassung des Ortsteils Heinersdorf einschließlich der Rieselflächen bis zum Flutgraben. Begründet wurden die Anträge mit der durch die Bebauung entstandenen »natürlichen Grenze«. Im Falle Heinersdorf liefen die Argumente darauf hinaus, daß schon 1920 eine solche Absicht bestanden hätte und außerdem der Ortsteil für Pankow »bedeutunglos« sei, »für Weißensee dagegen zur weiteren Entfaltung lebensnotwendig«.
     Schon drei Wochen nach dieser Sitzung wurden entsprechende Briefe an die drei Bezirke abgesandt. Der Bürgermeister von Prenzlauer Berg brauchte nur bis zum 4. Juni, um eine geharnischte Antwort vorzulegen. »Völlig undiskutabel« sei die Abtretung von fast einem Viertel der Bezirksfläche, dem müsse man »energisch entgegentreten«. »Ich weiß genau, wie ich den entwicklungsfähigen Teil meines Bezirks städtebaulich zu entwickeln habe«, war nur eines der noch als sachlich einzuordnenden Gegenargumente. Und, offenbar als Spitze in aktueller Frage gegenüber dem Nachbarn, wurde nicht unterlassen zu betonen: »Ich habe auch alles getan,
um die weitere Ausdehnung des jüdischen Friedhofes zu verhindern.« Als Höhepunkt dann der abschließende Hinweis darauf, daß »ich nicht nur Bezirksbürgermeister, sondern auch Leiter des Kreises VIII bin«. Tatsächlich war Bürgermeister Karl Bombach zugleich Kreisleiter der NSDAP, und zwar des Kreises, dem Weißensee und Pankow zugeordnet waren. Man hatte also mit diesen Vorstellungen stark in die Interessensphäre der Führerschaft im Kreis eingegriffen und möglicherweise die später folgenden Ereignisse heraufbeschworen.
     Lichtenberg nahm nicht zu den Einzelheiten Stellung, erklärte jedoch lapidar, daß man mit ihm (wegen der anderen Bezirke) nicht rechnen könne. Erst Monate später wurde kurz mitgeteilt, daß man mit einer Übergabe eines ausschließlich mit Laubenkolonien bestandenen Geländezipfels an Landsberger Chaussee und Weißenseer Weg einverstanden sei. Das Argument dafür ist bezeichnend: Die Ortsgruppe der NSDAP sei auch dafür, denn das Gebiet »wurde immer politisch bearbeitet«. Die Antwort Pankows dagegen war ebenfalls frostig. Klar wurde verneint, daß Bürger Heinersdorfs jemals einen Wechsel nach Weißensee gewünscht hätten, wie das behauptet worden war. Im Gegenteil, der Wechsel der Amtsgerichte vor kurzem sei allgemein begrüßt worden.
     Eine zum 28. Januar 1937 kurzfristig in
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Saal des Berliner Kindl-Bräu Berliner Allee im Jahre 1932, heute Kreiskulturhaus »Peter Edel« Berlin- Weißensee
das Innenministerium einberufene Tagung, an der für Berlin im Auftrage des Stadtpräsidenten nur ein hoher Mitarbeiter teilnahm, offenbarte die zwar im Verborgenen entwickelten Vorstellungen von Polizei und Luftschutz zur Bezirksreform, läßt sich aber wohl kaum in dieser Form ohne die vorhergehenden Auseinandersetzungen denken. Grundsatzforderung war, daß die Bezirksgrenzen mit den bestehenden Grenzen der Polizeibezirke identisch zu sein hätten. Ferner müßten luftschutztechnische Belange die Voraussetzungen für die künftige Gestaltung bilden. Dazu sollte der Bezirk Mitte geteilt werden, Kreuzberg würde bedeutende Grenzveränderungen erfahren.
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Weißensee sollte aufgelöst und auf Pankow (und zu einem geringen Teil Lichtenberg) übertragen werden. Insgesamt wurden 40 Teilaufgaben formuliert, die, nach den Angaben der Polizeiführer und Vertreter des Innenministeriums, »vom Führer so gefordert« seien.
     Folgeberatungen fanden im Februar statt, aus den Aufzeichnungen kann man schließen, daß sie zum Teil recht heftig verliefen. Schließlich wurden 23 der 40 Punkte von den Berliner Vertretern widerspruchslos angenommen. Im Falle Weißensee einigte man sich dahingehend, daß die Teilung nicht stattfinden solle, war aber bei der Protokollführung offensichtlich so konfus, daß nun die Grenze dieses Bezirks an der Schönhauser Allee/Esplanade liegen sollte. Tatsächlich hatte man nur irrtümlich eine der Ursprungsformulierungen übernommen. Wann das korrigiert wurde, war nicht festzustellen. Ende Februar schließlich verfaßte der Weißenseer Bürgermeister Günther Axhausen die Niederschrift einer Beratung beim Magistrat und schrieb, daß bezüglich der Grenze gegenüber Prenzlauer Berg beabsichtigt sei, anstelle des Verlaufes zwischen den Blöcken, wie es sich aus der Entwicklung ergeben hatte, einen längs der Ostseestraße vorzusehen. Er begrüßte das ausdrücklich mit dem Hinweis, daß durch diese Grenzziehung die Abgabe eines Gebietes verhindert wird, welches »früher von politisch in großem Maße un-
zulässigen (sic!) Elementen bewohnt gewesen ist (Mücken). Diese sind nach Lage der Polizeireviere von Weißensee aus (Pol. Rev. 272) viel besser zu bewachen.« (Mit Mücken wurde nach dem Bauherrn volkstümlich das Wohngebiet Lehderstraße/Roelckestraße bezeichnet.) Doch diese Regelung wurde nie Wirklichkeit. Im April erging eine Weisung des Innenministeriums, die Grenze längs der Gürtelstraße/ Lehderstraße einzurichten. Zugleich aber wurde die Landsberger Chaussee von der Oderbruchstraße bis zum Weichbild Grenze zwischen Weißensee und Lichtenberg.
     Damit war Weißensees Bürgermeister Axhausen nicht einverstanden. Er setzte ein fünfseitiges Schreiben an den OB auf, beschuldigte Prenzlauer Berg nachträglicher Änderungen zuungunsten seines Bezirks. Die Antwort war kurz und knapp. Der wahrscheinlich von Prenzlauer Bergs Bürgermeister Bombach beratene Oberbürgermeister beschied Axhausen mit dem Argument, daß alles Vorhergehende auf einem Irrtum beruht habe. »Nachdem ich in meiner Verfügung vom 8. April alle anderen Anträge als erledigt bezeichnet habe, bitte ich von weiteren Schreiben in dieser Angelegenheit abzusehen. gez. Dr. Lippert.« Wahrscheinlich jedoch war Bürgermeister Bombach aufgefallen, daß die Mitarbeiter des Vermessungsamtes seinen Wunsch, an der Ostseestraße ein repräsentatives Rathaus zu bauen, unberücksichtigt gelassen
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hatten. Das hatte er nun mit Unterstützung des OB korrigiert. Weißensee aber ließ nicht locker, noch einmal wurde versucht, in einer persönlichen Vorsprache im Roten Rathaus an der Entscheidung zu rütteln. Bürgermeister Steeg antwortete am 2. Juli 1937 auf einen entsprechenden Vorstoß: »Ich bitte Sie, in Zukunft von derartigen Schritten abzusehen.«
     Das hätte auch keinen Sinn mehr gehabt, das Amtsblatt der Reichshauptstadt Berlin Nr. 13 vom 27. März 1938 (S. 215) verfügte schließlich die Inkraftsetzung der größten Bezirksreform vor der Spaltung Berlins mit Wirkung vom 1. April 1938. Weißensees Südgrenze verlief nun, wie festgelegt, auf den südlichen Grundstücksgrenzen von Gürtel- und Lehderstraße, 50 Grundstücke an sieben Straßen wechselten die Zugehörigkeit, darunter auch eines an der Berliner Allee (die in den ministeriellen und magistratsinternen Schriftstücken permanent Berliner Strasse genannt wird), Weißensee verlor 467 Einwohner. Und die historisch gewachsenen Versorgungsleitungen wie Strom, Wasser, Gas gehörten nun zu zwei Bezirken; die Kinder aus den betroffenen Häusern, die bisher nur wenige Schritte zu ihrer Schule hatten, bekamen nun lange Schulwege. In anderen Stadtbereichen dagegen akzeptierte man die Ringbahntrasse als neue Bezirksgrenze, so im Falle Lichtenberg/Friedrichshain oder Pankow/Reinickendorf. Dem Luftschutz dürften die
Veränderungen im bald folgenden Krieg kaum hilfreich gewesen sein.
     Der neue Magistrat nach dem 8. Mai 1945 veranlaßte auch sehr bald, im Falle der Gürtelstraße/Lehderstraße wieder den alten Zustand herzustellen. Danach folgten Einschnitte in das Gebiet Weißensees erst wieder 1974, als wesentliche Teile des 1938 erworbenen Gebiets an Lichtenberg zurückgegeben werden mußten. Hier entstanden Bereiche des »Fennpfuhl- Viertels«. Danach, mit der Gründung des Bezirks Marzahn, mußte Weißensee weitläufige Rieselflächen abtreten, und mit der Bildung Hohenschönhausens schließlich fand die umfangreichste Veränderung der Bezirksstruktur statt. Nun mag man es als einen Treppenwitz der Stadtgeschichte bezeichnen, daß Weißensee künftig gerade mit den Bezirken eine Einheit bilden wird, deren Flächen vor gut 60 Jahren für die Bezirkspolitiker so interessant waren, daß sie Auseinandersetzungen mit ihren Nachbarn nicht scheuten. Und: Wird der neue Großbezirk dann auch noch Weißensee heißen?

Quellen:
     LAB Rep. 048–08 Nr. 6 – Bezirksverwaltung Weißensee – Änderung der Verwaltungs- Bezirksgrenzen 1934 – 38
     Joachim Bennewitz, Verwandelt begrenzt, hrsg. vom Verein Weißenseer Heimatfreunde e. V., Berlin 1996

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