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und Reflektion des Berliner Stadtbildes der damaligen Zeit.
     Die Wiege von Johann Erdmann Hummel stand in Kassel, wo er am 11. September 1769 als Sohn des Schlossermeisters David Hummel und seiner Frau, der Tochter des Schlossermeisters Schwarz, geboren wurde. Sein Geburtshaus stand in der Martinstraße, nahe dem berühmten Friedrichsplatz, der als einer der größten Plätze Deutschlands gilt (350 Meter lang, 150 Meter breit) und an dessen einem Rand sich das Fridericianum befindet, in dem seit 1955 alle vier bis fünf Jahre die »documenta« stattfindet.
     Von 1780 bis 1791 besuchte Hummel die Kasseler Kunst-Akademie, deren Ehrenmitglied er im Jahre 1817 wurde. Zunächst trat Hummel in die Zeichenklasse, und ab 1882 in die Bauklasse ein. Von 1792 bis 1799 hielt er sich als Stipendiat in Rom auf. Hier schloß er sich den Landschaftsmalern Johann Christian Reinhart (1761–1847), Joseph Anton Koch (1768–1839), Johann Martin von Rohden (1778–1868) und dem Architekten Friedrich Weinbrenner (1766–1826) an. Außerdem war er sehr eng mit dem Maler Friedrich Bury (1763–1823), Goethes Weggenossen in dessen römischer Zeit, befreundet. Bury schrieb einmal über seinen Freund Johann Erdmann Hummel: » ... Er ist einer der besten Künstler und Menschen, welche ich in Rom gekannt habe, und in allen Fächern der Kunst sehr geübt, und geht ihm alles sehr fertig von der Hand.«1)
Hans-Joachim Beeskow
Die Berliner nannten ihn den »Perspektiv-Hummel«

Der Maler Johann Erdmann Hummel
(1769–1852)

Der Maler und Graphiker Johann Erdmann Hummel zählt mit zu den wichtigsten Wegbereitern des Realismus im 19. Jahrhundert und gehört in die Reihe eines Johann Heinrich Hintze (1800–1861), Carl Georg Adolph Hasenpflug (1802–1858) und Eduard Gaertner (1801–1877). Trotz dieses kunstgeschichtlichen Befundes wurde Hummel nach seinem Tod zunächst schnell und gründlich vergessen. Er starb fast 83jährig am 26. August 1852 in Berlin und wurde auf dem Friedhof der Sophien-Gemeinde in der Bergstraße (Stadtbezirk Mitte) beigesetzt.
     Anfang dieses Jahrhunderts erlebte auch Hummel eine Renaissance, machte man sich sein künstlerisches Œuvre auch für stadtgeschichtliche Forschungen nutzbar. Ein wesentliches Charakteristikum des Werkes von Hummel ist Sachlichkeit und wirklichkeitsgetreue, ja fast photographische Wiedergabe des Vorfindlichen, d. h. zum großen Teil die künstlerische Thematisierung

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Im Frühjahr 1799 kehrte Hummel in seine Vaterstadt Kassel zurück, wo er aber nicht lange blieb. Ein Zerwürfnis mit dem Landesherrn wurde ihm zum Anlaß, Kassel zu verlassen. Gemeinsam mit seinem Bruder Caspar siedelte er im Oktober 1800 nach Berlin über. Während sein Bruder, ein gelernter Schlosser, als Begründer der ersten Berliner Maschinenfabrik bald heimisch wurde, hatte Johann Erdmann Hummel zunächst einige existentielle Sorgen. Am 6. August 1801 schrieb er seinem Freund Johann Christian Reinhart: »Nach einem erbärmlichen Leben von anderthalb Jahren in Kassel befolgte ich endlich Ihren Rat und traf das Loch, was der Zimmermann gelassen hatte; ging nach Braunschweig und ... reiste von da hierher ... Nun bin ich 10 Monate hier, und es geht mir ganz passabel. Bury, Genelli (gemeint ist der Maler und Zeichner Bonaventura Genelli, 1798–1868; d. Verf.) und Hirt (Aloys Ludwig Hirt, Archäologe, 1759–1837; d. Verf.) bilden eine kleine angenehme Künstlergesellschaft in diesem sandigen Lande, und wir suchen unsern Aufenthalt wechselseitig durch die Erinnerung an das geliebte Rom so viel als möglich erträglich zu machen.«2)
     Im Jahre 1809 erhielt Hummel einen Lehrauftrag für Perspektive, Architektur und Optik an der Berliner Akademie der Künste. Gleichzeitig wurde er zum Professor ernannt. Unter seinen Schülern befanden sich vor allem Architekten, aber auch Maler,
Bildhauer und Kupferstecher. Im Jahre 1811 wurde Hummel Mitglied des Akademischen Senats der Berliner Akademie der Künste und 1812/13 hatte er 34 Schüler in seinem Atelier in der Straße Unter den Linden. Im Jahre 1820 waren es bereits 70, was die Anstellung eines Assistenten, Leopold Zielke, erforderlich machte. So nimmt es nicht wunder, wenn in einem Künstlerlexikon von 1838 zu lesen ist: »Es gibt fast keinen in Berlin gebildeten Maler, Architekten und Bildhauer, der nicht von ihm die konstruierende Architektur, Perspektive und Optik gelernt hätte.«3)
     Aber Johann Erdmann Hummel beschränkte sich keineswegs nur auf seine akademische Lehrtätigkeit, die Konsequenz seiner eigenen künstlerischen Arbeiten war. Von seinem (frühen) graphischen Werk sind besonders die Illustrationen für das von Aloys Ludwig Hirt herausgegebene mythologische Wörterbuch nach Versen und Skulpturen der antiken Welt (1805) und die 12 Kupferstiche über das Thema »Dr. Martin Luther's Leben und Apotheose«, die im Jahre 1806 entstanden, erwähnenswert. Hummel war der erste in der Kunstgeschichte, der einen solchen, relativ umfänglichen Luther-Zyklus schuf.4) Ihn legte er Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) zur Begutachtung vor, war ihm doch, wie anderen Künstlern der damaligen Zeit, die Anerkennung und das Lob des Weimaraners wichtig und wesentlich. Die sogenannten »Weimarer
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Kunstfreunde«, zu ihnen gehörte auch (und vor allem) Goethe, veröffentlichten im Jahre 1807 eine längeres Votum über den Luther-Zyklus von Hummel, in dem u. a. zu lesen ist: ... »Nachdem die dramatische Poesie Luthers Leben und Thaten zum Gegenstand ihrer Bemühungen gemacht hatte, war es leicht vorauszusehen, daß auch die bildende Kunst bald in ähnlichem Bestreben auftreten werde, und wirklich liegen in der Geschichte von Luther große und interessante Momente genug, welche der bildende Künstler zur Darstellung benutzen kann. Hr. Erdmann Hummel verdient darum, daß er es unternommen, die bedeutendsten Scenen aus Luthers Leben mit dessen Verherrlichung oder Apotheose auf 12 Blättern, in Kupfer gestochene Umrisse, herauszugeben, gerechtes Lob. Ihm gelang verschiedenes in Hinsicht auf Erfindung, mehreres hat er mit Geschicklichkeit und mit Geist ausgeführt, auch ist die Arbeit im Ganzen sehr reinlich ... «5)
     Hummel bemühte sich auch – mit Erfolg – um eine Reform des Zeichenunterrichts an den preußischen Gymnasien. Außerdem unterrichtete er in der damals von der Akademie abgetrennten Kunst- und Gewerbeschule. Hier vermittelte er Tischlern, Zimmerleuten, Steinmetzen, Dekorationsmalern, Dekorateuren, auch Studenten der Mathematik das perspektivische Rüstzeug für ihre praktische Arbeit. Ziel seines Unterrichts war die Förderung der »Intelligenz
und Einsicht« des Handwerkers, der Weg dazu die Projektionslehre als die Grundlage des Zeichnens. Diese Lehrtätigkeit machte Hummel in Berlin sehr populär: Die Berliner gaben ihm seinerzeit den liebevollen Spitznamen »Perspektiv-Hummel«.
     Den Höhepunkt des künstlerischen Schaffens von Johann Erdmann Hummel stellen jedoch jene drei Gemälde in der Berliner Nationalgalerie und im Märkischen Museum dar, auf denen er die Bearbeitung, den Transport und die Aufstellung der Granitschale im Berliner Lustgarten zur Darstellung bringt. Alle drei Gemälde entstanden im Jahre 1831, das den Berlinern ein außerordentliches Ereignis bescherte: Im Lustgarten wurde die mächtige Granitschale aufgestellt, die ursprünglich in der Rotunde des Alten Museums ihren Platz finden sollte. Hummel hielt dieses für die Berliner Bevölkerung sensationelle Ereignis fest: die Herstellung und Aufstellung der Granitschale, die aus einem großen Findling aus den Rauenschen Bergen bei Fürstenwalde gearbeitet wurde. Die Abbildung auf dem Titelblatt dieses Heftes zeigt die große Schale an ihrem Bestimmungsort, dem Lustgarten. Das Ganze ist sachlich und nüchtern, »exakt nach mathematischen Gesichtspunkten durchkonstruiert, klar und dinglich jeder einzelne Gegenstand. Schatten- und Spiegelungskonstruktionen stehen im Mittelpunkt, wobei die umgekehrte Widerspiegelung der Spaziergänger und Zäune in der glänzend polierten
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Unterseite der Schale sehr übertrieben erscheint. Bei den Personen handelt es sich nicht um bloße Staffagefiguren, sondern um wirkliche Porträts. So erscheint links am Rande der Baumeister Cantian, der die technische Leitung bei der Arbeit an der Schale hatte, rechts hat Hummel seine beiden Söhne Fritz und Erdmann (Hummel heiratete 1828 Wilhelmine Heinicke; d. Verf.) festgehalten. Der Farbton ist kühl, jedes malerische Element ist ausgeschaltet, Zirkel und Lineal sind bestimmend.«6)
     Georg Hummel, ein Enkel des Malers, charaktersierte das Werk seines Großvaters, zusammenfassend so: »Sein künstlerisches Werk ist ein vielfältig reflektierender Spiegel seiner Zeit. Hummel malte Bildnisse, Historien und Stilleben. Er stach in Kupfer und zeichnete für den Steindruck. Er entwarf Theaterkostüme, Deckengemälde und Innendekorationen, Silber- und Porzellangeschirr und eine Badeeinrichtung. Die verschiedenen Kraftströme seiner Zeit flossen in ihm mit- oder nebeneinander. Klassizismus und Romantik, Realismus und Idealismus, akademische Gebundenheit und künstlerische Freiheit mündeten bei Hummel in jener bürgerlichen Sphäre, die wir mit dem Namen Biedermeier bezeichnen. Höhepunkte dieses Biedermeier sind die Schalenbilder und die anderen Berliner Ansichten ... Hummels Kunst weist über den engeren Bezirk ihres zeitlichen Wirkens hinaus. Vorboten des optischen Schauens, das
der Impressionismus brachte, scheinen in seinen Schalenbildern leise spürbar. Vor allem aber hat Hummels sachlicher Realismus uns Heutigen etwas zu sagen. Unserem Auge ist es auch wieder gegeben, sich an der Stille und Klarheit seiner Form zu entzücken. Das wäre nicht möglich, wenn nicht hinter dem scheinbaren Wandel seines Wollens und hinter dem Widerstreit von Gegensätzen in seinem Schaffen eine Persönlichkeit stände, die ihr durchaus eigenes Gesicht wahrt.
Diese Persönlichkeit ist liebenswert, weil sie ehrlich ist. Vor allem sollte sie der Berliner ehren, weil sie Geist von seinem Geiste ist.«7)

Quellen:
1     Zitiert nach: Georg Hummel: Der Maler Johann Erdmann Hummel. Leben und Werk, Leipzig 1954, S. 21
2     Ebenda, S. 16 f.
3     Ebenda, S. 26
4     Joachim Kruse/Minni Maedebach: Luthers Leben in Illustrationen des 18. und 19. Jahrhunderts, Ausstellungskatalog der Kunstsammlungen der Veste Coburg, (= Veröffentlichungen der Kunstsammlungen der Veste Coburg, Nr. 30), Coburg 1980, S. 57-69
5     »Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung vom Jahre 1807«, Ausgabe vom Januar/Februar/März, Nr. VII
6     Rosemarie Widerra: Berliner Kunst vom Barock bis zur Gegenwart, Ausstellungskatalog des Märkischen Museums, Berlin o. J., S. 16 f.
7     Georg Hummel: a. a. O., S. 55

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