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pelle wurde vom 14. Juli ab der Gottesdienst gehalten. Auf Anregung des Generalpräses der Katholischen Berliner Vereine, des Geistlichen Rat Eduard Müller, sammelte sich eine Anzahl katholischer Männer dieser Gegend mit dem Ziel, einen geselligen Verein ins Leben zu rufen. Er sollte Sammelpunkt für die Gläubigen des Schönhauser-Tor-Bezirks sein und beim Gemeindeaufbau mithelfen. Bereits drei Monate nach dem Erwerb des Grundstücks erfolgte am 29. September 1889 in einem Nebenraum des Tanzsaales die Gründung des St.-Meinrad-Vereins.
     Der Name des Vereins wurde mit Bedacht gewählt. Der Heilige Meinrad war Benediktinermönch und zog sich im Jahre 835 in eine Einsiedelei in der heutigen Schweiz zurück, wo er am 21. Januar 861 ermordet wurde. An dieser Stelle wurde später die Benediktinerabtei Einsiedeln gegründet. Daß Meinrad aus dem Geschlecht der Hohenzollern stammen soll, hatte stets legendäre Züge, ging aber mit der Zeit ins historische Bewußtsein des preußischen Herrschergeschlechts über. Man wählte also mit dem Namen ganz bewußt einen katholischen Heiligen aus dem protestantischen Kaiserhaus, um auszudrücken, daß die Mitglieder des Vereins nicht nur treu zur katholischen Kirche, sondern ebenso treu zu ihrem Vaterlande und dem Hohenzollernthrone stehen sollen.
     Die Mitgliedschaft gliederte sich in ordent-
Matthias Kohl
Unter dem Banner des Heiligen Meinrad

Der gesellige Verein der katholischen Herz-Jesu-Gemeinde in Berlin-Nord

Nach der Reichsgründung 1871 zogen Hunderttausende in die Reichshauptstadt. Für die aus den katholischen Gebieten stammenden Neubürger standen als Pfarreien nur die St. Hedwigskirche und die Garnisionskirche St. Michael zur Verfügung. Der Bau von protestantischen Kirchen hielt mit dem Bevölkerungswachstum Schritt, die Katholiken dagegen mußten sich mit diesen beiden Gemeinden begnügen. Erst mit der Ernennung von Georg Kopp zum Fürstbischof von Breslau im Jahre 1887 ging der unglückselige Streit zwischen dem protestantisch bestimmten Staat und der katholischen Kirche nach 16 Jahren zu Ende. Um so intensiver war die Gründung von katholischen Pfarreien nach dieser Zeit.
     Eine der ältesten Pfarreien ist die Herz-Jesu-Gemeinde. Für die noch zu errichtende Pfarrei wurde im Juni 1889 das ehemalige Vergnügungslokal »Roloffsburg« in der Fehrbelliner Straße 98, im heutigen Bezirk Prenzlauer Berg, erworben. In der aus einem Tanzsaal hergerichteten Herz-Jesu-Ka-

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liche, beitragende und Ehrenmitglieder. Ordentliches Mitglied konnte jeder männliche Katholik werden, der das 21. Lebensjahr vollendet hatte, beitragendes dagegen jeder Katholik ohne Unterschied des Alters und Geschlechts, sowie der nichtkatholische Teil einer christlichen Mischehe. Stimmberechtigt waren nur ordentliche und Ehrenmitglieder. Der Vorstand setzte sich aus sieben, später zwölf Herren zusammen.
     Dem jeweiligen Pfarrer der Herz-Jesu-Pfarrei wurde das Ehrenpräsidium angetragen.
     Der Verein fand in der Gemeinde großen Anklang. Von 108 Mitgliedern im Stiftungsjahr, die sich um den ersten Vorsitzenden Erich Linnarz, Lehrer an der St.-Hedwigs-Pfarrschule und Organist bei Herz Jesu, scharten, steigerte sich die Anzahl bis Ende 1909 auf 843. Am 7. November 1901 erfolgte die 1 000., am 6. September 1906 die 1 500. und am 2. Oktober 1913 die 2 000. Aufnahme. Berücksichtigt man bei der Zählung auch die Abgänge durch Tod, freiwilligen Ausschied und Ausschluß wegen Nichtbezahlens der Beiträge, ergibt sich für das Jahr 1914 ein Mitgliederstand von 853. Auch 1919 ist die Anzahl der Mitglieder etwa gleich hoch mit 865 Personen angegeben. Eine bedeutende Steigerung der Mitgliederzahl fand nicht mehr statt. Unter den gleichartigen Vereinen Berlins, wie dem Winfried-Verein von St. Bonifatius in der Yorkstraße, dem St.Franziskus-Xaverius-Verein bei St. Augusti-
nus in der Dänenstraße oder dem Unitas-Verein bei St. Pius, Palisadenstraße, war der Meinrad-Verein nicht nur einer der ältesten, sondern auch der mit den meisten Mitgliedern.
     Neben der jährlichen Hauptversammlung im Januar, in der u. a. die Wahlen stattfanden, traf man sich dreibis viermal jährlich zur Geschäftsversammlung. Das eigentliche Vereinsleben vollzog sich allerdings an den zweimal monatlich abgehaltenen sogenannten Familienabenden, zu denen auch Gäste Zutritt hatten. In der Regel war die Hauptsache des Abends ein »belehrender« oder »unterhaltender« Vortrag durch einen eingeladenen Referenten. Das gemeinschaftliche Singen von Liedern und die Beantwortung von Fragen aus dem Kreis der Mitglieder gaben den Rahmen einer ungezwungenen Atmosphäre, die durch den Ort der Zusammenkünfte unterstrichen wurde. Als Vereinslokal nutzte man meistens die Bötzow-Brauerei in der Prenzlauer Allee 242–247, später die Brauerei Königstadt in der Schönhauser Allee 10–11.
     Besondere Höhepunkte waren das Stiftungsfest im September, welches durch eine religiöse und eine weltliche Feier begangen wurde, Familienausflüge im Sommer und von Zeit zu Zeit stattfindende Theateraufführungen zugunsten caritativer und religiöser Zwecke.
     Da der Großteil der Gemeindemitglieder Arbeiter und Angestellte waren, hielt man
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die Aufnahmegebühr von 50 Pfennig und den Mitgliedsbeitrag von monatlich 25 Pfennig bewußt gering, um möglichst viele Gläubige in dem Verein zu sammeln. Weitere Einnahmen erhielt der Verein durch die während der Sitzungen herumgehende
Sammelbüchse. So war man in der Lage, den satzungsmäßigen Zweck zu erfüllen.
     Er galt zuerst der Erweiterung und Ausschmückung der Herz-Jesu-Kapelle und sollte den Neubau einer Kirche fördern. Dazu konnte bereits 1892 ein Betrag von 2 000 Mark für einen Kapellenanbau zur Verfügung gestellt werden. Innerhalb des Vereins gründete sich 1893 ein Kirchbau-Sammelverein mit dem Ziel, nicht dem Verein angehörende Katholiken für eine Spende für die zu errichtende Kirche zu gewinnen. Nachdem unter Einbeziehung der Fläche der Herz-Jesu-Kapelle der Neubau der Kirche 1897/98 erfolgte, wurde die Satzung dahingehend geändert, daß die Förderung der Ausschmückung der Kirche und die Unterstützung der auf dem Pfarrgebiet befindlichen katholischen Anstalten im Vordergrund standen.
     Zuerst wurde die Orgel vollständig aus Mitteln des St.-Meinrad-Vereins beschafft. Schon Ostern 1899 konnte das dreimanualige Instrument mit 40 Registern, eine Arbeit der Orgelbaufirma Eggert in Paderborn, eingeweiht werden. Das imposante Orgelprospekt aus Eichenholz birgt im Mittelfeld ein Reliefbild des Heiligen Meinrad. Eine
darunter befindliche Inschrift weist auf die Stiftung hin, die sich auf 18 114 Mark belief.
     1905 war der Verein zu einer weiteren Stiftung finanziell in der Lage. In der Apsis des rechten Seitenschiffes wurde ein St.-Josefs-Altar nach Plänen des Erbauers der Kirche, Christoph Hehl, errichtet. Der Berliner Künstler Heinrich Pohlmann fertigte die als Galvanoplastik erstellte Personengruppe des Heiligen Josefs, als Patron der Arbeit, mit dem Jesusknaben. Beide Herren wurden zu Ehrenmitgliedern des Vereins ernannt.
     Am Festtag des Heiligen Josef, am 19. März, fand 1905 die feierliche Einweihung des Altars statt. 6 000 Mark wurden dafür aus der Vereinskasse bereitgestellt.
     In der Woche nach dem Josefsfest wurde jährlich vor diesem Altar eine Messe um eine gute Sterbestunde der Vereinsmitglieder gelesen.
     Altarteppich, Kirchenfahnen, Standuhr und ein Beichtstuhl konnten als weitere Stiftungen für die Kirche bereitgestellt werden.
     Als 1911 mit der Ausmalung der Kirche begonnen wurde, stellte der Verein dafür wiederum 15 000 Mark zur Verfügung.
     Am mittleren Bogen vor dem Hauptchor befindet sich neben anderen Heiligen, die Bezug zur Pfarrei haben, auf der linken Seite auch das Bild des Heiligen Meinrad von zwei Raben begleitet. An diesem Attribut ist er zu erkennen, da der Legende nach diese
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beiden Tiere von ihm gerettet wurden und als Dank ihn dann sein Leben lang begleiteten. Als Meinrad ermordet wurde, verfolgten sie die Täter, bis diese durch das auffällige Verhalten der Raben überführt werden konnten.
     Auch für caritative Zwecke wurden erhebliche Geldmittel bereitgestellt. Besonders fühlte man sich den Grauen Schwestern von der Heiligen Elisabeth verpflichtet, die auf dem Pfarrgrundstück eine Niederlassung hatten. Durch Petitionen hatte es der Verein schon Anfang der 1890er Jahre bewirkt, daß dieser Orden die ambulante Krankenpflege und eine »Kleinkinderbewahrschule« einrichten konnte. Auch ein Hospiz für alleinste-
gebliebenes Kassenbuch des Vereins weist noch weitere Spenden an etliche andere caritative und religiöse Einrichtungen und Vereinigungen aus.
     Die Sorge um die Kinder und Jugendlichen war ein weiterer Schwerpunkt der Vereinsarbeit. Bereits 1891 wurde der Verein beim Magistrat vorstellig, um dafür zu wirken, katholische Volksschulen in dem großen Pfarrgebiet zuzulassen. Mit der Zeit wurden schließlich vier Gemeindeschulen errichtet: die 200. (Knaben) und 214. (Mädchen) in der Oderberger Straße 57/59 und die 239. (Knaben) und 296. (Mädchen) in der Christburger Straße 7. Zur Weihnachtszeit hat der Verein die Bescherung der ar-
hende junge Frauen wurde unter ihrer Leitung aufgebaut. Auf dem Gebiet der Pfarrei lag auch die Niederlassung der Dominikanerinnen in der Greifswalder Straße 18 (St. Katharinenstift) und das St. Josefsheim in der Pappelallee 61, welche auch regelmäßig bedacht wurden. Ein erhalten

St.Meinrad-Verein derHerz-Jesu-Gemeinde Berlin Nord, Fronleichnam 1926, Umzug um den Teutoburger Platz

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   42   Probleme/Projekte/Prozesse Meinrad-Verein  Vorige SeiteNächste Seite
men Schulkinder der Gemeinde ermöglicht. Ferner wurde an die hilfsbedürftigen Kinder gedacht, die zur Erstkommunion gingen.
     Innerhalb des Vereins gab es eine Kommission zur Fürsorge für die aus der Schule entlassenen Kinder der Mitglieder, in der Hilfe bei der Unterbringung und bei der Berufswahl gegeben wurde.
     Überhaupt wurde für die Vereinsmitglieder viel an Wohlfahrtseinrichtungen angeboten. Für die Hinterbliebenen von Verstorbenen wurde eine Beerdigungsbeihilfe, gestaffelt nach Mitgliedsjahren, ausgezahlt. In besonderer Notlage konnten die Hinterbliebenen mit weiterer Unterstützung rechnen. Dem Verein angehörende Rechtsanwälte gewährten unentgeltlichen Rat in allen Rechtsangelegenheiten, und ein Arzt gab Preisnachlässe bei Inanspruchnahme seitens der Mitglieder. Zu den Sommerkonzerten in den Gärten der Brauereien »Bötzow« und »Königstadt« hatte man freien Eintritt. Auch eine Vereinsbibliothek stand unentgeltlich zur Verfügung.
     Im selben Jahr, in dem sich der Verein konstituierte, 1889, wurde auch die »Märkische Volkszeitung« ins Leben gerufen. Sie verstand sich als Tageszeitung für den katholischen Leser und diente als Organ der katholischen Vereine Berlins und der Mark. Darin wurde jede Zusammenkunft angekündigt und festliche Anlässe im nachhinein besprochen. Verstorbene Vereinsmitglieder wurden mit einer Anzeige geehrt.
In der »Germania«, dem Organ der Zentrumspartei, hatte der Verein ebenfalls Inserate veröffentlicht.
     Zum Erscheinungsbild des Vereins in der Öffentlichkeit gehörte auch die Fahne. In der geschäftlichen Versammlung am 14. Oktober 1891 bekam der Fabrikant R. Ritter in Berlin den Auftrag zur Anfertigung. Die Fahne, die aus wasserechter Karmoisinseide besteht, kostete 475 Mark. Sie zeigt im Medaillon die Figur des Heiligen Meinrad mit den beiden Raben in Handstickerei.
     Die Rückseite ist mit religiösen Symbolen belegt. Öffentlich gezeigt werden konnte die Fahne bei allen Kundgebungen katholischen Lebens in Berlin und Umgebung sowie bei einzelnen kirchlichen Festen und bei den Beerdigungen der Mitglieder. Zur besonderen Ehre gereichte es dem Verein, als die Fahne anläßlich einer Pilgerfahrt zum Heiligen Jahr 1900 am 22. September bei einer Audienz von Papst Leo XIII. umarmt, geküßt und gesegnet wurde. Eine damals verliehene Schleife mit darauf Bezug nehmendem Text erinnert noch heute an dieses Ereignis. Überhaupt kann die Fahne als eine der wenigen erhalten gebliebenen alten Vereinsfahnen des heutigen Erzbistums Berlin angesehen werden. Sie ist seit 1892 ohne Unterbrechungen mit der Geschichte der Herz-Jesu-Pfarrei verbunden und wird als eines der ältesten Inventarstücke sehr geschätzt.
     Die unter dem Banner von St. Meinrad
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vereinten Katholiken bildeten den Kern der Gemeinde. Johann Peter Alesch, der erste Pfarrer der Pfarrei, konnte innerhalb des Vereins immer wieder Kraft schöpfen für die Bewältigung der Aufgaben in seiner Riesenpfarrei von bis zu 25 000 Gläubigen. Aus seinen Reihen holte er sich seine treuen Helfer. So manch ein Amtskollege hat ihn um den St.-Meinrad-Verein beneidet, dessen Opferwilligkeit sich geradezu als unverwüstlich erwies. Als Pfarrer Alesch 1923 in den Ruhestand ging, konnte das Vereinsleben Dank der unermüdlichen und umsichtigen Leitung ungebrochen weitergeführt werden. Als es 1924 das erste Mal möglich war, die Frohnleichnamsprozession im Freien, um den nahe gelegenen Teutoburger Platz, durchzuführen, übernahm der Verein die Betreuung und Ausschmückung eines der vier Altäre. In dem festlichen Zuge trug man neben den anderen Vereins- und Kirchenfahnen auch die des St.-Meinrad-Vereins mit, welche von zwei Herren als Fahnendeputation begleitet wurde. Sie und der Träger waren mit einer Schärpe über der rechten Schulter geschmückt.
     Die 20er Jahre können als die fruchtbarsten in der Vereinsarbeit angesehen werden, nachdem die Ausschmückung der Kirche ihren Abschluß gefunden hatte und damit die Satzung in diesem Punkt erfüllt wurde. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 war der Anfang vom Ende der Ver-
einsarbeit. Durch die Gleichschaltungspolitik der Nazis und die rückläufigen Mitgliederzahlen sah man sich gezwungen, sich aus dem öffentlichen Raum zurückzuziehen. Seit Mitte der 30er Jahre fanden die Versammlungen nunmehr im Pfarrsaal statt. Auch die Regelmäßigkeit der Zusammenkünfte ging immer mehr verloren. Im April 1939 war die letzte Versammlung vor Beginn des Zweiten Weltkrieges. 1941 traf man sich nur noch zweimal zu Vorträgen; das letzte Mal am 21. September. Das Bestehen des Vereins war mit dem Abschluß der Jahresrechnung am 31. Dezember 1944 beendet. Mit einem Guthaben von 78,03 Mark wurde der Verein aufgelöst. Nach Paragraph 20 der Vereinssatzung fiel dieser Betrag der Herz-Jesu-Kirche zu.
     55 Jahre hatte der St.-Meinrad-Verein bei Herz Jesu die Geschicke des Gemeindelebens wesentlich mitbestimmt. Von ihm gingen immer wieder Impulse aus und so manch ein außenstehendes Gemeindemitglied fand durch den Verein wieder Zugang zum Leben der Gemeinde und zum Glauben.
     Wer heute die Herz-Jesu-Kirche im Bezirk Prenzlauer Berg besucht, wird auch noch nach über 50 Jahren auf die Spuren des Meinrad-Vereins stoßen. Und so manch ein älteres Gemeindemitglied weiß noch von den großartigen Festen zu berichten, die der Verein auszurichtete.

Bildquelle: Herz-Jesu-Gemeinde Prenzlauer Berg

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