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ein volkstümliches Possen-Repertoire,
aus dem Stücke wie »Der geschundene Raubritter« über die Luisenstadt hinaus
populär wurden. Neben Volksstücken bemühte
sich Schreier aber auch um klassische Schauspiele, zum Beispiel Schillers »Räuber«
oder Shakespeares »Kaufmann von Venedig«,
die regen Zulauf der Anwohner fanden. Dabei ließ sich der Direktor weniger von künstlerischen Kriterien als von finanziellen Erwägungen leiten. Denn vor 1869 war
das Spielen von Klassikern ein
ausschließliches Privileg des Königlichen
Schauspielhauses gewesen (sieht man vom
Vorstädtischen Theater am Weinbergsweg ab, das über
eine Sondergenehmigung verfügte).
Schreier unternahm auch eigene Opernversuche. In den Sommermonaten begründete er den Ruf des Louisenstädtischen Theaters berlinweit als »Sommer-Oper« in Konkurrenz zu Kroll. Die Musik-Ensembles der Hof- und Stadttheater im neugegründeten Reich erhielten hier nach Saisonschluß Gelegenheit, mit ihren Inszenierungen in der Reichshauptstadt zu gastieren. Sie kamen gern und wurden freundlich aufgenommen. Als erste Truppe gastierte 1875 das Altenburger Hoftheater bei Schreier. Schreiers Bemühungen wurden auch in den Jahren 18801887 unter der Direktion von Josef Firmans fortgesetzt. Im Winter war die Bühne in der Luisenstadt ein Komödien-, in den Sommermonaten ein gutbesuchtes Opern-Theater. | ||||||
Manfred Nöbel
Bis früh um fünfe in der Luisenstadt Die Luisenstadt wurde relativ spät auch
eine Stadt der Theater. Erst nach Einführung
der Gewerbe-Ordnung vom Jahre 1869, die für alle deutschen Bühnen einen wahren
Gründerboom bewirkte, änderten sich die Akzente in der kulturellen Landschaft Berlins. In dem bisher eher theaterabstinenten
Stadtteil zwischen Jannowitzbrücke und
Halleschem Ufer entstanden nach und nach mehrere Theater. Um die Jahrhundertwende
waren es bereits ein gutes halbes Dutzend. Ihr Bestand war stets gefährdet, und auch ihr Beitrag zur Theatergeschichte der
jungen Kaiserstadt Berlin war von unterschiedlichem Gewicht. Eines dieser Theater befand sich in der Dresdener Straße 72/73.
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1887 erwarb der Regisseur und
Schauspieler Adolf Ernst (1846927) Grundstück und
Bühne, die zuvor für kurze Zeit als
Eden-Theater unter Hermann Meier glücklos zu
existieren versucht hatte. Ernst, ein gebürtiger
Breslauer, der eigentlich Priester werden wollte, kannte dieses Theater. Er hatte es
1879/80 schon einmal geleitet. Und er kannte auch sein Publikum. Als erstes ließ er das
Haus durch den Königlichen Regierungs-Baumeister Gause umbauen, ließ eine
elektrische Beleuchtung installieren und einen
schattigen Garten zur Erholung des Publikums anlegen. Der Zuschauerraum soll nach offiziellen Angaben 1 349
Plätze1) umfaßt haben. (Die Lindenoper bot damals 1 500
Personen Platz.)
»Bescheiden« nannte Adolf Ernst seine Bühne Adolf-Ernst-Theater. Und die Mehrzahl der darin aufgeführten Stücke waren sogenannte »Adolf-Ernst-Possen«. Lachstücke von der Stange, die von eigens dazu verpflichteten »Hausdichtern« serienmäßig angefertigt wurden. Sie waren, wie der Kritiker Gerhard Wahnrau bemerkte, »alle nach dem gleichen Rezept zugeschnitten, das heißt, sie sind so gemacht, daß sich Ernst in ihnen >austoben< kann. Allerdings kommt hinzu, daß diese Possen schon hervorragend ausgestattet sind.«2) Die Eröffnung fand am 11. August 1888 mit dem Stück »Drei Grazien« statt. Andere Novitäten hießen »Junge Garde«, »Flotte Weiber«, »Unser Don Juan«, »Fräulein Feldwebel« oder »Die wilde Madonna«. | Ernst war somit nicht nur Direktor
und Chefregisseur eines eigenen Theaters, er war auch ein hervorragender
Geschäftsmann. So lautete der männliche Teil
der Wahrheit. Es gab aber auch einen weiblichen. Denn der Star dieser Bühne,
Guido Thielscher, den sich der Herr Direktor von der Konkurrenz geholt hatte, erinnerte
sich: »Die Gattin des Direktors führte nicht
nur die Kassengeschäfte, sondern galt auch
als superlativisch zu wertende
Persönlichkeit, in der Beurteilung der Texte, der
musikalischen Illustrationen, der Kostüme,
Dekorationen usw. mit einem Wort: sie war die Seele des Unternehmens.«
Propaganda und Reklame besorgten ihre drei Brüder. Auch das befreiende Lachen und das Applaudieren wurde von ihnen künstlich erzeugt. Das Publikum sollte auf diese Weise zu einer hemmungslosen Fröhlichkeit animiert und erzogen werden. Man hatte zu diesem Zweck einen Experten an die Spitze der Claque berufen, einen ehemaligen Schauspieler, der durch seine hervorragenden technischen Kenntnisse der Branche für ein tadelloses Funktionieren des Lach und Applaus-Apparates zu sorgen hatte.3) Das Ensemble verzeichnete Anfang der neunziger Jahre 18 Herren und 31 Damen, 33 Chorsänger und 24 Orchestermusiker. Von den Schauspielern waren neben Guido Thielscher nur Carl Weiß, Hubert Reusch und Josefine Dora überregional bekannt. In einem Rückblick fand der Theaterexperte | |||||
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Julius Bab sehr harte Worte: »Aus der
berliner Posse hatte Adolf Ernst (ein derber Komiker und allzu tüchtiger
Theatergeschäftsmann) mit der Zeit den
internationalen Ausstattungsschwank gemacht, dessen Attraktionen ein paar Zoten, einige sehr bunte Dekorationen und viele nackte
Balletteusenbeine waren. Nur die
unerschöpfliche Drolligkeit des dicken Thielscher hatte
auf dieser Szene noch etwas mit Theaterkunst und Berlinertum zu
tun.«4)
Als in den neunziger Jahren die Anziehungskraft von Ernsts »Geschäftspossen« nachließ, griff der findige Direktor auf französische und englische Schwänke zurück. Als besonders zugkräftig erwiesen sich dabei dank Thielscher »Charleys Tante« von Brandon Thomas, 1893 der absolute Renner der Saison. Ausgerechnet dieser englische Reißer machte das volkstümliche Vorstadttheater »hoffähig«; im November 1893 wurde das »Tanten«-Ensemble zum Gastspiel in das Neue Palais in Potsdam befohlen. Auch der Kaiser möchte das Stück sehen, über das sich ganz Berlin scheckig lachte. Guido Thielscher, der Hauptdarsteller, schwamm in Glückseligkeit. Maximilian Harden, der über dieses Gastspiel einen langen Artikel schrieb, schäumte. Für einen Moment stand das Theater in der Dresdener Straße im Blickpunkt der politischen Öffentlichkeit. 1896 hatte Adolf Ernst nach 400 Aufführungen von »Charleys Tante« sein Schäfchen | |||||||
Paul Lincke | |||||||
ins Trockne gebracht. Er zog sich von der Bühne zurück und überließ Kommissionsrat W. Hasemann vom Wallner-Theater die Leitung. Dieser änderte als erstes den Namen. Die Bühne hieß nun Thalia-Theater. Dann | |||||||
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schauerraumes, der nunmehr 1 100 Personen faßte, erhielt das Haus eine prachtvolle
Jugenstil-Fassade, die es zu einem Schmuckstück der
Luisenstadt machte.
Eröffnet wurde am 9. September 1899. Kren und Schönfeld, die bereits an anderen Berliner Possentheatern Erfahrungen gesammelt hatten und die Erwartungen ihres Publikums genau kannten, waren aber nicht nur tüchtige Geschäftsleute. Sie führten auch Regie und schrieben ihre Texte selbst. Vor allem aber verfügten sie über eine sichere Hand in der Verpflichtung und Bindung geeigneter Komponisten an ihr Haus. Da inzwischen in Berlin Unterhaltungsbühnen wie Pilze aus der Erde schossen, die neue Maßstäbe setzten, mußte auch das Thalia-Theater neben der Ausstattung mehr Wert auf die musikalische Ausgestaltung seiner Possen und Schwänke legen. Die Altberliner Posse, wie Angely und David Kalisch sie geprägt hatten, war längst tot. Was jetzt unter dieser Bezeichnung geboten wurde, war ein eigentümliches Etwas: weder Posse, noch Operette oder Revue. Man legte nicht mehr so viel Wert auf die Originalität des Milieus. Um so mehr schätzte man die Originalkompositionen, die man als »Schlager« auch anderweitig verwerten konnte. | ||||||||||
Thalia-Theater | ||||||||||
versuchte er vorsichtig, das Repertoire
zu verbessern. Als der erwartete Publikumszuspruch ausblieb, schwenkte er (mit Emil Thomas als Gast) wieder auf die
bewährte »Geschäftsposse« ein. Seine Novitäten
hießen: »Berlin über alles«,
»Drillingsmutter«, »Heiratsschwindler« und »Im
Fegefeuer«. 1899 gab er die Direktion an Jean Kren
und Alfred Schönfeld ab. Schönfeld starb
1916 und Kren leitete das Theater bis 1922 allein weiter.
Mit Kren und Schönfeld, in ihrem Wirken wohl am folgenreichsten für das Theater, begann Kapitel II dieses Hauses. Die beiden ließen abermals das gesamte Theatergebäude renovieren. Neben Modernisierungen der Bühne, der Garderoben und des Zu- | ||||||||||
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Anfangs war es der damals populäre Komponist Julius Einödshöfer, der für sie schrieb, dann der mit »Frau Luna« nicht minder bekannte Paul Lincke.
Er war hier von 1905 bis 1908 als Kapellmeister und Hauskomponist tätig. Als erstes kam von ihm der musikalische Schwank »Bis früh um fünfe« (Text Kren und Lippschütz) heraus. Die Handlung ist vergessen, doch drei seiner Lieder gingen um die Welt. Neben dem Hit von der »bis früh um fünfe« durchsumpfenden »kleinen Maus« waren es die Schlager »Nimm mich mit in dein Kämmerlein« und »Heimlich still und leise«. 1906 folgten die Musiken zu »Hochparterre links« und »Wenn die Bombe platzt«. Bombenschlager daraus wurden nicht nur das Loblied aufs preußische Militär (»Was ist denn das? Was kommt daher? / Gott! Schön ist doch das Militär!«), sondern das nicht minder schmissige Loblied auf Berlin: Das ist der Zauber von Berlin, Wo nur die besten Sachen ziehn, Wo man Radau macht Tag und Nacht, Daß uns das Herz im Leibe lacht, Wo man die tollsten Sprünge macht O mein Berlin! Bevor Lincke das Thalia-Theater wieder verließ, komponierte er noch Schwank-Musiken zu »Eine lustige Doppelehe«, »Ihr | ||||||||
Zuschauerraum des Thalia-Theaters | ||||||||
Sechs-Uhr-Onkel« und »Immer
obendrauf«. In letzterem sang man unbedenklich:
Rund ist die Welt, raus mit dem Geld und geht der letzte Pfennig aus, wir bleiben nicht zu Haus! Als »abendfüllenden Stumpfsinn« bezeichnete der Theaterkritiker Walter Turszinsky die Thalia-Unterhaltung. Er schrieb: »Hier füttern ... die Herren Kren und Schönfeld ihr Publikum mit den plumpesten, sinnlosesten Verklitterungen alter und neuer Kalauer mit stets untereinander identischen Schwankstoffen. Guido Thielscher, einer der drolligsten Interpreten berlinischer Wortgewandtheit, gesegnet mit einer Physiognomie, deren fette Rundungen allein | ||||||||
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höchst komisch wirken, spricht das
ganze Stück allein. Was, das ist dabei
gleichgültig. So wird in der zerfahrenen Form, in der ewigen Gleichheit dieser >Schwänke<
nicht das geringste Äquivalent für die
geldlichen Leistungen der Zuschauer geboten.« Und über »Die Bombe platzt« meinte er: »Wer Geschmacksnerven besitzt, denen er wehtun könnte, bleibe fern.«5) Nach Linckes Weggang fiel die Wahl auf den Hamburger Jean Gilbert, der in Magdeburg und Cottbus umwerfende Erfolge zu verzeichnen hatte und nun ein Sprungbrett für Berlin suchte. Sie bearbeiteten seinen Cottbuser Hit »Polnische Wirtschaft«, der sich in der Luisenstadt als Superhit erwies und dort die astronomische Zahl von 1 600 Aufführungen erreicht haben soll.6) Die Erfolge der »Polnischen Wirtschaft« und der folgenden Werke ermöglichten es Gilbert und den Thalia-Direktoren, dem Theater den Thalia-Theater-Verlag anzugliedern, einen Musik-Salon (mit Verkauf oder Verleih von Musikinstrumenten aller Art) und sogar schon einen Schallplatten-Vertrieb. Und weiter ging es Schlag auf Schlag. »Das halbvergessene Thalia-Theater entpuppt sich«, wie Bernhard Grun bemerkt, »als die amüsanteste Bühne der Stadt«.7) 1912 folgten Gilberts Musik-Possen »Autoliebchen« (mit »Ja das haben die Mädchen so gerne«), »Puppchen« (mit »Puppchen, du bist mein | Augenstern«) und 1913 die
»Tangoprinzessin«, in der auch bereits possenhafte
Emanzen-Töne erklangen: Wir sind die Liebes-Suffragetten, Wir sind bereit, alle Frau'n zu erretten! Trotz dieser Erfolge hatten weder Komponist noch Texter den Ehrgeiz, ihre Werke als Operetten im klassischen Sinne auszugeben. Für dieses Genre gab es in Berlin inzwischen andere Bühnen genug. Auf den Programmzetteln stand noch immer
traditionsbewußt »Posse mit Gesang« oder
»Große Posse mit Gesang und Tanz«. Und die Kassenerfolge gaben ihnen Recht.
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Die Chordamen waren schwarzweißrot gekleidet, und zum Schluß sang man auf der Bühne mit feierlicher Miene das Deutschlandlied. Wobei sich das
Publikum von den Plätzen erhob und ergriffen
mitsang. 8)
Nach 1918 dann der große Absturz und die Weimarer Republik, so daß Kapitel III dieses Theaters schnell erzählt ist. In den 20er Jahren sank das Thalia-Theater aus seiner anspruchsvollen Konkurrenz zu den großen Amüsier-Theatern Berlins wieder in die Rolle einer regionalen Bühne zurück. Man spielte zwar Hauptmanns »Biberpelz« oder »Lottchens Geburtstag« von Thoma. Doch der Glanz der Vorkriegsjahre war vorbei. Zwar verzeichneten die Engagementslisten von 1926/27 noch immer berühmte Namen wie Erwin Piscator, Berthold Viertel, Edward Suhr und Ernst Josef Aufricht; 9) aber sie standen nur auf dem Papier, wirksam wurden diese Künstler in der Luisenstadt nicht. Nur der alte Diegelmann aus Reinhardts Zeiten trat hier ab und zu noch in Erscheinung. Das Thalia-Theater mit seiner wunderschönen Fassade hielt sich noch eine Weile mit wechselndem Erfolg und unter wechselnder Leitung über Wasser. Dann versank es im Bombenhagel des Zweiten Weltkrieges. |
Quellen:
Bildquelle:
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© Edition Luisenstadt,
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