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Michael Zaremba
Billy Jenkins – der Cowboy von Reinickendorf

Der Schauspieler, Reiter, Dompteur
Erich Fischer (1885–1954)

In Reinickendorf liegt, von Havel, Tegeler See und Forst umgeben, die Waldsiedlung Konradshöhe. Hier lebte der international bekannte Kunstreiter, Schütze, Lassowerfer, Greifvogeldompteur und Titelheld einer Buchreihe Erich Rudolf Otto Rosenthal, der unter dem Pseudonym »Billy Jenkins« berühmt wurde. Rosenthal wurde am 26. Juni 1885 in Magdeburg geboren, mosaisch erzogen, besuchte ein Privatgymnasium und begann in Potsdam eine Metzgerlehre, die er abbrach. Nach einer Seereise, die ihn unter anderem nach Südafrika führte, erhielt er die Ausbildung zum Westernreiter auf der amerikanischen 101-Ranch, einer Trainingsfarm für Zirkusnachwuchs. Er erlernte dort artistische Reitkunst und Schießen. Der amerikanisch klingende Name »Jenkins« stammte angeblich von einem Verwandten in den USA. Sein Vater war Zirkusclown mit dem Spitznamen »Süßmilch«, der am Lehrter Bahnhof ein Varieté-Café betrieb.
     Er besaß in Konradshöhe (Habichtstraße 8)

Billy Jenkins
eine Vorstadtvilla, in der sich das Café und Restaurant »Süßmilch« mit Gartenausschank befand. Das in den 20er Jahren erbaute Haus mit Satteldach und Balkon existiert noch heute. Von 1945 bis 1947 befand sich dort die von der russischen Kommandantur errichtete Bürgermeisterei von Konradshöhe.
     Der uneheliche Sohn und Halbjude nannte sich offiziell nach dem Mädchennamen seiner Mutter »Fischer«. Unter diesem Namen wurde er Mitglied der NSDAP, ohne
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eine besondere politische Tätigkeit zu entfalten. Im Jahre 1938 zeigte Jenkins, der Mitglied im Deutschen Falknerorden war, vor Hitler und Göring eine Beizjagd. Als »König der Cowboys«, wie er in Presseberichten, Programmheften und auf Werbeplakaten genannt wurde, trat er in zahlreichen Varieté- und Zirkusveranstaltungen, namentlich im Berliner Wintergarten, der Scala, der Plaza, im Leipziger Krystall-Palast sowie mit den Zirkussen Sarrasani und Busch in vielen Ländern Europas auf. In dem Harry-Piel-Film »Der Bär von Baskerville« (1915) übernahm er für den Hauptdarsteller die Lassoarbeit. Zwei Hollywood-Filme – »Die Ranch auf dem Pulverfaß« und »Die schwarze Rose von Texas« – zeigen Jenkins neben dem legendären Tom Mix. Der Berliner setzte allerdings die Karriere als Schauspieler nicht fort. Das Waffenverbot für Deutsche ab November 1918 traf den Kunstschützen hart, so daß er seiner Arbeit mit Vögeln mehr Gewicht beimaß.
Er galt seit den 20er Jahren als der bedeutendste Greifvogeldompteur der Welt.
     Erich Fischer legte seine Rolle auch im Alltag nicht ab. Zeitzeugen berichten, daß er meist in bunter Cowboy-Kleidung auftrat. Auf Fotografien ist er mit perlenbestickter Fransenjacke, weiten Hosen, einem Halstuch mit goldenem Indianerkopf und einem hellen Cowboyhut zu sehen. Er paradiert auf prächtig aufgezäumten Pferden, trägt im Gürtel einen Revolver und in der Hand ein
Gewehr. Den Steinadler »Goliath« stellte er auf seiner mit einem Stulpenhandschuh bekleideten Hand zur Schau. Er ließ sich »Billy« nennen und erzählte am Lagerfeuer im eigenen Garten abenteuerliche Geschichten. Sein größtes Vorbild war der berühmte Showman und Büffeljäger Buffalo Bill alias William Frederik Cody (1846–1914), den Jenkins Vater im Sommer 1890 anläßlich eines Berliner Gastspiels besuchte und der den kleinen Erich auf den Schoß nahm. Dieses Erlebnis ist der Grund für seine Vorliebe zu dem Namen »Billy«. Ein weiteres Leitbild war der Dompteur Hans Stosch Sarrasani (1872–1934), Gründer des gleichnamigen Wanderzirkus und Arbeitgeber von »Clown Süßmilch«.
     Das Knallen mit der Bullenpeitsche war für die Nachbarkinder in Konradshöhe ein Signal, daß Jenkins im Garten neben der »Villa Elfriede« – benannt nach dem Vornamen seiner Mutter – üben wolle. Die Kinder standen neugierig am Gartenzaun, wenn er seine Fertigkeiten zur Schau stellte. Zuweilen holte er eine Indianerhaube hervor und zeigte seine Fähigkeiten im Umgang mit Pfeil und Bogen. Auch im Werfen von Schleuderkugeln zeigte er seine Kunst. Ein Höhepunkt war der Aufmarsch mit dem Adler auf der Hand. Beobachter berichten, daß der große Greifvogel sogar im Freiflug jedem Kommando und Pfiff gehorchte. In einer Voliere befanden sich Eulen, Bussarde, Falken, See- und Kaiseradler, die in seiner Raubvogelschau auftraten. Angeblich
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soll er mit einem Bekannten vom Militär den Angriff von Wanderfalken auf Fesselballons trainiert haben.
     Der als selbstbewußt und eigensinnig geltende blonde Mann mit strahlend blauen Augen gab Sondervorstellungen in der Schule des Ortes und suchte gern die nahe gelegene Gastwirtschaft »Habicht« auf (Habichtstraße 16; heute befindet sich dort ein Einkaufsmarkt), in welcher er im Berliner Jargon Anekdoten zum besten gab. Nicht ohne Grund nannte Jenkins seinen Wohnort »Cognacshöhe«. Es hieß, er liebe die Tiere mehr als die Frauen. Dem widerspricht eine »mollige, blonde Freundin« namens Elfriede (Friedel) Schönemann, eine gebürtige Amerikanerin, die seine Lebensgefährtin und Partnerin in der Manege war. Billy Jenkins war ein Original seiner Zeit. Er war leutselig, neigte zur Flunkerei, so daß die vielen Anekdoten, die über ihn

Billy-Jenkins zum Sammeln

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kursieren, mit Vorbehalt zu nehmen sind. So soll er während der Olympischen Spiele von 1936 »hoch zu Roß« paradiert sein und zahllose Autogramme gegeben haben. Er hat sich bei anderer Gelegenheit aus Versehen in das Bein geschossen, was für erheblichen Wirbel sorgte. Sein Körper war von Narben, die von Berufsunfällen herrührten, bedeckt; in Spanien soll er sämtliche Vorderzähne verloren haben. Er wurde, wie er nicht ohne Stolz berichtete, von indianischen Artisten zum »Ehrenhäuptling der Irokesen« ernannt. Von tragischer Bedeutung war ein Brandunglück im Jahre 1940 in Schlesien. Der Künstler wurde bei dem Versuch, seine drei selbst aufgezogenen Adler sowie andere Vögel aus einem Sonderwaggon des Zirkus Busch zu retten, derart schwerwiegend verletzt, daß er nur noch unter Schmerzen mit Hilfe eines Gehstockes und eines Stahlkorsetts laufen konnte. Jenkins zog sich nach Konradshöhe zurück: »Ick bekiekte mir die Tapeten.« Nach einer ausgeprägt depressiven Phase begann er erneut mit der Einübung einer Raubvogel-Schau. Er besaß für seinen Reinickendorfer Wohnsitz sogar einen Stempel mit der Aufschrift »Billy-Jenkins-Farm«.
     Erich Fischer wurde auch durch die »Billy-Jenkins-Hefte« bekannt, die der Buch- und Zeitschriftenhandel in ganz Deutschland verkaufte. Die Serie ging aus der von 1923 bis 1931 geführten Heftreihe »Hans Stosch Sarrasani. Fahrten und Abenteuer« hervor, in der kurze Jenkins-Texte enthalten sind.
In seinem Wohnort erhielten die Jugendlichen die Freiexemplare vom Künstler persönlich. Die Schmöker mit reißerischem Titel und Inhalt - zum Beispiel »Der Todesschütze«, »Der Schrecken der Grenze«, »Locker sitzt der Colt« - sind heute Raritäten, da die meist jugendlichen Käufer die gelesenen Bücher oft wegwarfen. Die Geschichten, geschrieben »nach Berichten des Westmannes Billy Jenkins«, suggerieren dem Leser mit Hilfe von Originalfotos, daß der Titelheld die Abenteuer selbst erlebt habe. Von 1934 bis 1939 erschienen beim Werner Dietsch Verlag in Leipzig 264 Hefte und 56 Bücher. Die Hefte wurden aufgrund des amerikanischen Titelhelden ab September 1939 verboten. Von 1949 bis 1963 gab der Uta-Verlag (Sinzig am Rhein, später Bad Godesberg) 370 Hefte und 116 Bücher heraus. Jenkins hat vier Romane selbst geschrieben, dann jedoch seinen Künstlernamen der Serie zur Verfügung gestellt. Angeblich sagte er: »Schreibt über mich, was ihr wollt, nur nichts Unehrenhaftes!« Die Verfasser waren oft namhafte Autoren, wie der noch heute bekannte Gert H. F. Unger und Rolf Randall (d. i. Joachim Rennau). Die Hefte hielten den Bekanntheitsgrad seines Namens aufrecht, als er bereits nicht mehr öffentlich auftrat. Die Vorkriegsausgaben sind heute begehrte Sammlerstücke, für die stattliche Geldsummen geboten werden.
     Billy Jenkins war Freund und Berufskollege des in Wien gebürtigen internationalen
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Artisten Ernst Tobis (1876–1959), der einer breiten Öffentlichkeit unter dem Pseudonym »Patty Frank« bekannt war. Patty Frank soll Fischer später »ellenlange Briefe« geschrieben haben. Beide waren Ehrenmitglieder des Cowboy-Clubs »Old-Texas-Town« in Berlin-Siemensstadt, dessen »Mayor« Ben Destry (d. i. Fritz Walter) sie persönlich kennt. Jenkins wohnte nach Kriegsende bei Köln, denn dort befand sich sein Lieblingspublikum. Er führte den Besuchern eines kleinen, selbst eingerichteten Museums Kunststücke mit Greifvögeln vor und stand gerne für Pressefotos zur Verfügung. Sein Ableben war von Tragik überschattet, denn er starb am 21. Januar 1954 unverheiratet und ohne Nachkommen bei Köln in ärmlichen Verhältnissen in einem Wohnwagen. Die Beerdigung vereinte zahlreiche seiner Freunde aus der ganzen Welt an seinem Grabe, zeigte die ungebrochene Popularität des Verstorbenen. Seine Lebensgefährtin hatte ihn bis zum Tode betreut. Sie nannte sich Schönemann-Jenkins, versuchte eine eigene Jenkins-Heftreihe aufzubauen, was aus rechtlichen Gründen nicht gelang, und starb in einem Altersheim bei Köln.
     Nach dem Ablauf der Grabfrist sollte der Beerdigungsplatz eingeebnet werden. Die »Jenkinsianer«, eine Fan-Gemeinde mit hoher emotionaler Zuneigung zu dem Künstler, konnten dies verhindern. Heute ist das Grab auf dem Melaten-Friedhof zu Köln mit einer Grabplatte geschmückt, auf der
die Lebensdaten und der markante Schriftzug verewigt sind. Die »Erben« von Billy Jenkins sind aktiv: Es gibt einen Autor, der unter dem Pseudonym William Tex »Billy-Jenkins-Sonderbände« publiziert. Ein Falkner bei Köln bezeichnet sich als »legitimen Nachfolger« des Verehrten. Das Billy-Jenkins-Archiv in Bremen ist eine private biographische Sammlung, die über zahlreiche Brief-, Buch-, Bild-, Text- und Tondokumente ab dem Jahr 1908 verfügt. Spezialgeschäfte mit Romanhandel bieten Originalhefte und Nachdrucke an.
     Erich Fischer hat seinen Traum vom exotischen Dasein in der Wirklichkeit ausgelebt, einen Spielraum für die Phantasie geschaffen. Die Suggestion, er habe die Abenteuer selbst erlebt, weist eine psychologische Nähe zu Karl May auf. Der Namenwechsel von Rosenthal zu Fischer und Jenkins spiegelt die Neigung zu Selbststilisierung und das Bedürfnis, die Herkunft zu verleugnen, wider. Zirkusmilieu, Abenteuerwelt und Groschenheft-Romantik waren Mittel, die Tristesse des Alltags in eine Zauberwelt zu verwandeln, der Phantasie Gestalt zu geben. Der »Cowboy von Reinickendorf« sollte in Erinnerung bleiben.

Bildquelle: Archiv Autor

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