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aufbauen. Sie erhielt das Recht zum Kauf von Grundstücken, Gebäuden und Betrieben. Die Leitung der HO übernahm Greta Kuckhoff (SED).
     Die eigentliche Aufgabe der HO bestand darin, nach der Schaffung eines volkseigenen Sektors in der Industrie auch im Binnenhandel den damals noch dominierenden privaten Betrieb zurückzudrängen.
     Die SED hielt dies für dringlich, denn am 1. Januar 1949 begann mit dem Zweijahrplan der Übergang zum zentralen planwirtschaftlichen System nach sowjetischem Vorbild. Der freie Verkauf knapper Waren und zusätzlicher Lebensmittel sollte zugleich ein materieller Anreiz für die Werktätigen sein, um sie für die im Oktober 1948 ebenfalls nach sowjetischem Muster einsetzende Hennecke- Aktivistenbewegung zu gewinnen. Nur dank der geforderten »freiwilligen Normerhöhungen« – so die SED- Propaganda – sei eine Verbesserung der sozialen Lebenslage möglich. Sie würde sich jedermann in Warenbereitstellung und Preisentwicklung in der HO offenbaren. Öffentlich wurde die Bildung der HO mit der Bekämpfung von Spekulantentum, Preistreiberei und Hamstereinkäufen begründet. Tatsächlich bedeuteten die Freien Läden den Tod des Schwarzen Marktes.
     HO- Geschäfte – wie ab 3. Dezember 1948 die »Freien Läden« offiziell hießen – überspannten alsbald netzartig die gesamte Ostzone, eingeschlossen den Ostsektor Berlins.
Gerhard Keiderling
Freie Läden und freie Restaurants

Zu den Anfängen der Staatlichen Handelsorganisation (HO) in Ostberlin

Am 15. November 1948 eröffnete in der Frankfurter Allee 304 (Bezirk Friedrichshain) der erste »Freie Laden« mit Haushalts- und Gebrauchsartikeln der neuen Handels- Organisation (HO). Einen Tag später folgten ein Laden für Nahrungs- und Genußmittel in der Neuen Königstraße und zwei »Freie Restaurants«, nämlich »Borchardt« in der Französischen Straße und »Fürstenhof« in der Leipziger Straße (sämtlich Bezirk Mitte). Die Berliner kamen in Scharen, um sich über Angebot und Preise zu informieren und das eine oder andere auch schon zu erwerben.
     Am 20. Oktober 1948 hatte die Deutsche Wirtschaftskommission (DWK) für die sowjetische Besatzungszone die Bildung der Staatlichen Handelsorganisation (HO) beschlossen. Laut ihrer Satzung vom 3. November 1948 sollte sie in der Sowjetzone, einschließlich dem sowjetischen Sektor von Berlin, ein »Netz volkseigener Verkaufsstellen und Gaststätten« zum freien Verkauf von Verbrauchsgütern und Lebensmitteln

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Nach einem Jahr verfügte die HO über 1 279 Kaufhäuser und Geschäfte sowie 177 Gaststätten. Diese Zahl stieg ständig weiter. Wenn anfangs noch Enteignungen von Privatgeschäften im Vordergrund standen, so verlagerte sich das Gewicht auf Aus und Neubau. Seit Anfang der 50er Jahre schloß die HO zunehmend Kommissionsverträge mit Einzelhändlern, die dadurch zu bevorzugter Warenbelieferung kamen.
     In Ostberlin gab es im März 1949 erst 33 Läden und fünf »Freie Restaurants«, im November 1949 waren es schon 88 bzw. 26 mit über 5 100 Beschäftigten. Aufgrund der Kriegszerstörungen waren im innerstädtischen Bereich die Möglichkeiten für die Einrichtung von »HO- Objekten« eingeschränkt. Man behalf sich mit der Aufstellung von Kiosken, die lange Zeit das Straßenbild prägten. Eines der ersten Warenhäuser richtete die HO am S-Bahnhof Prenzlauer Allee ein. Das erste Möbelkaufhaus öffnete im Juli 1949 in Köpenick, ein zweites folgte wenig später am Rosenthaler Platz. Am 9. Dezember 1949 wurde das erste große Warenhaus im sogenannten Alexander- Hochhaus auf der Südseite des Alexanderplatzes eröffnet. Um die Werktätigen zu verstärktem Einkauf in der HO zu animieren, wurden auch Betriebsverkaufsstellen eingerichtet.
     Die Preise für die »frei« – also ohne Lebensmittelkarten und die sonst üblichen Bezugsscheine – verkauften Konsumgüter
und Lebensmittel lagen anfangs sehr hoch, wenngleich unter denen des Schwarzen Marktes. Im Mai, Juli und September 1949 sowie im März 1950 erfolgten erste Preissenkungen, teilweise bis zu 30 Prozent und mehr. So fielen innerhalb des ersten Jahres die Kilo- Preise bei Weizenmehl von 20 auf 3, bei Butter von 130 auf 60, bei Margarine von 110 auf 36, bei Zucker von 33 auf 12 und bei Schweinefleisch von 100 auf 40 DM (Ost) – im folgenden immer »Mark« genannt.
     Ähnlich verlief die Preisentwicklung bei Textilien und Industriewaren. Ein Herren- Sporthemd, das bei HO- Eröffnung 100 Mark kostete, war im Herbst 1949 für 60 Mark zu erwerben. Im März 1950 kosteten beispielsweise ein Paar Damenstrümpfe (Kunstseide I. Wahl) 10 Mark, ein Damenkleid aus Zellwolle 84 Mark und ein Fahrrad 390 Mark. Schlafzimmer waren Mitte 1949 zwischen 1 000 und 2 500 Mark zu haben, Küchen zwischen 600 und 1 000 Mark.
     Ähnlich hoch waren die Preise in den »Freien Restaurants« bzw. späteren HO- Gaststätten. So bezahlte man Ende 1949 für ein Schweineschnitzel mit Bayrischkraut und Kartoffeln 29,40 Mark, für eine Portion Sprotten in Öl mit Kartoffelsalat 12 Mark und für einen Teller Haferflockenspeise mit Fruchttunke 3,20 Mark. Anfangs wurde sogar Fleisch noch auf Marken abgegeben. Wenngleich sich auch hier das Speisenangebot erweiterte und die Preise sanken,
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blieb der Gang ins HO- Restaurant zunächst eher die Ausnahme.
     In den HO- Geschäften und -Warenhäusern herrschte ständig großer Andrang. In der Vorweihnachtszeit 1949 mußte die Volkspolizei die Eingänge zum HO- Warenhaus am Alexanderplatz sogar zeitweise sperren. Die Zahl der Schaulustigen überwog allerdings die der Käufer. Trotz Preissenkungen konnten sich damals die meisten Familien einen regelmäßigen Einkauf in der HO nicht leisten. Bei einem monatlichen Durchschnittslohn von rund 250 Mark und bei einer Altersrente unter 100 Mark blieb ihnen manch verlockender Artikel unerschwinglich. Beschwerden aus der Bevölkerung über zu hohe HO-Preise hielten noch viele Jahre an (vgl. BM 4/1996, S. 84 ff.).
     Erst wenn die Monatsrationierungen auf Lebensmittelkarten, die weitaus weniger kosteten (z. B. ein Kilo Mischbrot 0,33 Mark Anfang 1950), aufgebraucht waren, entschloß sich die sparsame Hausfrau zum Einkauf in der HO. Zumeist waren es Lebensmittel in kleineren Mengen, mal ein Brot, Margarine, Marmelade oder Kunsthonig, Milch und ein paar Eier. Immerhin kosteten im Herbst 1949 das Ein-Kilo- Roggenbrot 2,50 Mark und ein Ei 2 Mark. Für einen Zentner Kartoffeln mußte man im Frühjahr 1949 noch die stattliche Summe von 25 Mark aufbringen.
     Den meisten Käuferzuspruch verzeichnete die HO damals wohl im Imbiß- Bereich. Bock-
wurst für 3,60 Mark, Kuchenbrötchen für 0,80 Mark oder ein Stück Buttercremetorte für 3 Mark gingen oft weg »wie warme Semmeln«. Als Ende April 1949 der HO-Kiosk am Bahnhof Friedrichstraße eröffnete, verkaufte er gleich am ersten Tag in anderthalb Stunden 1 000 Paar Wiener Würstchen, das Paar zum Preis von 3,50 Mark. Sehr beliebt war auch Eis am Stiel (80 g hartgefrorenes, süßlich schmeckendes Eis an einem kurzen Holzstiel und in Papier gewickelt), das »fliegende« Händler auf der Straße oder bei öffentlichen Veranstaltungen für 1 Mark feilboten.
     Wiederholte Versprechungen der DDR- Regierung, noch Anfang der 50er Jahre die Rationierung auf Lebensmittelkarten aufzuheben, scheiterten am Unvermögen der Planwirtschaft, an zusätzlichen Belastungen durch die Aufrüstung im Ostblock und letztlich an einer sich verschärfenden Versorgungslage. Erst im Mai 1958 wurden die Lebensmittelkarten abgeschafft und die Preise zwischen den bislang bewirtschafteten und den »freien« Waren einander angeglichen.
     Die besondere Situation im damals geteilten Berlin mit seiner offenen Grenze wirkte sich auch auf die HO aus. Bei der Eröffnung der ersten »Freien Läden« Ende 1948 erhoffte sich die SED einen starken Zulauf Westberliner Kunden, um ihnen die Nutzlosigkeit der Luftbrücke und die Vorzüge des östlichen Systems zu demonstrieren. Sie gab
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die Losung aus: »Der kluge Berliner kauft in der HO.« In der Tat haben damals und auch später viele Westberliner den Weg in den Ostsektor gefunden, zumal sie durch einen günstigen Wechselstubenkurs von West zur Ostmark sich vieles leisten konnten. »Ganz Berlin spricht und lechzt nach den süßen Kuchenbrötchen der HO-Läden des Ostsektors«, schrieb im April 1949 ein Weddinger seinem Freund. Bald nahm der Einkauf der Westberliner im Osten Ausmaße an, die Westberliner Unternehmer und Handwerker auf den Plan riefen. Allein die Brotfabriken erlitten 1950 einen Umsatzrückgang bis zu 34 Prozent. Vor dem Schöneberger Rathaus protestierten wiederholt Gewerbetreibende und Handwerker. Der Reuter- Magistrat verfügte daher im Oktober 1950, den »illegalen Einkauf und Transport größerer Warenmengen von Ostnach Westberlin durch verschärfte Kontrollen und Strafen einzudämmen«.
     Zu einer rigorosen Anwendung dieser Maßnahmen kam es nicht, weil sich die (versorgungs)politische Lage wandelte.
     Gezwungen durch die eigene Wirtschaftsmisere und enttäuscht über den politischen Effekt der HO- Lockungen, entschloß sich die DDR- Regierung zu Restriktionen. Aus den »klugen Westberlinern« wurden nun Schieber, Spekulanten und Schwarzhändler, die den »ehrlichen Ostberlinern« auf der Tasche lagen. Am 27. November 1952 erließ der Ebert- Magistrat eine Verordnung, wo
nach in HO- und anderen Einzelhandelsgeschäften »freie« Waren nur bei Vorlage des Stammabschnitts der Ostberliner Lebensmittelkarte, später des Personalausweises verkauft werden durften. Das bedeutete, daß Westberliner diese Waren nur in begrenztem Umfang und gegen DM-West erwerben konnten (vgl. BM 6/1996, S.78 ff.). Angesichts des Preis- und Qualitätsgefälles zwischen West und Ost erledigten sich Geschäfte größeren Stils meist von selbst.
     Ganz unterblieben sie aber bis zum Mauerbau 1961 nie, denn die Vorzeigepflicht wurde vielfach, meist aus Gründen der Bequemlichkeit seitens des Verkaufspersonals, nicht streng gehandhabt. Eine Unterbindung des Einkaufs von Waren, die die HO nicht oder nur in schlechter Qualität führte, seitens der Bewohner der DDR und Ostberlins in Westberlin hatte es hingegen zu keiner Zeit gegeben.
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© Edition Luisenstadt, 1998
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