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Jutta Aschenbrenner
Bildung und die Muse der Sternenkunde

Vor 110 Jahren wurde das erste URANIA-Gebäude eingeweiht

Stein auf Stein wuchs im Sommer und Herbst 1888 ein Rohbau im Landesausstellungspark am Lehrter Bahnhof der Fertigstellung entgegen. Bauherr war die erst am 3. März des gleichen Jahres von Gelehrten sowie einflußreichen Förderern der Wissenschaften und Künste ins Leben gerufene Gesellschaft URANIA. Die nach der Muse der Sternenkunde benannte Aktiengesellschaft hatte sich zum Ziel gestellt, »die Verbreitung der Freude an der Naturkenntnis in die breitesten Schichten des Volkes zu tragen«.1) Naturwissenschaft für alle, lautete das Motto.
     Die Pläne für eine solche Volksanstalt stammten vom Direktor der Berliner Sternwarte, Wilhelm Foerster (1832–1921), und dem Astronomen Max Wilhelm Meyer (1853–1910). Foerster, ein Schüler Alexander von Humboldts, hatte sich bereits seit Jahren mit dem Gedanken getragen, eine Volkssternwarte zu schaffen. Bestärkt wurde er durch die von Humboldt verfügte Verpflichtung, daß

die 1835 eröffnete Königlich Preußische Sternwarte »allmonatlich an etwa zwei Abenden dem Publikum zur Belehrung und Anregung zu dienen hatte«.2) Als der Besucheransturm die wissenschaftlichen Arbeiten der Sternwarte in den 70er und 80er Jahren dann mehr und mehr beeinträchtigte, wurde für Foerster immer klarer, »daß eine neue Entwicklungsstufe besonderer Institutionen des populärwissenschaftlichen Vortragswesens ins Auge gefaßt werden müsse, nämlich eine Verbindung desselben mit anschaulichen und experimentellen Vorführungen verfeinerter und erweiterter Art, gewissermaßen eine Verschmelzung der bisherigen Betätigungen der Sternwarte und des >Wissenschaftlichen Vereins< unter Hinzufügung physikalischer Veranstaltungen«.3) Meyer wiederum beabsichtigte, Bildung durch ein Wissenschaftliches Theater zu vermitteln, wie er das schon 1884 in Wien praktiziert hatte.
     Aus den Vorstellungen Foersters und Meyers entstand die Konzeption für ein Haus der Volksbildung in Berlin, bestehend aus einer Sternwarte, Experimentier- und Ausstellungssälen, dem Wissenschaftlichen Theater, und Räumen für die Zeitschrift »Himmel und Erde«. In kurzer Zeit gewannen sie zahlreiche Förderer. Von der Idee, die Naturwissenschaften im weitesten Sinne populär darzustellen, war ganz offensichtlich auch der Berliner Industrielle und Erfinder Werner von Siemens (1816–1892) fasziniert.
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Er erwarb an der als Aktiengesellschaft gegründeten URANIA Anteile für 10000 Reichsmark. Insgesamt stand der Gesellschaft URANIA ein für damalige Verhältnisse hohes Startkapital von etwa 205000 Reichsmark zur Verfügung. Die reinen Baukosten für das Gebäude im Landesausstellungspark beliefen sich nach Angaben von Oberregierungsrat Spieker, der den Bau projektiert und dessen Ausführung in seine Regie genommen hatte, auf 180000 Reichsmark. Allein für die Drehkuppel mußten 12000 Reichsmark aufgewendet werden. 4) Das Baugelände war der URANIA kostenlos von der preußischen Staatsregierung zur Verfügung gestellt worden. Nicht einmal ein Jahr war nach dem ersten Spatenstich vergangen, als der beeindruckende Neubau am 1. Juli 1889 feierlich eingeweiht wurde.
     Zur Einweihung war Prominenz erschienen, so auch Unterrichtsminister von Goßler. In der »Vossischen Zeitung« vom 2.Juli 1889 hieß es: »Die verschiedenen Einrichtungen, das Wissenschaftliche Theater mit seiner dekorativ illustrierten Reise >Von der Erde bis zum Monde<, die mikroskopischen, physikalischen und astronomischen Demonstrationen verschiedenster Art fesselten den Minister und seine Umgebung von 7 bis gegen 11 Uhr.« Alsbald bürgerte sich ein, daß Berliner Tageszeitungen Hinweise auf Veranstaltungen in der URANIA druckten.
     Das Haus mit den drei Kuppeln, in denen sich die Fernrohre befanden, zog immer mehr Berliner magisch an.

Das 19. Jahrhundert hatte, zum Beispiel mit der Anwendung von Elektrizität, zahlreiche praktisch nutzbare Wunder beschert, deren naturwissenschaftliche Voraussetzungen immer größeres Interesse erregten. Vor allem wollten die Besucher selbst, wenigstens am Modell der Maschinen, experimentieren. So wurde der Experimentiersaal schnell zum Besuchermagnet. Dieser Saal war auf Initiative des Physikers Eugen Goldstein (1850–1930) eingerichtet worden. Die von ihm erstmals entwickelte Methode des naturwissenschaftlichen Selbstunterrichts wurde später vom Deutschen Museum in München übernommen und ist heute weltweit in den Science-Museen zu finden.
     In der URANIA gab es Wissen aus erster Hand, bedeutende Forscher und Gelehrte traten auf, oft wurde hier eine technische Neuheit der Öffentlichkeit zum erstenmal vorgestellt.

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Als Anfang 1890 der amerikanische Erfinder Thomas A. Edinson die URANIA besuchte, schenkte er ihr zwei seiner ersten Phonographen, die lange Zeit, bis die Wiedergabe der menschlichen Stimme durch das Grammophon Allgemeingut wurde, ein besonderer Anziehungspunkt im akustischen Kabinett waren. Im ersten Jahr war das URANIA-Haus an 268 Tagen geöffnet, haben 98279 Besucher 85 wissenschaftliche Vorträge und 228 Veranstaltungen im Wissenschaftlichen Theater besucht. Direktor Meyer war inzwischen als URANIA-Meyer bekannt.
     Der Gedanke der wissenschaftlichen Volksbildung, der seine Wurzeln in den öffentlichen Kosmos-Vorlesungen Alexander von Humboldts in den Jahren 1827/28 hatte, konnte jetzt in viel umfassenderer Weise in die Tat umgesetzt werden. Dies stand natürlich auch im Zusammenhang mit der immer weiter fortschreitenden Industrialisierung, die eine immer höhere Qualifizierung der Beschäftigten nötig machte. Nur so war auch der immense Andrang bei den Veranstaltungen zu verstehen. Im sechsten Jahr seines Bestehens zählte das Institut bereits 178143 Besucher. Die Zahl der fachwissenschaftlichen Vorträge hatte sich nahezu verdoppelt. Das Gebäude wurde diesem Besucherandrang nicht mehr gerecht. Zudem stellte sich mehr und mehr als nachteilig heraus, daß der Weg nach Moabit bei den damaligen Verkehrsverhältnissen vor allem im Winter doch recht beschwerlich war.
Ein größeres und zentraler gelegenes Gebäude wurde benötigt. So bezog die URANIA 1896 ein neues Domizil in der Taubenstraße 48/49.
     Die Fassade des imposanten Hauses war mit den Porträts von Kopernikus, Siemens, Humboldt, Helmholtz und Keppler geschmückt. Bedeutend größere und schönere Säle standen nun auch für Lehrzwecke zur Verfügung, wie der große Theatersaal mit 700 Plätzen und ein 200 Personen aufnehmender Hörsaal. Dieser wurde im Winterhalbjahr für Vortragsreihen über Physik, Astronomie, Geologie, Verkehrsgeographie, Technik sowie auch für wissenschaftliche Einzelvorträge genutzt. An interessierte Berliner verschickte die URANIA Prospekte, um über Vorträge zu informieren. Die Referenten legten großen Wert auf Praxisbezogenheit. So hielt Dr. Naß am 2. Dezember 1898, einem Freitag, im großen Hörsaal einen Vortrag über das Bier. Am Samstag besuchten Referent und Zuhörer die Schultheiß-Brauerei und am Sonntag die Weißbier-Brauerei von Gebhardt. 1897/98 zählte die URANIA in ihrer neuen Einrichtung und in der ihr noch gehörenden Volkssternwarte in der Invalidenstraße insgesamt 215344 Besucher. Auch in der Taubenstraße kamen bedeutende Gelehrte und Erfinder zu Wort, Namen wie Hertz, Auerbach, Ponicaré und Einstein waren auf den Vortragslisten zu finden, die Polarforscher Amundsen und Nansen berichteten über ihre Reisen.
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Grundriß des Gebäudes in der Invalidenstraße
Im Jahre 1913 wurde es auch im Haus in der Taubenstraße eng, die Besucherzahlen stiegen. Es gab Überlegungen, ein noch größeres Gebäude zu errichten. Diese Pläne kamen durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht mehr zum Tragen. Nach Kriegsende konnte die URANIA nicht an ihre Blütezeit anknüpfen, dennoch ging es zunächst aufwärts. Vor allem der Experimentiersaal übte erneut Faszination aus. Der spätere Nobelpreisträger Max von Laue (1879–1960) und Manfred von Ardenne (1907–1996) erinnerten sich viele Jahre später an die interessanten Veranstaltungen im Haus in der Taubenstraße. Geschichte geschrieben hat die URANIA auch auf dem Feld der Fotografie und später des Dokumentarfilms.
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Viele Jahre war das Haus Premiere-Filmtheater für Ufa-Dokumentarfilme.
     Am 1. Mai 1918 gründete sich der schon vor dem Krieg angestrebte gemeinnützige URANIA-Verein als eine Vereinigung von Freunden der Naturwissenschaft. Sein Anliegen war die Verbreitung und Vertiefung volkstümlicher Bildung auf naturwissenschaftlichem und technischem Gebiet. Vorsitzender wurde Franz Goerke, der von 1900 bis 1930 auch als Direktor der Gesellschaft URANIA vorstand. In den zwanziger Jahren und vor allem mit Beginn der Weltwirtschaftskrise geriet auch die URANIA, die gegenüber anderen Erwachsenenbildungsinstituten bis dahin für sich in Anspruch nehmen konnte, ein technisch bestens ausgestattetes Haus zu besitzen, in finanzielle Bedrängnis. Trotz hoher Besucherzahlen deckten die Einnahmen nicht die steigenden Kosten für die Erhaltung des Gebäudes und seiner Technik. Kredite mußten aufgenommen werden. 1928, als ein Bankkredit gekündigt worden war, konnte zwar der größte Teil der Aktien durch eine Transaktion von dem Verein übernommen werden, aber man mußte erhebliche Bestände der Technik sowie Ausstellungsexponate und auch das Haus in der Taubenstraße verkaufen. Es wurde im Zweiten Weltkrieg völlig zerstört. Die gut ausgerüstete Sternwarte in der Invalidenstraße mit dem großen Bamberg-Refraktor, mit dem 1898 Witt den Planetoiden Eros entdeckt hatte, blieb Eigentum der URANIA.
     Das Volksbildungsinstitut URANIA, das als Vorbild für ähnliche Einrichtungen in Wien (1897), Budapest (1898), Zürich (1907), Jena (1909), Breslau und Magdeburg (1913), Stettin (1914), Prag (1917), Graz (1919) und in den zwanziger Jahren in Meran, Chemnitz, Moskau und Petersburg diente, war heimatlos geworden. Nun mußten für die Vorträge Räume angemietet werden. Während der Zeit des Faschismus war die Tätigkeit des einstmals Maßstäbe setzenden Instituts stark eingeschränkt. Zum Kriegsende bestand die URANIA nur noch auf dem Papier. 1951 wurde der URANIA-Verein offiziell aufgelöst.
     Das Gebäude mit der Sternwarte in der Invalidenstraße hatte durch Kriegseinwirkungen stark gelitten. Viele der noch intakten Instrumente waren gestohlen, einige in die Treptower Sternwarte gebracht worden. Der Bamberg-Refraktor wurde 1948 von Amateurastronomen unter Lebensgefahr aus der zerstörten Kuppel des ersten URANIA-Hauses abgebaut und in einem zunächst provisorisch eingerichteten Observatorium aufgestellt. Heute steht das gerade erst rekonstruierte Fernrohr in der nach Wilhelm Foerster benannten Sternwarte auf dem Insulaner im Bezirk Schöneberg.
     Persönlichkeiten um Otto Hennig (1899–1970) haben 1953 in Westberlin die Initiative zur Neugründung der URANIA ergriffen.
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Die Deutsche Kultur-Gemeinschaft URANIA Berlin e.V. wurde ins Leben gerufen. An ein eigenes Haus war allerdings zunächst noch nicht zu denken. Für die Vortragstätigkeit wurden Hörsäle des Studentenhauses in der Hardenbergstraße ebenso genutzt wie in der Freien und der Technischen Universität. Das Programm der URANIA wurde auf alle Gebiete der Geistes- und Naturwissenschaften, der Völker- und Länderkunde, der Literatur, bildenden Kunst und Musik wie auch der Tierkunde und Heimatkunde ausgedehnt. Kapazitäten aus aller Welt standen wieder am Rednerpult der URANIA. 3000 Veranstaltungen wurden in den Gasträumen bis 1962 durchgeführt. Ein neues Gebäude wurde am 10.November 1962 eingeweiht. Mit diesem Haus an der Ecke Kleiststraße, An der Urania 17, zwischen Wittenbergplatz und Nollendorfplatz, hatte die URANIA wieder beste Voraussetzungen, um erneut eine umfassende Bildungsarbeit in Form von Vorträgen, Filmvorführungen, Ausstellungen usw. in Gang zu bringen. Im Ostteil der Stadt gründeten namhafte Wissenschaftler und Künstler 1954 eine Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse. Zu ihnen gehörten u. a. Ernst Bloch, Robert Rompe und Johannes R. Becher.

Das Gebäude der URANIA in der Taubenstraße

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1966 wurde beschlossen, der Gesellschaft den Namen URANIA hinzuzufügen. Diese Gesellschaft knüpfte vor allem an die Tradition der in den zwanziger Jahren von Julius Schaxel in Jena geschaffenen marxistisch orientierten URANIA- Verlagsgesellschaft an, die 1933 verboten worden war. Vom URANIA-Verlag Leipzig–Berlin–Jena wurde zudem populärwissenschaftliche Literatur herausgegeben. Ungeachtet von mancherlei Vorgaben konnten die Referenten viele Menschen mit den neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft, Technik, Medizin, Raumfahrt usw. bekannt machen. Im Gegensatz zur alten URANIA und zur URANIA im Westteil der Stadt hatte die Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse kein eigenes Veranstaltungsgebäude. Die Vorträge fanden landesweit in den Vortragszentren von Städten und größeren Dörfern, in Betrieben, Schulen und Klubeinrichtungen statt. Populärwissenschaftliche Bildung wurde in Form von Vorträgen sowie Vortragsserien und Diavorträgen angeboten.
     Nach der Wende haben sich in den neuen Bundesländern dann gemeinnützige URANIA-Vereine gegründet. Im Ostteil Berlins besteht kein URANIA-Verein mehr. Im Bezirk Lichtenberg hat der 1991 gegründete Bundesverband NEUE URANIA e.V., der gleichzeitig auch Träger sozialer Projekte ist, seinen Sitz.
     Die 1953 im damaligen Westteil der Stadt gegründete URANIA Berlin e.V. ist heute in Berlin der größte Anbieter von Vorträgen. Über 700 waren es im vergangenen Jahr.
     In das Haus An der Urania 17 kamen von Januar bis Dezember 1997 nehr als 150000 Besucher. Dank vieler Mitglieder, die durch Beiträge und Spenden die Arbeit des Vereins unterstützen, dank der Referenten, die für ein bescheidenes Honorar wertvolles Wissen vermitteln, schafft es der Verein, ohne Senatszuschüsse auszukommen. Das 110jährige URANIA-Jubiläum wurde Anfang März dieses Jahres mit einem besonderen Programm und unter dem Motto »Wissenschaft und Bildung für alle Menschen – ein Programm mit langer Tradition und großer Zukunft« festlich begangen.

Quellen und Anmerkungen:
1 Denkschrift anläßlich des 25jährigen Bestehens der Gesellschaft »URANIA« zu Berlin, Leipzig 1913, S. 3
2 Ebenda, S. 37
3 Ebenda, S. 39
4 Vgl. Deutsche Bauzeitung, XXIII. Jahrgang, Berlin, 23. Januar 1889

Bildquelle:
Führer durch die Urania zu Berlin, Verlag von Hermann Paetel, 1892

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 7/1998
www.berlinische-monatsschrift.de