4   Probleme/Projekte/Prozesse Aquarium Unter den Linden  Nächste Seite
Harro Strehlow
Exotik am Prachtboulevard

Das Berliner Aquarium Unter den Linden Ecke Schadowstraße

»Eine Märchenwelt tat sich auf«, erinnert sich Dorothee Goebeler nach dem Ende des Ersten Weltkrieges im »Lokal-Anzeiger« an das schon 1910 geschlossene Berliner Aquarium. Eine Wunderwelt war es in der Tat, die sich da im Eckgrundstück Unter den Linden/Schadowstraße hinter einem bürgerlichen Wohn- und Geschäftshaus versteckt hatte. Am 11. Mai 1869 als Produkt des den Gründerjahren vorangegangenen wirtschaftlichen Aufschwungs eröffnet, war es ein geistiges und wirtschaftliches Kind von Alfred Edmund Brehm (1829–1884).
     Es mag erstaunen, daß es zu dieser Zeit in Berlin zu dieser Gründung kam. Gab es doch bereits seit 1844 den Zoologischen Garten. Trotz seiner Beliebtheit beim Publikum und eines beachtlichen Fortschritts im Ausbau des Zoogeländes häufte sich gerade am Ende der sechziger Jahre die Kritik am Zoo. Die von Lenné geplante Anlage entsprach nicht mehr dem Zeitgeschmack. Die Ursache lag vor allem in der fehlenden

Tintenfische im Berliner Aquarium
Finanzkraft, waren doch von den Aktien bis 1869 gerade erst 191 verkauft worden.
     Das wirtschaftliche und geistige Leben Berlins hatte sich seit 1844 stark verändert. Berlin war eine Großstadt geworden, in der Kapital reichlich vorhanden war. Der gestiegene Wohlstand führte zu einer Blüte im kulturellen Bereich mit gesteigertem Interesse vor allem an naturwissenschaftlicher Bildung. Die Gründung wissenschaftlicher Gesellschaften, die Herausgabe populärer und wissenschaftlicher Zeitschriften und Bücher waren Ausdruck des technischen Fortschritts und verdeutlichten das Streben des Publikums nach Aufklärung.
     In dieser Atmosphäre kam Alfred Brehm 1867 nach Berlin, als berühmter Mann. Der Forschungsreisende in Afrika und Verfasser von Reiseberichten und populären zoologischen Büchern und Aufsätzen hatte sich
SeitenanfangNächste Seite


   5   Probleme/Projekte/Prozesse Aquarium Unter den Linden  Vorige SeiteNächste Seite
bereits einen Namen gemacht. Heute noch bekannt ist sein »Illustrirtes Thierleben«, das von 1864 bis 1869 erschien. Brehm war von 1863 bis 1866 Direktor des Zoologischen Gartens in Hamburg gewesen, den er in kurzer Zeit zu Weltgeltung brachte.
     Dennoch mußte er im Oktober 1866 wegen Streitigkeiten mit dem Aufsichtsrat ausscheiden. Bereits im Dezember 1866 besuchte er Berlin. In einem Brief vom 25. Dezember 1866 an seinen Freund Otto Finsch (1839–1917), als Konservator in Bremen tätig, schrieb er: »Ich war nämlich in Berlin, um mir Wohnungen etc. anzusehen. Dorthin werde ich mich ziehen ... Doch hören – und schweigen Sie (einstweilen noch). Wir werden dort ein Aquarium gründen.«1) Durch wen Brehm nach Berlin kam und mit wem er die ersten Kontakte hatte, ist unbekannt. Brehm selbst berichtete von drei Gruppen, die sich um die Gründung eines Aquariums in Berlin bemühten. »Dem Kaufmann Herrn E. Stahlschmidt gebührt das Verdienst, die Angelegenheit mit dem richtigen Verständnis erfaßt und mit tathkräftiger Beharr-

lichkeit durchgeführt zu haben, indem er
sich mit den rechten Leuten ins Einvernehmen setzte und sie vermochte, zum Gründungsausschusse zusammenzutreten.«2)
     In Deutschland und Europa gab es bereits verschiedene unabhängige oder zu einem Zoo gehörende Aquarien. Daran knüpft der »Prospect. Berliner Aquarium« vom 16. April 1867 an: »Wie sehr auch Berlin durch die Zahl und Bedeutung seiner, der Pflege der Wissenschaft und Kunst gewidmeten, öffentlichen Institute unter allen Großstädten hervorragt, es fehlt immer noch eins, das nicht länger unter den Sehenswürdigkeiten unserer Stadt vermißt werden darf, und zu dessen Gründung sich die Unterzeichneten vereinigt haben. Es ist dies ein großes Aquarium, wie es London, Paris und Hamburg längst besitzen ... Man kennt die kleinen Zimmer-Aquarien, weiß aber Nichts von dem wunderbaren, so überaus fesselnden Anblick, welchen die Welt des Meeres, der Flüsse und Seen, das Leben der Thierwelt im Wasser, für jede Klasse und jedes Alter der

Alfred Brehm
SeitenanfangNächste Seite


   6   Probleme/Projekte/Prozesse Aquarium Unter den Linden  Vorige SeiteNächste Seite
Bevölkerung gewährt.« Am 16. April trat der Gründungsausschuß der »Commandit-Gesellschaft auf Actien« an die Öffentlichkeit und forderte zur Zeichnung von 1 000 Aktien im Betrag von je 200 Reichstalern auf.
     Im Gegensatz zur Aktiengesellschaft des Zoologischen Gartens 1844 war die neue

Commanditgesellschaft sehr erfolgreich. Dazu trugen die Namen bekannter Bankiers und Justizräte und vor allem der Brehms bei. Das richtige Angebot zum richtigen Zeitpunkt brachte Erfolg, die Aktien waren in kürzester Zeit verkauft, und die Planung des Berliner Aquariums konnte beginnen.
Daß aus dem Plan dann ein Vivarium, ein Zoo unter einem Dach wurde, ist sicher dem Ornithologen und Herausgeber des »Thierlebens« zuzuschreiben, doch der einmal gewählte Name blieb erhalten.
     Das Berliner Aquarium entstand auf dem Grundstück Unter den Linden/Ecke Schadowstraße. Dort standen ein Wohn- und Geschäftshaus als Blockrandbebauung und auf einem verwinkelten Hinterhof kleinere baufällige Gebäuden und Schuppen. Das Wohnhaus wurde beibehalten und beherbergte die Wohnung des Aquariumdirektors sowie ein Restaurant. Später war hier das Hotel Minerva untergebracht. So verschaffte sich die Commanditgesellschaft sichere Einnahmen. Die Bauten im Hof wur-

Der erste lebende Gorilla in Europa,
Zeichnung G. Mützel

SeitenanfangNächste Seite


   7   Probleme/Projekte/Prozesse Aquarium Unter den Linden  Vorige SeiteNächste Seite
den abgerissen und zwischen die Brandmauern der umliegenden Häuser das Aquarium gebaut.
     Als Erbauer holte Brehm den Hannoverschen Architekten Wilhelm Lüer (1834–1870), der dort das Eggestorffsche Aquarium und den Zoo gebaut hatte. Er schätzte Lüer wegen seiner romantisierenden Burg- und Felsbauten. Als Lüer 1865 wegen seiner Zoobauten in die öffentliche Kritik geriet, schrieb Brehm ihm: »Hamburg, den 3. Octbr. 1865. Mein verehrter Freund! ... Ich habe Ihnen meine Ansichten über die im dortigen Thiergarten ausgeführten Baulichkeiten zu erkennen gegeben und auch jetzt noch kein anderes Urtheil wie früher gewonnen ... Dagegen erkenne ich freudig an, daß Sie Ihren Bauten das Gepräge der Eigenthümlichkeit und ... Ursprünglichkeit zu verleihen gewußt haben und hat mich der Eindruck der gesammten Bauten um so mehr erfreut ...«3)
     Alfred Brehm sah im Berliner Aquarium nicht nur eine gewinnbringende Kapitalanlage, sondern auch eine wichtige Möglichkeit der Volksbildung. Da er das als Grotte gestaltete Eggestorffsche Aquarium mit dem nüchternen Zweckbau im Hamburger Zoo vergleichen konnte, erkannte er die Möglichkeiten des Grottenstils. Um neben zoologischem auch geologisches Wissen zu vermitteln, wurden die Aquarien in eine Grotte aus unterschiedlichen in Deutschland vorkommenden Gesteinen eingebettet.
Das Berliner Aquarium wurde schon während der Bauphase äußerst populär. Brehm berichtete in der »Gartenlaube« über die Baustelle.4) Auch der »Kladderadatsch« nahm sich des Themas an:

     Es war einmal ein durstig Jahr,
     Da also groß die Hitze war,
     Daß auf dem Kreuzberg frank und frei
     Die Hühner krochen aus dem Ei.
     Da rief die Menschheit angstgeschwellt:
     »Das ist der Untergang der Welt!«

     Doch Doctor Brehm sprach voll Vertrau'n:
     »Auf, laßt uns eine Arche bau'n,
     Darin wir sammeln jedenfalls
     Die Meere all' des Erdenballs,
     Dazu die Flüsse süß und rein,
     Dann wird es kühl im Kasten sein.«

     Nun macht er an die Arbeit sich,
     Baut eine Arche säuberlich
     Aus Felsen, Kalk und Ziegelstein,
     Macht Grotten kühl und Keller d'rein.
     Baut helle Gläser rings herum
     Und nennt das Ding Aquarium.
5)

Auch über Berlin hinaus war das Aquarium bereits vor seiner Eröffnung im Gespräch.
     So erinnerte sich der berühmte Vogelpfleger des Zoologischen Gartens Berlin, August Meusel (1844 – unbekannt): »Ich blieb auch in Hamburg nicht lange; Dr. Brehm baute in Berlin ein Aquarium,

SeitenanfangNächste Seite


   8   Probleme/Projekte/Prozesse Aquarium Unter den Linden  Vorige SeiteNächste Seite
neben Brehm zweiter und ab 1874 alleiniger Direktor des Aquariums.
     Der 11. Mai 1869 gestaltete sich zu einem bedeutenden gesellschaftlichen Ereignis in Berlin: Die Eröffnung erfolgte »durch den König, die Prinzen des königlichen Hauses, Staatsräthe und andere Hochwürdenträger der Hauptstadt«.8) Was sie zu sehen bekamen, war außerordentlich. Durch die Einfahrt des Eckhauses gelangten die Besucher in ein Treppenhaus, das im zweiten Stockwerk an der Garderobe vorbei in den Schlangengang führte. Eine leichte Stahlkonstruktion barg links und rechts hinter Glasscheiben die einzelnen Abteilungen für Schlangen, Reptilien und auch Vogelspinnen und Skorpione. Am Ende des Schlangengangs stieß man auf die Geologische Grotte, die von Papageienvögeln bewohnt war. Es handelte sich um einen Lichtschacht, in dem das Gestein in natürlicher Schichtung wie in der Erdrinde gemauert war. An ihrem Fuß im Aquariengeschoß lag ein kleiner Teich. An der Geologischen Grotte vorbei betrat man, nach rechts einige Stufen hinabsteigend, ein großes Glashaus.
     Der Höhepunkt dieses Raumes war die große Voliere. Eine zierliche Stahlkonstruktion mit einem Glasdach umschloß den für Vögel bestimmten Raum: »Das Fluggebauer ... bildet ein Achteck, welches sich an einer Seite hin ausdehnt und hier an die eine Wand des Raumes lehnt, während die übrigen Seiten mit den anderen Wänden des
Der Hulman im Berliner Aquarium
und der damalige Hamburger Zoodirektor Hilgendorf meinte, da müßte ich hingehen.«6) Durch einen Zufall kam Meusel dann in den Zoologischen Garten.
     Mit zunehmender Dauer der Bauarbeiten wurde die Neugierde der Berliner immer größer. So sah sich die Commandit-Gesellschaft genötigt, das Aquarium vorzeitig am 11. Mai 1869 zu eröffnen. Vorzeitig, weil die Herstellung künstlichen Seewassers noch nicht befriedigend gelöst war. Der Chemiker Emil Jacobson (er diente Heinrich Seidel in »Neues von Leberecht Hühnchen« als Vorlage für den Dr. Hafelmüller) schaffte es, Seewasser herzustellen, in dem die Seetiere am Leben blieben. Es war aber nicht völlig klar. Zufriedenstellend gelang das erst dem Apotheker Otto Hermes (1838–1910) seit September 1869.7) Hermes war später
SeitenanfangNächste Seite


   9   Probleme/Projekte/Prozesse Aquarium Unter den Linden  Vorige SeiteNächste Seite
Raumes und bezüglich den hier angebrachten, eingesenkten oder vorgebauten Käfigen und Grotten den Gang eingrenzen, in welchem sich der Beschauer bewegt. Um den achteckigen Mittelkäfig von 22 Fuß Durchmesser und 28 Fuß Höhe gruppiren sich dreizehn Außenkäfige von je 10 Fuß Tiefe, 8 Fuß äußerer Breite und 15 Fuß Höhe, bezüglich der doppelten und mehrfachen Breite, da ihrer drei sogenannte Doppelkäfige sind.«9)
     Die Absperrung zum Publikum, zum Zentralkäfig und zwischen den Volieren bestand aus senkrecht gespanntem Klavierdraht und behinderte den Blick kaum. Die Grotten waren zum Teil mit spinnennetzartig gespannten Drähten abgeschlossen. Der Boden der zentralen Voliere bestand
Gang mit kleineren Volieren auf der linken und Wasserbecken auf der rechten Seite zum Treppenhaus. Nach Brehms Weggang wurden diese Volieren durch weitere Wasserbecken ersetzt. Im Treppenhaus waren Fischzuchtbecken ausgestellt, um die wirtschaftliche Bedeutung der Fischzucht und ihre Technik zu demonstrieren. Am Fuß der Treppe befand sich ein weiteres Wasserbecken, in dem Biber oder auch eine Kegelrobbe untergebracht waren.
     Der Besucher betrat jetzt den eigentlichen Aquarienbereich. An den Nordseebecken vorbei führte der Weg in den großen Raum mit seinem Zentralbecken, das von weiteren Becken unterschiedlicher Größe umgeben war. Über eine Treppe, die am Fuß der Geologischen Grotte vorbeiführte, verlief der
aus Glas und diente als Lichtschacht für das darunter liegende Meerwasserbecken.
     Wo sich die Voliere an einer Seite ausdehnte, entstand in den siebziger Jahren die Unterkunft für die Menschenaffen. Für deren Haltung war das Berliner Aquarium berühmt.
     Am Ende des Rundweges um die Voliere führte ein weiterer

Die Dreizahnkrabbe und der Kiefernwurm

SeitenanfangNächste Seite


   10   Probleme/Projekte/Prozesse Aquarium Unter den Linden  Vorige SeiteNächste Seite
Weg auf einer erhöhten Ebene an weiteren Wasserbecken vorbei zu Garderobe und Ausgang. Von dieser erhöhten Ebene aus war ein Blick durch Tropfsteinsäulen auf die große Aquariumhalle möglich. Am Ende des Ganges befand sich eine Nachbildung der Blauen Grotte von Capri. Der gesamte Besucherweg hatte eine Länge von 300 Metern.
     Das untere Stockwerk war dem Publikum nicht zugänglich. Hier befanden sich die großen Zisternen, in denen das Wasser nach der Reinigung gesammelt wurde, um wieder in den Kreislauf zu den Aquarien zurückgeführt zu werden. Der technische Aufwand eines so großen Hauses war enorm. Elektrischer Strom zur Beleuchtung und zum Betrieb der Pumpen wurde erst in den achtziger Jahren eingesetzt. Bis dahin erfolgte die Beleuchtung über Gaslampen oder durch natürliches Licht durch drei Lichtschächte.
     212 540 Besucher im ersten Jahr sprechen für den großen Erfolg des Hauses. Drei Prozent Dividende konnten im ersten Jahr gezahlt werden, eine Höhe, die mit kleinen Schwankungen über Jahrzehnte bestehen blieb. Bereits zur Eröffnung lag der erste Führer vor, geschrieben von Alfred Brehm. Ihm folgten im selben Jahr noch weitere sieben Auflagen in einer Gesamtzahl von über 24 000 Exemplaren. In den folgenden Jahren wurden im Schnitt vier, in vielen Jahren sogar sechs Auflagen mit jeweils
3 000 Exemplaren gedruckt. Im Lauf der 41 Jahre seines Bestehens sind vermutlich rund 150 Führer durch das Aquarium erschienen, von denen nur etwa 30 als erhalten bekannt sind.
     Das Berliner Aquarium war und blieb eine Attraktion. Dafür sorgte schon die Popularität der beiden Direktoren. Alfred Brehm war in vielen wissenschaftlichen Vereinen Berlins wie der »Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin« oder der »Berliner Gesellschaft für Ethnologie, Anthropologie und Urgeschichte« aktiv. Er unterschrieb den Gründungsaufruf der »Gesellschaft für Volksbildung« und gehörte auch zu den Gründungsmitgliedern der »Deutschen Ornithologen-Gesellschaft«, deren Sitzungen häufig in den Räumen des Aquariums stattfanden. Während seines Direktorats gab er für den immer größer werdenden Kreis der Vogelliebhaber das Buch »Gefangene Vögel« heraus.
     Auch Otto Hermes, der das Seewasser hergestellt hatte, war ein populärer Mann.
     Neben den wissenschaftlichen war er auch in Apotheker- und Fischereivereinen aktiv. Er untersuchte das Meeresleuchten und entdeckte und kultivierte im Aquarium den Leuchtbazillus (Bacillus phosphorescens). Die Vermehrung der Aale beschäftigte ihn und fand ihren Niederschlag im Aquarium. Ein wichtiger Wirkungskreis von Otto Hermes war die Politik, wo er als liberaler Abgeordneter der Berliner Stadtverordne-
SeitenanfangNächste Seite


   11   Probleme/Projekte/Prozesse Aquarium Unter den Linden  Vorige SeiteNächste Seite
tenversammlung, dem Preußischen Landtag und dem Reichstag angehörte. Zu den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung erschien 1887 unter seinem Namen eine Broschüre.
     Mit immer neuen Attraktionen lockte das Aquarium einen nie versiegenden Besucherstrom an. Viele seltene Tiere konnten in Berlin erstmals im Aquarium betrachtet werden. Die größte Sensation waren die Menschenaffen. Bereits 1870 konnte Brehm den ersten Menschenaffen in Berlin zeigen, die Schimpansin »Molly«. Nur 20 Monate lebte sie hier, eine im vorigen Jahrhundert in Europa allerdings übliche Zeit. Noch fehlte ja jede Vorstellung vom Freileben der Menschenaffen, es gab auch keinerlei medizinische Erfahrungen.10) Auch das erste nahezu erwachsene Orang-Utan-Männchen erregte 1876 die Aufmerksamkeit. Höhepunkt aber waren die Gorillas. 1876 kam M'Pungu nach Berlin. Damit war erstmals in Europa ein als Gorilla erkannter Menschenaffe zu sehen. Mehrere folgten, wenn auch jeweils nur für kurze Zeit. Trotz der kurzen Lebensdauer und des hohen Anschaffungspreises lohnte sich der Kauf, da jedesmal die Besuchermassen strömten.
     Der Zoologische Garten zeigte erst in diesem Jahrhundert Gorillas.11)
     1884 stellte das Aquarium eine Seekuh aus. Rund 110 Jahre sollten vergehen, bis wieder Seekühe in Berlin zu sehen waren (die Manatis im Tierpark Friedrichsfelde). See-
hunde und eine Kegelrobbe waren Gäste im Aquarium. Zweimal wurde ein Walroß ausgestellt. Auch im Bereich der Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische gab es viele bemerkenswerte Tiere und Zuchten.12)
     Das Berliner Aquarium fiel schließlich der Bodenspekulation zum Opfer. Der Grund war so wertvoll geworden, daß die Baubank-Union die Aktienmehrheit erwarb, um das Aquarium zu schließen und ein Bürogebäude zu errichten. Otto Hermes erkannte das und versuchte, an anderer Stelle ein neues Aquarium zu errichten. Während der Verhandlungen, an denen auch der Berliner Zoo durch Ludwig Heck (1860–1951) beteiligt war, starb Otto Hermes am 19. März 1910. Das Schicksal des Aquariums war damit besiegelt. Im Oktober schloß es für immer. Die Tiere kamen in den Zoologischen Garten Frankfurt am Main, das Leipziger Aquarium und in das Naturkundemuseum. Das Gebäude wurde abgerissen, und Oskar Heinroth (1871–1945) begann mit der Errichtung des Aquariums im Zoo.
     Spuren des Aquariums sind noch heute zu finden. Oskar Heinroth übernahm die Basaltsäulen und gestaltete damit das Helgolandbecken. Nach der Renovierung und dem Umbau des Aquariums sind sie jetzt im Erweiterungsbau zu sehen. Noch eindrucksvoller sind aber Schilder aus dem Berliner Aquarium, die zusammen mit den Tieren nach Leipzig gelangten. Diese kleinen Kunstwerke, auf denen das jeweilige
SeitenanfangNächste Seite


   12   Probleme/Projekte/Prozesse Aquarium Unter den Linden  Vorige SeiteAnfang
Tier dargestellt ist, sind im Übergang vom alten Leipziger Aquarium zum Erweiterungsbau als Dekoration in die Mauer eingelassen und zeugen noch heute von einer Qualität der Beschilderung, wie sie in den Zoos erst in den letzten Jahren wieder erreicht wurde.
     Die wichtigste Wirkung des Berliner Aquariums war sicher indirekt. Durch die entstehende Konkurrenz war die Leitung des Berliner Zoos genötigt, sich um mehr Attraktivität zu bemühen. So kam es zur Umgestaltung der Organisation, zur Berufung des ersten wissenschaftlichen Direktors, Heinrich Bodinus, und zu einer neuen Ausgabe von Aktien, was sich diesmal als großer Erfolg erwies. So konnte der Zoo den Weltruhm erlangen, den er auch heute noch genießt.

Quellen:
1 Brief Brehms an Otto Finsch. Original im Archiv des Naumann-Museums in Köthen
2 Alfred Edmund Brehm, Das Berliner Aquarium. In: Westermanns Jahrbuch der illustrirten deutschen Monatshefte, Jg. 27, S. 47 ff.
     3 Alfred Edmund Brehm, Leserbrief in: »Zeitung für Norddeutschland« (Hannover), 6. Oktober 1865
4 Alfred Edmund Brehm, Von der Baustätte des Berliner Aquariums. In: »Gartenlaube« 1868, S. 620 ff.
     5 Rudolf Löwenstein im »Kladderadatsch«, 1868

6 August Meusel, Erinnerungen an die Zeit der ersten Entwicklung der Zoologischen Gärten und der Vogelliebhaberei. In: »Gefiederte Welt«, Jg. 27, S. 76 ff.
     7 Ursula Klös, Heinz Georg Klös, Zur Bereitung künstlichen Meerwassers im Berliner Aquarium Unter den Linden/Ecke Schadowstraße. In: Zoo-Zeitschrift »Bongo«, Jg. 8, 1984, S. 1 ff.
     8 Alfred Edmund Brehm, Das Berliner Aquarium. A. a. O.,
9 Ebenda 10 Harro Strehlow, Beiträge zur Menschenaffenhaltung im Berliner Aquarium Unter den Linden – Teil III Orang Utans (Pongo pygmaeus) und Schimpansen (Pan troglodytes). In: »Bongo«, Jg. 14, 1988, S. 99 ff.
     11 Harro Strehlow, Beiträge zur Menschenaffenhaltung im Berliner Aquarium Unter den Linden. I. Der Gorilla (Gorilla g. gorilla) M'Pungu. In: »Bongo«, Jg. 9, 1985, S. 67 ff., II. Weitere Gorillas (Gorilla g. gorilla). In: »Bongo«, Jg. 12, 1987, S. 105 ff.
     12 Harro Strehlow, Zur Geschichte des Berliner Aquariums Unter den Linden. In: »Zoologischer Garten« N. F., Jg. 57, 1987, S. 26 ff.

Bildquelle:
Archiv Autor, »Leipziger Illustrierte Zeitung«

SeitenanfangAnfang

© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de