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Dieter Götze
»Schinkel trägt Ihnen ferner auf ...«

Der Bildhauer Friedrich Tieck (1776–1851)

Wer beim Betrachten von Schinkels Prachtbau seinen Platz dort wählt, wo sich heute wieder das Schillerdenkmal befindet, hat den besten Standort, um die plastischen Arbeiten der Hauptfassade in Augenschein zu nehmen, deren Schöpfer, Christian Friedrich Tieck, zu den engsten Mitarbeitern Karl Friedrich Schinkels beim Bau des Hauses gehörte. Schon die Zeitgenossen sahen in dieser äußeren Dekoration – den großen Reliefkompositionen der Giebelfelder, dem in Kupfer getriebenen Apollo als Gebäudekrönung, dem bronzenen Schmuck der Treppenwangen – die beste plastische Begleitung des Schinkelschen Baugedankens. Daß die Kunstwerke den Feuersturm des Kriegsendes 1945 überstanden, mutet heute noch wie ein Wunder an.
     Friedrich Tieck war ein Berliner Kind, geboren am 14. August 1776 als Sohn eines Seilers. Die Eltern beteiligten sich trotz oder gerade wegen ihres kleinbürgerlichen Status ohne Scheu am kulturellen Leben der Stadt, ermöglichten ihren beiden Söhnen – Lud-

Friedrich Tieck, Zeichnung Wilhelm Hensel
wig, der Ältere, wurde später als Schriftsteller berühmt – den Besuch des Gymnasiums und gaben Friedrich schließlich in eine Bildhauerlehre bei Bettkober und Schadow, denen Berlin den Skulpturenschmuck am Brandenburger Tor verdankt. Friedrich Tiecks eigentlicher Mentor wurde jedoch Wilhelm von Humboldt, durch dessen Vermittlung er nach Studienjahren in Paris, in denen er sich vor allem in der Kopie griechischer und römischer Vorbilder übte, im Jahre 1801 zu Goethe nach Weimar kam. Goethe förderte und nutzte Tiecks großes bildhaue-
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risches Talent vielfältig, unter anderem bei der Ausschmückung des Weimarer Schloßneubaus mit Statuen und Basreliefs. Für den jungen Bildhauer markierte der Weimarer Aufenthalt den Beginn seines künstlerischen Ruhms. Die Büste, die er damals idealisierend von Goethe schuf, war – nach dem schmeichlerischen Urteil von Goethes Gattin Christiane – »die beste, welche wir bis jetzt vom Geheimen Rat besitzen«.
     Nach Weimar folgten Jahre der Vervollkommnung in Italien, eine Zeit, in der Tieck aber auch in den Marmorbrüchen von Carrara hart um ein relativ kärgliches Dasein ringen mußte.
     Hier in Carrara erreichte ihn die Nachricht von den Berliner Ereignissen, die 1818 zum Beginn des Aufbaus des neuen Schauspielhauses führten. Damit eröffnete sich für Friedrich Tieck die lang ersehnte berufliche Perspektive in der Heimat. Karl Friedrich Schinkel, mit dem er bereits seit 1805 bekannt war, ließ ihn über Christian Daniel Rauch wissen, daß seine Mitarbeit am neuen Theaterbau erwünscht sei. In einem Brief vom 7. Januar schrieb ihm Rauch, mit dem zusammen er bereits am Marmorsarkophag der Königin Luise gearbeitet hatte: »Schinkel trägt Ihnen auf, schöne Ideen zu sammeln, einen Musiksaal mit mehreren Statuen und vielen unzusammenhängenden Basreliefs zu verzieren, die Statuen werden 5 Fuß hoch und sind ihrer 15.«
     Anfang April 1819 aus Carrara nach Berlin
zurückgekehrt, stürzte sich der Dreiundvierzigjährige mit Feuereifer in die Arbeit. Er erfüllte die in ihn gesetzten Erwartungen in überreichem Maße. Wenn das Gebäude nach seiner Vollendung als Meisterwerk des Klassizismus vor den Augen der staunenden Mitwelt stand, hatten daran Tiecks Schöpfungen wesentlichen Anteil. Im einzelnen entstanden damals: die neun Musen aus Sandstein für die Vorder-, Süd- und Nordfront des Theaters, die vier großen Reliefs für die Giebelflächen der Vorderfront und der Seiten, die in Kupfer getriebene Apollo-Figur im Greifenwagen, die das Gebäude krönt, der ebenfalls in Kupfer getriebene Pegasus auf der Rückseite des Hauses sowie 16 Marmor-Karyatiden im Konzertsaal (sie fielen 1944/45 der Zerstörung anheim).
     Wie intensiv sich Tieck dabei mit der griechischen Mythologie, dem Leitprogramm der inneren und äußeren Ausgestaltung, auseinandersetzte, geht aus einem Brief hervor, den er am 15. September 1821, also bereits nach der offiziellen Einweihung des Theaters, an August Wilhelm Schlegel schrieb: »Jetzt wird nun an einem anderen sehr großen Fronton an der einen Seite gearbeitet, welches Orpheus in der Unterwelt darstellt: Pluto und Proserpina auf dem Thron, hinter ihnen Merkur und Eurydice, dann Sysyphus, dessen Stein ruht, dann Ixion, dessen Rad festlehnt. Hinter ihm die Furien um das Grab des Peirithous gelagert. Vor Pluto der Sänger Orpheus mit einem
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Amor, hinter ihm Helios, der mit dem Sonnenwagen sich aus der Flut emporhebt. Eine Muse neben ihm in dem Wagen. Endlich noch ein Amor mit einem Delphin spielend. Bis auf Orpheus und den Amor sind die Modelle vollendet und der größte Teil des sehr kolossalen Reliefs in Stuck. Da ich sehr geschickte Leute habe, so werden die Sachen sehr gut ausgeführt.«
     Zu diesen »sehr geschickten Leuten« zählten unter anderen Johann Balthasar Jacob Ratgeber, der Tiecks Reliefmodelle in Sandstein ausführte, und Arbeiter der Firma Werner, die Tiecks Vorgaben für den Pegasus und das Greifengespann vor dem Wagen Apollos realisierten. Natürlich war das Zusammenspiel mit Karl Friedrich Schinkel und Christian Daniel Rauch, der die Bildhauerwerkstatt in der Klosterstraße leitete, besonders eng. Größte Sorgfalt widmete Tieck auch den anderen Reliefdarstellungen der Giebelfelder. Ihr Inhalt ist ganz sein geistiges Eigentum. Dabei ging es ihm nicht um eine gelehrte Nachbildung antiker Gestalten und Vorgänge – wichtig waren ihm Verständlichkeit und der aufs Theater bezogene Gehalt. So entstanden beeindruckende Kompositionen, die sich trotz ihrer großen räumlichen Entfernung dem vor dem Schauspielhaus stehenden Betrachter unmittelbar mitteilen: im Südgiebel die bereits erwähnte Darstellung der Geschichte von Orpheus und Eurydike, im Nordgiebel der Triumphzug von Dionysos und Ariadne. Bei letzterem
scheute sich Tieck auch nicht, ein damals modernes Motiv, einen musizierenden Amor, der auf dem Rücken eines Löwen reitet, einzuführen. Als Schmuck der beiden Giebelfelder der Hauptfassade wählte er den von Symbolen des Theaters umgebenen Eros und – über dem Portikus – die Niobidengruppe, das Sinnbild der Tragödie.
     Nach der triumphalen Einweihung des Hauses im Mai 1821 beschäftigte ihn die innere und äußere Ausschmückung weiter. Große Beachtung fand seine Statue August Wilhelm Ifflands. Sie entstand in den Jahren 1824 bis 1827 und wurde von den kunstliebenden Berlinern, die vielfach den großen Theatermann noch persönlich gekannt hatten, bei ihrer Enthüllung lebhaft gefeiert. Die Haude- und Spenersche Zeitung vermerkte dazu am 28. Januar 1828: »Ifflands Marmorstatue, von der Hand unseres trefflichen Künstlers Professor Tieck, ist jetzt in der Vorhalle des Concertsaales aufgestellt und ein Werk, das seinem Verfertiger Ehre macht. Der Künstler ist in antikem Kostüm, auf einem antiken Sessel sitzend, dargestellt, mit leichter Bewegung des, sprechend ähnlichen, Kopfes nach oben. Die Statue nimmt sich mit einer zweckmäßig dahinter angebrachten Draperie bei der Beleuchtung, in der Nische, gut aus und ist eine Zierde des Raumes ...«
     Über den langen Zeitraum von acht Jahren beschäftigten Tieck schließlich die zwei Bronze-Gruppen auf den Treppenwangen
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Das Königliche Schauspielhaus
des Schauspielhauses, die der gesamten Vorderfront bis zum heutigen Tag ihr unverwechselbares Gepräge geben: die beiden, von der Macht der Töne besänftigten wilden Tiere, Löwe und Panther, die musizierende Kinder auf ihrem Rücken tragen. Tieck selbst hat ihre erste öffentliche Präsentation am letzten Maitag 1851 – übrigens dem gleichen Tag, an dem Rauchs Friedrich-Denkmal Unter den Linden eingeweiht wurde – nicht mehr erlebt. Am 12. Mai 1851 war er im Alter von 75 Jahren vereinsamt und verbittert gestorben. Mit größeren Aufgaben hatte ihn der Hof – ganz im Gegensatz zu seinem Freund Rauch – in seinen letzten Lebensjahren nicht mehr betraut.
     Den herausragenden Platz, den sein Werk in der Geschichte der bildenden Künste einnimmt, konnte ihm die Nachwelt zu keinem Zeitpunkt ernsthaft streitig machen, nicht zuletzt dank der Schöpfungen, die das Schauspielhaus festlich zieren.

     Bildquellen: Preußische Bildnisse des 19. Jahrhunderts, Katalog zur Ausstellung (Porträt Tieck); Max Ring, die deutsche Kaiserstadt Berlin und ihre Umgebung, Leipzig 1883

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